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JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH BAYERISCHEN
AKADEMIE der WISSENSCHAFTEN
1915
MÜNCHEN
VERLAG DER K. B. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
IN KOMMISSION DES G. FRANZ'SCHEN VERLAGS (J. ROTH)
1915
ns
Akademische Buchdruckerei von F. Straub in München.
INHxVLT.
III
Satzung ............
Geschäftsordnung ..........
Satzungen der Kommissionen
Historische Kommission .......
Urkunde über die Errichtung einer Witteisbacher Stiftung
für Wissenschaft und Kunst ......
Kommission für die internationale Erdmessung . . " .
Satzungen der Stiftungen
Savigny- Stiftung .
Liebig -Stiftung
Zographos- Fonds
Münchener Bürgerstiftung
Cramer-Klett- Stiftung .
Thereianos - Stiftung
Hardy- Stiftung
Koenigs- Stiftung zum Adolf v. Baeyer-Jubiläum
Wilhelm Koenigs -Stiftung zur Förderung botanischer und
zoologischer Forschungen etc. .
Georg Hitl'scher Fonds
Heinrich v. Brunck- Stiftung
Karl V. Dapper-Saalfels-Stiftung .
Albert Sarason- Stiftung
Bewilligungen aus Stiftungen
Nekrologe
Öffentliche Sitzung am 20. November 1915
Verkündigung der Neuwahlen
Seite
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151
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IV
Seite
Personalstand
Verwaltung .......... 153
Ehrenmitglieder, ordentliche und außerordentliche Mitglieder 155
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder . . . 1(31
Besondere Kommissionen 166
Berichte und Protokolle der akademischen Kommissionen
Thesaurus linguae latinae 170
Mittelalterliche Bibliothekskataloge ..... 173
Wörterbuch-Kommission . . . . 175
Bericht der Kommission für Höhlenforschung in Bayern in
den Jahren 1914/15 181
Akademische Medaillen 186
Nachtrag .186
Satzung und G-escliäftsordnung
der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften.
Organisations-Urkunde
der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
vom 21. März 1827.
LUDWIG,
von Gottes Gnaden König von Bayern, etc. etc.
Wir haben Uns über die dermaligen Verhältnisse der
Akademie der Wissenschaften in München, welche von Un-
serem höchstseligen Regierungs- Vorfahrer dem Churfürsten
Maximilian dem III. nach ihrer ersten Stiftung bestätigt,*)
und von Unseres in Gott ruhenden Herrn Vaters, des Königs
Maximilian Joseph Majestät erneuert und neu errichtet
worden,**) Vortrag erstatten lassen , und verordnen, — auf
den Antrag Unseres Staats-Ministeriums des Innern nach Ver-
nehmung Unseres Staatsraths, wie folgt:
I. Die Akademie der Wissenschaften in München ist ein
unter dem Schutze des Königs stehender Verein von Gelehrten,
um die Wissenschaften zu pflegen, dieselben durch Forschungen
zu erweitern, und durch die vereinten Kräfte ihrer Mitglieder
Werke hervorzubringen, welche die Kraft eines einzelnen Ge-
lehrten übersteigen.
*) Der Stiftungsbrief vom 28. März 1759.
**) Durch Konstitutionsurkunde vom 1. Mai 1807.
Jahrbuch 1015.
2 Organisations-Urkunde
IL Die Wirksamkeit der Akademie umfaßt das ganze Ge-
biet der allgemeinen Wissenschaften, insbesondere
1. Philosophie, Philologie, alte und neue Literatur;
2. Mathematik und sämmtliche Naturwissenschaften, na-
mentlich Physik, Chemie, Astronomie und die ver-
schiedenen Zweige der Naturgeschichte;
3. Geschichte, und zwar vorzüglich die vaterländische in
ihrem ganzen Umfange, mit ihren Hülfs Wissenschaften,
jedoch mit Ausnahme der politischen Geschichte des
Tages.
Ausgeschlossen sind von dem Wirkungskreise der Aka-
demie die besonderen positiven Wissenschaften, nämlich Theo-
logie, Jurisprudenz, Kameralistik und Medicin.
IIL Nach den Hauptgegenständen ihrer Wirksamkeit theilt
sich die Akademie in drey Klassen, nämlich in
1. die philosophisch- philologische,
2. die mathematisch-physikalische, und
3. die historische Klasse.
IV. Das Personal der Akademie soll künftig bestehen aus
1. einem Vorstande,
2. drey Klassen-Sekretären,
3. einer verhältnissmässigen Anzahl sowohl ordentlicher
in München wohnender Mitglieder, als
4. ausserordentlicher oder Ehrenmitglieder, und
5. einer angemessenen Anzahl korrespondirender Mit-
glieder.
Diejenigen ordentlichen Mitglieder, welche ihren Wohn-
sitz in München aufgeben, treten in die Reihe der ausser-
ordentlichen Mitglieder ein.
Die dermaligen auswärtigen ordentlichen Mitglieder be-
halten zwar ihre bisherige Stellung zur Akademie, in Zukunft
können jedoch die ausser München wohnenden Individuen nur
in der Eigenschaft ausserordentlicher oder Ehrenmitglieder,
oder korrespondirender Mitglieder eintreten.
Organisations-Urkunde 3
V. Der Vorstand wird von sämmtlichen ordentlichen Mit-
gliedern der Akademie aus ihrer Mitte durch Stimmenmehrheit
gewählt, bedarf jedoch zur Ausübung seines Amtes Unserer
königlichen Bestätigung. Er bekleidet die ihm auf diese Art
übertragene Stelle jederzeit drey Jahre, ist aber jederzeit wieder
wählbar; die Funktion des aus der ersten Wahl hervorgehenden
Vorstandes wird sich jedoch ausnahmsweise nur auf zwey Jahre
erstrecken.*)
Der Vorstand wacht über die genaue Beobachtung der
Statuten und die Erfüllung der Pflichten eines jeden Mitgliedes
oder Angehörigen der Akademie.
Er führt in den allgemeinen Versammlungen, und, so oft
er es zuträglich findet, auch in den besonderen oder Klassen-
Versammlungen den Vorsitz; er kann ausserordentliche Ver-
sammlungen anordnen; er unterzeichnet alle Ausfertigungen
der Akademie, und hat überhaupt alle Befugnisse, so wie alle
Verpflichtungen eines Collegial -Vorstandes. Im Falle der Ab-
wesenheit oder sonstigen Verhinderung überträgt er die Ge-
schäfte des Vorstandes einem Klassen-Sekretär.
VI. Die Klassen-Sekretäre werden aus den ordentlichen
Mitgliedern jeder Klasse und von denselben durch Stimmen-
mehrheit gewählt; diese Wahl muss Uns jedesmal angezeigt
werden, ohne jedoch Unserer Bestätigung zu bedürfen. Die
Funktionen der Klassen-Sekretäre dauern jederzeit drey Jahre,
nach deren Abfluss eine neue Wahl statt findet, bey welcher
sie wieder wählbar sind. Die Klassen-Sekretäre geben in Ab-
wesenheit des Vorstandes die Gegenstände dei* Verhandlungen
in den Versammlungen ihrer Klassen an, führen das Protokoll
und die Correspondenz der Klasse, nehmen in Empfang, was
besonders an dieselbe gerichtet ist, verfassen die Ehren-Reden
auf die der Akademie durch den Tod entrissenen Mitglieder
*} Eine Kgl. Verordnung vom 22. November 1841 bestimmt, daß
der Vorstand der Akademie aus der Mitte der ordentlichen Mitglieder
vom König jeweils auf drei Jahre ernannt wird.
1*
4 Organisations-Ürkunde
ihrer Klasse, und redigiren gemeinschaftlieh die durch den
Druck bekannt zu machenden Jahres-Berichte der Akademie.
VII. Die erste dermalige Ernennung der ordentlichen
Mitglieder der Akademie wird unmittelbar von Uns aus-
gehen, für die Zukunft aber hat die Akademie ihre Mitglieder
durch freie Wahl mit Vorbehalt Unserer jedesmaligen Be-
stätigung zu ersetzen. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder
der Akademie setzen Wir für die Zukunft für jede Klasse auf
höchstens zwölf, daher im Ganzen mit Einschluss des Vor-
standes und der Klassen-Sekretäre auf sechs und dreissig
fest.*) Jeder, der künftig als ordentliches Mitglied der Aka-
demie aufgenommen werden soll, muss der gelehrten Welt
durch schriftstellerische Werke von anerkanntem Werthe oder
durch wichtige Entdeckungen bekannt , von unbescholtenem
Charakter und in München wohnhaft sein. Im Uebrigen ist
die Wahl ganz frey, und die Mitglieder der Akademie können,
unter den obigen Voraussetzungen aus der Klasse der Geist-
lichkeit, der Staatsdiener, des Militärstandes, der öffentlichen
Lehrer an der Universität und Studien-Anstalten und der Privat-
Gelehrten gewählt werden. Die Pflichten der ordentlichen Mit-
glieder liegen unmittelbar im Zwecke der Anstalt, ihre wesent-
liche Verbindlichkeit besteht in thätiger Mitwirkung an den
Arbeiten der Akademie und ununterbrochener Theilnahme an
*) Eine Kgl. Verordnung vom 20. April 1856 bestimmte:
I. Jede Klasse der Akademie ist befugt, zwölf ordentliche Mitglieder
zu zählen, welche das siebenzigste Lebensjahr noch nicht er-
reicht haben.
IL Die ordentlichen Mitglieder der drei akademischen Klassen, welche
das siebenzigste Lebensjahr bereits erreicht oder überschritten
haben, behalten alle als Akademiker bisher besessenen Rechte
und Befugnisse, sind jedoch nur zu jenen Arbeiten und Dienst-
leistungen verpflichtet, welche sie nach freiem Entschlüsse über-
nehmen wollen.
Durch Kgl. Verordnung vom 13. Juli 1869 wurde die Zahl der ordent-
lichen Mitglieder der mathematisch -physikalischen Klasse auf 18, die
der außerordentlichen auf 12, ferner durch Verordnung vom 10. Mai 1909
die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf 24 erhöht.
Organisations-Urkunde 5
ihren Berathungen. Jedes Mitglied der Akademie hat bey seinem
Eintritte in dieselbe eine von ihm verfasste, des Druckes würdige
Inaugural-Abhandlung in öffentlicher Sitzung zu verlesen.
VIII. Zu Ehren- oder ausserordentlichen Mitgliedern
werden solche inländische oder auswärtige Individuen gewählt,
welche nach ihren Verhältnissen die Bedingungen zu ordent-
lichen Mitgliedern nicht erfüllen, aber sonst durch Rang oder
andere äussere Verhältnisse, verbunden mit wissenschaftlichen
Kenntnissen und Liebe zu den Wissenschaften, zur Beförderung
der Zwecke der Anstalt beytragen können.*) Die Akademie
legt ihnen keine Pflicht auf, es steht ihnen frey, den Sitzungen
beyzuwohnen, und Abhandlungen vorzulesen, oder einzusenden,
welche, wenn sie des Druckes würdig befunden werden, in die
Denkschriften der Akademie aufzunehmen sind.
IX. Zu korrespondirenden Mitgliedern werden von
in- und ausländischen Gelehrten diejenigen ausersehen, welche
durch zweckmässige Mittheilungen über wissenschaftliche Gegen-
stände fortwährend der Akademie nützliche Dienste zu leisten
im Stande und bereitwillig sind.
X. Die ausserordentlichen sowohl, als die correspondirenden
Mitglieder werden von der Akademie selbst mit Vorbehalt
Unserer jedesmaligen Genehmigung gewählt.**)
XL Jedem Mitgliede der Akademie steht der Austritt aus
diesem Verein frey; zur wirklichen Ausschliessung aber wird
Unsere ausdrückliche Sanktion erfordert.
XII. Nur jene Mitglieder der Akademie, welche zu öffent-
lichen regelmässigen Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-
üniversität, an der polytechnischen Schule oder an anderen
ähnlichen Staats-Anstalten sich verpflichten, können in Zukunft
*) Die Geschäftsordnung vom 5. September 1866 trennt die Ehren-
mitglieder von den außerordentlichen Mitgliedern.
**) In der Geschäftsordnung vom 5. September 1866 ist die Höchst-
zahl der korrespondierenden Mitglieder nicht beschränkt.
6 Organisations-Urkunde
aus dem Fond der Akademie einen ständigen Gehalt erhalten.
Ausserdem werden Wir dem Vorstande und den Klassen-
Sekretären für die Dauer ihrer Funktionen angemessene jähr-
liche Remunerationen aus dem der Akademie zugewiesenen
Fond bewilligen.*)
XIII. Dem Vorstande und den Sekretären wird noch zur
Besorgung der Kanzleigeschäfte und zur Führung der Regie-
Rechnung ein Aktuar mit einem angemessenen Funktions-
Gehalte, und ein Kanzley gehülfe gegen Taggeld bey gegeben.
Der Aktuar hat zugleich das Einlaufs-Tagebuch zu führen,
die Ausfertigungen der Akademie zu besorgen, und die Regi-
stratur derselben in Ordnung zu erhalten.**)
XIV. Das Staatsministerium des Innern (Sektion für die
Angelegenheiten der Kirche und des Unterrichts oder die hiefür
bestimmt werdende Stelle,***) dem in Beziehung auf ihre äussere
Thätigkeit und Geschäfts- Verhältnisse, die Akademie als wissen-
schaftlicher Verein untergeordnet ist, kann, so oft es für noth-
wendig erachtet wird, das Gutachten der Akademie über wissen-
schaftliche Gegenstände, welches diese unentgeldlich zu geben
verpflichtet ist , erholen , auch wegen besonderer Beachtung
einzelner Gegenstände specielle Aufträge an dieselbe erlassen,
sowie hinwieder die Akademie berufen ist, wichtige und ge-
meinnützige Resultate ihrer Forschungen und Beobachtungen,
dann begründete Ansichten über wahrhaft dringende Bedürf-
nisse der im Artikel II bezeichneten Wissenschaften dem ge-
nannten Staatsministerium vorzulegen. Auch hat die Akademie
selbst durch Herstellung und Fortführung einer ununterbrochenen.
*) Zur Zeit erhält kein Akademiker als solcher einen ständigen
Gehalt aus dem Etat der Akademie. Der Vorstand bezieht 900 Mk.,
die 3 Klassensekretäre je 300 Mk. jährliche Remuneration.
**) Gegenwärtig hat die Akademie einen Syndikus, einen Eentamt-
mann, einen Kanzleisekretär, einen Kassen sekretär und einen Diener für
die Kanzlei.
***) Jetzt „Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten" .
Organisations-Ürkunde 7
freyen, jedoch rein wissenschaftlichen Verbindung mit gelehrten
Instituten und Gesellschaften des In- und Auslandes die zur
Erreichung ihres Zweckes dienlichen Hilfsmittel zu vermehren.
XV. Die wissenschaftliche Thätigkeit der Akademie äussert
sich vorzüglich durch
1. Berathung,
2. Schrift und Druck,
3. Ermunterung.
XVI. Zum Behufe einer freyen wissenschaftlichen Be-
rathung sollen in gewissen Zeiträumen theils ordentliche all-
gemeine, theils Klassen-Sitzungen gehalten werden, in
welchen die von der allerhöchsten Stelle an die Akademie zum
Gutachten gebrachten Fragen berathen, die wichtigeren aus-
wärtigen Correspondenz- Nachrichten vorgelegt, die von den
einzelnen Mitgliedern verfassten Abhandlungen und Vorträge
gelesen , die Wahlen neuer Mitglieder vorgenommen , und
überhaupt alle zur gemeinsamen Berathung der Akademie
oder ihrer einzelnen Klassen geeigneten Gegenstände dis-
cutirt werden.*)
XVII. In jedem Jahre sollen zwey öffentliche, feyerliche
Sitzungen gehalten werden, nämlich am Namenstage des re-
gierenden Königs und am 28. März, als dem Tage der ersten
Stiftung dieses wissenschaftlichen Vereins, In diesen beyden
festlichen Versammlungen sollen , neben gedrängten Rechen-
schafts-Berichten über das Wirken der Akademie, Abhand-
lungen über wissenschaftliche Gegenstände von allgemeinerem
Interesse und Gedächtniss-Reden über ausgezeichnete verstorbene
Mitglieder vorgetragen werden.**)
XVIII. Die Mittheilung durch Schrift und Druck besteht
vorzüglich in der Herausgabe
*) Siehe Geschäftsordnung vom 5. September 1866, Titel , Sitzungen
1 und 2'.
**) Siehe Geschäftsordnung vom 5. September 1866, Titel, Sitzungen 3*.
8 Organisations-Urkunde
1. der akademischen Denkschriften, in welche die
von Mitgliedern der Akademie verfassten wichtigeren
Abhandlungen aufzunehmen, jedoch dieselben zur Er-
leichterung des Absatzes in besondere, nach den ver-
schiedenen Klassen der Akademie geordnete Hefte zu
vertheilen sind;
2. der Sammlung der für die vaterländische Geschichte
wichtigen Urkunden, welche unter dem Namen
^Monumenta boica*
bekannt, und unter besonderer Berücksichtigung der
Städte-Urkunden mit Ausdehnung auf geschichtliche
Urkunden aus den neuerworbenen Gebietstheilen des
Königreiches fortzusetzen ist, und
3. einer Literatur-Zeitung unter geeigneter Mit-
wirkung anderer, nicht zur Akademie gehörender
Gelehrten. *)
XIX. Ermunternd wirkt die Akademie der Wissenschaften
vorzüglich
1. durch Ausschreibung wahrhaft interessanter wissen-
schaftlicher Preisfragen und Belohnung ihrer gelungenen
Lösung ;
2. durch Zuerkennung akademischer Denkmünzen für ein-
gesendete gelungene Arbeiten.
XX. Indem Wir hierdurch Unserer Akademie der Wissen-
schaften die Hauptbestimmung ihrer künftigen Wirksamkeit
vorgezeichnet haben, tragen Wir derselben auf, eine auf diese
Bestimmungen gegründete Geschäftsordnung zu entwerfen, und
Uns zur Genehmigung vorzulegen.**)
*) Die Literaturzeitung (, Gelehrte Anzeigen*) hörte im Jahre 1860
auf zu erscheinen, an ihre Stelle traten , Sitzungsberichte", siehe Ge-
schäftsordnung, Titel „Sitzungsberichte".
**) Maßgebend ist gegenwärtig die Geschäftsordnung vom 5. Sep-
tember 1866.
Organisations-Urkunde 9
Gegenwärtige Verordnung soll durch das Regierungs-
blatt zur allgemeinen Kenntniss gebracht, und durch Unser
Staatsministerium des Innern förderlich in Vollzug gesetzt
werden.
München am 21. März 1827.
Ludwig.
Fürst V. Wrede. Graf v. Thürheim.
Freyherr v. Zentner. v. Maillot.
Graf V. Armansperg.
Nach dem Befehle
Seiner Majestät des Königs:
Egid V. Kobell.
10
Geschäftsordnung der K. Akademie der Wissenschaften.
Von Seiner Majestät König Ludwig II.
unterm 5. September 1866 und 5, Januar 1884 genehmigt.
Wahlen.
1. Wahlberechtigt sind nur die hier residierenden ordent-
lichen Mitglieder der Akademie.
2. Zu den Wahlversammlungen, sowohl der einzelnen Klassen
als der Gesamt- Akademie, werden die ordentlichen Mit-
glieder durch ein Circular eingeladen.
Das unterschriebene Circular gehört zum Akt der
Wahlverhandlung.
3. Die Wahlen der Mitglieder finden in zwei aufeinander-
folgenden Sommer-Monaten statt.
a) Wahl der Klassensekretäre.
1. Die Wahl eines Klassensekretärs geschieht alsbald (im
Fall der Erledigung durch Ableben unter dem Vorsitz
des Vorstandes) durch relative Mehrheit der Anwesenden
in einer Klassensitzung mittelst Stimmzettel, welche der
stellvertretende Sekretär, der Senior der Klasse, einsieht.
2. Nach erfolgter Wahl tritt der Sekretär sofort in seine
Tätigkeit.
3. Die Neuwahl wie die Wiederwahl wird den andern Klassen-
sekretären zur Bekanntgabe mitgeteilt.
b) Wahl der ordentlichen Mitglieder.
1. Die Vorschläge zur Ergänzung einer statusmässigen Stelle
durch einen einheimischen hier wohnenden Gelehrten
unterliegen der Vorberatung und alsdann der Entschei-
dung der Klasse durch Kugelung.
Geschäftsordnung 1 1
2. Die Gültigkeit der Wahl verlangt absolute Stimmenmehr-
heit von drei Viertel der eingeladenen und nicht unab-
weislich abgehaltenen Mitglieder.
3. Das von allen Mitgliedern unterschriebene Wahlprotokoll
wird samt den schriftlichen Vorschlägen durch das Prä-
sidium der Gesamt-Akademie in allgemeiner Sitzung mit-
geteilt und diese entscheidet durch absolute Stimmenmehr-
heit mit Kugeln, ohne Rücksicht auf die Zahl der Er-
schienenen, über die Wahl.
4. Das gleiche Verfahren gilt bei den folgenden unter c
und d aufgeführten Wahlhandlungen.
c) Wahl der ausserordentlichen Mitglieder.
Die Vorschläge stehen jedem einzelnen ordentlichen Mit-
glied der Klasse zu.
d) Wahl der auswärtigen und korrespondierenden
Mitglieder,
1. Die Anträge können gleichfalls von jedem ordentlichen
Mitgliede der Klasse einzeln gestellt werden.
Jeder Vorschlag muss dem Klassensekretär vor der
Wahlsitzung schriftlich übergeben werden.
2. Bei der Würdigung derselben ist, ausser der selbstver-
ständlichen Beachtung der Persönlichkeit, das Bedürfnis
einzelner oder besonderer in der Klasse vertretener Wissen-
schaften wahrzunehmen.
e) Wahl von Ehrenmitgliedern.
Die Vorschläge können nur vom Vorstande nach Benehmen
mit den Klassensekretären an die Gesamt-Akademie gebracht
werden.
Sämtliche Wahlen der Mitglieder unterliegen der könig-
lichen Bestätigung. Ihre Verkündigung erfolgt in öffentlicher
Sitzung.
Nehmen auswärtige oder korrespondierende Mitglieder
ihren bleibenden Wohnsitz hierselbst, so treten jene als ordent-
12 Geschäftsordnung
liehe, diese als ausserordentliche in ihre Klasse ein, auch in
dem Fall, dass damit die Normalzahl der Mitglieder über-
schritten wird.
Sitzungen.
1.
Allgemeine Sitzungen.
Bei Mitteilungen von allgemeinem Interesse beruft der
Vorstand sämtliche hier wohnende Akademiker in besonderer
Einladung, wie gelegentlich der Wahl neuer Mitglieder.
2.
Klassen Sitzungen.
1. Die Sitzungen der drei Klassen werden gleichzeitig am
ersten Samstag des Monats gehalten.
2. Eine Verlegung dieser regelmässigen Sitzung wird vor-
her durch Circular angezeigt.
3. Über die Reihenfolge der Vorträge wird in der November-
Sitzung jeder Klasse Anordnung getroffen.
4. Der von einem Mitgliede in einer Sitzung zu haltende Vortrag
soll vor derselben dem Klassensekretär angemeldet werden.
5. Die Klasse erledigt in ihren Sitzungen oder in dringen-
den Fällen durch Circulare auch Anfragen oder Aufträge
des Staatsministeriums oder was sonst in den Kreis der
Beratung eintritt.
3.
Öffentliche Sitzungen.
1. Nach Eröffnung der Sitzungen (welche an einem Königs-
tage und an dem Stiftungstag der Akademie stattfinden*)
durch den Vorstand, erstatten die Klassensekretäre Bericht
über die Personal- Veränderungen innerhalb ihrer Klasse.
2. Die Festrede wechselt nach der Folge der drei Klassen.
Jede Klasse hat rechtzeitig den Redner zu bestimmen
und dem Vorstande bekannt zu geben.
*) Gegenwärtig wird erstere Mitte November, letztere in der ersten
Hälfte des Monats März abgehalten.
Geschäftsordnung 13
Denkschriften.
Jedes Jahr gibt jede Klasse eine Abteilung zu einem
Bande akademischer Denkschriften; dieser enthält circa hundert
Bogen.
Die Aufnahme der Abhandlungen, mögen sie nun in einer
Sitzung vorgetragen oder eingesendet worden sein, hängt von
dem Gutachten der Klasse ab.
Von den einzelnen Abhandlungen werden auch eine Zahl
Separat-Abzüge ausgegeben.
Sitzungsberichte .
Die Sitzungsberichte veröffentlichen , was alles in den
Klassensitzungen zum Vortrag kam, sei es im Auszug, sei es
vollständig.
Über die Aufnahme entscheidet die Klasse.
Dieselben berichten auch über die öffentlichen Sitzungen.
Für künstlerische Beilagen, sowohl zu den Denkschriften
als den Sitzungsberichten, muss ein Voranschlag gemacht und
die besondere Genehmigung des Vorstandes eingeholt werden.
Monumenta boica.
Die hiefür eigens niedergesetzte Kommission hat die Aus-
wahl, die Form und den Bearbeiter der Urkunden zu bestimmen.
Honorare.
Für die Festrede in der öffentlichen Sitzung, für die Ab-
handlungen in den Denkschriften und den Sitzungsberichten
werden Honorare bezahlt.
Übersteigt eine Abhandlung in einer Abteilung der Denk-
schriften die Zahl von acht Bogen, in den Sitzungsberichten
die Zahl von drei*) Bogen, so wird für das Weitere kein
Honorar bezahlt.
*) Gegenwärtig fünf.
14 Geschäftsordnung
Für die Festrede bleibt ohne Rücksicht auf ihren Umfang
das Honorar festgesetzt.*)
Jetons.
Präsenzgelder werden an die Mitglieder der Klasse für
die Klassensitzung und an die bei einer öffentlichen Sitzung
anwesenden Akademiker verteilt.**)
Ferien.
Die regelmässigen Ferien dauern von August bis Ende
Oktober.
*) Dieselbe wird zur Zeit gleich drei Bogen der Denkschriften
honoriert.
**) Für die Klassensitzungen je 2 Mk. , für die öffentlichen Sit-
zungen je 5 Mk.
15
Satzungen der Kommissionen.
Satzung der historischen Commission bei der königlichen
Akademie der Wissenschaften.
Ich habe beschlossen, eine Commission für deutsche Ge-
schichts- und Quellenforschung bei Meiner Akademie der
Wissenschaften nach ähnlichen Grundsätzen, wie die natur-
wissenschaftlich-technische Commission zu errichten, und be-
stimme desshalb auf solange Ich nicht anders verfüge, wie folgt:
I.
Die Commission besteht aus: *
1. einem Vorstande,
2. einem Sekretär,
3. aus 15 — 20 ordentlichen Mitgliedern, von welchen
mindestens drei Mitglieder der historischen Classe der
Akademie sein müssen, die übrigen aber ohne sonstige
Bedingung aus den wissenschaftlichen Notabilitäten
Deutschlands und den deutschen Provinzen der Nach-
barstaaten ausgewählt werden,
4. einer unbestimmten Anzahl ausserordentlicher Mit-
glieder.
Diese Commission bildet einen integrirenden Theil der
königl. Akademie der Wissenschaften, ist daher mit dieser dem
königl. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
Angelegenheiten untergeordnet.
IL
Der Vorstand leitet in den Sitzungen die Debatte, hält
die Umfrage, gibt zuletzt seine Stimme ab, und hat bei Stimmen-
gleichheit den Stichentscheid.
Er wird im Falle der Abwesenheit von dem Sekretär ver-
treten. Er muss Mitglied der Akademie sein.
lö Satzungen der Kommissionen
Der Sekretär führt das Protokoll und besorgt die Cor-
respondenzen. Er muss ein in München residirendes ordent-
liches Mitglied der Akademie sein.
Für den ersten Fall erfolgt Meinerseits die Ernennung
des Vorstandes, des Sekretärs und der ordentlichen Mitglieder
der Commission unmittelbar. Weiterhin hat die Commission
in der jährlichen Plenarsitzung der ordentlichen Mitglieder bei
dem Abgange des Vorstandes oder Sekretärs oder ordentlicher
Mitglieder Mir deren Nachfolger, ebenso wie die ausserordent-
lichen Mitglieder zur Ernennung in Vorschlag zu bringen.
III.
Die Commission wird sich vornehmlich mit der Auffindung
und Herausgabe werthvollen Quellenmaterials für die deutsche
Geschichte in deren ganzen Umfange beschäftigen , soweit
dasselbe nicht in den Bereich bereits bestehender Unterneh-
mungen fällt. Sie wird ausserdem wissenschaftliche Arbeiten,
die in diesem Gebiete nothwendig oder erspriesslich erscheinen,
hervorzurufen suchen, sie wird endlich hervorragende wissen-
schaftliche Arbeiten dieses Gebietes, welche sonst nicht zur
Publikation gelangen würden, veröffentlichen.
Sie ist ermächtigt, Jedem, der in ihrem Auftrage die
Bearbeitung eines Gegenstandes übernimmt, die zu liquidirenden
Baarausgaben dafür zu vergüten , und die Arbeit selbst in ge-
eigneter Weise zu honoriren.
IV.
Zu Michaelis jeden Jahres findet eine Plenarsitzung aller
ordentlichen Mitglieder statt.*) Für die Theilnahme an der-
selben erhält jedes ausserhalb Münchens wohnende Mitglied
eine Reiseentschädigung von 200 fl.
In dieser Sitzung berichtet der Sekretär über die Arbeiten
und Verwendung der Geldmittel des abgelaufenen Jahres. Die
Commission fasst sodann Beschluss über die Arbeiten und den
*) Seit dem Jahre 1891 findet die Plenarversammlung mit Aller-
höchster Genehmigung nicht mehr zu Michaelis statt, sondern in der
Pfingstwoche.
Satzungen der Kommissionen 17
Etat des kommenden Jahres. Sie fasst Beschluss über etwaige
Wahlen. Wenn bei der Ausführung der Beschlüsse dringende
Fälle eine sofortige Entscheidung fordern, deren Beschliessung
zur Competenz der Plenarsitzung gehören würde , so kann
darüber durch eine Berathung des Vorstandes und des Sekretärs
in Gemeinschaft mit den in München anwesenden und den
näher bei der Sache betheiligten Mitgliedern deren Beschluss
gefasst werden.
Der Vorstand und sämmtliche Mitglieder der Akademie,
sowie die ausserordentlichen Mitglieder der Commission haben
die Befugniss, der Plenarsitzung beizuwohnen. Stimm- und
wahlberechtigt sind jedoch nur die ordentlichen Mitglieder der
Commission.
V.
Die in München anwesenden Mitglieder der Commission
treten, so oft es einem derselben erforderlich scheint, zu einer
Sitzung zusammen, die von dem Vorstande, — oder in dessen
Abwesenheit von dem Sekretär berufen und geleitet wird. Die
Beschlüsse dieser Sitzungen werden den auswärtigen Mitgliedern
durch den Sekretär mitgetheilt.
VI.
Die Commission hält ihre Sitzungen in den Lokalitäten
der Akademie der Wissenschaften.
VII.
Sie veröffentlicht ihre Arbeiten in zwanglosen Bänden, die
auf ihrem Titel als: , herausgegeben durch die historische
Commission bei der Königlich bayerischen Akademi*^ der Wissen-
schaften" bezeichnet werden.
Die Kosten der Herausgabe werden überall aus dem
Fonde der Commission gedeckt, welchem dagegen der etwaige
buchhändlerische Ertrag der Publikationen zuwächst.
VIII.
Ich bewillige der Commission jährlich die Summe von
15000 fl. aus Meiner Cabinettscassa.
Aus diesem Fonde werden ausser den Autor-Honorarien,
Reiseentschädigungen und Druckkosten auch die Regieausgaben
Jahrbuch 1915. 2
18 Satzungen der Kommissionen
für Schreibmaterialien, Post [Fracht] bestritten. Was von
demselben in einem Jahre nicht verbraucht wird, wächst der
Einnahme des nächsten Jahres zu.
IX.
Unter der Aufsicht des Vorstandes, der im Falle seiner
Abwesenheit auch in dieser Beziehung durch den Sekretär
vertreten wird, führt der Cassier der Akademie der Wissen-
schaften die Cassa und Rechnung der Commission gegen eine
jährliche Remuneration von 150 fl. und entwirft jährlich den
Etat zur Instruktion der Plenarsitzung.
X.
Die Plenarsitzung hat jährlich über die Arbeiten der
Commission und die Verwendung ihrer Geld-Mittel umständ-
lichen Bericht zu erstatten, welcher Bericht durch das Staats-
ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten
Mir zur Genehmigung in Vorlage zu bringen ist.
XI.
Ich ernenne zu Mitgliedern der Commission die Akademiker
von Rudhart, von Spruner, von Sybel und zum Sekretär
derselben den Akademiker von Sybel. Dieselben haben sofort
Anträge über die Ernennung auswärtiger Mitglieder einzureichen.
Nach deren Eingang behalte Ich Mir vor, den Vorstand der
Commission zu bezeichnen. Zugleich bestimme Ich, dass die
Commission in den Kreis ihrer Arbeiten und auf ihren Fond
die Herausgabe der deutschen Reichstagsakten, wie Ich solche
auf den Antrag des Professors von Sybel genehmigt habe,
sowie die Arbeiten der seither bestehenden archivalischen Com-
mission übernehme.
XII.
Der jährliche Etat der Commission ist Mir zur Geneh-
migung vorzulegen, die Revision der Rechnungen aber, wie
bei der naturwissenschaftlich-technischen Commission, von der
k. Rechnungskamraer zu führen.
München am 26. November 1858.
gez. MAX.
Satzungen der Kommissionen 1"
Urkunde über die Errichtung einer Wittelsbacher-
Stiftung für Wissenschaft und Kunst.
LUDWIG IL,
von Gottes Gnaden König von Bayern,
Pfalzgraf bei Rhein,
Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc.
Um die Allerhöchsten Intentionen Unseres vielgeliebten,
nun in Gott ruhenden Herrn Vaters, Seiner Majestät des Königs
Maximilian IL von Bayern im thunlichsten Umfange in ehrende
Verwirklichung zu bringen und insbesondere für die Arbeiten
der von Höchstdemselben bei der Akademie der Wissenschaften
in München gegründeten historischen Kommission auch ferner-
hin die entsprechenden Mittel zu sichern, haben Wir in Ge-
meinschaft mit Unseres vielgeliebten Herrn Bruders, des Prinzen
Otto von Bayern Königlicher Hoheit beschlossen, eine allge-
meine Landesstiftung, zunächst zur Förderung wissenschaftlicher
Zwecke, zu errichten und verordnen hier wegen was folgt:
I.
Die bezeichnete Stiftung führt den Namen , Witteisbacher-
Stiftung für Wissenschaft und Kunst" ; sie besitzt die Eigen-
schaft einer Landesstiftung mit juristischer Persönlichkeit und
hat ihren Sitz in München.
IL
Zur Dotation derselben bestimmen Wir und Unseres Herrn
Bruders, des Prinzen Otto von Bayern Königliche Hoheit den
Betrag von zusammen sechsmal hundert fünfzig tausend Mark
aus dem Nachlasse Unseres Höchstseligen Herrn Vaters.
^^ Satzungen der Kommissionen
III.
Die Verwaltung des Stiftungsvermögens wird der Kassa-
verwaltung der Akademie der Wissenschaften in München unter
der Aufsicht des jeweiligen Vorstandes der von Unserem Höchst-
seligen Herrn Vater, Seiner Majestät dem König Maximilian H.
von Bayern gegründeten Kommission für deutsche Geschichts-
und Quellenforschung oder des Stellvertreters desselben über-
tragen.
IV.
Die Renten des Stiftungs Vermögens sind bis auf Weiteres
für die Zwecke und Arbeiten der vorgenannten historischen
Kommission zu verwenden.
Hinsichtlich der Zusammensetzung und der Aufgaben, dann
des Geschäftsganges und der sonstigen Einrichtungen dieser
Kommission verweisen Wir auf die von Unserem Höchstseligen
Herrn Vater, dem Könige Maximilian II. von Bayern hierüber
getroffenen Bestimmungen, deren allenfallsige Aenderungen Wir
übrigens Uns und Unseren Regierungsnachfolgern vorbehalten.
V.
Für den Fall die Zwecke der genannten historischen Kom-
mission seinerzeit von Uns oder Unseren Regierungsnachfolgern
als erfüllt erachtet werden sollten, behalten Wir Uns und
Unseren Regierungsnachfolgern vor, die Renten der bezeich-
neten Stiftung anderen wissenschaftlichen Zwecken oder auch
Zwecken der bildenden Künste zuzuwenden und hienach auch
die Bestimmungen über die Verwaltung des Stiftungsvermögens
zu ändern.
VI.
Unser Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten ist beauftragt, die zum Vollzuge dieser Stiftung
erforderlichen weiteren Anordnungen zu treffen.
Gegeben zu München, den 23. März 1880.
LUDWIG.
Dr. von Lutz.
Satzungen der Kommissionen *1
Bestimmungen über die Organisation einer Bayerischen
Kommission für die internationale Erdmessung.*)
§ 1.
Zur Durchführung der für die Zwecke der internationalen
Erdmessung in Bayern vorzunehmenden Arbeiten wird auf die
Dauer derselben eine aus Mitgliedern der mathematisch-physi-
kalischen Klasse der k. Akademie der Wissenschaften bestehende
Kommission unter der Vorstandschaft des Generalkonservators
der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates [bezw. des Vor-
standes der k. Akademie der Wissenschaften] gebildet, welche
den Namen
„K. Bayerische Kommission für die internationale
Erdmessung"
führt und dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten untergeordnet ist.
§ 2.
In dieser Kommission sind die Referate über astronomische,
geodätische, mathematische und physikalische Fragen je einem
Fachmanne zu übertragen, und es ist hierauf von dem Vor-
stande der Kommission sowohl bei der Verteilung der Referate
als bei den Anträgen auf Wiederbesetzung erledigter Funk-
tionen Rücksicht zu nehmen.
§ 3.
Die formellen Geschäfte der Kommission besorgt ein stän-
diger Sekretär, welcher Mitglied der Kommission ist, und auf
Vorschlag des Vorstandes von dem k. Staatsministerium des
Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten bestimmt wird.
*) Ursprünglich Kommission für die europäische Gradmessung.
22 Satzungen der Kommissionen
Derselbe ist in Fällen der Verhinderung des Vorstandes dessen
Stellvertreter, führt in den Sitzungen der Kommission das
Protokoll*) und besorgt die Redaktion der Druckschriften, welche
die Erdmessungskommission herauszugeben für gut findet. Siegel
und Akten der Kommission sind in seiner Verwahrung. Bei
der Aufstellung des ständigen Sekretärs wird zugleich dessen
Stellvertreter bezeichnet.
§ 4.
Das Kassa- und Rechnungswesen wird dem für das k. General-
konservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates
und die k. Akademie der Wissenschaften aufgestellten Rech-
nungsbeamten übertragen und von diesem nach den für jene
Institute geltenden administrativen Vorschriften besorgt.
§ 5.
Die Mitglieder der Erdmessungskommission und deren Vor-
stand besorgen die ihnen zukommenden Arbeiten unentgeltlich;
für auswärtige Beschäftigungen erhalten dieselben die ihnen
gebührenden Taggelder und Reisekosten und für Druck-
schriften, welche die Ergebnisse ihrer Beobachtungen dar-
stellen, das für Abhandlungen der akademischen Denkschriften
übliche Honorar.
Dem Rechnungsführer [sowie dem Sekretär der Akademie]
wird von dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten auf den gutachtlichen Antrag der
Kommission eine [ihren] Dienstleistungen entsprechende Re-
muneration bewilligt**) und dem Sekretär [der Kommission]
durch den Etat eine Aversalsumme zur Bestreitung der Aus-
lagen für Schreibgeschäfte und Bureaubedürfnisse angewiesen.
*) Laut Ministerialentschliessung vom 10. Juli 1868 ist „in den
Fällen, in welchen der beständige Sekretär der Kommission als Vorstand
zu fungieren hat, ein Administrativ-Beamter der k. Akademie oder des
Generalkonservatoriums als Sekretär zu verwenden",
**) Diese Remunerationen sind seit dem Jahre 1889, bezw. 1898
aufgehoben.
Satzungen der Kommissionen 23
§6.
Die Kommission hat darüber zu wachen, dass alle auf
Bayern treffenden Erdmessungsarbeiten mit möglichst geringem
Kostenaufwande rechtzeitig und genau nach den Beschlüssen
der allgemeinen Konferenzen und der permanenten Kommission
der internationalen Erdmessung vollzogen und publiziert werden.
Zu dem Ende hat dieselbe
1. mit der letztgenannten Kommission die erforderliche
Korrespondenz zu unterhalten;
2. während jedes Winterhalbjahrs in einer Sitzung durch
wohlerwogene Beschlüsse die Arbeiten zu bestimmen,
welche im Sommerhalbjahr auszuführen sind und die
Summen festzusetzen , welche von jedem Kommissär
gegen vorschriftsmässige Verrechnung auf die seiner
Leitung unterstellten Arbeiten verwendet werden dürfen;
3. zu jeder Zeit die vorgelegten Manuskripte für Druck-
schriften in der Richtung zu prüfen, ob sie im Sinne
der obengenannten Beschlüsse abgefasst und überhaupt
druckwürdig sind und je nach dem Ergebnisse dieser
Prüfung die Genehmigung zum Drucke des Manuskriptes
zu geben oder zu versagen; endlich
4. jährlich jedesmal im Laufe des Winters über den Fort-
gang der Erdmessungsarbeiten in Europa und Bayern
an das k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten zu berichten und die erforder-
lichen Anträge über Beschickung der allgemeinen und
besonderen Konferenzen der Erdmessungskommissäre
durch Mitglieder der bayerischen Kommission zu stellen.
§ 7.
Regelmässige Sitzungen der Erdmessungskommission haben
jährlich nur zwei, eine im Winter- und eine im Sommer-Se-
mester stattzufinden; in dringenden Fällen kann der Vorstand,
wenn er es für nötig findet oder zwei Mitglieder es beantragen,
ausserordentliche Sitzungen halten. Bei allen Abstimmungen
über geschäftliche Fragen entscheidet einfache Stiramenmehr-
24 Satzungen der Kommissionen
heit, kommt eine solche nicht zu Stande, so zählt die Stimme
des Vorstandes doppelt. In allen wissenschaftlichen und tech-
nischen Fragen sind die Konferenzbeschlüsse und deren allen-
fallsige Interpretationen durch die permanente Kommission der
internationalen Erdmessung massgebend. Diese Interpretationen
sind in zweifelhaften Fällen durch den Vorstand der bayerischen
Kommission zu veranlassen.
§ 8.
Alle Ausfertigungen und Berichte der Kommission werden
von dem Vorstande und dem Sekretär, beziehungsweise von
deren Stellvertretern unterzeichnet.
Das Amtssiegel der Kommission trägt das bayerische
Wappen und die Umschrift: ,K. Bayerische Kommission für
die internationale Erdmessung." Ein Exemplar dieses Siegels
erhält jedes Kommissionsmitglied zu seinem speziellen dienst-
lichen Gebrauche für Korrespondenzen in Erdmessungsangelegen-
heiten und für Verhandlungen, welche für diesen Zweck mit
Behörden und Privaten zu pflegen sind.
§ 9.
Die bayerische Kommission für die internationale Erd-
messung geniesst für ihre Korrespondenzen und ihre mit der
Fahrpost zu versendenden Akten die Postportofreiheit auf
Grund der Allerhöchsten Verordnung vom 23. Juni 1829 und
beziehungsweise der Artikel 26 und 47 der Postverträge vom
23. November 1867.*)
§ 10.
Die Assistenten, welche ein Kommissär bedarf, werden
von diesem ausgewählt und von dem Vorstand der Erdmessungs-
kommission bei dem vorgesetzten k. Staatsministerium zur Be-
stätigung ihrer Punktionen und Bezüge beantragt.
Dieselben sind dem Kommissär untergeordnet und erhalten
von diesem ihre von der Erdraessungskommission genehmigten
*) Geändert durch Verordnung vom 22. Dezember 1907 (Ges. u.
V. Bl. S. 1082).
Satzungen der Kommissionen 25
Instruktionen, wesshalb auch der betreffende Kommissär für
alle Arbeiten seiner Assistenten verantwortlich ist.
Um sich bei dem persönlichen Verkehre mit Stellen, Be-
hörden und Privaten gehörig legitimieren zu können, wird
jedem Kommissär auf Antrag des Vorstandes der Erdmessungs-
kommission vom k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten und jedem Assistenten auf Antrag
des betreffenden Kommissärs von dem Vorstande der Erd-
messungskommission eine Legitimationsurkunde ausgefertigt.
München, den 20. Oktober 1868.
26
Satzungen der Stiftungen.
I.
Satzung der Savigny- Stiftung.
Bei der Feier, welche die Juristische Gesellschaft zu Berlin
am 29. November 1861 zum Gedächtnisse des am 25. Oktober
desselben Jahres verstorbenen kgl. Preussischen Staatsministers
Dr. Friedrich Karl v. Savigny beging, wurde der Beschluss
verkündet, das Andenken des grossen Rechtslehrers durch
Gründung einer Stiftung zu ehren.
Da zur Ausführung dieses Beschlusses die Summe von
16,436 Thlr. Preuss. Cour, bereits verfügbar ist, wird nach-
stehendes Statut errichtet:
I. Zweck der Stiftung.
§ 1. Der Zweck der Stiftung ist:
in wesentlicher Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gesetz-
gebung und der Praxis
1. wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete des Rechts
der verschiedenen Nationen zu fördern,
namentlich solche, welche das römische Recht und
die verschiedenen Germanischen Rechte sowohl für sich
als auch im Verhältniss zu einander behandeln,
ferner solche, welche die von Savigny begonnenen
Untersuchungen in seinem Sinne weiterführen;
Satzungen der Stiftungen 27
2. besonders befähigte Rechtsgelehrte in den Stand zu
setzen , die Rechtsinstitutionen fremder Länder durch
eigene Anschauung kennen zu lernen und darüber Be-
richte oder weitere Ausführungen zu liefern.
2. Befähigung zur Theilnahme.
§ 2. Die Befähigung zur Theilnahme an den Vortheilen,
welche die Stiftung behufs der Förderung ihres Zweckes ge-
währt, ist an keine Nationalität gebunden.
3. Rechte der Stiftung.
§ 3. Die Stiftung besitzt unter dem Namen „Savigny-
Stiftung" die Rechte einer Korporation und führt in ihrem
Siegel das Wappen der Familie v. Savigny. Sie hat ihren
Sitz in Berlin und ihren Gerichtsstand bei dem kgl. Stadt-
gerichte daselbst.
4. Stiftungs-Vermögen.
§ 4. Das Kapital- Vermögen der Stiftung wird aus den
bisher gesammelten Beiträgen und aus den künftig eingehenden
Zuwendungen gebildet, sofern der Geber nicht eine andere
Bestimmung über die Art der Verwendung treffen sollte.
Das Kapital- Vermögen der Stiftung darf niemals ange-
griffen werden.
§ 5. Für die Zwecke der Stiftung werden nur die Zinsen
des Kapital-Vermögens verwendet.
5. Kuratorium der Stiftung.
§ 6. Die Stiftung wird durch ein Kuratorium von sechs
Personen vertreten.
Das Kuratorium wird bei seiner Gründung aus zwei Mit-
gliedern der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, zwei
Mitgliedern der juristischen Fakultät der kgl. Friedrich-Wilhelms-
Universität daselbst und zwei Mitgliedern der juristischen Ge-
sellschaft daselbst gebildet, welche von diesen Körperschaften,
beziehungsweise von der juristischen Gesellschaft gewählt werden.
28 Satzungen der Stiftungen
Die Legitimation der von der juristischen Gesellschaft ge-
wählten zwei Mitglieder wird dadurch geführt, dass die von
der Akademie und der Fakultät gewählten vier Mitglieder des
Kuratoriums die Wahl derselben als giltig anerkennen.
§ 7. Scheidet ein Mitglied aus dem Kuratorium aus, so
erfolgt die Neuwahl von derjenigen Körperschaft, von welcher
die Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes bei der Gründung
des Kuratoriums besetzt worden war. — Ein gleiches Wahl-
recht steht in gleichem Umfange der juristischen Gesellschaft
zu Berlin zu. In Beziehung auf die Prüfung der Legitimation
der von der letzteren gewählten Mitglieder findet auch bei
Neuwahlen die Vorschrift des § 6 Alinea 3 des Statuts An-
wendung.
Ist dieses Wahlrecht innerhalb eines von dem Kuratorium
zu bestimmenden angemessenen Zeitraumes nicht ausgeübt
worden, so ergänzt sich das Letztere durch Kooptation aus der
Zahl der in Berlin wohnenden Rechtsverständigen. Es müssen
jedoch stets zwei Mitglieder im Kuratorium sitzen , welche
weder der Akademie noch der Universität angehören.
Ueber jeden Wahlakt des Kuratoriums wird eine notarielle
Urkunde aufgenommen.
§ 8. Das Kuratorium legitimiert sich als Vertreter der
Stiftung durch ein Attest des kgl. Polizei-Präsidiums zu Berlin
darüber, dass das Kuratorium der Stiftung zur Zeit aus den
im Atteste genannten Personen besteht.
Das Kuratorium hat die Befugniss, einen Syndikus aus
seiner Mitte zu wählen und diesem General- und Spezialvoll-
macht cum facultate substituendi zu ertheilen, auch für ein-
zelne Rechtsgeschäfte oder Prozesse Jemand, sei derselbe Mit-
glied des Kuratoriums oder nicht, unter Beilegung sämtlicher
Rechte, welche dem Vertreter einer abwesenden Partei zu-
stehen, zu bevollmächtigen.
§ 9. Das Kuratorium wählt aus seiner Mitte einen Vor-
sitzenden, dessen Name durch eine von dem Kuratorium zu
bestimmende Berliner, Wiener und Münchener Zeitung ver-
öffentlicht wird.
Satzungen der Stiftungen 29
Der Vorsitzende repräsentirt die Stiftung in allen ausser-
gerichtlichen Angelegenheiten. Die Zahlungs-Anweisungen an
die Kasse der Stiftung bedürfen jedoeh der Unterschrift des
Vorsitzenden und zweier Mitglieder des Kuratoriums.
§ 10. Die Beschlüsse des Kuratoriums werden durch
Stimmenmehrheit seiner Mitglieder gefasst.
Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden
den Ausschlag.
Lässt der Vorsitzende schriftlich abstimmen, so muss die
schriftlich zu formulirende Frage jedem Mitgliede zur Er-
klärung vorgelegt werden, und steht es dann in der Befugniss
jedes Einzelnen, über die Frage eine mündliche Berathung und
Abstimmung zu beantragen.
Zu einem giltigen Beschlüsse des Kuratoriums auf Grund
mündlicher Abstimmung ist die Anwesenheit von mindestens
drei Mitgliedern erforderlich.
§ 11. Das Kuratorium hat für die zinsbare und deposital-
mässig sichere Anlegung des Stiftungsvermögens Sorge zu
tragen.
Die Documente der Stiftung sind bei einer mit Deposital-
verwaltung verbundenen öffentlichen Anstalt zu deponiren.
Die Kasse der Stiftung wird durch einen vom Kuratorium
hiermit zu beauftragenden öffentlichen Kassen beamten geführt.
Diesem wird nach erfolgter Rechnungslegung alljährlich die
Decharge durch das Kuratorium ertheilt.
§ 12. Das Kuratorium stellt nach einem sechsjährigen
vom 1. Januar 1863 ab zu berechnenden Turnus die Zinsen-
masse nach Abzug der Verwaltungskosten in runder Summe
folgenden drei Akademien zu den Zwecken der Stiftung (§1)
zur Verfügung und zwar die Zinsenmassen
1. des ersten und zweiten Jahres der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften zu Wien,
2. des dritten und vierten Jahres der kgl. Akademie der
Wissenschaften zu München,
3. des fünften und sechsten Jahres der kgl. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin.
30 Satzungen der Stiftungen
§ 13. Von demjenigen Zeitpunkte an, wo das Kapital-
Vermögen der Stiftung die Summe von Dreissigtausend Thalern
Preuss. Cour, erreicht haben wird, tritt ein dreijähriger Turnus
unter den genannten Akademien in der angegebenen ßeihen-
folge ein.
§ 14. Der Geschäftsgang bei dem Kuratorium wird durch
die anliegende Geschäftsordnung geregelt.
§ 15. Zu einer Abänderung der Geschäftsordnung ist die
Zustimmung von wenigstens vier Mitgliedern des Kuratoriums
erforderlich.
6. Der Wirkungskreis der Akademien.
§ 16. Die Akademie, welcher die Zinsenmasse nach Vor-
schrift des § 12 zur Verfügung gestellt ist, hat die Wahl, aus
derselben
1. ein in Druck oder in Schrift ihr vorliegendes Werk zu
prämiiren,
2. eine Preisaufgabe zur Konkurrenz auszuschreiben,
3. ein Reisestipendium zu ertheilen,
4. die zur Ausführung einer rechtswissenschaftlichen Arbeit
erforderlichen Geldmittel zu gewähren.
Dem freien Ermessen der Akademie bleibt überlassen, ob
sie die ihr zur Verfügung gestellte Zinsenmasse zu einem und
demselben Unternehmen oder zu verschiedenen Zwecken (Nr. 1
bis 4) verwenden will.
Auch die Zinsenraassen mehrerer Jahre können mit Ein-
willigung der betheiligten Akademien für ein und dasselbe
Unternehmen bestimmt und verwendet werden.
Ordentlichen einheimischen Mitgliedern der konferirenden
Akademie dürfen weder Preise noch Reisestipendien ertheilt
werden.
Die wissenschaftlichen Arbeiten ad 1. 2. 4., sowie die
Reiseberichte ad 3. müssen in Lateinischer, Deutscher, Eng-
lischer, Französischer oder Italienischer Sprache abgefasst sein.
§ 17. Beabsichtigt die Akademie ein bereits vollendetes
Werk zu prämiiren (§16 Nr. 1), so hat dieselbe innerhalb
Satzungen der Stiftungen
31
eines Jahres, von dem Zeitpunkte an gerechnet, wo ihr die
Zinsenmasse zur Verfügung gestellt ist, diese Prämiirung aus-
zusprechen und dem Kuratorium unter üebersendung des Werkes
sowie des die Prämiirung motivirenden Gutachtens die Zahlungs-
anweisung zu ertheilen.
Schriften, welche schon länger als vier Jahre vor dem
Beschlüsse, ein Werk zu prämiiren, durch den Druck veröffent-
licht worden, sind von der Prämiirung ausgeschlossen.
Die Auszahlung der ganzen Prämie für ein Werk, welches
im Manuscripte vorliegt, darf erst nach der Veröffentlichung
des Werkes durch den Druck erfolgen.
§ 18. Stellt die Akademie eine Preisaufgabe (§ 16 Nr. 2),
so veröffentlicht sie innerhalb eines Jahres, von dem Zeitpunkte
an gerechnet, wo ihr die Zinsenmasse zur Verfügung gestellt
ist, in ihren Organen und in den ihr geeignet erscheinenden
öffentlichen Blättern das Thema, die Bedingungen der Kon-
kurrenz und den Zeitpunkt der Ablieferung der Arbeiten, setzt
auch das Kuratorium hiervon in Kenntniss.
An dem auf diesem Zeitpunkt der Ablieferung zunächst
folgenden 21. Februar oder in der demnächst folgenden Ge-
samtsitzung verkündet die Akademie das Resultat der Kon-
kurrenz-Ausschreibung, sowie den Namen des Verfassers der
gekrönten Preisschrift und ertheilt demnächst dem Kuratorium
bei üebersendung der Preisschrift und des die Preisertheilung
motivirenden Gutachtens die Zahlungsanweisung.
Die Auszahlung der ganzen Prämie erfolgt auch in diesem
Falle erst dann, wenn die Veröffentlichung der Preisschrift
durch den Druck bewirkt wird.
Ist die Preisaufgabe nach dem Urtheile der Akademie
nicht gelöst, so steht es in ihrer Befugniss, dieselbe Aufgabe
nochmals zur Konkurrenz auszuschreiben.
§ 19. Bewilligt die Akademie ein Reisestipendium (§ 16
Nr. 3), so wird dieser Beschluss innerhalb eines Jahres, von
dem Zeitpunkte an gerechnet, wo ihr die Zinsenmasse zur
Verfügung gestellt ist, spätestens am nachfolgenden 21. Februar
oder in der demnächst folgenden Gesamtsitzung verkündet und
32 Satzungen der Stiftungen
steht es in der Befugniss der Akademie, dem Perzipienten eine
bestimmte Anweisung zu ertheilen. Der diesfällige Beschluss
unter Angabe der Zahlungsmodalitäten ist dem Kuratorium
zur Ausführung mitzutheilen. Die Akademie wird Massregeln
treffen oder durch das Kuratorium treffen lassen, welche die
Veröffentlichung des Reiseberichtes möglichst sichern.
§ 20. Entscheidet sich die Akademie dafür, die Zinsen-
masse ganz oder zum Theile einem Rechtsgelehrten zur Aus-
führung einer bestimmten wissenschaftlichen Arbeit zu ge-
währen (§16 Nr. 4), so ist sie verpflichtet, über den Plan der
Arbeit vom Verfasser eine Vorlage zu erfordern, von dem
Fortgange des Unternehmens sich in Kenntniss zu erhalten
und die Veröffentlichung des Resultates der Forschungen mög-
lichst zu sichern.
Dem Kuratorium wird bei Mittheilung der gemachten
Vorlagen und der in der Angelegenheit von der Akademie
gefassten Beschlüsse die Zahlungs-Anweisung ertheilt.
§ 21. Verfügt die Akademie an dem 21. Februar oder
in der demselben zqnächst folgenden Gesammtsitzung (§§ 18
bis 19) nicht über die ihr zur Verfügung gestellte Zinsen-
masse oder macht sie nicht innerhalb des einjährigen Zeit-
raumes von dem ihr nach § 17 resp. § 20 zustehenden Rechte
Gebrauch , ein bereits vollendetes Werk zu prämiiren , be-
ziehungsweise einem Rechtsgelehrten zur Ausführung einer
wissenschaftlichen Arbeit die Mittel zu überweisen, oder er-
klärt sie nicht innerhalb gleicher Frist dem Kuratorium, dass
sie von dem Rechte des § 16 Alinea 3 Gebrauch mache, so
ist die Masse der ferneren Verfügung der Akademie entzogen.
Diese verfallenen Massen werden einem besonders zu ver-
waltenden Fonds der Stiftung zugeschrieben, dessen Zinsen
zur Deckung der Druckkosten für die prämiirten Werke gleich-
zeitig mit der Zinsenmasse des Kapital- Vermögens (§ 12) der
Akademie zur Verfügung gestellt werden.
Die von der Akademie nicht zum Druck angewiesenen
Zinsen des Druckkostenfonds werden zum Kapitale dieses Fonds
geschlagen.
Satzungen der Stiftungen 33
§ 22. Abänderungen dieses Statuts bedürfen, ausser der
Bestätigung der Staatsbehörde, der Zustimmung der drei Aka-
demien und des Kuratoriums der Stiftung.
So beschlossen zu Berlin, den 27. März 1863,
Das Gründungs-Comite der Savigny-Stiftung:
V. Bernuth. v. Bethmann-Hollweg.
Borchardt. Bornemann. Dr. Bruns. Dr. Dove.
Dr. Gneist. Dr. Heydemann. Dr. Homeyer.
Meyen. Freiherr v. Patow. Dr. Richter.
Dr. Rudorff. Graf v. Schwerin. Simson.
Volkmar. Graf v. Wartensleben.
Auf Grund vorstehender Statuten ist die hiesige Savigny-
Stiftung durch die Allerhöchste Ordre vom 20. v. Mts., welche
wörtlich, wie folgt, lautet:
„Auf Ihren Bericht vom 18. ds. Mts. will Ich der
, Savigny-Stiftung zu Berlin auf Grund ihres wieder
, beifolgenden Statuts de dato Berlin den 27. März
,1863 hiermit Meine landesherrliche Genehmigung
„ er th eilen"
Salzburg, den 20. Juli 1863.
Gez. WILHELM.
Gez. V. Mühler.
,An den Minister der geistlichen, Unter-
richts- und Medicinal- Angelegenheiten*
landesherrlich genehmigt worden.
Berlin, den 6. August 1863.
(L. S.)
Der Minister der geistlichen, Unterrichts-
und Medicinal-Angelegenheiten.
In Vertretung: Lehnert.*)
*) Die drei Akademien zu Berlin, München und Wien haben durch
Beschlüsse vom 23. April, bezw. 6. und 7. Mai 1863 die ihnen in der
Satzung zugedachten Funktionen dauernd übernommen. Das Kuratorium
der Stiftung konstituierte sich zu Berlin am 29. Dezember 1863.
Jahrbuch 1915. 3
34 Satzungen der Stiftungen
Durch das Kuratorium der Savigny- Stiftung sind in den
Jahren 1886 und 1887 folgende Zusätze zum Statut gemacht
und von den drei beteiligten Akademien , sowie von Staats-
aufsichtswegen von dem K. Preussischen Minister der geist-
lichen, Unterrichts- und Medizinal -Angelegenheiten genehmigt
worden:
1. Zusatz zu § 16. „Die verfügende Akademie ist be-
rechtigt auf Antrag des Kuratoriums die Zinsenmasse bis zu
einem Fünftel zur Unterstützung periodischer Publikationen,
welche zu den Zwecken der Savigny -Stiftung in Beziehung
stehen, zu verwenden."
2. Zusatz zu § 20. ^Für die Ausführung der Arbeit in
der von der beteiligten Akademie zu bestimmenden Form hat
dieselbe einen Termin festzusetzen und ist berechtigt, denselben
auf höchstens zwei Jahre zu verlängern. Von der Verlängerung
ist das Kuratorium zu benachrichtigen.
Ist kein Termin festgesetzt, so gilt als solcher der Schluss
des fünften Jahres nach demjenigen Jahre, in welchem der
Auftrag erteilt worden ist. Erfolgt die Ausführung innerhalb
der bezeichneten Frist nicht, so werden die noch nicht er-
hobenen Beträge dem Fonds der Stiftung zugeführt."
II.
Revidierte Satzung der Liebig-Stiftung.*)
Allerhöchst genehmigt laut Entschliessung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 9. April 1892
Nr. 5303.
§ 1-
Die Stiftung hat den Zweck, das Andenken an den Be-
gründer der Landwirtschafts-Wissenschaft auf dem Gebiete der
Naturforschung
*) Die Stiftung wurde begründet mit einem von praktischen Land-
wirten und Freunden der Landwirtschaft für Justus von Liebig gesam-
melten Ehrengeschenk im Betrag von 15200 Gulden. Die Bestimmungen
Satzungen der Stiftungen 35
Justus von Liebig
dauernd zu erhalten und zu ehren.
Dieselbe wurde am 9. August 1873 landesherrlich be-
stätigt, hat juristische Persönlichkeit und steht unter dem
Schutze der bayerischen Staatsverfassung.
§2.
Der Stiftungszweck soll durch öffentliche Anerkennung
hervorragender Leistungen in Beziehung auf die Landwirt-
schaft und zwar:
1. wissenschaftlicher Leistungen,
2. sonstiger erfolgreicher Bestrebungen überhaupt erreicht
werden.
Ausserdem können die aus der Stiftung fliessenden , zu
solchen Anerkennungen nicht verbrauchten Mittel auch behufs
Anregung und Förderung zur Landwirtschaft in Beziehung
stehender wissenschaftlicher Arbeiten, Publikationen oder son-
stiger Unternehmungen Verwendung finden.
§ 3.
Die öffentlichen Anerkennungen erfolgen entweder auf
Grund des Erlasses von Preisausschreiben über wissenschaft-
liche Fragen oder ohne Preisbewerbung nach freiem Ermessen
des Kuratoriums der Liebig -Stiftung.
Bewerbungen , welche nicht durch ein Preisausschreiben
veranlasst wurden, sind unzulässig.
§ 4.
Die Auszeichnungen bestehen:
1. in Medaillen von Gold, Silber oder Bronce,
2. in Ehrengeschenken in Geld, nicht unter fünfhundert
Mark deutscher Währung.
über die Verwendung dieses Geschenks für eine Liebig - Stiftung und
über den Zweck derselben wurden noch von Liebig selbst, kurz vor
seinem Tode, getroffen. Zur Zeit ist das Stiftungskapital auf 47700 M.
angewachsen.
3*
36 Satzungen der Stiftungen
§ 5.
Die Verleihung einer Medaille in Gold schliesst ein Greld-
Ehrengeschenk aus. Mit letzterem dagegen ist die Bewilligung
der silbernen oder broncenen Medaille verbunden , welche aber
auch für sich allein verlieren werden können.
§ 6.
Die Zahl der gleichzeitigen Inhaber der goldenen Me-
daille ist auf acht beschränkt, so dass nach Erfüllung dieser
Zahl eine weitere Verleihung nur nach dem Tode eines In-
habers derselben erfolgen kann. Nur deutsche oder Deutsch-
Oesterreicher sind befähigt, solche zu erlangen.
§ 7.
Bei einer Konkurrenz um Preise, welche in Folge des-
fallsiger Ausschreiben verliehen werden , sollen nur wissen-
schaftliche Arbeiten zulässig sein, die in deutscher Sprache
abgefasst sind; die Verleihung der Preise dagegen ist, inso-
ferne nicht die goldene Medaille in Frage steht (§ 6), an eine
Nationalität nicht gebunden.
§ 8.
Ueber die Einkünfte aus dem Stiftungs-Kapital im Sinne
der entsprechenden Bestimmungen verfügt das Kuratorium der
Lieb ig -Stiftung.
§9.
Dieses Kuratorium soll bestehen:
1. aus dem Präsidenten der k. Akademie der Wissen-
schaften in München;
2. aus dem Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse
derselben Akademie;
3. aus einem weiteren Mitgliede dieser Klasse;
4. aus den Inhabern der goldenen Lie big-Medaille;
5. aus einem Lehrer der Volkswirtschaft an der Universität
oder der technischen Hochschule München;
6. aus einem derselben Universität oder einer der beiden
andern Hochschulen Münchens (der technischen und
Satzungen der Stiftungen 37
tierärztlichen) an gehörigen Vertreter eines landwirtschaft-
lichen oder zur Landwirtschaft in naher Beziehung
stehenden Faches;
7. aus einem Nachkommen Justus von Liebigs in männ-
licher Linie, wofern dessen männliche Descendenz diese
Vertretung wünscht und dem Kuratorium die betreffende
Person schriftlich bezeichnet. Dieselbe wird von den
majorennen männlichen Familien-Mitgliedern auf Lebens-
dauer durch Stimmenmehrheit gewählt.
§ 10.
Die in München wohnenden Mitglieder des Kuratoriums
bilden den Lokal-Ausschuss, welcher die laufenden Geschäfte
zu besorgen hat.
Der Präsident der Akademie der Wissenschaften in München
führt als solcher den Vorsitz im Kuratorium, der Sekretär der
mathematisch - physikalischen Klasse vertritt denselben; den
Schriftführer wählt der Vorsitzende aus den Mitgliedern des
Lokal- Ausschusses.
§ 11.
Das unter § 9. 3. erwähnte Mitglied der Akademie und
der unter § 9. 5. erwähnte Lehrer der Volkswirtschaft sowie
das unter § 9. 6. erwähnte Mitglied einer der drei Hoch-
schulen Münchens wird auf Vorschlag des Vorsitzenden von dem
Lokal-Ausschuss gewählt.
§ 12.
Der Lokal - Ausschuss sowie das Plenum des Kuratoriums
treten in Folge besonderer Einladung des Vorsitzenden, welcher
die Gegenstände der Verhandlungen anzufügen sind, nach Be-
dürfnis zusammen, um über die Erreichung der Zwecke der
Stiftung zu beraten.
§ 13.
Jedes Mitglied des Kuratoriums ist berechtigt, schriftlich
oder mündlich Anträge zu stellen, und der Vorsitzende ist ver-
pflichtet, diese zur Beratung und nach Massgabe des § 14 zur
Abstimmung zu bringen.
38 Satzungen der Stiftungen
§ 14.
In allen Fällen, in welchen die Erfüllung des Stiftungs-
zweckes (§ 2) in Frage steht, fasst der Lokal-Ausschuss keine
bindenden Beschlüsse; derselbe formuliert und begutachtet
zunächst nur die eingekomraenen Vorschläge und unterbreitet
sie dann den auswärtigen Mitgliedern zur schriftlichen Ab-
stimmung.
Zur Vornahme derselben wird den auswärtigen Mitgliedern
von dem Vorsitzenden eine Präklusivfrist gesetzt, nach deren
fruchtlosem Verlaufe die Stimmenabgabe nicht mehr zulässig
ist. Stimmen, welche nicht bestimmt mit „Ja" oder „Nein"
lauten, werden nicht gezählt.
Die definitive Abstimmung des Lokal-Ausschusses erfolgt
erst nach Eingang der Abstimmung der auswärtigen Mitglieder.
Der definitive Beschluss des Kuratoriums verlangt zwei
Dritteile der von den auswärtigen und einheimischen Mitgliedern
abgegebenen Stimmen.
§ 15.
Das Kuratorium wird nach Aussen durch den Vorsitzenden
desselben vertreten. Derselbe hat die Beschlüsse, so weit solche
von weiterem Interesse für das Publikum sind, bekannt zu
machen.
§ 16.
Verleihungen von Medaillen der Liebig- Stiftung oder
von Ehrengeschenken (resp. Zuerkennungen von Preisen in
Folge von Ausschreibungen) oder Unterstützungen von Unter-
nehmungen aus derselben sind der deutschen Landwirtschafts-
Gesellschaft, so lange diese besteht, zur Proklamierung bei
derselben mitzuteilen. Ausserdem werden solche durch die
Presse zur öffentlichen Kenntnis gebracht.
§ 17.
Die Stiftung domiziliert in München und führt den Namen
Liebig- Stiftung.
Satzungen der Stiftungen 39
§ 18.
Das Vermögen der Stiftung besteht:
1. aus einem von BVeunden der Sache gespendeten Ehren-
geschenke von dreissigtausend Mark;
2. aus etwaigen Schenkungen, welche in der Absicht ge-
macht werden, den Grundstock der Stiftung zu erhöhen.
Die Verwaltung des Stiftungsfonds geschieht durch den
Lokal -Ausschuss und die Kassaverwaltung der K. Akademie
der Wissenschaften nach den Normen, welche für diese Kassa-
verwaltung gegeben sind.
Die Kassa- Kuratel und die Rechnungs-Revision hat die
K. Rechnungskammer.
§ 19.
Das Stiftungsvermögen soll pupillarisch, wo möglich hypo-
thekarisch angelegt und darf in keinem Falle dauernd ver-
mindert werden; es soll eine jährliche Rente von mindestens
1200 Mark abwerfen. Tritt durch unvermeidliche Ereignisse
eine Schmälerung dieser Rente ein, so ist die Verwendung
dieser Stiftungsrente ganz oder teilweise zu sistieren, bis die
Normalrente wieder erreicht ist.
§ 20.
Aenderungen an diesem Statut, wenn einzelne Bestimmungen
bei der Ausführung auf Schwierigkeiten stossen, oder wenn die
Zeitverhältnisse solche erfordern sollten, hat das Kuratorium
das Recht jederzeit vorzunehmen; dieselben können jedoch
nur dann bewirkt werden, wenn mindestens zwei Drittel der
Mitglieder des Kuratoriums zustimmen.
Jede Abänderung des Statuts bedarf der königlichen Ge-
nehmigung.
40 Satzungen der Stiftungen
III.
Satzung des Zographos-Fonds zur Förderung des Studiums
der griechischen Sprache und Literatur
beschlossen von der philos.-philol. Klasse der K. bayer. Akademie der
Wissenschaften in der Sitzung vom 3. Februar 1877, bezw. vom 6. März
1886, genehmigt vom K. Staatsministerium durch Entschliessung vom
10. Februar 1877, bezw. vom 27. Mai 1886.
§ 1.
Das von Herrn Christakis Zographos geschenkte Kapital
im Betrage von 25000 Francs oder 20000 Mark wird den
für die Anlage von Stiftungsgeldern massgebenden Vorschriften
entsprechend in Wertpapieren angelegt, welche dem Kassier
der K. Akademie der Wissenschaften zur Aufbewahrung zu
übergeben sind.
§ 2.
Die Beschlussfassung über die Art der ersten Anlage des
Kapitals und über die Wiederanlage etwa heimbezahlt werdender
Kapitalbeträge steht, vorbehaltlich der im § 1 gezogenen
Schranken, dem Vorstande der K. Akademie der Wissenschaften
in Gemeinschaft mit den Klassen-Sekretären zu; jedoch darf
dabei eine Herabminderung des Kapitals unter den Nominal-
wert nicht stattfinden, welchen dasselbe zur Zeit aufweist oder
im betreffenden Zeitpunkte zufolge einer etwa inzwischen ein-
getretenen Admassierung aufweisen wird.
§ 3.
Sollte durch irgend welchen Unglücksfall eine Vermin-
derung des Kapitals eintreten, so sind die aus ihm fliessenden
Renten so lange zu dessen Wiederergänzung zu verwenden,
bis dasselbe wieder auf seinen ursprünglichen Nominalbetrag
gebracht ist, und hat so lange jede anderweitige Verwendung
derselben zu unterbleiben.
§ 4.
Der Kassier der K. Akademie der Wissenschaften hat nicht
nur für die gehörige Aufbewahrung der Wertpapiere zu sorgen,
Satzungen der Stiftungen 41
sondern auch die Ziehungslisten in Bezug auf diese zu über-
wachen und die fälligen Zinsen rechtzeitig zu erheben. Werden
Papiere des Fonds zur Heimbezahlung gezogen oder ander-
weitig gekündigt, so hat er hievon dem Vorstande der K. Aka-
demie und den Klassensekretären sofort Anzeige zu machen
und auf die ihm gemäss eines nach § 2 gefassten Beschlusses
erteilte Weisung für die Erhebung und Wiederanlage der Be-
träge zu sorgen. Auch hat derselbe jährlich über den Stand
des Fonds und die für denselben bezogenen Einnahmen und
Ausgaben schriftliche Rechnung zu stellen, von deren Ergebnis
in der nächstfolgenden Sitzung der philos.-philol. Klasse Mit-
teilung zu machen ist, nachdem dieselbe zuvor durch den Vor-
stand der Akademie und die Klassensekretäre geprüft worden
sein wird.
§ 5.
Die Verwendung der Renten des Kapitals erfolgt, nach
Abzug der auf dessen Verwaltung erlaufenden Kosten (s. § 10)
und vorbehaltlich der im § 3 gesetzten Einschränkung derart,
dass alle zwei bis vier Jahre, je nach dem Umfang oder der
Schwierigkeit der Aufgabe, ein dem jedesmal verfügbaren
Rentenbetrage möglichst entsprechender Preis ausgeschrieben
beziehungsweise zuerkannt wird für die Bearbeitung eines
Themas, welches dem Gebiete der Sprache, Literatur, des
öffentlichen und Privat-Lebens der Griechen im Altertum oder
im Mittelalter entnommen ist. Von dem zuerkannten Preise
wird ein Teil sofort nach der Zuerkennung, der Rest aber erst
dann zahlbar, wenn der Verfasser für die Druck -Veröffent-
lichung genügende Sicherheit geboten hat; die ziffermässige
Ausscheidung der beiden Beträge bleibt von Fall zu Fall dem
Beschlüsse der philos.-philol. Klasse vorbehalten.
§ 6.
Sowohl die Wahl der Preisaufgaben als die Zuerkennung
der Preise erfolgt durch den Beschluss der philos.-philol. Klasse
nach einfacher Mehrheit der in der betreffenden Sitzung an-
wesenden ordentlichen Mitglieder auf Grund eines vorgängigen
42 Satzungen der Stiftungen
Berichtes, welchen ein von ihr gewähltes Comite erstattet haben
wird. Sowohl die gestellten Preisaufgaben als die zuerkannten
Preise sollen namens der Gesarat-Akademie an ihrem Stiftungs-
Feste verkündet und in einigen der gelesensten Blätter öffent-
lich ausgeschrieben werden.
§ 7.
Konkurrenzfähig sind Arbeiten, welche entweder in deutscher
oder in lateinischer oder in griechischer Sprache geschrieben
sind. Dieselben müssen an Stelle des Namens des Verfassers
ein Motto tragen, welches an der Aussenseite eines raitfolgenden,
den Namen des Verfassers enthaltenden, verschlossenen Couverts
wiederkehrt. Der unerstreckliche Einsendungs-Termin ist der
31. Dezember desjenigen Jahres, mit welchem die Bewerbungs-
frist abläuft.
§ 8.
Die philos.-philol. Klasse wählt aus ihrer Mitte auf drei
Jahre das Comite, dem sie die Berichterstattung über die ein-
gelaufenen Arbeiten und die Vorschläge der neu zu stellenden
Preisaufgaben überträgt. Sie wird in ihrer dem Stiftungstage
der Akademie zunächst vorangehenden Sitzung diesen Bericht
und diese Vorschläge entgegennehmen und über die betreffenden
Fragen Beschluss fassen. Das Ergebnis hievon ist sofort dem
Vorstande der Akademie mitzuteilen.
§ 9-
Glaubt die Klasse keiner der eingelaufenen Arbeiten den
Preis zuerkennen zu können, oder sind solche überhaupt nicht
eingelaufen, so hat dieselbe sofort darüber Beschluss zu fassen,
ob der demzufolge unverwendet bleibende Rentenbetrag zu
weiteren Preis- Ausschreibungen verwendet oder aber zum Kapital
geschlagen werden soll.
§ 10.
Die eigentlichen Regiekosten, Briefporti, Zeitungs-Inserate,
ferner angemessene Remunerationen für den Kassier, sowie für
die jedesmaligen Preisrichter, sind auf Rechnung der laufenden
Renten zu tragen.
Satzungen der Stiftungen 43
IV.
Münchener Btirgerstiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
Von dem Wunsche geleitet, dem derzeitigen Präsidenten
der Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften, Max
von Pettenkofer, Ehrenbürger der Stadt München und Be-
sitzer der goldenen Bürgermedaille , einen bleibenden Beweis
der Verehrung und des Dankes für sein gemeinnütziges Wirken
zu geben, hat sich eine Anzahl von Münchener Bürgern und
Firmen zu dem Zwecke vereinigt, ein Kapital zu sammeln
und der Kgl. Akademie der Wissenschaften zur Verfügung zu
stellen, um daraus eine , Münchener Bürgerstiftung bei der
Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften* zu errichten.
Nachdem die gezeichneten und eingezahlten Beträge die
Summe von 70000 M. überschritten haben, wurde durch den
Präsidenten und die drei Klassensekretäre Namens der Gesamt-
akademie beschlossen, der zu errichtenden Stiftung folgendes
Statut zu geben:
Satzung der IVlünchener Bürgerstiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 8. Juni 1896
Nr. 8510.
§ 1.
Aus Spenden Münchener Bürger und Firmen wird eine
Stiftung errichtet unter dem Namen , Münchener Bürgerstiftung
bei der Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften".
§ 2.
Zweck der Stiftung ist, aus den Zinsen dieses der Kgl. Aka-
demie zur Verfügung gestellten Kapitals Forschungen auf dem
Gebiet derjenigen Wissenschaften zu veranlassen und zu unter-
stützen , welche in der mathematisch - physikalischen Klasse
Vertretung finden.
44 Satzungen der Stiftungen
§ 3.
Das Stiftungsvermögen wird gebildet: durch die bereits
eingezahlten Geldbeträge, ferner durch künftige, dem gleichen
Zwecke gewidmete Spenden, endlich durch nicht aufgebrauchte,
zum Kapital geschlagene Zinsen. — Sollte durch unvorher-
gesehene Ereignisse eine Verminderung des Kapitals eintreten,
so muss dasselbe aus den jährlichen Renten wieder auf seine
vorige Höhe gebracht werden.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassenverwaltung der Kgl. Akademie der Wissen-
schaften nach den für die übrigen akademischen Stiftungen
geltenden Vorschriften.
§ 5.
lieber die Verwendung der jährlichen Zinsen des Stiftungs-
vermögens zu dem in § 2 bezeichneten Zweck entscheidet eine
Kommission, welche aus dem Präsidenten der Kgl. Akadmie, dem
Sekretär der matbem. -physikalischen Klasse und drei weiteren,
auf je drei Jahre gewählten Mitgliedern dieser Klasse besteht.
§ 6.
Die Namen der Bürger und Firmen, welche für die Mün-
chener Bürgerstiftung einen Betrag von mindestens 1000 M.
(eintausend Mark) gespendet haben , werden zum ehrenden
Gedächtnis auf einer in den Räumen der Kgl. Akademie anzu-
bringenden Tafel verzeichnet.
§ 7.
Aenderungen dieses Statuts sind nur auf Antrag der mathe-
matisch-physikalischen Klasse durch einmütigen Beschluss des
Präsidenten der Kgl. Akademie und der drei Klassensekretäre
und mit Allerhöchster Genehmigung zulässig,
München, den 25. April 1896.
Der Präsident der Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften
Dr. M. V. Pettenkofer.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-physikal. und
historischen Klasse
W. Christ. Carl Voit. C. A. Cornelius.
Satzungen der Stiftungen 45
V.
Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayerischen Akademie
der Wissenschaften.
Bestrebt dem Beispiel seines verewigten Vaters nachzueifern,
welcher durch seine Stiftungen für das Gewerbemuseum in
Nürnberg und für die Kgl. technische Hochschule in München
seinen Gemeinsinn bekundet hat, zugleich auch beseelt von dem
Wunsche , dem derzeitigen Präsidenten der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften, Dr. Max von Pettenkofer,
ein Zeichen seiner Verehrung zu geben, hat Herr Theodor
Freiherr von Cramer-Klett, erblicher Reichsrat der Krone
Bayern, unter dem 21. Oktober 1896 durch Vermittlung Seiner
Exzellenz des Kgl. Staatsministers des Innern für Kirchen- und
Schulangelegenheiten, Herrn Dr. Robert Ritter von Landmann,
der Kgl. Akademie der Wissenschaften ein Kapital von 60000Mark
zur Verfügung gestellt, damit daraus eine
Cramer-Klett-Stiftung
begründet werde, deren Satzungen im allgemeinen den Satzungen
der im April dieses Jahres begründeten Münchener Bürgerstiftung
entsprechen sollen.
Demnach haben der Präsident und die drei Klassensekretäre
Namens der Gesamtakademie am 13. November 1896 folgendes
Statut verabredet und beschlossen , welches von dem Stifter
am 23. November 1896 in Rom gebilligt und unter dem
13. Dezember 1896 landesherrlich bestätigt worden ist:
Satzung der Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
§ 1-
Mit einem von Herrn Theodor Freiherrn von Cramer-
Klett, erblichen Reichsrat der Krone Bayern, zur Verfügung
gestellten Kapital von 60000 Mark wird eine Stiftung errichtet
unter dem Namen „Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayer.
Akademie der Wissenschaften".
46 Satzungen der Stiftungen
Zweck dieser Stiftung ist, mit den jährlichen Zinsen des
Kapitals, soweit diese nicht zur Vermehrung des Kapitals selbst
bestimmt sind, wissenschaftliche Forschungen, vorzugsweise auf
dem Gebiete der Naturwissenschaften, zu veranlassen und zu
unterstützen.
§ 3.
Zur Erhöhung des Stiftungskapitals soll mindestens ein
Zehntel der jährlichen Zinsen verwendet werden.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Akademie der Wissen-
schaften nach den für die übrigen akademischen Stiftungen
geltenden Vorschriften.
§ 5-
Ueber die Verwendung der jährlichen Zinsen des Stiftungs-
vermögens zu den in § 2 und § 3 bezeichneten Zwecken ent-
scheidet eine Kommission , welche aus dem Präsidenten der
Kgl. Akademie, dem Sekretär der mathematisch-physikalischen
Klasse und drei weiteren, auf je drei Jahre gewählten Mit-
gliedern dieser Klasse besteht.
§ 6.
Aenderungen dieses Statuts sind nur auf Antrag der
mathematisch-physikalischen Klasse durch einmütigen Beschluss
des Präsidenten der Kgl. Akademie und der drei Klassensekretäre
und mit Allerhöchster Genehmigung zulässig.
München, den 13. November 1896.
Der Präsident der Kgl. b. Akademie der Wissenschaften
Dr. M. V. Pettenkofer.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-physikal. und
historischen Klasse
W. Christ. Carl Voit. C. A. Cornelius.
Satzungen der Stiftungen 47
VI.
Satzung der Thereianos-Stiftung zur Förderung der
alt- und mittelgriechischen Studien.
Festgesetzt in der Sitzung der philosophisch-philologischen Klasse der
kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften am 5. Februar 1898. Genehmigt
vom kgl. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten am 18. Mai 1898 Nr. 7716.
§ 1-
Der am 15. Mär/ 1897 in Triest verstorbene Gelehrte
Dr. Dionysios Thereianos bat durch testamentarische Ver-
fügung vom 18. /30. Juli 1895 die kgl. bayer. Akademie der
Wissenschaften zur Universalerbin seines Wertnachlasses ein-
gesetzt, um damit nach Erfüllung der legataren Auflagen
einen Fonds zur Förderung der alt- und mittelgriechischen
Studien zu begründen.
§ 2.
Der Gesamtnachlass betrug nach amtlicher Schätzung
162 844 Gulden 15 Kreuzer österreichischer Währung. Nach
Wegfertigung der testamentarischen einmaligen Auflagen, der
Erbschaftssteuern und sonstigen Kosten der Nachlassbehandlung
sind verblieben:
in Wertpapieren nach dem Kurswerte 258920 M. 60 Pf.
und im Baren 8387 „ 51 „
sohin ein Gesamtvermögen von 262308 M. 11 Pf.
dessen jährliches Zinserträgnis nach Auszahlung zweier auf
Lebenszeit gewährten Leibrenten im Betrag von jährlich 1200
Gulden und 1000 Gulden ö. W. für die Zwecke des Thereianos-
Fonds zu verwenden ist.
§ 3.
Das Fondskapital besteht in Wertpapieren und wird von
der Kassa der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften nach
den für die übrigen akademischen Stiftungen und Fonds be-
stehenden Vorschriften verwaltet.
48 Satzungen der Stiftungen
§4.
Massgebend ist für die Verwendung der verfügbaren Mittel
der Wille des Stifters, den derselbe in seinem Testament in
nachfolgender Weise kundgegeben hat:
„Ich vermache der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften
mein Vermögen, damit aus den Zinsen desselben alljährlich
beim Stiftungsfeste Preise zu 1000 oder 2000 Frcs. verteilt
und ausserdem wissenschaftliche Unternehmungen unterstützt
werden.
Ueber die Zahl der Preise und über die Höhe der zur
Unterstützung wissenschaftlicher Unternehmungen zu verwen-
denden Summen entscheidet nach den jeweiligen Bedürfnissen
die Akademie, doch muss jedes Jahr wenigstens ein Preis ver-
teilt werden. Sowohl die zu prämiierenden Arbeiten, als die
zu unterstützenden Unternehmungen müssen der Geschichte,
Sprache, Literatur oder Kunst der Griechen, von den ältesten
Zeiten bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken,
angehören. Sowohl die Preise als die sonstigen Unterstützungen
sollen nur an bayerische oder auch an griechische Gelehrte
gegeben werden."
§5.
Ueber die Verwendung der Mittel des Thereianos-Fondes
beschliesst die philosophisch-philologische Klasse der Akademie
alljährlich in einer dem Stiftungsfeste vorausgehenden Sitzung
auf Grund von Vorschlägen einer von ihr gewählten Kommission.
Die Entscheidung erfolgt durch absolute Majorität der in der
betreffenden Sitzung anwesenden ordentlichen Mitglieder und
wird von dem Präsidenten der Akademie in der öffentlichen
Sitzung des Stiftungsfestes bekannt gegeben. Die erste Ver-
kündigung findet an dem Stiftungsfeste des Jahres 1899 statt.
§ 6.
Zur Vorbereitung der Anträge über die Verwendung der
Mittel wählt die philosophisch-philologische Klasse auf je drei
Jahre eine Kommission von fünf Mitgliedern aus ihrer Mitte.
Dieselbe kann nach Bedürfnis jederzeit auf Anregung der
Satzungen der Stiftungen 49
philosophisch - philologischen Klasse durch ein von der histo-
rischen Klasse zu wählendes sechstes Mitglied ergänzt werden.
Die Kommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden mit
dem Recht des Stichentscheides bei Stimmengleichheit,
§ 7.
Aus den Mitteln des Thereianos - Fonds werden zur För-
derung der Studien auf dem Gebiete der Geschichte, Sprache,
Literatur oder Kunst der Griechen im Altertum und Mittelalter
a) Preise erteilt,
b) Unterstützungen für wissenschaftliche Unternehmungen
gewährt.
§ 8.
Preise im Betrag von 800 oder 1600 Mark sind in Aus-
sicht genommen für wissenschaftlich wertvolle Schriften baye-
rischer, das ist in Bayern geborener oder dauernd in Bayern
domizilierender Gelehrter und Gelehrter griechischer Natio-
nalität. Ausser Konkurrenz bleiben Schriften der ordentlichen
und damit stimmberechtigten Mitglieder der philosophisch-philo-
logischen Klasse der bayerischen Akademie. Preise werden nur
erteilt für Schriften, die zu dem im § 7 bezeichneten Arbeits-
gebiet gehören und im nächstvorausgehenden oder einem der
10 vorausgehenden Jahre erschienen sind.
§ 9.
Jedes Jahr ist mindestens ein Preis zu erteilen. Für Preis-
erteilung überhaupt können jährlich nicht mehr als 3200 Mark
verwendet werden. Was von diesem Höchstmass für Preise
nicht ausgegeben wird, kann durch Beschluss der philosophisch-
philologischen Klasse zur Unterstützung wissenschaftlicher Un-
ternehmungen in dem durch § 7 bezeichneten Gebiete ver-
wendet werden.
§ 10.
Unterstützungen wissenschaftlicher Unternehmungen werden
nur gewährt auf Grund der Vorlage eines genauen Arbeits-
jahrbuch 1915. 4
50 Satzungen der Stiftungen
planes und unter der Voraussetzung eines eingehenden, nach
dem Abschluss des Unternehmens an die Akademie zu erstat-
tenden Berichtes. In Betracht kommen nur Unternehmungen,
welche sich auf Geschichte, Sprache, Literatur oder Kunst der
Griechen im Altertum und Mittelalter beziehen und von einem
bayerischen oder griechischen Gelehrten ausgeführt oder doch
geleitet werden. Ueber die Zeit der Auszahlung der Unter-
stützungssumme ist für jeden einzelnen Fall ßeschluss zu fassen.
§ n.
Diejenigen Erträgnisse des Fondskapitals, welche in einem
Jahre für die beiden bezeichneten Zwecke und etwaige Ver-
waltungskosten nicht zur Verwendung kommen, sind nach
jedesmaligem Beschluss der philosophisch-philologischen Klasse
entweder für das nächste Jahr zu reservieren oder zu dem
Fondskapital zu schlagen. Die Stellung eines Mitgliedes der
Kommission gilt als Ehrenamt und wird nicht honoriert.
§ 12.
Eine Aenderung der Statuten kann nur auf Antrag der
philosophisch - philologischen Klasse und des Präsidiums der
Akademie durch Entschliessung des kgl. bayer. Staatsmini-
steriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten
erfolgen.
Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
M. V. Pettenkofer, Präsident.
V. Christ, C. V. Voit, Friedrich,
Klassensekretäre.
Satzungen der Stiftungen 51
VII.
Satzung der Hardy-Stiftung bei der Kgl. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staats ministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 7. Juli 1905
Nr. 13828.
§ 1.
Der am 10. Oktober 1904 zu Bonn verstorbene Univer-
sitätsprofessor a. D. Dr. Edmund Hardy hat durch rechts-
gültiges Testament vom 28. Oktober 1901 die Königlich Baye-
rische Akademie der Wissenschaften zur Erbin seiner Hinter-
lassenschaft eingesetzt mit der Bestimmung, daraus abzüglich
einiger Vermächtnisse eine Stiftung für indologische Studien
zu errichten.
§2.
Das Stiftungsvermögen besteht
in Wertpapieren zum Kurswerte von 71347 M. 80 Pf.
in Barem 38 „ 50 „
somit in einem Gesamtvermögen von 71386 M. 30 Pf.
und wird von der Kassaverwaltung der K. Bayer. Akademie
der Wissenschaften nach den für die übrigen akademischen
Stiftungen und Fonds bestehenden Vorschriften verwaltet.
§ 3.
Massgebend ist für die Verwendung der verfügbaren Mittel
der Wille des Stifters, den er in seinem Testament in nach-
folgender Weise kundgegeben hat:
„Der Zinsertrag soll alljährlich am 9. Juli entweder
a) zur Unterstützung eines jungen Gelehrten, gleichviel
welchem deutschen Bundesstaat er angehören mag, der
seine Universitätsstudien bereits vollendet hat, behufs
Fortsetzung seiner Fachstudien, oder b) zu Preisen für
vorliegende, wissenschaftliche Leistungen oder c) zur Unter-
stützung wissenschaftlicher Unternehmungen verwendet
werden, — alles jedoch unter Beschränkung auf das Ge-
4*
52 Satzungen der Stiftungen
biet der Indologie in dem Umfang dieses Begriffes, wie
er wissenschaftlich anerkannt wird.
„Die Verleihung eines Preises für gedruckte Werke
ist auf solche zu beschränken, die im Laufe der letzten
drei Jahre, vom Verleihungstermin an gerechnet, erschienen
sind. In diesem Falle, aber auch nur in diesem allein,
soll die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Ver-
fassers zu einem deutschen Bundesstaat keinen Unterschied
begründen.
„Bei der K. Bayer. Akademie der Wissenschaften soll
es stehen, im Falle, dass es sich um eine wissenschaftliche
Reise oder um Unterstützung grösserer wissenschaftlicher
Unternehmungen handelt, auch über den Zinsertrag von
zwei oder mehreren aufeinander folgenden Jahren kraft
eines einmaligen Beschlusses zu verfügen. Für die Ver-
längerung über das dritte Jahr hinaus soll es jedoch eines
erneuten Beschlusses bedürfen.
„Die Verwendung des Jahresertrages der Hardy-Stif-
tung soll jedesmal an einer geeigneten Stelle bekannt
gegeben werden.
„Wenn Verhältnisse irgendwelcher Art die Inanspruch-
nahme der Zinserträge der Stiftung für ihren eigentlichen
Zweck der Förderung der Indologie ausschliessen, so bleibt
es der K. Bayer. Akademie der Wissenschaften anheim-
gegeben, sie für andere Zweige der orientalischen Forschung,
jedoch unter Bevorzugung solcher Zweige, welche sich mit
der Indologie berühren, entsprechend zu verwenden."
§ 4.
Über die Verwendung der Mittel der Hardy- Stiftung be-
schliesst die philosophisch -philologische Klasse alljährlich in
ihrer Juli-Sitzung auf Grund von Vorschlägen einer zu diesem
Zweck eingesetzten Kommission. Diese besteht aus dem Prä-
sidenten der Akademie, dem Klassensekretär, zwei Mitgliedern
der philosophisch-philologischen und einem Mitglied der histo-
rischen Klasse, welche jeweils auf drei Jahre gewählt werden;
I
Satzungen der Stiftungen 53
doch soll unter allen Umständen der Vertreter der Indologie
dieser Kommission angehören.
§ 5.
Diejenigen Erträgnisse des Stiftungsvermögens, welche in
einem Jahre für den bezeichneten Zweck und etwaige Verwal-
tungskosten nicht zur Verwendung kommen, sind nach jedes-
maligem Beschluss der Klasse entweder für das nächste Jahr
zurückzubehalten oder zu dem Stiftungsvermögen zu schlagen.
§ 6.
Änderungen dieser Satzung sind nur auf Antrag der philo-
sophisch-philologischen Klasse und des Präsidiums der Akademie
mit Allerhöchster Genehmigung zulässig.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Veit. Friedrich.
VIIT.
Satzung der Koenigs - Stiftung zum Adolf von Baeyer-
Jubiläum zur Förderung wissenschaftlicher chemischer
Forschungen.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 4. Dezember 1905
Nr. 26449.
§ 1.
Der ausserordentliche Professor an der Universität München
Dr. Wilhelm Koenigs hat bei der Königlich Bayerischen Aka-
54 Satzungen der Stiftungen
demie der Wissenschaften mit einem Kapital von 50000 Mark
eine Adolf von Baeyer-Jubiläums-Stiftung zur Förderung
wissenschafblicher chemischer Forschungen errichtet.
§ 2.
Zweck der Stiftung ist, aus den Zinsen des Stiftungs-
vermögens wissenschaftliche chemische Forschungen zu unter-
stützen.
§ 3.
Das Stiftungsvermögen wird gebildet durch die bereits
eingezahlte Summe von 50000 Mark, ferner durch künftige,
dem gleichen Zweck gewidmete Spenden, endlich durch nicht
aufgebrauchte zum Kapital geschlagene Zinsen.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Bayer. Akademie der
Wissenschaften nach den für die übrigen akademischen Stif-
tungen geltenden Vorschriften.
§ 5.
Die Entscheidung über die jährliche Vergebung der Zinsen
wird einer Kommission übertragen, welche besteht aus dem
Präsidenten der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften,
dem Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse und den-
jenigen ordentlichen Mitgliedern dieser Klasse, welche Ver-
treter der Chemie sind.
§ 6-
Gesuche um Bewilligung von Geldmitteln aus den Zinsen
der Stiftung sind an den Sekretär der mathematisch -physi-
kalischen Klasse zu richten, welcher sie der Kommission zur
Entscheidung vorlegt.
§ 7.
Sitzungen der Kommission finden wenigstens einmal im
Jahre statt. Die Einladungen hiezu ergehen vom Präsidium.
Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten.
Satzungen der Stiftungen 55
§ 8.
Eine Änderung dieser Statuten kann nur auf Antrag der
in § 5 bezeichneten Kommission und nur mit Allerhöchster
Genehmigung erfolgen.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der philos.-philoL, math.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Voit, Friedrich.
IX.
Satzung der Wilhelm-Koenigs-Stiftung zur Förderung
botanischer und zoologischer Forschungen und
Forschungsreisen.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 25. April 1907
Nr. 7754.
§1.
Die Erben des verstorbenen Professors der Chemie an der
Kgl. Universität München Dr. Wilhelm Koenigs stellten im
Sinne des Verstorbenen der Königlich Bayerischen Akademie
der Wissenschaften die Summe von 50000 Mark zur Verfügung,
deren Zinsen Verwendung finden sollen zur Förderung bota-
nischer und zoologischer Forschungen und Forschungsreisen.
§ 2.
Die Entscheidung über die Vergebung der Zinsen wird
einer Kommission übertragen, welche besteht aus dem Prä-
sidenten der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften, dem
Sekretär der mathematisch -physikalischen Klasse und je einem
Vertreter der Botanik und der Zoologie, welche von der
mathematisch-physikalischen Klasse zu wählen sind.
56 Satzungen der Stiftungen
§ 3.
Die Vorschläge über die Verwendung der Stiftungszinsen
gehen von den beiden, nach § 2 gewählten Vertretern der
Botanik und Zoologie aus, wobei in der Regel abwechselnd
die eine und die andere der beiden Disziplinen berücksichtigt
werden sollen.
§ 4.
Die Vergebung der Zinsen findet alle zwei Jahre statt.
Doch kann in besonderen Fällen auf einstimmigen Beschluss
der Kommission auch in der Zwischenzeit über die vorhandenen
Zinsen verfügt werden.
Nicht verwendete Zinsen werden zum Kapital geschlagen.
§ 5.
Die mit Hilfe der Koenigs - Stiftung erworbenen oder
gesammelten Objekte (Naturalien und Instrumente) sind den
botanischen oder zoologischen Sammlungen des Staates zu
übergeben.
§ 6.
Wer aus der Koenigs - Stiftung eine Bewilligung erhält,
hat der Kommission über die Verwendung der Mittel Bericht
zu erstatten.
§ 7.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Bayer. Akademie der
Wissenschaften nach den für die übrigen — nicht in das
Depot der Bank gegebenen — Stiftungsgelder geltenden Vor-
schriften.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Voit. Poehlmann.
Satzungen der Stiftungen 57
X.
Satzung des Georg Hitrschen Fonds zur Förderung
der Medaillenkunst.
Bestätigt durch Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums des Innern
für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 22. Januar 1909 Nr. 1424.
§ 1-
Herr Privatier Georg Hitl in München hat dem Kgl. Ge-
neralkonservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des
Staates die Summe von 15000 Mark schenkungsweise mit der
Bestimmung überwiesen, dass deren Zinsen Verwendung finden
sollen zur Förderung der modernen Medaillenkunst.
. , . ^^'
Die Entscheidung über die Vergebung der Zinsen trifft
eine Kommission, die aus dem Generaldirektor der wissen-
schaftlichen Sammlungen des Staates, dem Schenker, zwei
Künstlern und zwei Sachverständigen besteht. Einer der letz-
teren hat der Direktor oder ein Beamter des Münzkabinettes
zu sein.
Die Mitglieder der Kommission werden vom General-
direktor im Einvernehmen mit dem Stifter und dem Direktor
des Münzkabinettes gewählt. Spätere Ergänzungen trifft die
Kommission selbst.
Die Kommission wählt aus ihrer Mitte den Vorsitzenden.
Die Kommission tritt alljährlich mindestens einmal bis
spätestens 20. Dezember zusammen. Die Einberufung geschieht
durch das K. Generalkonservatorium. Die Beratung findet im
K. Münzkabinett statt.
§ 3.
Die jährlichen Zinsen können Verwendung finden:
a) alljährlich als Preis für die hervorragendste Leistung
auf dem Gebiet der modernen Medaillenkunst während
des verflossenen Jahres.
Zu diesem Zweck wird alljährlich das K. General-
konservatorium zur Einsendung von einschlägigen Ar-
58 Satzungen der Stiftungen
beiten an das K. Münzkabinett München bis zum 1. De-
zember öffentlich einladen. Hierbei können berück-
sichtigt werden nur fertige Medaillen oder plastische
Medaillenmodelle, ferner auch in Stahl geschnittene,
sowohl negative wie positive Stempel. Übersteigt das
Modell die projektierte Grösse der Medaille, so ist diesem
bei der Einsendung eine photographische Verkleinerung
im beabsichtigten Durchmesser beizufügen,
b) für Erteilung eines Auftrags.
Die Bestimmung des Vorwurfs für die Medaille bleibt
der Kommission vorbehalten, kann aber auch dem freien
Ermessen des zu beauftragenden Künstlers anheim-
gestellt werden.
Für Preise und Aufträge kommen nur in Betracht bayerische
oder in Bayern lebende Künstler.
§ 4.
Nicht verwendete Zinsen werden angesammelt und gelangen
spätestens alle drei Jahre, vom Datum dieser Satzungen ab
gerechnet, zur Verwendung.
§ 5.
Anlage und Verwaltung des Fondsvermögens, das gemäss
Entschliessung des K. Staatsministeriums des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten vom 12. November 1908 Nr. 23963
als gesondertes, staatliches Zweckvermögen anzusehen ist, er-
folgt durch die Kassaverwaltung der Königlich Bayerischen
Akademie der Wissenschaften nach den für die Verwaltung
von Stiftungsgeldern geltenden Vorschriften.
München, den 18. Januar 1909.
Der Generaldirektor der wissenschaftlichen Sammlungen
des Staates:
V. Heigel.
Der Direktor des K. Münzkabinetts:
Habich.
Satzungen der Stiftungen ^9
X[.
Satzung der Heinrich v. Brunck-Stiftung.
Landesherrlich bestätigt laut Entschließung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 22. Oktober 1909
Nr. 26067.
§ 1-
Der Geheime Kommerzienrat Dr. Heinrich von Brunck
in Ludwigshafen am Rhein errichtet bei der Königlich Baye-
rischen Akademie der Wissenschaften mit einem Kapital von
50000 Mark eine „Heinrich von Brunck-Stiftung" zur
Förderung wissenschaftlich-chemischer Forschungen.
§ 2.
Zweck der Stiftung ist die Verwendung der Zinsen des
Stiftungsvermögens zur Unterstützung wissenschaftlich-chemi-
scher und physikalisch-chemischer Forschungen.
Die Bewilligung der Mittel erfolgt jährlich, jedoch ist für
den Fall des Auftretens eines größeren Bedarfs eine Über-
tragung von einem Jahr auf das andere zulässig.
§3.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Königlich Bayerischen Aka-
demie der Wissenschaften nach den für die „Koenigs-Stiftung"
geltenden Vorschriften.
§4.
Die Entscheidung über die Vergebung der Mittel wird einer
Kommission übertragen, welche besteht aus dem Präsidenten
der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, dem
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse und denjenigen
ordentlichen Mitgliedern dieser Klasse, welche Vertreter der
Chemie und der physikalischen Chemie sind.
§ 5.
Gesuche um Bewilligung von Geldmitteln sind an den
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse zu richten,
welcher sie der Kommission zur Entscheidung vorlegt.
60 Satzungen der Stiftungen
§ 6.
Sitzungen der Kommission finden wenigstens einmal im
Jahre statt. Die Einladungen hierzu ergehen vom Präsidium.
Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten.
§ 7.
Eine Änderung dieser Statuten kann nur auf Antrag der
in § 4 bezeichneten Kommission und nur mit Allerhöchster
Genehmigung erfolgen.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der
Philos.-philol. Math.-physikal. Histor. Klasse
Kuhn. V. Goebel. v. Poehlmann.
XII.
Satzung der Karl von Dapper- Saalfels -Stiftung
für biologische Studien in München.
Landesherrlich bestätigt laut Entschließung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 23. September 1913
Nr. 24 126.
1. Aus einer von dem K. Hofrat, Großherzoglich Olden-
burgischen Geheimen Medizinalrate und K. Preußischen
Professor Dr. med. Karl von Dapper-Saalfels in Kis-
singen gespendeten Summe wurde von S. K. Hoheit Prinz
Ludwig der Betrag von 50,000 Mark der mathematisch-
physikalischen Klasse der K. Akademie der Wissenschaften
für biologische Studien zur Verfügung gestellt. Die K.
Akademie der Wissenschaften widmet diesen Betrag für
die Errichtung einer selbständigen Stiftung mit dem
Satziin<?en der Stiftungen 61
Namen „Karl von Dapper-Saalfels-Stiftung für
biologische Studien in München".
2. Die Verwaltung dies&r Stiftung steht der K. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München zu, die Ent-
scheidung über die Verwendung der Zinsen wird einer
Kommission übertragen, welche besteht aus dem Präsi-
denten der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften,
dem Sekretär der mathematisch -physikalischen Klasse
und den Vertretern der Biologie in der Klasse.
3. Unterstützt werden können aus den Zinsen der Stiftung
sowohl wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiete
der Anatomie, Anthropologie, Botanik, Physiologie, speziell
Stoffwechsellehre und Balneologie und Zoologie, als auch
Studienreisen, indes keine Sammelreisen.
4. Die Gesuche sind vor 1. Dezember jedes Jahres an den
Klassen Sekretär zu richten. Die Sitzung der Kommission
findet im Dezember statt.
5. Über die mit Unterstützung der Stiftung ausgeführten
Untersuchungen ist der Klasse ein Bericht vorzulegen.
Mit Stiftungsraitteln gesammelte Objekte oder aus Stif-
tungsmitteln angeschaffte Apparate sind einer bayerischen
Staatssammlung oder einem bayerischen wissenschaftlichen
Staatsinstitut zu überweisen.
6. Nicht verwendete Zinsen werden zum Kapital geschlagen.
7. Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassenverwaltung der K. Bayerischen Akademie
• der Wissenschaften nach den für Stiftungsgelder geltenden
Vorschriften.
Die Kassenkuratel und die Rechnungsrevision hat die
K. Rechnungskammer.
München, den 5. September 1913.
K. Akademie der Wissenschaften.
Heigel
Präsident.
62 Satzungen der Stiftungen
XIII.
Satzung der Albert Samson- Stiftung
bei der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich genehmigt laut Entschließung des K. Staa,tsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 25. Juli 1915
Nr. 15550.
Gemäß den testamentarischen Bestimmungen des Rentners
Albert Samson vom 19. Juli 1905 und dem darin enthaltenen
Vermächtnis errichtet die K. Bayerische Akademie der Wissen-
schaften eine Stiftung, die den Namen
„Albert Samson-Stiftung"
trägt.
§ 2.
Der Zweck der Stiftung ist wissenschaftliche Erforschung
und Begründung der Moral des Einzelmenschen und der gesell-
schaftlichen Moral an der Hand der Ergebnisse der Natur- und
Geschichtsforschung, sowie besonders der experimentellen Psy-
chologie, ferner Feststellung der Folgerungen aus den Ergeb-
nissen dieser Forschung für das Leben des Einzelmenschen
und das Gesellschaftsleben; insbesondere die Erforschung des
Ursprunges, der urgeschichtlichen und weiteren geschichtlichen
Entwicklung der Moral und der einzelnen Moralgesetze, die
Erforschung des Einflusses der körperlichen und geistigen Ver-
anlagung des Menschen, des Einflusses der Bodenbeschaffenheit,
der topographischen und meteorologischen Verhältnisse, ferner
die Erforschung des Einflusses der Kultur, der Erziehung, der
Arbeit, der wirtschaftlichen Bedingungen derselben, der Er-
nährung und ähnlicher Verhältnisse; endlich die Feststellung
und Unterstützung der Folgerungen aus den Ergebnissen der
obigen Forschungen für die physische und sittliche Lebens-
haltung der Einzelmenschen sowie für das Gemeinschaftsleben.
Satzungen der Stiftungen 60
Dogmatische, speziell dogmatisch-philosophische oder theo-
logische Moralbegründungen sind ausgeschlossen und können nur
als Gegenstände der Geschichtsforschung in Betracht kommen.
§ 3.
Die Akademie der Wissenschaften widmet der Stiftung
auf Grund des Vermächtnisses Albert Samsons die Summe
von nominell 552,700 Mark, die derzeit in 3^2^/0 igen und
4^ folgen bayerischen Staatspapieren angelegt sind.
§ 4.
Die Verwaltung und auch die Ausrichtung der Stiftung
obliegen einem besonderen Vorstande, für dessen satzungs-
gemäße Zusammensetzung der Präsident der K. Akademie zu
sorgen hat.
Der Vorstand besteht aus 12 ehrenamtlichen Mitgliedern,
von denen 7 der zweiten (mathematisch -physikalischen) und
5 der ersten und dritten (philosophisch - philologischen und
historischen) Klasse angehören.
Von Amtswegen sind Vorstandsmitglieder: der Präsident
der Akademie und die drei Klassensekretäre.
Die übrigen Mitglieder werden von den Klassen durch
einfache Stimmenmehrheit auf je fünf Jahre gewählt.
Gehört der Präsident der ersten oder dritten Klasse an,
so wählt die zweite Klasse aus ihren der Biologie angehörigen
Mitgliedern 6 Vertreter in den Vorstand, die erste und dritte
Klasse wählen je ein Mitglied.
Gehört der Präsident der zweiten Klasse an, so wählt diese
nur 5 Biologen in den Vorstand.
Sind zur Zeit der Ernennung eines neuen Präsidenten aus
der 2. Klasse 6 Vorstandsmitglieder (außer dem Klassensekretär)
vorhanden, so scheidet ein Vorstandsmitglied der 2. Klasse
durch das Los aus. Die 1. und 3. Klasse wählen in diesem
Falle noch ein weiteres Mitglied in den Vorstand.
Der Vorstand wählt seinen Vorsitzenden und dessen Stell-
vertreter aus seinen naturwissenschaftlichen Mitgliedern. Er
setzt die Geschäftsordnung fest und bestellt die für die Ar-
64 Satzungen der Stiftungen
beiten etwa erforderlichen wissenschaftlichen und technischen
Hilfskräfte. Er kann auch der Akademie nicht angehörige Sach-
verständige mit beratender Stimme zu seinen Sitzungen heran-
ziehen. Ihm unterliegt die Prüfung, ob die vorgeschlagenen
Forschungen mit dem Zweck der Stiftung übereinstimmen.
Der Vorsitzende des Vorstandes oder sein Stellvertreter
vertritt in Gemeinschaft mit einem anderen Vorstandsmitglied
die Stiftung nach Außen.
§ 5.
Die Verwendung der Mittel erfolgt nach Anhörung der
Klassen in der Weise, daß mit der Hälfte des jährlich für die
Stiftungszwecke zur Verfügung stehenden Betrages Arbeiten
aus dem Studiengebiet der mathematisch-physikalischen Klasse,
mit der anderen Hälfte solche aus dem Studiengebiet der philo-
sophisch-philologischen und der historischen Klasse unterstützt
werden.
Mit Zustimmung der Majorität der Vorstandsmitglieder
aus der mathematisch - physikalischen Klasse kann aber auch
ein größerer Betrag als die Hälfte für Arbeiten aus dem Ge-
biete der beiden anderen Klassen und ebenso mit Zustimmung
der Majorität der Vorstandsmitglieder aus der 1. und 3. Klasse
ein größerer Betrag als die Hälfte für Arbeiten auf dem Ge-
biete der 2. Klasse verwendet werden.
§ 6.
Für die Erreichung des Stiftungszweckes darf niemals das
Hauptkapital angegriffen werden. Falls die Stiftungsmittel
durch das Arbeitsprogramm eines Jahres nicht aufgebraucht
werden, sind sie zur Bildung einer Rücklage für Zwecke der
Stiftung zu verwenden.
Für das sich dadurch bildende Rücklagekapital und die
davon aufkommenden Zinsen sollen dieselben Anordnungen,
welche bezüglich des Stiftungskapitals, dessen Zinsen und deren
Verwendung getroffen werden, in Geltung treten, jedoch mit
der Ausnahme, daß zu größeren Unternehmungen und For-
schungen auch das Kapital nach Anhörung der Klassen in
Satzungen der Stiftungen 6 5
Angriff genommen werden darf. Behufs leichterer Flüßig-
machung darf die Anlage der Rücklage nur in besten zins-
tragenden Börsenpapieren erfolgen.
Erst wenn die Rücklage den Betrag von 100,000 Mark
— einhunderttausend Mark — erreicht hat, fließen die nicht
zur Verwendung gelangten Überschüsse dem Kapitalfonds der
Stiftung zu.
Auch von anderen Schenkern sollen Mittel zur Vergröße-
rung der Stiftung angenommen werden.
Zweck und Name der Stiftung bleibt jedoch derselbe.
Die Namen und Gaben der Schenker werden in den Jahres-
berichten veröffentlicht.
.Etwaige Verluste des Hauptkapitals sind aus der Rück-
lage und falls diese nicht ausreicht, aus den Jahreszinsen zu
ersetzen bis das Stiftungskapital wieder auf seine ursprüng-
liche Höhe gebracht und der Rücklage der ihr entnommene
Betrag wieder zugeführt ist.
§ 7.
Die Verwaltungskosten, einschließlich der Entlohnungen,
werden aus den Jahreszinsen bestritten.
§ 8.
Im Übrigen erfolgt die Verwaltung des Stiftungs Vermögens
nach den hiefür einschlägigen jeweiligen Bestimmungen.
Die Kassenkuratel und die Rechnungsprüfung werden der
K. Rechnungskammer überwiesen.
Die Stiftungsaufsicht im übrigen kommt dem K. Staats-
ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten zu.
München, den 17. Juni 1915.
K. Akademie der Wissenschaften.
Crusius
Präsident.
Die Sekretäre der philos-philol., math.-phys. und histor. Klasse
Kuhn. V. Goebel. Marcks.
Jahrbuch 1915.
66 Bewilligungen aus den Stiftungen
Die sonst im März stattfindende öffentliche Sitzung
fiel wegen des Krieges aus.
Aus den Stiftungen der Akademie erfolgten nachstehende
Zuwendungen:
1. Thereianos-Stiftung:
ein Preis von 800 Jt an den Direktor des Nationalmuseums
Dr. Balerios Stai's in Athen für seine archäologischen For-
schungen und Veröffentlichungen;
ein Preis von 800 Ji an den Ephoros der Altertümer der
Akropolis und von Attika Dr. Antonios Keramopoullosin Athen
für seine epigraphischen und archäologischen Untersuchungen;
an Dr. Apostolos Arbanitopoullos in Volo zur weiteren
Bearbeitung von Thessalischen Inschriften 1000 Jl\
an Dr. Nikos A. Bees aus Athen, z. Z. in Berlin, zur Fort-
setzung seiner Arbeiten über die Handschriften der Meteüren-
Klöster 1000 Jt\
an Prof. Dr. Leopold Wen g er in München für die Kosten
eines Index zu den griechischen Novellen Justinians 1000 Jl.
2. Aus den Zinsen des Mannheimer akademischen
Reservefonds:
an die Mineralogische Sammlung des Staates zur An-
schaffung eines Röntgenapparates (der während des Krieges
für Sanitätszwecke zur Verfügung gestellt wurde) 3600 Jt\
an das K. Münzkabinett zur Anschaffung eines seltenen
syrakusanischen Goldgepräges 3000 JC\
Bewilligungen aus den Stiftungen 67
an die Anthropologisch - prähistorische Sammlung zum An-
kauf der Ausbeute von Grabungen des Herrn Rentamtmanns
Praunholz 500 Jl-,
an den K. Botanischen Garten als Zuschuß zum Ankauf
der Algensammlung Reinbold für das Kryptogamenherbarium
2000 JC.
3. Münchener Bürger-Stiftung:
zur Beschaffung eines Röntgenapparates (der während
des Krieges für Sanitätszwecke zur Verfügung gestellt wurde)
3700 jH.
4. Cramer-Klett-Stiftung:
an die Anthropologisch - prähistorische Sammlung des
Staates zu Höhlenforschungen in Bayern 1000 M.
5. Koenigs-Stiftung zum Adolf von Baeyer-Jubiläum:
an den Universitätsprofessor Dr. Heinrich Wieland zu
Untersuchungen über tierische Gifte und Oxydationsfermente
1500 Ji',
zur Beschaffung eines Röntgenapparates für das Chemische
Laboratorium des Staates (der während des Krieges für Sanitäts-
zwecke zur Verfügung gestellt wurde) 3300 JC.
6. Heinrich von Brunck-Stiftung:
an das Chemische Laboratorium des Staates zur Beschaffung
von Büchern zu chemischen Forschungen 500 JC.
7. Karl von Dapper-Saalfels-Stiftung:
an die Zoologische Sammlung des Staates zu Untersuchungen
über die Verbreitung von Vogelformen in den Gebirgen süd-
lich des karaibischen Meeres 950 M;
an Universitätsprofessor Dr. Ferdinand Henrich in Er-
langen zur Untersuchung von Quellen und Gesteinen Bayerns
auf Radioaktivität 800 JC.
5*
68 Bewilligungen aus den Stiftungen
8. Georg Hitl-Fonds zur Förderung der Medaillen-
kunst:
an den Wirtschaftlichen Verband der bildenden Künstler
(Abteilung München) zur Unterstützung notleidender Medaillen-
künstler Bayerns 1085 M.
9. Aus den für das Jahr 1915 verfügbaren Mitteln
der Savigny-Stiftung:
an die Redaktion der Zeitschrift der Savigny-Stiftung zur
Unterstützung ihres Honorarfonds 600 Ji\ ,
an die Kommission der K. Preuß. Akademie der Wissen-
schaften für Herausgabe des „Deutschen Rechtswörterbuches"
als Beitrag zu dessen Kosten 2200 Jl',
an Universitätsprofessor Dr. Ludwig Wahrmund in Prag
zur Unterstützung seines Quellenwerks zur Geschichte des
Römisch -kanonischen Prozesses im Mittelalter 2400 JC.
10. Aus den Renten der Hardystiftung:
zur Fortführung des Indischen Teiles der „Orientalischen
Bibliographie" an Prof. L. Scherman 600 eA
69
Nekrologe.
Philosophisch - philologische Klasse.
Am 17. Oktober 1914 starb das ordentliche Mitglied, der
Professor der Philosophie an der Universität, Theodor Lipps. Er
war am 28. Juli 1851 zu Wallhalben in der Rheinpfalz geboren,
bezog 1867 die Universität Erlangen, dann Tübingen und
Utrecht, um Theologie und Philosophie zu studieren, und
promovierte 1874 in Bonn mit einer Dissertation über Herbarts
Ontologie, in der sich sein Talent zu scharfsinniger Beurteilung
fremder Lehren bereits deutlich aussprach. In Bonn habilitierte
er sich 1877 für Philosophie, wurde dort 1884 zum außer-
ordentlichen Professor ernannt, 1890 als ordentlicher nach
Breslau berufen und 1894 der Nachfolger Stumpfs in München,
wo er bis etwa 1909 eine große und segensreiche Wirksam-
keit entfaltet hat. Mitten aus starker Produktivität heraus
wurde er durch eine langwierige Krankheit zur unfreiwilligen
Muße verurteilt. Viele literarische Aufgaben, die er, in rast-
loser Entwicklung und Wandlung seiner Gedanken begriffen,
sich vorgenommen hatte, mußten unerfüllt bleiben. Nicht nur
die zahlreichen Schüler, die er durch seine ungewöhnlich ein-
drucksvolle Rede und seine gründliche kritische Prüfung ihrer
Arbeiten zu fesseln und zu fördern wußte, nicht nur die Fach-
genossen, die seine scharfe und klare Dialektik, seine tief-
dringenden und feinen Analysen, seine vom Geiste der Sach-
lichkeit, Vorurteilslosigkeit und Selbständigkeit beherrschten
Untersuchungen hoch ge wertet haben, sondern auch weite
Kreise der Gebildeten, die in ihm einen unbestechlich auto-
nomen, für jede bedeutende Erscheinung des öffentlichen Lebens
interessierten, zu sicherer und überzeugender Beurteilung fähigen
und fertigen Denker und Redner verehrten, sie alle vereinigen
sich in dem schmerzlichen Bedauern, daß Th. Lipps den Schau-
platz hat verlassen müssen, auf dem ihm großzügige Forschung,
fruchtbare pädagogische Tätigkeit, aufklärende und charakter-
70 Nekrologe
volle Wirksamkeit und die Begründung einer angesehenen und
tüchtigen Philosophenschule gelungen war. Außerordentliches
Mitglied unserer Akademie wurde er 1896, ordentliches 1899.
Ein fast vollständiges Verzeichnis seiner Schriften enthält der
Almanach von 1909.
Der Psychologie im weitesten Sinne hat seine Lehens-
arbeit gehört. Die 1883 erschienenen „Grundtatsachen des
Seelenlebens" waren, wie die Vorrede sagt, nicht als Abschluß,
sondern als erster Ruhepunkt seiner psychologischen Forschung
gemeint. Dieses Buch suchte der Philosophie dadurch einen
besonderen Inhalt zu geben, daß es sie zur Einzelwissenschaft
machte, indem es sie (wie einst Hume, dessen Treatise on Human
Nature Lipps später in ausgezeichneter deutscher Übersetzung
und mit trefflichen erläuternden und kritischen Anmerkungen
herausgab) als Geisteswissenschaft oder Wissenschaft der inneren
Erfahrung kennzeichnete und sie damit der Naturwissenschaft
koordinierte. Die Psychologie wurde zur Grunddisziplin, auf
der Logik, Ethik und Ästhetik mit den daran sich anknüpfen-
den Disziplinen, schließlich auch die Metaphysik basieren.
Lipps ist durch dies Programm, das er im Grunde bis zuletzt
festgehalten und durchgeführt hat, ein Hauptvertreter des
Psychologismus unserer Zeit geworden. Selbst als er die
Ansprüche dieser Richtung unter dem Eindruck der Logischen
Untersuchungen von Husserl einzuschränken für notwendig
hielt, hat er eine Fassung gefunden, die ihr ein gewisses Recht
immer noch zuerkannte. Auch die Gebote der theoretischen,
praktischen und ästhetischen Vernunft werden, so sagte er
jetzt, im individuellen Bewußtsein vorgefunden, mag auch ihre
Geltung eine überindividuelle sein. Somit gehört ihre Be-
schreibung und Zergliederung zur beschreibenden und zer-
gliedernden Psychologie. Schließlich macht die ganze Logik
und Erkenntnislehre, Ethik und Ästhetik einen Teil dieser
Psychologie aus. Daß diese Disziplinen auf Psychologie sich
„gründen" (wie er früher behauptet hatte), ist damit ausge-
schlossen. Sie sind vielmehr in ihr enthalten oder werden von
ihr vorausgesetzt.
Nekrologe 7 1
Mit der Bezeichnung des Psychologismus ist nicht gesagt,
daß Lipps zugleich Konszientialist gewesen wäre. Im Gegenteil,
er hat mit besonderem Nachdruck auf die Notwendigkeit hin-
gewiesen, unbewußte Vorgänge anzunehmen, die die Be-
ziehungen zwischen den Bewußtseinsinhalten und den Formen,
in die sie gegossen erscheinen, überall vermitteln, wie es in
den „Grundtatsachen" heißt. Sie müssen zur Herstellung einer
lückenlosen Gesetzmäßigkeit zwischen den Bewußtseinstatsachen
postuliert werden. Was sie an sich sein mögen, ob physiolo-
gische Prozesse oder unbekannte Lebensäußerungen eines beson-
deren seelischen Wesens, bleibt dahingestellt. Die Seele ist der
Psychologie nichts als der Träger oder der zusammenfassende
Ausdruck für die erkannten seelischen Wirkungen. Bei dieser
Auffassung bleibt es im wesentlichen auch später. Die Psycho-
logie hat, wie die letzte Darstellung in der 3. Auflage des
Leitfadens der Psychologie (1909) sagt, die Aufgabe, als er-
klärende Disziplin einen Kausalzusammenhang des psychisch
Realen „denkend herzustellen, als „Substruktion" oder „Unter-
bau" für die Begreiflichmachung der in der Erfahrung ge-
gebenen Bewußtseinserlebnisse der individuellen Iche, d. h. es
ist ihre Aufgabe, einen Kausalzusammenhang des Realen her-
zustellen, und in ihm in gesetzmäßiger Weise die Bewußtseins-
erlebnisse einzufügen, und so auch zwischen diesen, durch jenen
Zusammenhang des Realen hindurch, eine kausale Beziehung
zu stiften." Erklärende Psychologie wird hier auch die Wissen-
schaft genannt, „welche das Gegründetsein von individuellen
Bewußtseinserlebnissen in einer Seele, oder welche diese Er-
lebnisse als einer Seele eignend, betrachtet." „Sie ist die
„Wissenschaft" von der Seele und den seelischen „Er-
scheinungen"." Da diese Seele der realen Welt angehört,
so darf sie auch als Substanz bezeichnet werden. Diese ener-
gische Vertretung eines psychologischen Realismus verdient
um so mehr hervorgehoben zu werden, als sie einer verbreiteten
Ansicht widerspricht, nach der das im Bewußtsein Vorgefundene,
durch innere Wahrnehmung Feststellbare einfach mit dem
Psychischen zusammenfällt. Th. Lipps gehört zu den wenigen
72 Nekrologe
Psychologen, die erkannt haben, daß auch im Bereich ihrer
Wissenschaft Dasein und Bewußtsein nicht dasselbe sind, daß
auch hier Reales und Phänomenales auseinandergehalten werden
müssen, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Psychologie
sich nicht mit den Tatsachen der Selbstbeobachtung decken,
daß die innere Wahrnehmung ebenso wenig Psychologie treibt
oder ist, wie die äußere Wahrnehmung Naturwissenschaft.
Dem Konszientialismus aber stand er auch für die Außen-
welt nicht näher. Daß es ein Natur reales gibt, dafür ist
er besonders eindringlich in dem 4. Heft des I. Bandes der
Psychologischen Untersuchungen (1907) eingetreten. Hier wendet
er sich gegen die bei manchen naturwissenschaftlichen Er-
kenntnistheoretikern beliebte Auffassung der Naturobjekte als
Komplexe von Empfindungen, als Bewußtseinsinhalte. Viel-
mehr sind die Naturerscheinungen das in Wahrnehmungsinhalten
Gegebene. Inhalt und der in ihm gedachte Gegenstand
sind zu unterscheiden, und der hier gemeinte Naturgegenstand
ist ein objektiv Wirkliches, das ein eigenes, vom Bewußtsein
unabhängiges Dasein hat. „Die naturwissenschaftliche Er-
kenntnis ist die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit des Physischen."
Schon in den „Grundtatsachen" waren Naturwissenschaft und
Psychologie auf das gleiche Material bezogen worden. Aber
dies Material tritt „für uns in ein doppeltes System von Be-
ziehungen, das der objektiven vom Subjekt unabhängig ge-
dachten Beziehungen des Vorgestellten unter sich, und das
System der Beziehungen, in das die Vorstellungen als unsere
subjektiven Zustände zu einander und zum ganzen seelischen
Wesen treten." Mit dieser Scheidung war er der Vorläufer
eines Mach und Avenarius geworden, ohne damit in deren
antimetaphysische Richtung hineinzugeraten.
Zu einer umfassenden Darstellung der Metaphysik ist
es freilich bei ihm nicht gekommen. Immerhin enthalten seine
naturphilosophischen Abhandlungen und der Schluß des Leit-
fadens der Psychologie in der 1. Auflage (1903) metaphysische
Ausführungen, die die Grundzüge eines aktualistischen Spiri-
tualismus und Panentheismus erkennen lassen. In den „Grund-
Nekrologe «3
Zügen der Logik" (1893) findet sich auch ein näherer Hinweis
auf die Aufgaben, die er der Metaphysik gestellt sah. Es muß
hiernach „dem menschlichen Geiste unverwehrt bleiben", über
die Grenzen der einzelwissenschaftlichen Erkenntnis hinaus „ein
Reich des Möglichen oder Denkbaren sich aufzurichten, das
seinem Bedürfnis nach Einheit und Vollständigkeit des Welt-
bildes genügen kann." „Es ist aber auch diese Weltbetrach-
tung von der Erfahrung und der auf ihr beruhenden Erkenntnis
nicht unabhängig", sie schöpft vielmehr ihren Denkinhalt daraus.
Sichtung der Denkmöglichkeiten ist die oberste Pflicht aller
Metaphysik. Die eindringende Analyse der Begriffe ist dafür
erstes Erfordernis.
In der grundlegenden Abhandlung über „Inhalt und Gegen-
stand; Psychologie und Logik" (1905) wird die Metaphysik
als „Grundwissenschaft" bezeichnet und mit der reinen Be-
wußtseinswissenschaft gleichgesetzt. Diese ist „die Wissenschaft
vom Bewußtsein und seinen Gegenständen", die „vom indi-
viduellen Bewußtsein und seinen Gegenständen" ausgeht und
„zum reinen Bewußtsein und seinem Gegenstande führt; mit
einem historischen Ausdruck, die Kritik der reinen denkenden,
wertenden und wollenden oder der theoretischen und der prak-
tischen Vernunft." Sie gilt Lipps auch als „Psychologie der
unmittelbaren Erfahrung. Dieser erweist sich das reine Be-
wußtsein schließlich als eines mit der Welt der Gegenstände."
„Wie die Grundlage aller Wissenschaften, so ist diese Wissen-
schaft insbesondere auch die Grundlage der empirischen Psycho-
logie . . . Und das individuelle Bewußtsein ist es, in dem
das reine gefunden wird." Es gibt hiernach eine subjektiv
intuitive „Wissenschaft von den Tätigkeiten und Akten des
Ich", die der empirischen Psychologie ebenso gegenübergestellt
werden kann, wie die Geometrie der Physik.
Zur Durchführung eines Psychologismus, der vor keiner
philosophischen Aufgabe halt zu machen brauchte, bedurfte es
freilich einer besonderen Psychologie, eben derjenigen, die
Lipps selbst in seinem Leitfaden am vollständigsten heraus-
gearbeitet hat. Diese will nicht mit der Physiologie Hand in
74 Nekrologe
Hand arbeiten, sie hält sich nicht mit Einzeluntersuchungen
über Sinneswahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnis auf,
wie sie die experimentelle Psychologie ausführt. Ihr Ziel ist
vielmehr das Verständnis der seelischen Erscheinungen in ihrer
Gesamtheit und Eigentümlichkeit und die Einsicht in die Ge-
setze, die unser entwickeltes Denken, Fühlen und Wollen be-
herrschen und dadurch einen normativen Einfluß auf das Ver-
halten bei logischer, ethischer und ästhetischer Betätigung
gewinnen. So können Logik, Ethik und Ästhetik als Wissen-
schaften betrachtet werden, die das Seelenleben unter den
Gesichtspunkt bestimmter idealer Ziele oder Aufgaben stellen
und den Mechanismus der Erreichung dieser Ziele ergründen.
So wird die Logik zu einer Lehre von den Formen und Ge-
setzen des auf Erkenntnis gerichteten Denkens, die Ethik zu
einer Lehre von den Formen und Gesetzen des auf Verwirk-
lichung des Guten gerichteten Wollens, die Ästhetik zu einer
Lehre von den Formen und Gesetzen des auf das Schöne und
die Kunst gerichteten Verhaltens, insbesondere Fühlens. Darum
kann sich eine Abhandlung „Vom Fühlen, Denken und Wollen"
(1902, 2. Aufl. 1907) als ein Abriß der Psychologie darstellen
und eine erkenntnistheoretische Untersuchung „Bewußtsein und
Gegenstände" (I. Bd. der Psych ol. Untersuch. 1. Heft) in Be-
trachtungen über den Zusammenhang des Bewußtseinslebens
münden.
Dieser Psychologie mußte die innere (und zwar rück-
schauende) Beobachtung als das wichtigste Erkenntnismittel
gelten. Aber auch das Experiment und die Messung psychi-
scher Vorgänge werden anerkannt. „Ein Gebiet wertvollster
Arbeit ist, wie ich denke, damit erschlossen, das die Psycho-
logie, soweit es geht, auszudehnen verpflichtet sein wird. Und
es unterliegt keinem Zweifel, daß weitere Ausdehnung möglich
ist." Mit diesen Worten aus den „Grundtatsachen" stimmen
die des Leitfadens über denselben Gegenstand im wesentlichen
überein. Nur wird hier zwischen einem eigentlich psycho-
logischen oder inneren und einem äußeren Experiment unter-
schieden. Jenes wird als ein besonderer Vorzug der Selbst-
Nekrologe 75
beobachtung anerkannt. Es „besteht im Hervorrufen von Vor-
stellungen oder Gedanken, im beliebigen Sichvergegenwärtigen
von allerlei Erlebnissen, im inneren Variieren, im Hinzunehmen
von Bestandteilen, andererseits im Abstrahieren," Über das
äußere Experiment sind die Darlegungen im Leitfaden natur-
gemäß eingehender und spezieller, als in den Grundtatsachen.
Hervorzuheben ist hier nur, „daß die experimentelle Psycho-
logie überhaupt ihre Anwendung unbedingt finden soll, wo
sie dieselbe der Natur der Sache, d. h, der gestellten Frage
nach finden kann." Der Zusatz: „Man kann experimentie-
render Psychologe sein nur in dem Maße, als man vorher
ohne das Experiment zum Psychologen geworden ist, oder
in dem Maße, als man die Kunst der Selbstbeobachtung und
des Schließens aus ihren Ergebnissen . . . gelernt hat" enthält
nur eine Warnung vor mechanischem, gedankenlosem Experi-
mentieren, nicht aber eine Ablehnung der experimentellen Me-
thode als solcher. Die prinzipielle Stellung von Lipps ist
vielmehr immer die gleiche einer rückhaltlosen Anerkennung
gewesen. Um so mehr ist es zu bedauern, daß er dort, wo
das äußere Experiment mit seiner exakten Variation der Reize
und Umstände, mit seiner Mannigfaltigkeit von geschulten
Versuchspersonen und seinem unwissentlichen Verfahren von
größtem Vorteil gewesen wäre, bei seiner Untersuchung der
geometrisch - optischen Täuschungen und der Durchführung
seiner Theorie der ästhetischen Mechanik, keinen ausreichenden
Gebrauch davon gemacht hat.
Im Einzelnen fällt auf, daß in den „Grundtatsachen", wie
bei Herbart, die Vorstellungen ganz in den Vordergrund treten.
Wille und Gefühl erscheinen als Bewußtseinsreflexe, die unter
gewissen näher zu bestimmenden Umständen das nach seinen
Gesetzen ablaufende Vorstellungsleben begleiten. Vorstellungs-
verhältnisse und Vorstellungsbeziehungen bilden das Zentrum
des ganzen Buches. Die Vorstellungen werden als die einzigen
bewegenden Kräfte im seelischen Leben bezeichnet. Daneben
wird auf zahlreiche Vermögen, Dispositionen oder die der Re-
produktion zu Grunde liegenden Spuren, wie bei Beneke, hin-
76 Nekrologe
gewiesen. Zu letzteren werden auch Dispositionen von oder
zu Beziehungen gerechnet. All das kann ebensowenig wahr-
genommen werden, wie die seelischen Tätigkeiten, aus denen
Bewußtseinsinhalte hervorgehen. „Ja nicht einmal von einem
Subjekt, dem wir den Hergang [der Erzeugung von Bewußt-
seinsinhalten] anheften und die Erzeugung aufbürden könnten,
vermögen wir etwas in uns zu empfinden." Das ist doch
später nicht unwesentlich anders geworden. Lipps hat zwar
auch jetzt noch die Gefühle als Bewußtseinssymptome des
Verhältnisses zAvischen dem einzelnen seelischen Geschehen
(Empfinden, Wahrnehmen, Vorstellen u. dgl.) und der in der
Seele vorhandenen Bereitschaft, ein solches stattfinden zu
lassen, bestimmt. Aber sie haben ein viel größeres und selbst-
ständigeres Interesse gefunden und werden als Ichzuständlich-
keiten von den auf ein Nicht -Ich bezogenen Empfindungen
abgelöst. Das Tätigkeitsgefühl ist zum Grundgefühl geworden.
Auch gibt es ein unmittelbar erlebtes Ich, das in allen Be-
wußtseinserlebnissen miterlebt wird. Demnach ist auch das
Tätigkeitsgefühl als die allgemeinste Zuständlichkeit des Ich
in allen Erlebnissen gegeben. In der Lehre von der Mehr-
dimensionalität der Gefühle berührt sich Lipps mit Wundt.
Aber freilich, von Lust und Unlust abgesehen, sind die Di-
mensionen bei beiden ganz verschieden.
Von einzelnen Tatsachen sind, außer der Raum Wahrneh-
mung, dem Weberschen Gesetz und den akustischen Erschei-
nungen, dem Einfühlungsprozeß, der Hypnose und Suggestion,
sowie den Einheiten und Relationen eingehendere Unter-
suchungen von Lipps gewidmet worden. Die erstgenannten
haben in den Psychologischen Studien (1885, 2. Aufl. 1905),
die Einfühlung in zahlreichen Abhandlungen, besonders im
II. Bande der Psychologischen Untersuchungen, die Einheiten
und Relationen in der gleichnamigen Schrift vom Jahre 1902,
Hypnose und Suggestion in unseren Sitzungsberichten v. J.
1897 eine gesonderte Behandlung erfahren.
Die Logik untersucht das Denken unter dem Gesichts-
punkt der Erkenntnis, d. h. einer objektiv notwendigen Ord-
Nekrologe • '
nung von Objekten des Bewußtseins. Das Denken ist liier
somit objektiv bedingtes Vorstellen, d. b, ein solches, das sich
nur durch die in den Objekten selbst liegende Nötigung (oder
Forderung) leiten läßt. Das Objektive ist das Kennzeichen
alles Logischen im Gegensatz zu dem lediglich Psychologischen.
Die objektive Notwendigkeit des Vorstellens aber hat einen
verschiedenen Sinn, je nachdem es sich um formale oder ma-
teriale Erkenntnis handelt. Dort ist sie „Notwendigkeit des
Vorstellens im Sinne der Unmöglichkeit, das Vorgestellte über-
haupt durch ein anderes zu ersetzen, hier Notwendigkeit des
Vorstellens im Sinne der Unmöglichkeit, es durch ein anderes
zu ersetzen, wenn nicht zugleich das Bewußtsein der objektiven
Wirklichkeit des Vorgestellten in sein Gegenteil umschlagen
soll." Für diesen Unterschied wird ausdrücklich auf Humes
wesentlich übereinstimmenden Gegensatz zwischen der Erkennt-
nis der Beziehungen zwischen Vorstellungen und der Erkennt-
nis der Beziehungen zwischen Tatsachen verwiesen. Dagegen
deckt er sich nicht mit dem Gegensatz des a priori und des
a posteriori. Es gibt vielmehr nach Lipps auch materiale
Urteile a priori.
Die ästhetische und die ethische Betrachtung führen
auf den gleichen Gegenstand, das höchste Gute. Aber jene
ist rein kontemplativ, indem sie von der objektiven Wirklich-
keit ihrer Gegenstände absieht. Die ethische dagegen ist
praktischer Natur, indem sie sich auf die Wirklichkeit und
die Realisierung der Zwecke im Zusammenhang der Wirklich-
keit bezieht. Beide verhalten sich einigermaßen wie formale
und materiale Erkenntnis. Objektiv gültig sind ethische und
ästhetische Urteile, wenn sie gegenüber allem dem, was auf
Gemüt und Willen zu wirken vermag, standhalten, also nichts
uns nötigen kann, das vollzogene Urteil wieder zu verurteilen.
Dabei besteht die gleiche Gesetzmäßigkeit, wie bei den Er-
kenntnisurteilen. Wir haben das Bewußtsein der Nötigung,
was wir wollen, allgemein zu wollen und das Wollen, das
wir nicht verallgemeinern, zu verurteilen. In den populär
gehaltenen „Ethischen Grundfragen" (1899, 3. Aufl. 1912)
78 Nekrologe
wird das die Treue gegen sich selbst genannt. Die „Forderung
der allumfassenden Gesetzmäßigkeit des Wollens kann als das
oberste Sittengesetz bezeichnet werden," Hier tritt eine große
Verwandtschaft mit Kants Ethik zu Tage, von der Lipps sagt,
sie sei in ihren Grundgedanken wahr, weil sie auf tiefster
psychologischer Einsicht beruhe. Eine neue Wendung voll-
zieht sich in den späteren Darstellungen insofern, als von
den Gegenständen gesagt wird, daß sie fordern, in dieser oder
jener Weise erkannt und gewertet zu werden, und als das
Ich, das diesen Forderungen nachkommt, als das ideale dem
empirischen Ich gegenübergestellt wird. Das objektiv gefor-
derte Wollen oder das Sollen ist das Wollen, in dem der ob-
jektive Wert das Bestimmende ist. Endgültiger objektiver
Wert aber ist der Wert für das ideale Ich. Der absolute
Wertmaßstab und der einzig unbedingte Wert ist der Wert
des idealen Ich oder der Wert des ganzen Menschen. Mit
Kants gutem Willen ist nichts Anderes gemeint, als das ideale
Ich oder der Mensch. In der ästhetischen Wertung ist es nur
ein Teil dieses Ich, das im Spiegelbild sich und sein sich
Auswirken wertet.
Unter den sog. Norm Wissenschaften ist die Ästhetik von
Lipps ^m meisten gepflegt und am vollständigsten bearbeitet
worden. Nachdem bereits 1891 „der Streit über die Tragödie"
und „Ästhetische Faktoren der Raumanschauung" eine speziel-
lere Wendung zu ästhetischen Problemen angekündigt hatten,
sind 1898 „Komik und Humor" und die schon erwähnte Raum-
ästhetik gefolgt. Im letztgenannten Buch wird ästhetische
Freude als beglückendes Sjmpathiegefühl bezeichnet und damit
auf die sympathische Einfühlung zurückgeführt. Die sodann
in zwei stattlichen Bänden erschienene große „Ästhetik" (1903,
1906), die leider ein Torso geblieben ist, brachte die auf diesem
Gebiet zur Reife gediehenen Forschungen zu einer abschließen-
den Darstellung. Sie ist gewiß nicht ein in formaler Hinsicht
vollkommenes System, aber die sachlich genommen einheit-
lichste Ästhetik, die wir haben. Ein großer Zug in sich zu-
sammenhängenden Denkens beherrscht sie. In ihrem Mittel-
Nekrologe •"
punkt steht, obwohl auch Formprinzipien auf der Basis der
Einheit in der Mannigfaltigkeit aufgestellt werden, die Theorie
der Einfühlung, desjenigen Prozesses, von dem Lipps allen
ästhetischen Wert und Unwert in Natur und Kunst abhängig
machte. Es kann zweifelhaft sein, ob diesem Vorgang die
schlechthin grundlegende Bedeutung zukommt, die Lipps ihm
für das ästhetische Verhalten zuschreibt. Aber nirgends ist
er eindringender und umfassender behandelt worden, als in
seiner Ästhetik und den ihr vorausgegangenen und nachge-
folgten Einzeluntersuchunffen. Weit über das ästhetische Ge-
biet hinaas galt er ihm als das wichtigste Mittel zur Erkenntnis
des Seelenlebens fremder Iche, als eine der Korrektur be-
dürftige und fähige „Selbstobjektivation" auf Grund von ent-
sprechenden Wahrnehmungen. Auch als eine Grundlage für
die Möglichkeit sozialer Beziehungen, Berechtigungen und
Verpflichtungen wird die Einfühlung von Lipps gewürdigt.
Gewiß ist Lipps durch Anregungen, die er empfing, be-
fruchtet worden. Hume, Kant und Herbart haben aus älterer,
Lotze, Helmholtz, Wundt und Husserl aus neuester Zeit einen
größeren Einfluß auf ihn geübt. Aber er war eine zu selb-
ständige Natur, um bloß aufzunehmen oder sich anzuschließen.
Die vereinheitlichende Kraft seines Denkens bewährte sich nicht
nur in der einfügenden und gestaltenden Apperzeption der
Gedankengänge, denen sein Geist entgegenkam, sondern auch
in der schärferen oder milderen Ablehnung derjenigen, die ihm
unrichtig oder widersprechend erschienen. Er war einer der
hervorragendsten Kritiker unter den Philosophen unserer Zeit.
Das zeigt sich sowohl in den zahlreichen polemischen Partien
seiner Schriften, als auch in seinen Literaturberichten und
Einzelbesprechungen. Die Antithese gehörte zur Entwicklung
seiner Ideen fast ebenso sehr wie die These. Aber auch er
selbst hielt sich stets für neue Wendungen offen und konnte
es ertragen und begrüßen, wenn ernstlicher Gegensatz auch
im Kreise seiner Schüler laut wurde. So hat er keine, auf
bestimmte seiner Lehrmeinungen eingeschworene Schule be-
gründet und doch die Art seines klaren und eindringenden.
80 Nekrologe
durch die Forderungen der Gegenstände bestimmten Denkens
für Viele fruchtbar zu machen gewußt. Er hat mehr durch
die Methode seines Forschens und durch das Vorbild einer
rastlos fortschreitenden und tätigen, vornehmen und an sich
selbst die höchsten Ansprüche stellenden Persönlichkeit, weniger
durch den ihm eigentümlichen Gesichtspunkt der Betrachtung
oder durch Einzelergebnisse seiner Arbeit schulebildend gewirkt.
0. Külpe.
Am 18. April 1914 starb zu Steglitz bei Berlin das kor-
respondierende Mitglied Professor Dr. Karl Zeumer. Es sind
vornehmlich drei große Leistungen, die ihm einen ausgezeich-
neten Platz unter den Philologen wie unter den Rechtshisto-
rikern sichern, seine kritischen Ausgaben der Formelsamm-
lungen im fränkischen Reich (1882, 1886), der Lex Curiensis
(1889) und der Leges Wisigothorum (1902), alle drei in den
Momenta Germaniae erschienen. Jede von ihnen bietet den
Text zum ersten Mal auf Grundlage des gesamten handschrift-
lichen Materials. Stücke, die früher ganz oder doch zu einem
beträchtlichen Teil unbekannt waren, sind hier dem Forscher
zugänglich gemacht. Gelehrte Einleitungen, kritische und
sachlich erläuternde Anmerkungen, eingehende Register er-
leichtern das Benützen der Texte, soweit dies nur im Beruf
eines Herausgebers liegen kann. Scharfsinn und Fleiß, beide
auf Schritt und Tritt unübertrefflich, haben so drei große Auf-
gaben — man wird wohl sagen dürfen, für immer — bewältigt.
Kleinere, doch darum nicht weniger beachtenswerte Arbeiten
gingen nebenher. Hier kann von ihnen nicht weiter gesprochen
werden, ebensowenig von den andern, mit denen sich Zeumer
nach Beendigung jener großen Editionen auf die Reinigung und
geschichtliche Erläuterung deutscher Rechtsdenkmäler des Mittel-
alters geworfen hat. Aber nicht unterlassen darf die philo-
logische Klasse, seine literargeschichtlichen Verdienste aus-
drücklich hervorzuheben. Der ersten Periode seines Schaffens
verdanken wir eine sehr wesentliche Vervollständigung unserer
Kenntnis der Werke Notkers des Stammlers, der zweiten den
Nekrologe 8 1
Nachweis der ümrilälinien des literarischen Bildes Eykes von
Repkow, des ersten großen Prosaschriftstellers in deutscher
Sprache.
Zeumer war in zwei Dritteln seines Studienganges, näm-
lich als Jurist und Philolog, Autodidakt. Nur geschichtliche
Studien hatte er hinter sich, als er im Jahre 1878 Hilfs-
arbeiter bei den Momenta Germaniae wurde. Aber seinen
Doktor jur. h. c, der ihm 1886, und die juristische Professur
in Berlin, die ihm 1890 verliehen wurde, hat er reichlich
verdient. Die Zähigkeit des Willens, die ihm diese Erfolge
verschafft hat, bewährte er überhaupt sein ganzes Leben hin-
durch. Krankheit und widrige äußere Verhältnisse hielten
seine Ausbildung in der Jugend auf. Frühzeitig büßte er ein
Auge ein. Das andere erblindete bei seinen Editionsarbeiten.
Aber Jahr für Jahr hat er dann noch Abhandlungen, ja sogar
neue Editionen diktiert. Es wäre ihm nicht möglich gewesen
ohne die treue Hilfe seiner Frau, doch auch nicht ohne die
Energie seines Geistes. von Amira.
Am 27. Mai 1914 starb zu Paris das korrespondierende
Mitglied Konstantinos Sathas. Geboren im Jahre 1842 zu Gala-
xidi in Lokris wandte er sich schon in jungen Jahren der
Erforschung der Geschichte und der Literatur Griechenlands
im Mittelalter und in der neueren Zeit zu. Außer zahlreichen
Einzeluntersuchungen verdanken wir ihm eine Geschichte
Griechenlands unter der Türkenherrschaft (Athen 1869) und
eine Geschichte des Patriarchats von Konstantinopel im 16.
Jahrhundert (Athen 1870), in andern Werken legte er die
Entwickelung der neugriechischen Literatur dar. Er versuchte
auch zum ersten Mal die Geschichte des griechischen Theaters
im Mittelalter zu schreiben und erwarb sich dauernde Ver-
dienste durch seine zahlreichen Ausgaben mittelalterlicher grie-
chischer Texte und Urkunden. Heisenberg.
Am 30. Juni 1914 starb das korrespondierende Mitglied
Georges Perrot, ständiger Sekretär der Academie des inscriptions
et helles -lettres zu Paris. Schon frühzeitig zur Leitung der
Jahrbuch 1916. 6
82 Nekrologe
französischen Schule in Athen berufen, dann vor allem durch
eine in vielfachen Beziehungen erfolgreiche Forschungsreise
nach Bithynien und Galatien bekannt geworden, gewann er
in seinen Stellungen an den wichtigsten wissenschaftlichen
Anstalten Frankreichs bedeutenden Einfluß auf die Ausgestal-
tung der archäologischen Forschung. Die von ihm in Gemein-
schaft mit dem Architekten Gh. Chipiez unternommene, auf
breitester Grundlage aufgebaute Kunstgeschichte des Altertums
zeigt eine bewundernswürdige umfassende Verwertung aller
bisher gewonnenen Ergebnisse der Forschung; obwohl schon
bis zum achten starken Bande vorgeschritten, war das monu-
mentale Werk leider noch weit von seinem Abschluß entfernt,
als sein unermüdlicher Verfasser die Feder für immer nieder-
legte. Wolters.
Am 19. Juli 1914 starb zu Berlin im dreiundachtzigsten
Jahre das auswärtige Mitglied Professor Dr. Alexander Conze,
kurz nach der Rückkehr von einer letzten, dem Abschluß seiner
großen Sammlung attischer Grabmäler gewidmeten Studienreise
nach Athen, in ungebrochener Kraft schlicht und stark tätig,
fast bis zum letzten Augenblick. Als akademischer Lehrer
und als Organisator der wissenschaftlichen Arbeit, sowohl am
Berliner Museum als am Kaiserlichen Archäologischen Institut,
hat er der Forschung in maßgebender Weise die Wege ge-
wiesen und geebnet und einer Auffassung zum Siege verholfen,
welche alles, was die menschliche Hand in feste sichtbare Form
gebracht hat, in seiner geschichtlichen Bedingtheit und Be-
deutung zu verstehen sucht, von der befestigten Burganlage
bis zur Inschriftstele und vom primitiven Tongefäß bis zum
Tempelbau und zum Götterbild. Die umfassende Sammlung
ganzer Reihen gleichartiger Denkmäler oder aller Denkmäler
eines Gebietes und die bis in alle Einzelheiten vordringende
und das Ganze wieder aufbauende Erforschung ganzer Städte
wie Pergamon oder ganzer Heiligtümer wie Saraothrake sind
ebenso bezeichnend für diese weitausgreifende Anschauung von
den Aufgaben der Archäologie, wie die planmäßige Organisation
Nekrologe 83
der Ausgrabungstätigkeit auf heimischem Boden. In einem
langen arbeitsreichen Leben hat Conze diese Anschauung wirk-
sam vertreten, stets mit einer ihm selbstverständlichen Unter-
ordnung der Person unter die Sache, die er von allen erwartete,
vor allem aber von sich selbst, und mit einer gütigen Hilfs-
bereitschaft, die ihm seine Genossen dankbar erwiderten.
Wolters,
Am 15. Dezember 1914 starb zu Würzburg das korre-
spondierende Mitglied Professor Dr. Martin von Schanz. Zahl-
reiche Untersuchungen zur historischen Grammatik der grie-
chischen Sprache wurden von ihm angeregt. Mit besonderer
Vorliebe wandte er sich dem Studium der Werke Piatons zu,
von denen er mehrere kritische und erklärende Ausgaben vor-
legte. Die Früchte weit ausgreifender Studien enthält seine
groß angelegte Geschichte der römischen Literatur von den
ältesten Zeiten bis zum Beginn des Mittelalters, die er leider
nicht mehr ganz vollenden konnte. Heisenberg.
Mathematisch - physikalische Klasse.
Am 2. November 1914 ist Heinrich Burkhardt, ordentlicher
Professor der Mathematik an der Technischen Hochschule zu
München und ordentliches Mitglied der mathematisch -physi-
kalischen Klasse unserer Akademie einem schweren Leiden,
gegen das die Kunst der Arzte vergeblich ankämpfte, das die
treue Sorge der Gattin nur zu lindern vermochte, erlegen.
Wir betrauern in dem allzufrüh Dahingegangenen einen
hochbegabten, erfolgreichen, unermüdlich tätigen Gelehrten
von umfassendem Wissen und reicher Bildung und beklagen,
daß sein Tod den Abschluß größerer weitangelegter litera-
rischer Arbeiten, an denen er in den letzten Jahren seines
Lebens mit zäher Ausdauer tätig war, abgebrochen hat.
Heinrich Burkhardt wurde am 15. Oktober 1861 zu
Schweinfurt als Sohn des dortigen Bezirksgerichtsassessors
Burkhardt geboren. Schon in früher Jugend (1867) verlor er
84 Nekrologe
den Vater. Die Mutter, eine Tochter des Ansbacher Hof-
apothekers Heyde zog in ihre Vaterstadt zurück und widmete
sich hier ganz der Erziehung ihrer Kinder, ihres Sohnes und
seiner jüngeren Schwester, Schon früh trieb den stillen, in
sich gekehrten Knaben der Eifer zu lesen und zu lernen zu
den Büchern, aus deren Inhalt er dann wieder die Schwester
belehrte. Von den Spielen seiner Altersgenossen blieb er fern.
Auf dem Ansbacher Gymnasium war er ein musterhafter Schüler,
der sich allen Lehrgebieten mit gleichem Fleiße und mit größter
Gewissenhaftigkeit widmete. Doch trat schon dort seine be-
sondere Neigung zur Mathematik hervor, für deren Studium
er in Siegmund Günther einen verständnisvollen Lehrer fand.
Gleichwohl begann er — nach ausgezeichnet bestandenem Exa-
men ins Maximilianeum in München aufgenommen — mit dem
Studium der Jurisprudenz, dem Wunsche seiner Verwandten
folgend. Aber bald gab Neigung und Begabung den Aus-
schlag und er widmete sich an Universität und Technischer
Hochschule ganz der Mathematik. Die letzten Semester ver-
brachte er in Berlin und Göttingen, wo er sich unter Weier-
strass und Schwarz weiterbildete. Nach Ablegung der Lehr-
amtsprüfung (1884) trat er in den Jahren 1884 — 87 als Assi-
stent für Mathematik an der Technischen Hochschule in Mün-
chen in das Lehramt ein.
Hier entstand, unter A. Voss' Leitung Burkhardts erste
wissenschaftliche Arbeit, mit der er 1887 promovierte, eine
Untersuchung der „Beziehungen zwischen der Invari-
antentheorie binärer Formen und der Theorie alge-
braischer Integrale und ihrer Umkehrungen".
Ausgehend von der Darstellung der Covarianten der bi- _
quadratischen Form als (Weierstrassscher) elliptischer Funk- ^|
tionen werden auch die Covarianten binärer Formen w***" Ord-
nung durch die Coefficienten gewisser Reihenentwicklungen
der oberen Grenze von Integralen ausgedrückt, die aus dem
Abbildungsproblem geradliniger Polygone auf den Kreis be-
kannt sind.
Andererseits beschäftigten ihn hier, auf Dycks Veran-
Nekrologe 85
lassung, algebraische Studien und im besonderen die Frage, in
wie weit die Ruffinischen Untersuchungen zur Gruppen-
theorie dem systematischen Ausbau bei Cauchy vorgearbeitet
haben. Indem Burkhardt hier die vorausgehenden Arbeiten
von Waring, Lagrange und Vandermonde mit einbezieht und
dann die Ruffinischen eingehend analysiert, die in der Tat
viel weiter reichen, als man bisher, von der umständlichen
Darstellung abgeschreckt, herausgelesen hatte, zeigt sich zum
ersten Male sein Sinn für historische Studien, zu denen er
wegen seiner Gründlichkeit, seiner Beharrlichkeit, sich auch
durch spröden Stoff durchzuarbeiten, wie seines kaum fehl-
greifenden Gedächtnisses wegen in seltener Weise befähigt war.
1887 siedelte Burkhardt nach Göttingen über, angezogen
von Felix Klein s umfassender wissenschaftlicher Tätigkeit,
an der er seine Schüler und jüngeren Freunde teilnehmen
ließ und als Mitarbeiter heranzog. Damals war Klein mit der
Übertragung und Erweiterung der Weierstrassschen a- Funk-
tion in Definition und Entwicklungen auf die hyperelliptischen
Gebilde beschäftigt, die er auch im Sommer 1887 und Winter
1887/88 zum Gegenstand seiner Vorlesungen machte. Da war
es ihm willkommen, in Burkhardt einen jungen, bei Weier-
strass geschulten Mathematiker zu finden, dem er die exakte
Ausarbeitung und Ergänzung seines Gedankenganges, wie er
ihn selbst in den beiden Abhandlungen über hyperelliptische
Sigmafunktionen (Mathematische Annalen, Band 27 und 32)
niedergelegt, übertragen konnte. So entstanden zunächst die
„Beiträge zur Theorie der hyperelliptischen Sigma-
funktionen" (Math. Annalen, Band 32), in denen er die von
Klein für die Behandlung dieser Funktionen aufgestellten Ge-
sichtspunkte ins Einzelne durchführte und sich dabei ebensowohl
zur Präzision der Definition und in den Beweisen der von
Weierstrass ausgebauten Schlußweise bediente, als er für die
anschauungsmäßige Darlegung die Riemannschen Vorstellungen
in Anspruch nahm. Unmittelbar an Kleins im Winter 1887/88
gehaltene Vorlesung knüpfen die „Grundzüge einer all-
gemeinen Systematik der hyp er elliptischen Funktionen
86 Nekrologe
I. Ordnung" an (Math. Annalen, Band 35, 1889). Sie geben
eine Klassifikation hyperelliptischer Funktionen im engen An-
schluß an die „ Stufeneinteilung " der elliptischen Funktionen
mit Anwendung auf die speziellen Probleme der Teilung und
der Transformation. Die Fruchtbarkeit der gewonnenen Metho-
den darzutun, hat dann Burkhardt in den „Untersuchungen
aus dem Gebiete der hyperelliptischen Modulfunk-
tion en" (Math. Annalen, Band 36, 37 u. 41, 1889-92) An-
wendungen verschiedener Richtung gegeben, die sich im wesent-
lichen um das Problem der Multiplikatorgleichung gruppieren.
Kleinere Aufsätze, auch über Fragen der mathematischen Physik,
die gelegentlich in den Göttinger Nachrichten und in den
Mathematischen Annalen in jener Zeit erschienen, zeugen von
dem vielseitig angeregten Verkehr, der sich in Göttingen den
jungen Mathematikern darbietet.
Im November 1889 hatte sich Burkhardt dort die venia
legendi erworben und von da ab eine mannigfaltige Lehrtätig-
keit ausgeübt, die sich zunächst auf grundlegende Vorlesungen
(Differential- und Integralrechnung, analytische und synthe-
tische Geometrie), dann aber auch auf spezielle Gebiete der
Algebra (Galoissche Theorie), der Axiomatik, der Funktionen-
theorie und der Geschichte erstreckte.
Weiterhin beschäftigten ihn vergleichende Studien über
neuere, von den Astronomen angewandte Methoden der Störungs-
theorie, die er in einem Aufsatz „Über einige mathema-
tische Resultate neuerer astronomischer Untersuchun-
gen, insbesondere über irreguläre Integrale linearer
Differentialgleichungen" (Math. Kongreß, Chicago 1893)
niederlegte.
Von beträchtlichem Einfluß für Burkhardts Entwicklung
in eben dieser Richtung ist dann ein halbjähriger Aufenthalt,
Winter 1893/94, in Paris geworden, wo er besonders den Vor-
lesungen von Poincare, Tisserand und Picard folgte. Eine
kleine Vorlesung „Über die Konvergenz der in der Physik
und Astronomie gebräuchlichen Entwickelungen", die er im
darauffolgenden Sommer abhielt, zeugt von der gewonnenen
Nekrologe 87
Vorliebe für dieses Grenzgebiet, die weiter noch in einer Reihe
wertvoller Doktordissertationen zu Tage tritt, zu denen er in
Zürich und München die Anregung gab.
In ganz besonderem Maße aber wird Burkhardts spätere
Tätigkeit von da ab beeinflußt und bestimmt von seiner Teil-
nahme an einem Unternehmen, das, im Jahre 1905 begonnen,
weiterhin eine große Zahl deutscher Mathematiker und eine
Reihe von ausländischen in seinen Bannkreis zog, die Heraus-
gabe der Encyklopädie der mathematischen Wissen-
schaften. Damals sollte zunächst die Bearbeitung der reinen
Mathematik in die Wege geleitet werden und mit Franz Meyer
wurde Burkhardt von der Akademischen Kommission zum Re-
dakteur des zweiten, der Analysis gewidmeten Bandes aus-
ersehen, wozu er sich, dank einer ungewöhnlichen Belesenheit,
Sicherheit, Gedächtnistreue und Gewissenhaftigkeit in ganz
besonderem Maße eignete und bewährte. Er hat die Arbeit
mit der Pflichttreue übernommen, die er für alle Aufgaben
und Forderungen hatte, die er als notwendig erkannte. Aber
ihre Durchführung ist ihm, gerade bei seinen Anlagen und
Eigenschaften nicht leicht, ja bisweilen drückend geworden;
hat er doch damals ebensowenig wie irgend ein anderer der
Beteiligten die Größe des Unternehmens überschaut und die
Summe der Arbeit ermessen, die bewältigt werden mußte.
Burkhardt besaß nicht die Leichtigkeit, zunächst in groben
Umrissen zu disponieren und dann im Einzelnen das Wich-
tigste auszubauen, minder Wichtiges bei Seite zu lassen, son-
dern er ist stets Schritt um Schritt, sichernd und kritisch
prüfend vorgegangen. Seine Gewissenhaftigkeit hat ihn ge-
zwungen, nicht nur den Hauptweg der historischen Entwicke-
lung zu verfolgen, sondern er ist auch allen Seitenstraßen
und Gäßchen und den Sackgassen und Irrwegen getreulich
nachgegangen. So schreibt er in dem sogleich noch näher
zu bezeichnenden Referat über die „Entwickelungen nach
oszillierenden Funktionen und Integration der
Differentialgleichungen der mathematischen Phy-
sik": „Es werden viele Benutzer finden, daß ich den Leuten
88 Nekrologe
dritten und vierten Ranges, wohl auch der absoluten Torheit
zuviel nachgegangen bin; ich möchte demgegenüber dreierlei
zu bedenken geben. Einmal würde man ein ganz falsches
Bild von dem Zustand der Mathematik und Physik in früheren
Zeiten erhalten, wenn man nur die Auffassung der ersten
Meister darstellen wollte; viele Erscheinungen sind nur zu
verstehen, wenn man sich klar macht, wie lange es dauert,
bis solche Auffassungen in weiteren Kreisen nicht nur äußer-
lich akzeptiert, sondern auch innerlich aufgenommen werden.
Zweitens ist gerade auf unserem Gebiete wohl zu beachten,
daß manche mathematische Untersuchung eines physikalischen
Problems, die auf physikalisch oder mathematisch unzutref-
fenden Voraussetzungen beruht und also zunächst zu ver-
werfen sein würde, doch die Veranlassung zur Entwicklung
von Methoden gewesen ist, die dann für andere Probleme sich
nützlich erwiesen haben. So sind z. B. die Untersuchungen
von Legendre und Laplace über die Anziehung der EUipsoide
voll von Fehlschlüssen, aber an ihnen hat sich die Lehre von
den Kugelfunktionen entwickelt. Und endlich mag doch viel-
leicht hie und da jemand vor einer Torheit bewahrt werden,
wenn er sieht, daß sie schon vor ihm begangen worden ist."
An dieser Stelle, wie an so mancher anderen seiner Ar-
beiten, zeigt sich, wie gewissenhaft Burkhardt stets die Art
und Abgrenzung seiner Darstellung durchdacht hat und sie
läßt auch den feinen Humor erkennen, mit dem er besonders
im Vortrag und Gespräch seine Betrachtungen zu beleben wußte,
mit dem er sich auch über manche trübe und sorgenvolle Stunde
seines Lebens hinweggeholfen hat.
Die ersten Aufsätze, die Burkhardt für die Enzyklopädie
geschrieben, der später in den zweiten Band eingereihte, zu-
sammen mit Franz Meyer verfaßte Probeartikel zur „Potential-
theorie, Theorie der Laplace-Poissonschen Differen-
tialgleichung", dann insbesondere der Aufsatz über „End-
liche diskrete Gruppen" (im ersten Bande) und über „Kon-
tinuierliche Transformationsgruppen" (im zweiten Bande,
zusammen mit L. Maurer) sind Muster einer knappen präzisen
Nekrologe 89
Darstellung, in denen Burkhardt den von der Redaktion jeweils
für die einzelnen Artikel eng bemessenen Umfang gewissenhaft
einhielt und ausnützte. Auch späterhin hat er, trotz des über-
reichen Stoffes, der sich ihm bei Behandlung der oszillierenden
Funktionen, wie der trigonometrischen Reihen und Integrale
darbot, versucht, an dieser knappen Form, die seiner Eigenart
entsprach, festzuhalten; dagegen hat er eine breitere Darstel-
lung der Materie in anderem Rahmen in dem oben genannten,
der Deutschen Mathematiker -Vereinigung erstatteten Bericht
gewählt.
Schon ehe nämlich der Gedanke der Herausgabe einer
Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften aufgetreten,
hatte die Deutsche Mathematikervereinigung den Plan gefaßt,
ausführliche wissenschaftliche Referate über zusammenhängende
Gebiete der mathematischen Forschung zu veröffentlichen. Solche
Referate erschienen jetzt recht eigentlich als die Vorarbeit kor-
respondierender Darstellungen in der Enzyklopädie. So hat
auch Burkhardt, als er für die Enzyklopädie die Artikel über
trigonometrische Reihen und verwandte Entwickelungen über-
nahm, zunächst die ungemein ausgebreitete und überall zer-
streute Literatur über den Gegenstand in dem schon genannten
ausführlichen Bericht im 10. Bande der Veröffentlichungen der
Deutschen Mathematiker -Vereinigung zusammengefaßt. Dabei
galt es dort insbesondere auf die verschiedenen astronomischen,
physikalischen, geophysikalischen, physiologischen und tech-
nischen Fragestellungen einzugehen, deren Lösung mit Hilfe
solcher Reihenentwickelungen geschieht. Burkhardt hat zum
ersten Mal den Versuch gemacht, „in dieses Chaos wenigstens
einigen Überblick zu bringen". Je weiter die Arbeit vordringt,
um so schwieriger erscheint sie ihm bei der Vielseitigkeit der
zu übersehenden Gebiete. Denn die ursprüngliche Absicht,
wesentlich nur auf die Integration der Differentialgleichungen
der mathematischen Physik, nicht aber auf die Grundlagen für
ihre Aufstellung einzugehen, ließ sich nicht durchführen. „Da-
bei wird man", schreibt er, , freilich fragen, warum übernimmst
Du etwas, wozu Du nicht vollständig ausgerüstet bist? Ich
90 Neki'ologe
kann nur antworten, weil es gemacht werden mußte und es
sonst niemand gemacht hat". Diese Überzeugung hat Burk-
hardt immer wieder, trotz vielseitigster neuer Aufgaben — er
war inzwischen, 1897, Ordinarius an der Universität Zürich
geworden — zu seiner Darstellung zurückgeführt, die er im Jahre
1908 abschloß: Das Referat war zu einem großen zweibändigen
Werke geworden. Die Unmenge der darin besprochenen Ar-
beiten mag damit bezeichnet sein, daß es über 9000 literarische
Zitate aufweist. Burkhardt war sich wohl bewußt, daß mit
dieser ungeheueren Arbeit nicht die volle Aufgabe einer syste-
matischen Darstellung der Gebiete nach ihrer spezifisch mathe-
matischen Seite gelöst sein konnte, aber er hat die wichtigste
Vorarbeit dazu geleistet, auf welche nun nach den verschie-
denen Richtungen der Theorie und Anwendungen hin Einzel-
darstellungen fußen konnten. „Daß der Enzyklopädieartikel
von C. Müller über die Differentialgleichungen der Elastizitäts-
theorie eine viel klarere Darstellung geben konnte, als sie bei
mir zunächst vorliegt, wird niemand Wunder nehmen, der aus
eigener Erfahrung weiß, welchen Unterschied es bei solchen
historischen Arbeiten macht, ob bereits Vorarbeiten vorliegen
oder nicht." Vor allem hat Burkhardt seine eigenen Enzy-
klopädieartikel über „Trigonometrische Interpolation"
(Mathematische Behandlung periodischer Naturerscheinungen)
und über „Trigonometrische Reihen und Integrale" an-
geschlossen. Hier tritt im Gegensatz zu jenem Referat die
analytische Durchführung der Fragestellungen hervor, dagegen
die Beziehung zu den Anwendungen zurück. Der letzte Auf-
satz bricht mit dem Jahre 1850 ab, ohne einen eigentlichen
Abschluß zu bieten; aber Burkhardt mochte fühlen, daß er
seiner Leistungsfähigkeit ein bestimmtes Ziel stecken müsse,
daß seine Kraft, die er immer erneut, in selbstloser Hingabe
an die Vollendung gewendet, zu Ende ging. Er mußte wün-
schen und hoffen, daß jüngere Schultern die Weiterführung
übernehmen würden, wo dann gerade die Darstellung der
neueren Untersuchungen dieses Gebietes von besonderem Inter-
esse ist. Noch eine andere wichtige Sache ist die Herstellung
Nekrologe 91
eines ausführlichen Sachregisters für das von der Mathematiker-
Vereinigung herausgegebene Werk — ein Verzeichnis der in
demselben besprochenen Abhandlungen liegt, von Burkhardts
Gattin nach seinen Anweisungen angefertigt, fast druckfertig
vor — die erst die volle Bedeutung der geleisteten Arbeit zur
Geltung bringen wird.
Mit der Übersiedelung an die Züricher Universität begann
eine fruchtbringende und vielseitige Lehrtätigkeit, in der es
galt, bei einer kleinen Zahl von Lehrkräften die Vorlesungen
den Bedürfnissen der Studierenden der Naturwissenschaften
anzupassen, sie aber ebenso für die Kandidaten der Mathe-
matik und Physik zu organisieren, bei diesen zudem den In-
teressen der künftigen Lehrer und den Zielen des gelehrten
Unterrichtes in gleichem Maße gerecht zu werden. Wie Burk-
hardt den Unterricht für die jungen Chemiker und Mineralogen
zurechtlegte, ist aus seinen „Vorlesungen über die Ele-
mente der Differential- und Integralrechnung und
ihre Anwendung zur Beschreibung von Naturerschei-
nungen" zu ersehen. Durch Auswahl und Anordnung des
Stoffes wird die Einführung des Grenzwertes für die Ableitung
der Differentiationsregeln verschoben und an seine Stelle zu-
nächst eine etwas künstliche Rechenregel von allzugeringer
Reichweite gesetzt. Mochte der so geschaffene Ausweg auch
ihn selbst wenig befriedigen, so war Burkhardt doch eine zu
empfindsame Gelehrtennatur, als daß er sich zu einem anderen
Kompromiß, einer auf gröbere Anschauung berechneten Eresko-
malerei, hätte verstehen können. Später, als Burkhardt an die
Technische Hochschule in München (im Jahre 1908 als Nach-
folger von Braunmühl) übergesiedelt war, sah er sich auf eine
neue Art genötigt, praktischen Anforderungen, wie sie dort
der Techniker an die Ausgestaltung der mathematischen Vor-
lesungen stellt, zu genügen; da aber mit einem klar vorge-
zeichneten Weg. War dort neben der inhaltlichen auch die
zeitliche Beschränkung allzugroß, so konnten jetzt geometrische
und mechanische Anschauungen ausführlich und sorgfältig zur
Entwickelung der Grundlagen benützt werden, die Aufgaben
92 Nekrologe
der Näherungsrechnung, denen schon in jenem Buche beson-
dere Beachtung geschenkt war, einen breiteren Raum bean-
spruchen. So hat, bei aller Neigung für abstraktere Denk-
weise, Burkhardt doch der ihm an der technischen Hochschule
gebotene größere Rahmen seiner Unterrichtstätigkeit hohe Be-
friedigung gewährt.
Schon im Jahre 1896, noch in der Göttinger Zeit, hatte
Burkhardt vom Verlag von Veit die Aufforderung erhalten,
ein kurzes „Lehrbuch der elliptischen Funktionen" zu
schreiben. Bei der Anlage desselben, bei der die Riemannschen
Vorstellungsweisen die Grundlage für die Anordnung bilden,
die neueren Entwickelungen, wie sie die Theorie der Modul-
funktionen einerseits, die Weierstraßschen Formulierungen an-
dererseits darbieten, sich anschließen sollten, sah sich Burk-
hardt bald in die Notwendigkeit versetzt, die Grundlagen für
diesen Aufbau in einem besonderen Werke, als eine „Ein-
führung in die Theorie der analytischen Funktionen
einer komplexen Veränderlichen" voranzustellen, das
1897 erschien. Und hier wieder ergab sich, bei dem Anlaß
einer Neubearbeitung, der Wunsch, die aus der Theorie der
reellen Veränderlichen und ihrer Funktionen benötigten Sätze
gesondert in breiterer Ausführung darzulegen. So entstand
dann (1907) Burkhardts „Algebraische Analysis", die ge-
rade jene Lücke ausfüllt, die zwischen den in der Mittelschule
zum Teil ohne feste Grundlage, mehr durch das mechanische
Ausführen von Rechenregeln erworbenen Kenntnissen und
jenem konsequenten System der Arithmetik und Algebra be-
steht, wie es die heutige Funktionentheorie zum Ausgangs-
punkt nehmen muß. In den einleitenden Worten zu diesen drei
Teilen seiner „Funktionentheoretischen Vorlesungen*
hat Burkhardt seine Anschauungen über eine zweckmässige
Einführung in die moderne Analysis dargelegt. „Die Rie-
mannschen geometrischen Vorstellungsweisen sind durchweg
in den Vordergrund gestellt; dabei wird aber versucht, unter
angemessener- Einschränkung der Voraussetzungen diejenige
Schärfe der Beweisführung zu erreichen, die niemand mehr
Nekrologe ^^
entbehren kann, dem einmal in der Schule von Weierstrass
die Augen geöffnet sind." Niemand aber war geeigneter als
Burkhardt, gerade ein solches Programm durchzuführen und
so sind diese Vorlesungen ein fundamentales Lehrbuch ge-
worden, das in seiner knappen, feindurchdachten, präzisen
Darstellung, in seiner Anschaulichkeit, in seiner sicheren, aber
reiche Ausblicke gewährenden Begrenzung allseitige Anerken-
nung und weiteste Verbreitung gefunden hat.
So anregend und vielseitig, namentlich auch durch die
Beziehung zwischen Universität und Polytechnikum, sich die
Tätigkeit in Zürich gestaltet hatte — auch die Gründung
eines eigenen Heims mit der Tochter des Historikers Bü-
dinger fällt in diese Periode — Burkhardt ist doch gern an
die Münchener Hochschule übergesiedelt, an die Stätte seiner
ersten Studien und in den Kreis alter Freunde und Studien-
genossen.
Hier aber hat ihm die kargende Gunst des Schicksals
nur noch eine kurze Frist arbeitsfroher Jahre gewährt. Da
hat er an den Interessen der Hochschule, an ihren orga-
nisatorischen Fragen regen Anteil genommen, den wissen-
schaftlichen Arbeiten seiner Schüler die beste Fürsorge zuge-
wendet, hat auch außerhalb seines eigensten Gedankenkreises
technische Fragen, wie sie sich im Umgang mit den Kollegen
darboten, in der ihm eigenen Vielseitigkeit und Klarheit durch-
geführt, seiner Hauptarbeit an der Encyklopädie noch manche
feinsinnige Abhandlung verwandten Inhalts zugefügt, der An-
erkennung, die ihm (1909) durch Aufnahme in die Akademie
der Wissenschaften zu Teil wurde, sich aufrichtig gefreut.
Dann aber hat der schwankende Gesundheitszustand der Gattin,
eigene Beschwerden, der Zwang umfangreicherer Verpflich-
tungen, wie sie der Betrieb der größeren Hochschule mit ihren
mannigfachen Prüfungen mit sich brachte, nicht zuletzt die
immer drückender empfundenen Arbeiten an der Encyklopädie
den rechten Arbeitsmut und die ursprüngliche Schaffenskraft
nicht mehr recht aufkommen lassen. Ganz allmählich machten
sich die Anzeichen eines schweren inneren Leidens bemerkbar.
94 Nekrologe
bei dessen Fortschreiten er wohl empfand, daß er entsagen
müsse und daß die geistige Spannkraft, die er bis zuletzt be-
wahrte, dem ungleichen Kampfe unterliegen werde. Sein
Pflichtbewußtsein, die Sorge um die Gattin, Anteil für die
Freunde, die Kollegen und Schüler, der Gedanke an die über-
nommenen wissenschaftlichen Arbeiten hielten ihn noch auf-
recht. Er hat seine Pflichten erfüllt bis ans Ende mit der
Einfachheit, Wahrhaftigkeit und Treue, die sein ganzes Wesen
bezeichnet hat.
Have pia anima.
Have anima Candida.
V. Dyck.
Verzeichnis der Veröffentlichungen
von Heinrich Burkhardt. f i)
1. Inaugural-Dissertation : Beziehungen zwischen der Invariantentheorie
und der Theorie algebraischer Integrale und ihrer Urakehrungen.
München 1886. (26 S.)
Veröffentlichungen in verschiedenen Zeitschriften:
2. Beiträge zur Theorie der hyperelliptischen Sigmafunktionen. Math.
Ann. 32 (1888), 381-442.
3. Grundzüge einer allgemeinen Systematik der hyperelliptischen Funk-
tionen 1. Ordnung. Nach Vorlesungen von F. Klein. Math. Ann. 35
(1889), 189—296.
4. Über eine elliptische Multiplikatorgleichung. Göttinger Nachrichten
(1889), 553- 557.
5. Zur Theorie der Jacobischen Gleichungen 40. Grades, welche bei der
Transformation 3. Ordnung der Thetafunktionen von zwei Veränder-
lichen auftreten. Göttinger Nachrichten (1890), 376-382.
6. Untersuchungen aus dem Gebiet der hyperelliptischen Modulfunk-
tionen. Erster Teil. Math. Ann. 36 (1890), 371-434.
7. Untersuchungen aus dem Gebiet der hyperelliptischen Modulfunk-
tionen. Zweiter Teil. Math. Ann. 38 (1891), 171-224.
8. Die Anfänge der Gruppentheorie und Paolo Ruffini. Zeitschr. f. Math,
und Phys. 37 (1892), Supplement, 119-159;
auch italienisch:
Paolo Ruffini e i primordii della teoria dei gruppi. Annali di Mat. (2)
22 (1894), 175-212.
^) Nach der von Herrn Liebmann im Jahresbericht der Deutschen
Mathematiker -Vereinigung veröffentlichten Liste.
Nekrologe 95
9. Über einen fundamentalen Satz der Lehre von den endlichen Gruppen
linearer Substitutionen. Math. Ann. 41 (1892), 309-312.
10. Untersuchungen aus dem Gebiete der hyperelliptischen Modulfunk-
tionen. Dritter Teil. Math. Ann. 41 (1892), 313-343.
11. Zur Reduktion des Problems der 27 Geraden der allgemeinen Fläche
dritter Ordnung auf das Transformationsproblem der hyperellip-
tischen Funktionen p = 2. Göttinger Nachr. 1892, 1 — 5.
12. Über Funktionen von Vectorgrößen , welche selbst wieder Vector-
größen sind, eine Anwendung invariantentheoretischer Methoden
auf eine Frage der mathematischen Physik. Göttinger Nachrichten
(1893), 155—159.
Dasselbe auch, erweitert, unter demselben Titel. Math. Ann. 43
(1893), 197-215.
13. Über die Darstellung einiger Fälle der automorphen Primformen
durch spezielle Thetareihen. Math. Ann. 42 (1893), 185-214.
14. Sur les fonctions de Green relatives ä un domaine d'une dimension.
Soc. math. de France. Bull. 22 (1894), 71—75.
15. Beiträge zu den Untersuchungen über die Grundlagen der Geometrie.
Göttinger Nachrichten (1895), 114-118.
16. Über einige mathematische Resultate neuerer astronomischer Unter-
suchungen, insbesondere über irreguläre Integrale linearer Differen-
tialgleichungen. Chicago, Math. Congr. I (1875), 13—34.
17. Zur Theorie der linearen Scharen von Punktaggregaten auf algebra-
ischen Kurven. Göttinger Nachrichten (1896), 267—274.
18. Über Vectoranalysis. Deutsche Math. Ver. 5 (1897), 43 — 52.
19. Mathematisches und naturwissenschaftliches Denken. Antrittsvor-
lesung in Zürich, gehalten am 6. November 1897. Beilage zur
Allgemeinen Zeitung vom 22. November 1897.
Wieder abgedruckt: Deutsche Math. Ver. 11 (1902), 49—57.
20. Sur le principe de correspondance. Paris, C. R. 126 (1898, 1),
1854-1856.
21. Bemerkungen über das Rechnen mit Grenzwerten und Irrational-
zahlen. Zürich, Naturf. Ges. 46 (1901), 178-184.
22. Über Differentialgleichungen (Auszug aus einem Brief an G. v. Esche-
rich). Monatshefte f. Math. 12 (1901), 290—298.
23. Über Reihenentwicklungen nach oscillierenden Funktionen. Deutsche
Math. Ver. 12 (1903), 563—565.
24. Wie man vor Zeiten rechnete. (Rathausvortrag, gehalten in Zürich
den 14. November 1904.) Zeitschr. f. math. u. naturw. Unterr. 36
(1904), 9- 20.
25. Zu den Funktionen des elliptischen Zylinders. Deutsche Math. Ver.
15 (1906). 445.
96 Nekrologe
26. Über Interpolation durct Exponentialfunktionen. Göttinger Nach-
richten (1907), 160-162.
27. Zur Theorie der trigonometrischen Reihen und der Entwicklung
nach Kugelfunktionen. München, Akad. Ber. 39 (1909), Nr. 10 (23 S.).
28. Über den Gebrauch divergenter Reihen in der Zeit von 1750—1860.
Math. Ann. 70 (1911), 169-206.
Vorher bereits erschienen in: Gratulationsschrift zum 60. Ge-
burtstag von A. Pringsheim. Leipzig 1910, p. 41 -78.
29. Untersuchungen von Cauchy und Poisson über Wasserwellen. Mün-
chen, Akad. Ber. 42 (1912), 97-120.
30. Zur Geschichte der Interpolation durch Exponentialfunktionen (ge-
meinsam mit R. Kleeberg). Bibl. Math. (3) 13 (1913), 150-153.
31. Mathematische Miszellen aus der Vorlesungspraxis. Deutsche Math.
Ver. 22 (1913), 221—226.
32. Zur Theorie der Gammafunktion, besonders über ihre analytische
Darstellung für große Werte des Arguments. München, Akad.
Ber. 43 (1913), 383-396.
33. Über Funktionen großer Zahlen, insbes. über die näherungsweise Be-
stimmung entfernter Glieder in den Reihenentwicklungen der Theorie
der Keplerschen Bewegung. München, Akad. Ber. 44 (1914), 1 — 11.
34. Schwingungen unter den Einfluß einer dem Quadrat der Geschwin-
digkeit proportionalen Dämpfung. Zeitschr. f. Math. u. Phys. 63
(1914), 303—311.
Gesondert erschienene Werke und Abhandlungen:
35. Bernhard Riemann (Vortrag bei der am 20. Juli 1891 vom math.
Verein zu Göttingen veranstalteten Feier der 25. Wiederkehr des
Todestages). Göttingen 1891 (12 S.).
36. Funktionentheoretische Vorlesungen, I. Teil. Einführung in die
Theorie der analytischen Funktionen einer komplexen Veränder-
lichen. Leipzig 1897 (213 S.).
Bei den drei weiteren Auflagen (zweite 1904, dritte 1908, vierte
1912) heißt der Haupttitel: Funktionentheoretische Vorlesungen,
ersten Banden zweites Heft: Einfühi-ung etc.
37. Funktionentheoretische Vorlesungen, ersten Bandes erstes Heft: Alge-
braische Analysis. Leipzig 1903 (196 S.); 2. Auflage 1903.
38. Funktionentheoi-etische Vorlesungen, II. Teil: Elliptische Funktionen.
Leipzig 1899 (373 S.); 2. Auflage 1906.
39. Vorlesungen über die Elemente der üiflferential- und Integralrech-
nung und ihre Anwendung zur Beschreibung von Naturerscheinungen.
Leipzig 1907 (252 S.).
Nekrologe 97
Literaturbericht für die Deutsche Mathematiker-
Vereinigung:
40. Entwicklungen nach oszillierenden Funktionen und Integration der
Differentialgleichungen der mathematischen Physik. Jahresberichte
der Deutschen Mathematiker -Vereinigung, X. Band, 1901—1908,
(S. 1-1804).
Berichte in der Enzyklopädie der mathematischen
Wissenschaften:
41. Potentialtheorie (Theorie der Laplace-Poissonschen Differentialglei-
chung), gemeinsam mit Fr. Meyer (1896'. Math. Enzykl. Bd. III (39 S.).
42. Endliche diskrete Gruppen (1698). Math. Enzykl. Bd. I (18 S.).
43. Kontinuierliche Transformationsgruppen (gemeinsam mit L. Maurer)
(1900). Math. Enzykl. Bd. II (35 S.).
44. Trigonometrische Interpolation (Mathematische Behandlung perio-
disch"r Naturerscheinungen) (1914). Math. Enzykl. Bd. II (52 S.).
45. Trigonometrische Reihen und Integrale bis etwa 1850 (mit Beiträgen
von L. Berwald, A. Rosenthal und R. Kleeberg) (1914). Math. Enzykl.
Bd. II (236 S.).
Besprechungen:
40. E. Picard, Traite d' Analyse, T. 1 (1891), T. 2 (1893). Gott. gel. Anz.
189 t, Nr. 5, 365-374.
47. W. Wundt, Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis
und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 2 Bände, 2. Aufl.
1893—1894. Vierteljahr?chrift für wissenschaftliche Philosophie 19
(1895), S. 408-423.
48. Zahlreiche Referate im Jahrbuch der Fortschritte der Mathematik
in den Jahrgängen 22-25 (1890-1897).
Die Sektion für Zoologie und Anatomie der math. -physi-
kalischen Klasse hat im verflossenen Jahre den Verlust zweier
ihrer korrespondierenden Mitglieder zu beklagen. Am Anfang
des Jahres schied der Professor der Zoologie und vergleichenden
Anatomie, Geheimrat Dr. K. Chun, infolge eines schweren Herz-
leidens aus dem Leben.
Karl Chun, Sohn des Rektors der Frankfurter Weiß-
frauenschule, wurde am 1. Oktober 1852 in Höchst a. M. ge-
boren; er genoß seine Ausbildung auf dem alten Frankfurter
Gymnasium, welches er Ostern 1872 verließ, um sich in Göt-
tingen naturwissenschaftlichen und mathematischen Studien zu
Jahrbuch 1915. 7
98 Nekrologe ^^^^^^^^^^^^^^^^
widmen. Schon während seiner Gymnasialzeit wurde sein Inter-
esse für Biologie durch die Vorträge der Professoren am Sencken-
bergischen Museum Lucae, Noll, Geyler und von Fritsch
und durch eifrigen Besuch der naturwissenschaftlichen Samm-
lungen dieses Museums wachgerufen. Dies bestimmte ihn sich
der Zoologie zuzuwenden und zu dem Zweck Göttingen mit
Leipzig zu vertauschen, wo damals Leuckart eine außer-
gewöhnlich erfolgreiche Lehrtätigkeit entfaltete. Nachdem er in
Leipzig promoviert und bald darauf in Göttingen sein Examen
als Oberlehrer für beschreibende Naturwissenschaften, Chemie,
Physik und Mathematik abgelegt hatte, bot sich ihm Gelegen-
heit, ein Jahr an der zoologischen Station in Neapel zu ar-
beiten und sich mit der Untersuchung der Rippenquallen zu
befassen, deren monographische Bearbeitung er auf Veranlassung
des Direktors der Station, Anton Dohrn übernahm und im
Jahr 1880 zu Ende führte. Sie eröffnete in würdiger Weise die
Reihe der umfangreichen Untersuchungen, welche die zoologische
Station in Neapel unter dem Titel , Flora und Fauna des Golfs
von Neapels" veröffentlicht. Nachdem er noch ein Jahr Assistent
am zoologischen Institut Marburg gewesen war, kehrte er nach
Leipzig zurück, um sich daselbst im Jahr 1878 für Zoologie
zu habilitieren. Gleichzeitig übernahm er die Assistentenstelle
am zoologischen Institut und trat dabei in enge freundschaft-
liche Beziehungen zu seinem Lehrer Leuckart, dessen Lieb-
lingsschüler er gewesen ist und dessen Nachfolger er 1898
wurde, nachdem er zuvor die Professur der Zoologie von
1882—1891 in Königsberg, von 1891—1898 in Breslau be-
kleidet hatte.
Eine große Rolle im Leben Chuns spielten seine häufigen
Aufenthalte am Meer und seine Beschäftigung mit der pela-
gischen Organismen weit desselben. Wiederholt war er ein
Gast in der zoologischen Station von Neapel, wo er auch Ge-
legenheit hatte, seine Lebensgefährtin, die Tochter Karl Vogts,
kennen zu lernen. Von Neapel aus besuchte er Messina und
Corsica. Während seiner Königsberger Zeit benützte er einen
Winteraufenthalt auf den kanarischen Inseln zu ausgedehnten
Nekrologe 9Ö
zoologischen Untersuchungen. Indem er auf diese Weise die
Methoden der pelagischen Fischerei nicht nur kennen lernte,
sondern auch vervoUkommete und sich mit den wissenschaft-
lichen Problemen der Meeresforschung vertraut machte, be-
reitete er sich auf sein größtes Lebenswerk, die Deutsche
Tiefsee-Expedition vor, deren Programm er mit der ihm
eigenen begeisterten und begeisternden Beredsamkeit auf der
Braunschweiger Versammlung Deutscher Naturforscher und
Arzte im Jahre 1897 entwickelte. Gestützt auf die allgemeine
Zustimmung, welche er auf dieser Versammlung und ferner seitens
seiner Fachkollegen gefunden hatte, konnte er sich an die Reichs-
regierung mit der Bitte wenden, ihm die für die Forschungs-
reise nötigen, sehr beträchtlichen Mittel zur Verfügung zu
stellen. Da sowohl die Reichsregierung, wie die Hamburg-
Amerika-Linie, welche das Schiff „Valdivia" zur Verfügung
stellte und an ihm die für seine wissenschaftlichen Aufgaben
nötigen Umbauten vornahm , das größte Entgegenkommen
zeigten, konnte er schon am 1. August 1898, begleitet von
einem auserwählten Stab jüngerer Zoologen, Botaniker, Ozeano-
graphen und Zeichner, unter der Leitung vortrefflicher See-
offiziere, die Ausfahrt von Hamburg antreten. Im Frühjahr
1899 kehrte die Expedition mit einer über alle Erwartungen
reichen Ausbeute zurück, und nun trat an Chun die Aufgabe
heran, neben seiner akademischen Tätigkeit an der Universität
Leipzig, welche er nach seiner Rückkehr begann, sich den
aus der Expedition erwachsenen Arbeiten zu widmen und die
wissenschaftliche Verwertung der Ausbeute zu organisieren.
Dies geschah unter Hilfe zahlreicher Mitarbeiter in dem großen,
wundervoll ausgestatteten Werk: „Wissenschaftliche Ergeb-
nisse der deutschen Tiefsee-Expedition auf dem Dampfer Val-
divia", an welchem er sich selber durch die Bearbeitung der
Tintenfische beteiligte. Leider ist es ihm nicht vergönnt ge-
wesen, den Abschluß des gesamten Werks, von dem bisher 20,
den größten Teil der Ausbeute behandelnde Bände erschienen
sind, zu erleben; ebensowenig gelang es ihm den zweiten Teil
seiner Cephalopoden- Monographie abzuschließen. Die letzten
1 00 Nekrologe
Jahre seines Lebens wurden durch schweres Leiden, unter
dem auch seine Arbeitsfähigkeit zu leiden hatte, getrübt.
Ln November 1908 erfuhr er durch ein von der Wand herunter-
fallendes Hirschgeweih eine Verletzung, in deren Gefolge sich
eine langwierige, sein Leben wiederholt gefährdende Krankheit
entwickelte. Kaum hatte er diese Gefahren überwunden, als
sich ein rasch zunehmendes Herzleiden ausbildete, welchem er
am IL April 1914 zum Opfer fiel.
Durch seine intensive Beschäftigung mit der Meeresfauna
wurde Chun veranlaßt, sich eingehender mit der horizontalen
und vertikalen Verbreitung des Planktons zu befassen. Im
Gegensatz zu Agassiz verfocht er mit Glück die Auffassung,
daß die im Wasser schwebenden Tiere alle Schichten des Meeres
bevölkern , wenn auch nicht mit gleicher Häufigkeit. Am
reichsten entwickelt im Bereich der Schichten, in denen ein-
dringendes Licht die Existenz des Phytoplankton, der Nähr-
quelle jeglichen Lebens, ermöglicht, nimmt die Menge der
Tiere nach den größten Meerestiefen zu ab, ohne aber in
irgend einer Zone ganz zu verschwinden. Weiter gelangte er
zu der allerdings noch viel umstrittenen Ansicht, daß arktische
und antarktische pelagische Fauna sich erheblich von der inter-
mediären Fauna wärmerer Klimazonen unterscheiden, unter
einander aber durch Gemeinsamkeit einer Anzahl von Arten
übereinstimmen, eine Übereinstimmung, die er durch die An-
nahme zu erklären suchte, daß durch die niederen Temperaturen
des Tiefenwassers und durch Meeresströmungen ein Forraen-
austausch ermöglicht werde.
Im übrigen vertrat Chun sowohl in seinen eigenen Arbeiten
als auch in den meisten Arbeiten, zu denen er seine zahlreichen
Schüler anregte, die systematisch-biologische Richtung in
der Zoologie, welche die mannigfachen Anpassungen der Tiere an
ihre Lebensbedingungen zu erklären und den kausalen Zusam-
menhang zwischen Bau und Funktion der Organe aufzudecken
sucht; er schloß sich in dieser Hinsicht der Arbeitsweise seines
Lehrers Leuckart an, mit Avelchem ihn Gleichartigkeit der
wissenschaftlichen Neigungen und Begabung aufs engste verband.
Nekrologe 101
Seiner meisterhaften Monographie der Rippenquallen folgten
seine Bearbeitungen der Siphonophoren und seine unter dem
Namen Atlantis zusammengefaßten Untersuchungen über
die Anpassungen der Planktonorganismen an ihre Umgebung,
sowie zahlreiche kleinere Veröffentlichungen. Rücksichtlich
der Siphonophoren vertrat er im Gegensatz zu Haeckel
den einheitlichen Charakter und die systematische Zusammen-
gehörigkeit der Ordnung, indem er auf entwicklungsgeschicht-
lichem und vergleichend anatomischem Weg auch für die
Disconanthen Haeckels den gleichen Aufbau nachwies,
wie er für die übrigen Siphonophoren gilt. Aus der
„Atlantis" verdienen besonders hervorgehoben zu werden einer-
seits das Kapitel, welches die Schwebevorrichtungen plank-
tonischer Tiere behandelt, andererseits der Abschnitt über die
Anpassungen des Arthropodenauges an die Helligkeitsgrade,
welche in den verschiedenen Tiefenhorizonten des Meeres
herrschen. In letzterer Hinsicht fand Chun ein ausgezeich-
netes Untersuchungsobjekt in den Augen der ScMzopoden,',
er kam dabei zu folgenden Resultaten. Die Schizopoden
besitzen zum Teil ein gleichförmig kugeliges Facettenauge;
es sind das die oberflächlich schwimmenden Arten. Bei Zu-
nahme der Tiefe des Aufenthaltsorts sondert sich jedes Auge
in zwei Teile, ein den gewöhnlichen Bau fortführendes Seiten-
auge und ein für die Abnahme der Lichtintensität eingerichtetes
Stirnauge, letzteres ausgezeichnet durch enorme Verlängerung
der Augenkeile und Armut des Retinapigments, wodurch eine
bessere Ausnutzung des Lichts ermöglicht wird. Je mehr
sich der Charakter von Dunkeltieren ausprägt, umso mehr
breitet sich das Stirnauge auf Kosten des Seitenauges aus, bis
wir zu Formen gelangen, bei denen das Seitenauge nicht mehr
vorhanden ist.
Wenn die Beschäftigung mit der pelagischen Tierwelt
den größten Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit Chuns aus-
gefüllt hat, so kam das daher, daß sie in hervorragender
Weise seinen Neigungen entsprach. Chun war neben seiner
wissenschaftlichen Begabung eine Künstlernatur, welche in
102 Nekrologe ^^1
der getreuen Wiedergabe der Formenschönheit der Plankton-j
tiere ihre Befriedigung fand; er war ein Meister der Be-|
Schreibung und der bildlichen Darstellung. Seine Tafeln der!
Cienophoren gehören zu dem Schönsten, Avas in der Zoologie!
in Bezug auf Tafelschmuck geleistet worden ist. Beide Be-I
gabungen kamen ihm auch in seiner akademischen Lehr-
tätigkeit zugute. Er war ein glänzender Redner, der durch
die Lebhaftigkeit seiner Schilderungen seine Hörer in außer-
gewöhnlicher Weise zu fesseln, durch Zeichnungen an der
Tafel das Gesagte vorzüglich zu erläutern und durch geist-
reiche Auffassung des Stoffs anregend auf den engeren Kreis
seiner Schüler zu wirken wußte. Kein Wunder daher, daß
die letzteren auch außerhalb des Instituts in regem Verkehr
mit ihrem Lehrer standen und ihn als einen zweiten Vater
verehrten, wie dies bei der Feier seines 60. Geburtstags zu
lebhaftem Ausdruck kam.
Gleiches Ansehen genoß Chun im Kreise seiner Fach-
genossen und seiner Universitätskollegen. Für seine Universitäts-
stellung war von Wichtigkeit, daß er kein einseitiger Fach-
gelehrter war, sondern an allen Fragen des Universitätslebens
den lebhaftesten Anteil nahm. Er war ein tätiges Mitglied
des Ausschusses, welcher sich die Förderung der Leibesübungen
der Studierenden und damit die kräftigere Entwicklung unserer
akademischen Jugend zur Aufgabe gestellt hat. Als Leipzig
sein 500 jähriges Stiftungsfest feierte, unterzog er sich, obwohl
noch an den Folgen seiner Verletzung schwer leidend, der
mühsamen Aufgabe, den historischen Festzug zu organisieren
und löste dieselbe in glänzendster Weise. Da er mit diesem
lebhaften Sinn für das allgemeine Interesse in außergewöhn-
licher Weise die Gabe der Repräsentation besaß, wurde ihm
schon nach verhältnismäßig kurzem Aufenthalt in Leipzig im
Jahr 1907 das verantwortungsvolle Amt des Rektors der
Universität übertragen. Durch die Art seiner Amtsführung
hat er das Vertrauen, welches seine Kollegen ihm entgegen-
brachten, vollauf gerechtfertigt. Sein allzu früher Tod wurde
daher allgemein als ein schwerer Verlust empfunden, besonders
Nekrologe 103
von der Universität Leipzig und der Königlichen sächsischen
Gesellschaft der Wissenschaften, in vs^elcher er seit dem Jahre
1906 die Stelle eines Sekretärs der mathematisch-physikalischen
Klasse bekleidete. An der Trauer dieser beiden wissenschaftlichen
Anstalten nimmt auch unsere Akademie lebhaften Anteil.
Hartwig.
Eduard Suess war ein Mann von durchaus eigenartigem
und selbständigem Wesen. Er entstammte einer alten pro-
testantischen Familie Sachsens und sein Vater war österreichi-
scher Industrieller. Er war geboren am 20. August 1831 in
London, kam zu seiner Ausbildung auf die technische Hoch-
schule nach Prag und dann nach Wien. 1852 wurde er Custos-
Adjunkt am K. Mineralienkabinett, 1857 a. o. Professor für
Paläontologie an der Wiener Universität und 1862 in gleicher
Eigenschaft für Geologie. 1867 erhielt er die ordentliche Pro-
fessur für Geologie, welche er bis zum Jahre 1901 inne hatte.
1898 bis 1911 war er Präsident der Akademie der Wissen-
scliaften und starb in seinem 83. Lebensjahre am 26. April 1914.
Von Haus aus zum Erwerbsleben bestimmt, sollte er auf
der technischen Hochschule in Prag sich darauf vorbereiten,
aber seine Neigung zu der Naturwissenschaft trat sogleich
hervor. Schon in seinem 20. Lebensjahre veröffentlichte er
eine Arbeit über die böhmischen Graptolithen, die hauptsäch-
lich deshalb bemerkenswert ist, weil sich in ihr bereits der für
Sueß so bezeichnende Trieb, dem engen Gebiet der Einzel-
beobachtung weite Gesichtspunkte abzugewinnen, deutlich kund
gibt. Weshalb er sich zunächst gerade der Versteinerungs-
kunde zugewandt hat, ist nicht bekannt, doch erscheint es
wahrscheinlich, daß das Halbdunkel, in das damals die Palä-
ontologie noch gehüllt war, auf ihn einen besonderen Reiz
ausübte. Seine nun folgenden Brachiopodenstudien und ebenso
die mit Oppel zusammen verfertigte Arbeit über die Äquiva-
lente der Köessener Schichten in Schwaben (1856) fanden
allgemeinen Anklang. Sueß war Autodidakt. Seiner großen
Begabung und Lust zur akademischen Lehrtätigkeit fehlten
104 Nekrologe ^IHH^^^H
die formalen Vorbedingungen, weshalb er sich als Privat-
dozent an der Universität Wien nicht habilitieren konnte.
Trotzdem wurde er 1857 durch den Einfluß Haidingers zum
a. o. Professor für Paläontologie ernannt. Damit begann eine^
Periode von 44 jähriger Dauer, die sowohl für ihn als Lehrer,
als auch für seine Zuhörer ein ungewöhnliches Ausmaß von
wissenschaftlicher Anregung und Förderung brachte. Seine
neuen Ideen pflegte er so, wie sie in ihm langsam entstanden,
hier vorzutragen, oft jahrelang bevor er sie in ausgereifter
Form veröffentlichte. Im Vortrag wie in seinen Schriften
hatte er die gleiche Darstellungsweise und den gleichen Stil,
formvollendet und bestrickend. Aber nur höchste Aufmerk-
samkeit konnte den Sinn seiner Worte ganz zu erfassen hoffen.
Er gab aus der Fülle seiner Ideen so manche grundlegende
Anregung, deren weitere Ausarbeitung er anderen gerne über-
ließ. So z. B. veröffentlichte er über die systematische Auf-
fassung der Ammoniten 1865 eine kleine Schrift; es waren
Leitmotive, die dann aber zunächst von einigen seiner Schüler
weiter verfolgt wurden und schließlich zu jener Flut von Am-
monoideen-Arbeiten führten, an denen er selbst sich nicht
weiter beteiligte, weil er sich inzwischen längst anderen Ge-
bieten zugewandt hatte. Mehr als die ausschließlich paläonto-
logischen fesselten ihn bald die stratigraphisch - paläonto-
logischen Themata, wie z. B. die Gliederung der österreichi-
schen Tertiärablagerungen (1866) und die der Trias- und
Jurabildungen in den Ostalpen (1867-68); und das führte
ihn weiter bis zu den großen geologischen Problemen der
Entstehung der Alpen (1875) und endlich zu dem des Baues
und der Entstehung der ganzen Erde, dem er in seinem
Meisterwerke, im „Antlitz der Erde" (1883—1909) eine Dar-
stellung gab, die in der geologischen Literatur einzig dasteht.
Alle ähnlichen Versuche früherer Autoren treten diesem Werke
gegenüber in den Schatten, Es übertrifft sie sowohl durch
den Ideenreichtum als auch durch seine kunstvolle Form und
selbst, wenn es nach Jahren in vielen Punkten durch den
Fortschritt der geologischen Forschungen überholt sein wird,
Nekrologe 105
wird es doch noch als der erste großzügige Versuch, den Ge-
samtbau der Erdkruste verstehen zu lernen und dem Endziel
der Geologie zuzustreben, bewundert werden. Seine wissen-
schaftlichen Arbeiten, die sich auf einen Zeitraum von über
60 Jahren verteilen, bekunden eine fortgesetzte Steigerung,
die dadurch bedingt ist, daß Sueß sein Arbeitsgebiet beständig
erweiterte und vertiefte bis zum letzten Augenblick. Er ge-
hörte zu den Glücklichen, denen selbst im höchsten Alter das
Altern erspart blieb. A. Rothpletz.
Am 5. Juni 1914 starb das korrespondierende Mitglied
Ludimar Hermann, Professor der Physiologie an der Universität
Königsberg.
Ludimar Hermann Avurde am 21. Oktober 1838 in Berlin
geboren. Die Studienzeit verbrachte er in der Heimatstadt,
wo ihn die Vorlesungen der Physiologen Johannes Müller
und du Bois-Reymond besonders anzogen. Seine Neigung
für die Physiologie entwickelte sich stetig weiter. Er wurde
Famulus bei du Bois-Reymond, assistierte Pflüger bei
den Vorlesungen und praktizierte bei Hoppe- Seyler, dem
späteren Leiter des physiologisch-chemischen Laboratoriums in
Straßburg. Nach der Promotion, die auf Grund einer physio-
logischen Dissertation über den Tonus der Skelettmuskeln er-
folgte, und nach dem Bestehen des Examen rigorosum im
Jahre 1860 ließ er sich zunächst als praktischer Arzt nieder,
arbeitete aber stets experimentell und literarisch auf dem Ge-
biet der Physiologie. Nach kurzer Unterbrechung seiner Tätig-
keit durch den Schleswig - Holsteiner Krieg, in dem er sich
als Arzt auszeichnete, gab er seine Praxis auf und habilitierte
sich 1865 in Berlin. Bald darauf war er ein Semester lang
Assistent von du Bois-Reymond. In dieser Zeit dürfte sich
die Meinungsverschiedenheit mit seinem früheren Lehrer ent-
wickelt haben, die später zu einem heftigen wissenschaftlichen
Streit führte. Die Lösung der unerquicklichen Verhältnisse,
die für Hermann dadurch entstanden, brachte im Jahre
1868 ein Ruf nach Zürich als Vertreter der Physiologie. In
106 ^'^^I^V Nekrologe ^^^V^
dieser Stellung war er bis 1884 in ununterbrochener reger
Arbeit tätig. 1884 wurde er nach Königsberg berufen. Hier
war er 1902/03 Rektor der Universität. Bald nach seinem
70. Geburtstag erkrankte er an Carcinom. Mit staunenswerter
Energie überwand er die Folgen einer tiefeingreifenden Opera-
tion und erfüllte, trotzdem eine fast vollständige Erblindung
seine Leiden noch vergrößerte, die Pflichten seines Amtes,
bis zum Jahr 1913, in dem er von seinem Lehramt zurücktrat.
Ein Rezidiv der heimtückischen Krankheit setzte seinem Leben
ein Ende.
Hermann war einer der vielseitigsten und fruchtbarsten
Physiologen. Es ist unmöglich seine gesamte wissenschaft-
liche Tätigkeit auch nur oberflächlich in dem engen Rahmen
eines Nekrologes zu schildern. Nur seiner wichtigsten Lei-
stungen kann hier gedacht werden. Seine Hauptarbeitsrichtung
erstreckte sich auf das Gebiet der Nerven- und Muskelphysio-
logie, vor allem auf die elektrischen Erscheinungen am Nerven
und Muskel, weiter auf die Theorie der Stimmbildung und
schließlich auf die physiologische Akustik.
Von du Bois-Reymond war die Grundlage für unsere
Kenntnis der elektrischen Erscheinungen, die sich am Nerven
und Muskel abspielen, gelegt worden. Zunächst hatte er die
schon von Mateucci behauptete Tatsache, daß sich ein künst-
licher Querschnitt des Nerven oder Muskels negativ gegenüber
der unversehrten Oberfläche verhält, durch eine folgerichtig
ausgebildete Methodik sicher gestellt. Er führte diese Er-
scheinung auf die Anwesenheit von Molekeln zurück, die in
der Längsrichtung des Nerven oder Muskels eine elektromoto-
rische Kraft besitzen. Sie sollten vorgebildet, die elektro-
motorische Kraft also schon vor der Anlegung des Quer-
schnitts vorhanden sein. Gewisse Einzelerscheinungen, vor
allen das Verschwinden der elektromotorischen Gegensätze an
den natürlichen Enden der Fasern bereiteten der du Bois-
Reymondschen Hypothese Schwierigkeiten, die ihn zu einigen
Hilfsannahmen von verwickelt aufgebauten Molekeln nötigten.
Hermann wandte sich gegen die tatsächlichen Grundlagen
Nekrologe 107
der du Bois-Reymondschen Aufstellung und damit auch gegen
seine Theorie. Er leugnete die Präexistenz der elektromoto-
rischen Gegensätze und behauptete, daß sie erst durch das
Anlegen des Querschnittes selbst erzeugt würden. Dadurch
sollte ein Absterben der lebenden Substanz, die sogenannte
Demarkierung, hervorgerufen werden, die veränderte Substanz
sollte sich negativ gegenüber der unveränderten verhalten.
Durch diese Kritik, die er noch als Assistent des Berliner
physiologischen Instituts übte, kam er in unversöhnlichem
Gegensatz zu dem berühmten Mann. Eine Reihe von sorg-
fältig durchgeführten, zum Teil sehr schwierigen Versuchen,
bestätigte zunächst die Tatsache, daß die unverletzte Nerven-
und Muskeloberfläche stromlos ist. Weiter glaubte er durch
genaue Zeitmessungsmethoden ermittelt zu haben, daß der
Demarkationsstrom nicht sofort nach dem Durchschneiden
vorhanden ist, sondern eine gewisse Zeit zur Entwicklung
braucht. Die Entwicklungszeit, die neuerdings von Garten
nochmals genauer bestimmt wurde, ist jedoch so kurz, daß ihre
Existenz nicht als sicherer Beweis für die Hermannsche An-
nahme von der Demarkation bzw. dem Absterben der lebenden
Substanz an dem Querschnitt angesehen werden kann. Es ist
schwer anzunehmen, daß die eigentlichen Absterbeprozesse so
rasch einsetzen. So ist auch in der neueren Zeit die Her-
mannsche Anschauung durch andere Deutungsversuche ver-
drängt worden. Im Anschluß an eine von Ostwald ausge-
sprochene Idee führt man die elektromotorischen Kräfte auf
Differenzen in der Salzzusammensetzung verschiedener Schichten
zurück, welche die Eigenschaften von semipermeablen Mem-
branen besitzen. Man baut also die neuere Anschauung auf
die Lehre der physikalischen Chemie auf. In diesen Ver-
suchen ist schon das Unbefriedigende in der Hermannschen
Anschauung zum Ausdruck gebracht. Sie ist keine Theorie
in dem Sinn, wie sie die Physiologie erstreben muß, nämlich
eine Zurückführung auf physikalische oder chemische Prinzi-
pien, ja schließlich kann man sagen, daß die du Bois-Rey-
mondsche Molekulartheorie im Prinzip eher dieser Forderung
108 Nekrologe ^^^11
Genüge leistet. Nur ist du Bois-Reymond bei dem Aus-
denken seiner Moleküle zu willkürlich verfahren. Es sind
keine Moleküle, wie sie der Physiker oder der Chemiker kennt,
sondern vitale Moleküle, sozusagen zurechtgeschnitten für den
Hausgebrauch des Physiologen. Die du Bois-Reymondsche
Molekulartheorie umschreibt eigentlich nur die Tatsachen in
einer Sprache, die zu seiner Zeit sehr geläufig war. Wenn
man die kleinen Teilchen beliebig bilden und kombinieren
kann, ohne ihre Berechtigung an der Hand der streng phy-
sikalischen Theorien prüfen zu müssen, kann man durch sie
dem Ganzen jede beliebige Eigenschaft erteilen. Es erscheint
gewiß nicht ausgeschlossen, daß eine Molekulartheorie wieder
einmal hier Geltung erhalten könnte, aber nur eine solche,
die auf der Grundlage der neueren physikalischen Anschauung
über den Aufbau des Stoffes aus Atomen, Elektronen und
komplizierteren Elementargebilden aufgestellt ist. In dem
Kampf zwischen der Anschauung du Bois-Reymonds und
derjenigen Hermanns kann man vielleicht so einen Reflex
von dem allgemeinen erkenntnistheoretischen Zwiespalt er-
kennen, der mit wechselndem Erfolg der beiden Richtungen
seit langer Zeit die Naturwissenschaften durchzieht. Der
Widerspruch Hermanns gegen die Molekular theorie von du
Bois-Reymond entsprang wohl zum Teil der damals auf
allen Gebieten der Naturwissenschaften wachsenden Abneigung
gegen die Molekulartheorien überhaupt, die sich auf die Er-
folglosigkeit vieler derartiger recht unbekümmert aufgestellter
Konstruktionen gründete. Die Molekulartheorien wurden durch
eine Betrachtungsreise verdrängt, die ihr Endziel in der klaren
und geordneten Beschreibung der Erscheinungen erblickte. In
der neuesten Zeit ist dann wieder der Rückschlag eingetreten.
Wenn man die Frage nach der Richtigkeit der Molekular-
theorien ganz außer Acht läßt, so scheint es fast, als ob sie
für die logische Entwicklung der Gedanken und für die Lust
am Ausdenken am geeignetsten wären. Denn selbst ganz
naive Konstruktionen haben sich besonders in der Biologie
oder Physiologie heuristisch sehr wertvoll erwiesen. So ist
Nekrologe 109
vielleicht auch Hermann gerade durch das Problematische
der du Bois-Reymondschen Theorie zum Widerspruch gereizt
worden und der Kampf der Meinungen, der sich entsponnen hat,
hat eine Reihe für die Auffassung der Lebensvorgänge wich-
tige Tatsachen gefördert, von denen eine große Anzahl von
Hermann selbst in mühevollen und mit strenger Kritik durch-
geführten Versuchen aufgefunden worden ist.
Für die Fortentwicklung der Lehre von der tierischen
Elektrizität war von noch größerer Bedeutung die klare For-
mulierung der elektrischen Erscheinungen, die bei der Tätig-
keit des Nerven, der Erregung, auftreten, durch Hermann.
Er stellte das Gesetz des Aktionsstromes auf.
Die experimentellen Unterlagen waren hauptsächlich durch
du Bois-Reymond und Bernstein geliefert worden. Beide
Forscher waren aber in der Enkenntnis gehemmt, durch die
Meinung du Bois-Reymonds, daß die elektrischen Gegen-
sätze schon bei dem ruhenden Organ vorhanden, die Er-
scheinungen während der Tätigkeit integrierend mit dem
Ruhestrom verbunden seien. Hermann faßte die gesamten
Erscheinungen, die während der Erregung auftreten, in dem
einfachen Satz zusammen „die erregte Stelle verhält sich ne-
gativ gegenüber der unerregten ". Aus dieser Regel lassen
sich alle Einzelerscheinungen ableiten. Hermann hat sofort
die zwei Hauptformen als diphasische und monophasische
Aktionsströme bezeichnet. Der erstere zeigt sich, wenn die
Elektroden an zwei unversehrten Stellen des Nerven liegen,
der letztere, wenn eine von ihnen an einem künstlichen Quer-
schnitt angebracht ist. Der Satz hat sich in der Folge so
bewährt, wie Hermann selbst vielfach auch für die im Körper
befindlichen Organe gezeigt hat, daß man ihn selbst dann als
giltig annehmen muß, wenn wie bei dem Herzen die Anord-
nung der Muskelfasern eine bis jetzt noch nicht vollständig
aufgelöste Verwicklung der Erscheinungen erzeugt. Hermann
ist noch einen Schritt weiter gegangen bei der Bildung seiner
Regel. Er hat seine Meinung über die Entstehung des Ruhe-
stromes mit derjenigen für die Entstehung des Aktionsstromes
110 Nekrologe
verwoben in die sogenannte Alterationstheorie, nach der die
alterierte Substanz, ob sie nun durch Absterben oder Erres-ung:
verändert wird, sich negativ gegenüber der unveränderten ver-
hält. Wenn er auch diese Annahme auf eine Reihe von Er-
scheinungen, die am Nerven oder Muskel beobachtet worden
sind, besonders auf die von ihm betonte Ähnlichkeit der Toten-
starre und der natürlichen Konstraktion des Muskels stützen
kann, so sind die Begriffe Erregungen und Absterben doch
so wenig geklärt, als daß man durch ihre Heranziehung be-
friedigt sein könnte. Man wird sich nicht damit zufrieden
geben können, dals ein physiologischer Vorgang durch einen
eigentlich noch dunkleren erklärt wird. Es ist selbstverständ-
lich, daß einen so gut mathematisch und physikalisch gebil-
deten Kopf wie Hermann diese Anschauungen nicht voll
befriedigen konnten, so viele Anerkennung sie gefunden haben
und so oft sie nachgesprochen worden sind. Er hat wieder-
holt Versuche gemacht, sie durch physikalische Hypothesen zu
ersetzen. Dazu diente ihm vor allen die Ausbildung der Lehre
von den Kernleitern. Schon Mateucci hatte eine Kombination
von metallischen und flüssigen Leitern aufgefunden, die eine
Reihe der am Nerven beobachteten elektrischen Erscheinungen
zeigt, den sogenannten Kernleiter. Hermann zeigte, daß
wichtige elektrische Phänomene des Nerven vollständig am
Kernleiter reproduzierbar sind. Auf der anderen Seite aber
ergab die von Hermann entwickelte Theorie des Kernleiters,
die zu einer der Differentialgleichung für die Wärmeleitung
analogen Beziehung führte, daß wohl eine an einer Stelle des
Kernleiters gesetzte elektrische Veränderung sich mit einer
gewissen, relativ geringen, Geschwindigkeit über den Kernleiter
fortpflanzen kann, daß aber diese Wellen, ähnlich wie die
Wärmewellen, keine konstante Geschwindigkeit und außerdem
ein sehr starkes Dekrement besitzen, was den Beobachtungen
der Aktionsströme nicht entspricht. Es muß also noch irgend
ein Vorgang bei dem Nerven stattfinden, der an dem Kern-
leiter nicht möglich ist. Hermann hat früher chemische
Veränderuntjen an der Grenze zwischen Hülle und Kern ver-
Nekrologe 111
antwortlich gemacht, später hat er zugleich mit ähnlichen
Erklärungsversuchen von Hoorweg und M. Cremer darauf
hingewiesen, daß durch die Annahme einer starken aber nur
schwer erklärbaren Selbstinduktion statt der Wärmegleichung
die Wellengleichung resultiert. Eine abschließende rein physi-
kalische Theorie der Leitung der Erregung im Nerven ist
also bis jetzt noch nicht gegeben worden. Das erste Auf-
treten einer elektrischen Veränderung, die durch den Reiz
bewirkt wird, hat Hermann überhaupt nicht in den Kreis
seiner Betrachtungen gezogen. Hierfür hat Nerst seine The-
orie aufgestellt, die aber noch wesentlicher Modifikationen be-
darf, um wichtige Erscheinungen zu erklären. Jedenfalls hat
Hermann in diesem Gebiet der Physiologie so bedeutsam ein-
gegriffen, daß sein Name stets mit ihm verbunden bleibt.
Wenn die Theorien naturgemäß nicht abgeschlossen, sondern
in Fluß sind, so bleiben doch die von Hermann in einer
Fülle von höchst sorgfältigen, kaum antastbaren Versuchen, er-
zielten Ergebnisse für alle Zeiten von grundlegender Bedeutung.
Ein weiteres Lieblingsgebiet von Hermann war die Bil-
dung der Vokale und Konsonanten. In sinnreicher Weise
wandte er den Phonographen an, um die schon früher haupt-
sächlich von Helmholtz vertretene Anschauung neu zu stützen,
daß jedem Vokal ein oder wenige charakteristische Töne zu-
kommt, deren Höhe von dem eigentlichen Stimmton relativ
unabhängig bleibt. Er nannte diese charakteristischen Töne
Formanten. Die Existenz dieser Formanten stellte er durch
photographische Registrierung der Vokalsschwingungen, ferner
durch Analyse der Phonographenkurven fest. Daß sie für den
Charakter der Vokale notwendig sind, bewies er dadurch, daß
er einen reproduzierenden Phonographen, auf dessen Walze
ein Vokal registriert war, mit verschiedener Geschwindigkeit
laufen ließ. Bei starker Abweichung der Geschwindigkeit von
der bei dem Ansprechen wirkenden, wurde der Charakter des
Vokals vollständig vernichtet. Künstliche Vokalsynthesen, die
Hermann auf Grund der von ihm gewonnenen Registrierung
vornahm, bestätigten die Richtigkeit der Helmholtzschen und
112 Nekrologe
seiner Anschauung. Der Formantton, der unharmonisch zu dem
Stiramton sein kann, ist nach Hermann, wie auch schon
frühere Autoren angenommen hatten, der Eigenton der je
nach der Natur des Vokals geformten Mundhöhle. Nicht
sehr einfach ist die Erregung des Eigentons zu erklären.
Hermann nimmt anders wie Helmholtz an, daß die durch
Anblasen der Mundhöhle erfolgt, „daß der Mundresonator in
jeder Periode des Stimmklanges einmal auf kurze Zeit vom Ex-
spirationsstrom angeblasen wird". Wohl durch diese Unter-
suchungen ist Hermann zu neuen Anschauungen über die
Schallwahrnehmungen gekommen. Auf Grund einer Reihe
von vorher bekannten Tatsachen und neuen Versuchen ver-
wirft er die Helmholtzsche Resonatorentheorie. Vor allem sind
die Tartinischen Töne nicht durch die Resonatorentheorie er-
klärbar, aber auch nicht die von Hermann selbst untersuchten
Unterbrechungstöne. Hermann sieht sich daher genötigt,
die Annahme zu machen, daß das Gehörorgan jede Rhythmik
als Ton zur Empfindung bringt, auch wenn der Rhythmus
auf einen Resonator nicht wirken kann. Er leugnet nicht,
daß resonatorenartige Apparate im Ohr vorhanden sein könnten.
Aber ihre Existenz reicht nicht aus, die verschiedenen Phäno-
mene der Schallempfindungen zu erklären. Wenn die Her-
mannsche Kritik der Helmholtzschen Theorie sich schließlich
als richtig erweisen sollte, so würde im gewissen Sinn das
Fehlschlagen des Helmholtzschen Deutungsversuches zu be-
dauern sein. Es ist das Zugeständnis, daß wir eine wirkliche
Erklärung des physiologischen Vorganges noch nicht einmal
begonnen haben. Hermann faßt das Resultat seiner Kritik
selbst so auf, wenn er sagt, „es fehlt also noch an einem
befriedigenden Verständnis des musikalischen Hörens." Man
wird aber doch noch nicht das Bestreben aufgeben dürfen, dem
Element aller Schwingungsvorgänge, der einfachen harmoni-
schen Schwingung, seine prinzipielle Bedeutung zu sichern.
Es gibt fast kein Gebiet der Physiologie mit dem sich
Hermann in wissenschaftlichen Untersuchungen nicht be-
schäftigt hätte. Bei aller Universalität, die sonst leicht von
Nekrologe 1 1 3
Problem zu Problem hetzt, nur dazu verleitet, an der Ober-
fläche zu bleiben, war Hermann nirgends dilettantisch, son-
dern immer kritisch, durchdringend sorgfältig und inter-
essant. Aus vielen Untersuchungen spricht sein mathematisch
hervorragend geschulter Geist. Die Neigung für die Mathe-
matik hat ihn wiederholt dazu geführt, Vorlesungen über die
Grundzüge der Differential- und Integralrechnung für Medizin-
studierende zu halten. Wenn man sich auch über den blei-
benden Erfolg derartiger Belehrungen nicht täuschen darf, so
haben sie zweifellos ein gewisses Interesse und auch einen
gewissen Rfspekt vor dieser Wissenschaft bei den Zuhörern
erreicht. Es sind aber nicht bloß physikalische Probleme, die
Hermann behandelt hat. Wer sein bekanntes Lehrbuch der
Physiologie durchgearbeitet hat, weiß, daß Hermann auch
in der physiologischen Chemie originelle Anschauungen ent-
wickelt hat. In seine ganze Denkweise sind chemische Vor-
stellungen tief eingedrungen. Er war ja Schüler von Hoppe-
Seyler. Maßgebend hierfür ist auch sein Eintritt in die Wissen-
schaft mit der Arbeit über den Stoffwechsel der Muskeln
gewesen. Sie war mitbestimmend für die Aufstellung seiner
Alterationstheorie. Muskelstarre und Muskelkontraktion sind
nach ihm ähnliche Vorgänge. Von der Klarheit des Denkens
auch auf diesem Gebiet zeigt besonders seine Anschauung über
die Verdauungsvorgänge. Er ist einer der ersten gewesen, der
sie als hydrolytische Spaltungen charakterisiert hat. Noch
moderner mutet seine Auffassung über den Zweck dieser Spal-
tung an, den er so angibt: „Die Spaltung erfolgt vielleicht
nicht ausschließlich im Interesse der Resorption, sondern sie
liefert auch ein geeigneteres Material für die assimilatorischen
Synthesen; etwa wie zum Drucken eines Buches der Satz
schon gedruckter Bücher nicht verwendbar wäre, wenn er nur
in Wörter, statt in die einzelnen Buchstaben, zerlegt ist."
Unwillkürlich wird man daran erinnert, daß Adolf Fick, dessen
Arbeitsrichtung vorzugsweise sich auf die physikalische Seite
der Physiologie erstreckte, höchst eigenartige und fruchtbare
Gedanken über den Chemismus im Organismus entwickelt und
Jahrbuch 1915. 8
114 Nekrologe
damit wiederholt in die Stoffwechsellehre entscheidend ein-
gegriffen hat.
Die Vielseitigkeit Hermanns zeigt sich besonders in
seinem Lehrbuch der Physiologie, das in vielen Auflagen ge-
druckt worden ist. Es ist bei den jüngeren Medizinern wegen
seiner Kürze, vielleicht auch wegen der Schärfe der Deduktion
und der hohen Ansprüche an die Vorkenntnisse in der Physik
und der Chemie nicht gerade beliebt. Aber um so mehr bietet
es dem Fachmann eine Fülle von Anregungen. Es ist weit
mehr als eine Kompilation und mit vielen originellen Gedanken
durchsetzt. Die gründliche Kenntnis des Gesamtgebietes machte
Hermann auch in erster Linie berufen, das bekannte Hand-
buch der Physiologie im Zusammenwirken mit bedeutenden
deutschen Physiologen seiner Zeit und den lange Jahre hin-
durch von ihm allein verfaßten Jahresbericht herauszugeben.
Das Verschwinden der markanten Persönlichkeit Her-
manns vom Schauplatz des Lebens hat eine klaffende Lücke
in die Reihe der Physiologen Deutschlands gerissen, die nur
schwer auszugleichen ist. £^ j
Adolf Lieben wurde am 3. Dezember 1836 in Wien ge-
boren. Er wurde in den Elementar- und Mittelschulfächern
zu Hause unterrichtet und bezog schon in jungen Jahren die
Hochschule seiner Vaterstadt, in der Absicht, sich den Natur-
wissenschaften und im besonderen der Chemie zu widmen. Er
hörte bei Redtenbacher und Schrötter, aber wie viele junge
Chemiker jener Zeit zog auch ihn der Ruf Bunsens nach
Heidelberg, wo er im Jahre 1857 den Doktorgrad erwarb. Zur
weiteren Ausbildung begab sich dann Lieben zu längerem
Aufenthalt nach Paris in die Meisterschule der organischen
Chemie von Würtz. Die Societe chimique de France" fand
damals in dem jungen österreichischen Chemiker einen ihrer
Mitbegründer. Nach einer kurzen Abschweifung in die che-
mische Industrie — Lieben wurde auf Empfehlung von Dumas
in der Fabrik von Kühlmann in Lille angestellt — kehrte er
zur Wissenschaft zurück, habilitierte sich im Jahre 1861 in
Nekrologe 115
Wien und wurde im Jahre 1863 auf Vorschlag von Cannizzaro,
den er im Würtzschen Laboratorium kennen gelernt hatte und
der anläßlich des Karlsruher Kongresses (1861) auf ihn auf-
merksam geworden war, nach Palermo als Vizedirektor des
dortigen Universitätslaboratoriuras berufen. Vier Jahre später
kam er als Nachfolger von Piria nach Turin und von dort
1871 in sein Heimatland zurück durch einen Ruf, den die
deutsche Universität in Prag an ihn ergehen ließ. Vom Jahre
1875 an bis 1906, bis zur Erreichung der gesetzlichen Alters-
grenze, lehrte und forschte er dann in Wien, wo er, noch bis
an sein Lebensende in stetem Kontakt mit seiner Wissenschaft,
am 6. Juni 1914 starb.
Liebens Arbeiten bewegen sich fast ausschließlich auf
dem Gebiet der organischen Chemie. An der experimentellen
Begründung der zu Beginn seiner Tätigkeit mächtig aufstreben-
den Strukturchemie hat er wichtigen Anteil genommen durch
systematischen Aufbau der einfachsten Alkohole. Neben
manchem experimentellen Befund, der heute zu den Elementen
der organischen Chemie gehört, verdankt man ihm die bekannte
Jodoformreaktion des Methylalkohols. Sein eigentliches
Lebenswerk, dem er mit außerordentlicher Liebe und Gründ-
lichkeit nachgegangen ist, war das Studium der Aldolkon-
densation, einer interessanten, den aliphatischen Aldehyden
eigentümlichen Verkettungsreaktion, die von Lieben in vor-
bildlicher Weise bearbeitet wurde. Von den wenigen Arbeiten,
welche die große Zahl seiner Abhandlungen über dieses Thema
unterbrechen, ist besonders bemerkenswert die Untersuchung
und Konstitutionsermittlung der Chelidonsäure. Die aus-
gezeichnete Lehrtätigkeit Liebens prägt sich in der großen
Zahl hervorragender Schüler aus. Hier seien nur genannt:
Paternö, Balbiano, Kachler, Skraup, Auer von W^els-
bach, Zeisel, Hailinger, Natterer, Vortmann.
Wieland.
116 Nekrologe m
Veit Brecher Wittrock entstammte, wie er dem Verfasser
mitteilte, einer aus Holstein nach Schweden eingewanderten
Familie. Er wurde geboren am 5. Mai 1839 in Holm (Dals-
land). 1857 bezog er die Universität Upsala, wo er auch eine
Zeitlang als Lehrer für Botanik, Zoologie und englische Sprache
an einer Privatschule wirkte. 1866 habilitierte er sich dort
als Dozent der Botanik, wurde 1871 Extraordinarius und siedelte
im selben Jahre als Professor an die Stockholmer Hochschule
über. In der Landeshauptstadt bekleidete er zugleich auch
wichtige Verwaltungsämter. So war er 1879 — 1904 Inten-
dant der botanischen Abteilung des „Naturhistorischen Reichs-
museums", und seit lo79 Vorstand des „hortus Bergianus" ;
auch als Abgeordneter der zweiten Kammer des schwedischen
Reichstags war er 1888 — 90 tätig.
Von diesen Ämtern wurde besonders von Bedeutung die
Vorstandschaft des „hortus Bergianus". Dieser Garten war all-
mählich durch das Wachstum der Stadt so wertvoll geworden,
daß sein Verkauf die Anlage eines neuen großen wissenschaft-
lichen Instituts ermöglichte. Dieses zu einem in jeder Beziehung
ganz vortrefflichen ausgestaltet zu haben, ist Wittrocks eigen-
stes Verdienst. Er war nicht nur der wissenschaftliche Leiter
sondern auch sein eigener Garteninspektor.
1885 wurde die Verlegung nach „Frascati" durchgeführt.
An einem landschaftlich reizvollen Platz am Mälarsee wurde
mit feinem Verständnis ein eigenartiger, sehr lehrreicher Garten
errichtet, von dessen umfangreicher wissenschaftlicher Tätigkeit
mehrere Bände der „Acta horti Bergiani" Zeugnis geben. Dort
konnte man Wittrock, der früher viel gereist war, aber seit
1885 Schweden wohl kaum mehr verlassen hat, und sich immer
mehr zum „Original" entwickelte, inmitten seiner „Iconotheca
botanica" — einer Sammlung von etwa 4000 Botanikerbildern —
jederzeit in eifrigster Tätigkeit antreffen.
Auch im Hochsommer war er (weil er, wie er sich aus-
drückte, zu den „Kaltblütern" gehöre) von zwei Pelzmänteln
umhüllt; seine Nahrungsaufnahme beschränkte sich auf ein
Minimum. Trotzdem erreichte er ein hohes Alter. Am 5. Mai
Nekrologe 117
1914 wurde unter reger Teilnahme seiner Freunde und Ver-
ehrer sein 75. Geburtstag gefeiert. Am 1. September desselben
Jahres starb er.
Seine wissenschaftliche Tätigkeit bewegte sich hauptsäch-
lich auf dem Gebiete der Algologie, dem des Artbegriffes und
der Prinzipien der Systematik und dem der Geschichte der
Botanik.
Auf allen diesen Gebieten hat er Vortreffliches geleistet,
am wichtigsten sind wohl seine Arbeiten auf dem zweitgenannten
geworden. Hier können nur kurz einige Hauptpunkte hervor-
gehoben werden.
Algologische Untersuchungen sind in Schweden seit der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Vorliebe gepflegt
worden. Angeregt wohl von dem älteren Areschoug hat auch
Wittrock sich auf diesem Gebiete zunächst betätigt. Ab-
gesehen von zahlreichen Beiträgen zur systematischen Kennt-
nis von Algenformen (Oedogoniaceen , Zygnemaceen u. a.),
waren besonders seine Untersuchungen über die vorher so gut
wie unbekannten Pithophoraceen wichtig (1876).
Die schöne Abhandlung über die Flora des ewigen Schnees
und Eises lehrte eine überraschend große Anzahl von Algen
kennen, die unter Bedingungen leben, die auf den ersten Blick
als Negation pflanzlichen Lebens erscheinen. Seine Unter-
suchungen zur Art-Frage waren zugleich auch für Aufklärung
von Problemen, die sich auf den Ursprung der Kulturpflanzen
beziehen, wichtig. So gelang es ihm in seinen „Violastudien"
nicht nur den Polymorphismus von V. tricolor aufzuklären,
sondern auch die Entstehung der Kulturformen durch Ba-
stardierung (aus drei Arten) nachzuweisen — eine Unter-
suchung, auf welche in den Erörterungen über die Mutations-
theorie vielfach Bezug genommen wurde.
Eine andere ausgedehnte Untersuchungsreihe bezog sich
auf Linnaea borealis und in seinem Versuchsgarten wuchsen
noch eine Anzahl anderer Pflanzen (Salvia pratensis, Stellaria
media u. a.), die er in ähnlicher Weise zu bearbeiten gedachte.
118
Nekrologe
Seine Fähigkeit, das prinzipiell Wichtige kurz und gena
in Worten wiederzugeben, kam ihm auch für seine historischen!
Studien zugute. Nicht nur schilderte er z. B. Linnes Bedeu
tung für die Botanik mit besonderer Liebe, die Ausführungen,
die er den von ihm veröffentlichten Botanikerbildern beigab, sin
auch eine Geschichte der Botanik in nuce, wie denn das ganze
Unternehmen in einer so unhistorischen Zeit wie der unsrigen
als ein besonders dankenswertes bezeichnet werden muß.
Nur eine große Energie und ein besonderes Geschick in
der Ausnützung der Zeit konnte eine so reiche Tätigkeit er-
möglichen, wie sie Wittrock vergönnt war.
Goebel
Am 5. November 1914 starb der Senior der deutschen
Zoologen wirklicher Gelieimer Rat August Weismann, Professor
emeritus der Zoologie an der Universität Freiburg i. B., seit
dem Jahr 1884 Mitglied unserer Akademie. Mit ihm schied
einer der hervorragendsten und zugleich sympathischsten Ver-j
treter der biologischen Wissenschaften aus dem Leben.
August Weismann wurde am 17. Januar 1834 in Frank-
furt a. M, als Sohn eines Gymnasialprofessors geboren. Durcl
die künstlerischen Neigungen seiner Eltern, besonders seinei
Mutter, welche selbst eine ausübende Malerin war, wurde dasi
Herz des heranwachsenden Knaben mit lebhaftem Kunst-1
Interesse erfüllt, welches durch häufigen Besuch des Staedel-
schen Instituts und Teilnahme an dem daselbst erteilten Zeichen-
unterricht wirksame Förderung erfuhr und auch dem gereiften
Mann bis zu seinem Lebensende treu blieb. Dasselbe wandte
sich später vor allem der Musik zu, für welche sowohl Weis-
mann selbst wie seine spätere Gemahlin eine hervorragende
Begabung besaßen und die ihm in den schweren Stunden lang-
jährigen Leidens eine Trösterin wurde. Frühzeitig wurde auch
das Interesse für Naturwissenschaften rege. Noch als Gym-
nasiast sammelte Weismann Schmetterlinge, Käfer und Pflanzen
und erwarb sich systematische Kenntnisse, welche ihm bei
Nekrologe 1 1 ö
seinen späteren wissenschaftlichen Untersuchungen zur De-
szendenztheorie von großem Vorteil wurden. Vorübergehend
wurden diese biologischen Neigungen infolge der Vorträge
des Professors Böttger am Senckenbergischen Institut zu
Gunsten der exakten Wissenschaften, vor allem der Chemie,
in den Hintergrund gedrängt, so daß Weismann, als es galt
nach bestandenem Abiturienten-Examen sich für einen Lebens-
beruf zu entscheiden, geneigt war Chemie zu studieren. Die
Notwendigkeit sich für ein Brotstudium zu entscheiden, führte
aber zur Wahl der Medizin, wobei der Rat des öfters nach
Göttingen kommenden Wo hier maßgebend war. Immerhin
wirkten die chemischen Neigungen noch längere Zeit nach
und waren Ursache, daß Weismann in Göttingen sich an
der Lösung einer chemisch-physiologischen Preisarbeit (über
die Entstehung der Hippursäure im Harn der Pflanzen-
fresser, 1857) beteiligte und sogar später ein Jahr lang Assi-
stent am chemischen Institut zu Rostock wurde, wo er aber-
mals eine chemische Preisaufgabe löste (Über den Salzgehalt
der Ostsee, 1858).
Nach Abschluß seiner medizinischen Studienzeit in Göttingen
und zwei Jahren Assistententätigkeit an der Klinik und dem
chemischen Laboratorium in Rostock kehrte Weis mann 1858
nach seiner Vaterstadt Frankfurt zurück, um sich als prak-
tischer Arzt niederzulassen , ohne jedoch in seiner neuen
Tätigkeit Befriedigung zu finden; und so benutzte er die
Muße, welche ihm seine Praxis gönnte, zu mikroskopisch-
biologischen Untersuchungen über den Bau der Muskulatur,
welche ihn zur Unterscheidung zweier Typen des Muskel-
gewebes führten. Beim Ausbruch des französisch-italienischen
Kriegs gegen Österreich trat er als Militärarzt in die badische
Armee ein, nahm aber, als Deutschland in den Krieg nicht ver-
wickelt wurde, Urlaub, um in den österreichischen Lazaretten
Oberitaliens tätig zu sein und nach dem Friedensschluß eine
Reise nach den wichtigsten Kunststätten Oberitaliens zu unter-
nehmen. Diese Reise wurde für seine Zukunft insofern be-
deutungsvoll, als er in Genua freundschaftliche Beziehungen
120 Nekrologe
zur Familie Gruber anknüpfte und später die Tochter des
Hauses als treue verständnisvolle Lebensgefährtin heimführte.
Nach Frankfurt zurückgekehrt, entschloß sich Weismann
sich ganz der Zoologie zu widmen; zu dem Zweck verbrachte
er einige Monate in Paris am Jardin des Plantes und später
kurze Zeit in Grießen im Laboratorium Leuckarts mit selb-
ständigen Arbeiten beschäftigt. Seinem Entschluß wurde er
auch nicht untreu, als er Gelegenheit hatte Leibarzt des Erz-
herzogs Stephan zu werden, welcher auf seinem Schloß
Schaumburg a. d. Lahn in größter Zurückgezogenheit lebte.
Im Gegenteil, die reiche Muße, welche ihm seine Stellung bot,
benutzte er, um seine zoologischen Kenntnisse auszubauen und
seine ersten umfangreicheren Untersuchungen speziell zoolo-
gischen Inhalts (Über die Entwicklungsgeschichte der Insekten)
zu beginnen und der Hauptsache nach auch abzuschließen.
Nach zweijähriger Tätigkeit in Schaumburg legte Weis-
mann seine Stelle als Leibarzt nieder und habilitierte sich
am Anfang des Jahres 1863 für Zoologie in der medizinischen
Fakultät der Universität Freiburg i. B. Für seine Wahl des
Orts war, wie er selbst sagt, der „bezaubernde Eindruck"
maßgebend, den „das stille liebliche, im Grün seiner Reben
eingebettete Städtchen mit seinem lindenbepflanzten Wall,
den klaren „Bächle" in den Straßen und dem prächtig ernsten
stimmungsvollen Münster auf ihn machte". 3 Jahre später
wurde er außerordentlicher Professor; 1874 wurde er zum
ordentlichen Professor der Zoologie in der philosophischen
Fakultät ernannt, als erster, welcher diese vordem nicht exi-
stierende Stellung bekleidete. Er ist diesem seinem Wirkungs-
kreis bis zum Jahr 1911 treu geblieben, wo die zunehmende
Bürde des Alters ihn veranlaßte, von seiner so außergewöhnlich
erfolgreichen Lehrtätigkeit zurückzutreten. Von dem ihm so
teuer gewordenen Freiburg hat ihn nur der Tod trennen können.
Gleichwohl hatte es ihm nicht an Gelegenheit gefehlt, den in
den ersten Jahrzehnten seiner Lehrtätigkeit sehr bescheidenen
Wirkungskreis, der erst in späteren Jahren durch den außer-
ordentlichen Aufschwung der Universität sich zu einem glän-
Nekrologe 121
zenden gestaltete, gegen Stellungen an größeren Universitäten
einzutauschen. Von den an ihn ergangenen Rufen nach
Breslau, Bonn und München war besonders der letztere für
ihn sehr verlockend gewesen, da die Stadt für seine viel-
seitigen künstlerischen Interessen, vor allem für seine Liebe
zur Musik ein starker Anziehungspunkt war.
In die erste Zeit seiner Tätigkeit als Privatdozent in
Freiburg fiel ein harter Schicksalsschlag, welcher auch für
die Richtung, die Weismanns wissenschaftliche Tätigkeit
genommen hat, von großer Bedeutung geworden ist. Im
Sommer 1864, während der Leitung eines mikroskopischen
Kurses, wurde er plötzlich von einem schweren Augenleiden
befallen, welches ihm auf viele Jahre das Arbeiten mit dem
Mikroskop unmöglich machte und ihn zwang, auch das Lesen
und Schreiben einzuschränken. Es begann für den Erkrankten
eine Leidenszeit, so daß er wiederholt vor die Frage gestellt
war, ob er nicht ganz auf seine zoologische Laufbahn ver-
zichten solle. Nach 2 jähriger völliger Unterbrechung der
Lehr- und Arbeitstätigkeit in den Jahren 1870/1871, die er
zum Teil in Italien verbrachte, konnte Weismann zunächst
seine Vorlesungen und vom Jahr 1874 ab — nach 10 jähriger
Unterbrechung — auch wieder die mikroskopischen Arbeiten
beginnen. Immerhin blieben die Augen der Schonung be-
dürftig und nach weiteren 10 Jahren war der Zustand wieder
so ungünstig, daß er zwar die mikroskopischen Präparate
seiner Schüler kontrollieren, aber auf eigene mikroskopische
Untersuchungen gänzlich verzichten mußte. Im letzten Jahr-
zehnt seines Lebens war er sogar darauf angewiesen, sich
vorlesen zu lassen. Es ist begreiflich, daß diese Verhältnisse
auch auf die Entwicklung von Weismanns wissenschaftlicher
Arbeitsweise ihren Einfluß ausüben mußten. Er wurde genötigt,
mehr in die methodische geistige Durcharbeitung des Materials
als in die Sammlung neuer Beobachtungen den Schwerpunkt
seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu verlegen. Diese Arbeits-
weise wurde noch weiter durch den Charakter der damaligen
Zeit begünstigt. Es war die Zeit, in welcher die Darwin-
122 Nekrologe
sehe Theorie, wenige Jahre vorher veröffentlicht, im Mittel-
punkt des wissenschaftlichen Interesses stand und ihren Sieges-
lauf begann. Weis mann gehörte zu den ersten, welche die
große Bedeutung der neuen Theorie in ihrer ganzen Trag-
weite erkannten und nicht nur für die Abstammungslehre im
weiteren Sinn, sondern auch für die besondere Form, welche
ihr Darwin durch seine Selektionstheorie gegeben hat, mit
aller Entschiedenheit eintraten. In die Zeit seines ersten
schweren Augenleidens fallen daher außer einigen Veröffent-
lichungen, welche auf vorausgegangene mikroskopische For-
schungen Bezug haben, nur zwei kleinere Schriften, welche
bestimmt waren die Berechtigung der Darwinschen Theorie
nachzuweisen und sie gegen die Migrationstheorie M. Wagners
zu verteidigen.
Als nach 10 jähriger, mit bewundernswerter Geduld er-
tragener Krankheit eine erfreuliche Besserung im Zustand
seiner Augen Weis mann gestattete von neuem mit eigenen
wissenschaftlichen Arbeiten zu beginnen, war es das rückhalts-
lose Eintreten für die Selektionstheorie und die außergewöhnliche
Schärfe und Konsequenz, mit der er alle mit dem Darwinismus
zusammenhängenden Fragen durchdachte, welche für seine
gesamte weitere Arbeitsweise charakteristisch wurden. So
erschienen eine Reihe Epoche machender Werke und kürzerer
und längerer Aufsätze, welche den bis dahin nur wenig hervor-
getretenen Gelehrten in kurzer Zeit in die Zahl der ersten
lebenden Zoologen stellten und seinem Namen eine weit über
die Fachkreise und sein engeres Vaterland hinausreichende
Berühmtheit verliehen.
Die Reihe seiner Untersuchungen eröffneten seine Studien
zur Deszendenztheorie, welche durch ein glückliches Zu-
sammenwirken von Experiment und Beobachtung ganz neues
Licht über den Saisondimorphismus der Schmetterlinge, über
die Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung der Raupenzeichnungen
und die merkwürdigen Erscheinungen der Axolotlverwand-
lung verbreiteten. Ihm galt es durchzuführen, daß die Um-
bildung der Arten durch kleine, durch die Zuchtwahl befestigte
Nekrologe 123
Abänderungen erfolge. Besonders glücklich war er dabei in
der Erklärung der Metamorphose des Axolotl, welche bis
dahin allgemein wenn auch mit Unrecht geradezu als ein
Schulbeispiel der sprunghaften Variation gegolten hatte. Weis-
mann wies nach, daß die Metamorphoso des kiementragenden
Axolotl zum Salamander ähnlichen Amhlystoma kein Neuerwerb
sei, sondern eine Rückkehr zur normalen Entwicklungsweise,
daß es sich dagegen um eine Entwicklungshemmung handele,
wenn der Axolotl vielfach zu einer Zeit, in welcher er noch
die Kiemen besitzt, geschlechtsreif werde.
Eine weitere Bestätigung der Zuchtwahllehre erblickte
Weismann in den Portpflanzungserscheinungen der Daphniden.
Auch hierbei wurde durch gewissenhafte Beobachtung, metho-
dische Züchtung und experimentelle Untersuchung ein reiches
empirisches Material gewonnen und in scharfsinniger Weise
ausgenutzt, um die Entstehung der zyklischen Fortpflanzung
dieser Tiere zu erklären. Weismann kommt zum Schluß,
daß der Übergang der parthenogenetischen Fortpflanzung zur
geschlechtlichen Fortpflanzung nicht unmittelbar von den
äußeren Existenzbedingungen abhänge, sondern Folge einer
konstitutionellen erblichen Beschaffenheit sei, welche durch
den Kampf ums Dasein herangezüchtet wurde.
Unter dem Einfluß der mitgeteilten Untersuchungen ent-
wickelte sich Weismann immer mehr zu einem Gegner der
Lamarckistischen Lehre, daß die Anpassung der Organismen
an ihre Umgebung von dieser selbst bestimmt werde, indem
der Wechsel der Existenzbedingungen die Organe entweder
unmittelbar oder vermöge ihrer veränderten funktionellen In-
anspruchnahme umgestalte. Hierbei wurde er auf die Probleme
der Vererbung geführt, welche ihn während der letzten Dezennien
seines Lebens fast vollkommen beschäftigten; er entwickelte
eine Theorie der Vererbung, welche er mit einem bewunderns-
werten Scharfsinn und großer Konsequenz nach allen Richtungen
ausbaute. Zu einer derartigen theoretischen Forschungsweise
hatte er um so mehr Veranlassung, als die erneute Zunahme
seines Augenleidens ihn immer mehr zwang die eigene Be-
124 Nekrologe
obachtungstätigkeit einzuschränken und für diese Beschränkung
seiner Forschertätigkeit in der Förderung theoretischer An-
schauungen Ersatz zu suchen.
Die Grundlage dieser Vererbungstheorie ist die Lehre von
der Kontinuität des Keimplasma, die Lehre, daß in den
Geschlechtszellen, wie auch andere Forscher zum Teil schon
vor ihm auseinandergesetzt haben, eine besondere Vererbungs-
substanz, das „ Keim pl asm a", enthalten sei; dieses werde von
einer Generation auf die nächstfolgende übertragen, da ja die
Geschlechtszellen eines vielzelligen Organismus durch Teilung
die Geschlechtszellen der folgenden Generation liefern, wie sie
selbst durch Teilung von den Geschlechtszellen der voraus-
gegangenen Generation entstanden sind. Weismann formulierte
auf Grund dieser Lehre einen Gegensatz zwischen den Geschlechts-
zellen einerseits, welche, indem sie seit den Anfängen des Lebens
eine von Generation zu Generation fortlaufende Reihe bilden,
potentiell unsterblich seien, und den dem Tod früher oder
später verfallenden Körperzellen andererseits. In seiner Mono-
graphie „Die Entstehung der Sexualzellen der Hydromedusen"
führt er an einer bestimmten Tiergruppe durch, daß diese
Differenzierung von „somatischen" Zellen und Geschlechtszellen
je nach den Arten bald früher bald später erkennbar werde.
Da den Frotozoen vermöge ihrer Einzelligkeit der Gegensatz
zwischen Soma und Geschlechtszellen noch fehle, seien diese
im gleichen Sinn wie die Geschlechtszellen der vielzelligen
Tiere unsterblich.
Auf Grund dieser scharfen Unterscheidung von Geschlechts-
und Körperzellen leugnete Weismann die Möglichkeit, daß
Veränderungen der Körperzellen, wie sie durch den Einfluß
der Umgebung oder den verschiedenen Gebrauch der Organe
hervorgerufen werden, gleichsinnige Veränderungen an den
Geschlechtszellen und durch deren Vermittelung an den von
den Geschlechtszellen abstammenden Tochterorganismen veran-
lassen können. Er wurde damit immer mehr zum Hauptgegner
der Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften,
welche die Voraussetzung des Lamarekismus ist, und zu
Nekrologe 125
einem radikalen Verteidiger der Selektionslehre, welche er in
zahlreichen Schriften, vor allem in seinen , Vorträgen über
die Deszendenztheorie" und in seinem Werk „Die Allmacht
der Naturzüchtung" gegen die zunehmende Zahl ihrer
Gegner verteidigte. In diesem Kampf gegen die Lehre von
der Erblichkeit erworbener Eigenschaften hat Weismann
sich ein sehr großes Verdienst erworben, welches auch von
denen, welche seine Ansichten nicht teilen, rückhaltlos an-
erkannt wird. Ihm gebührt das Verdienst, in überzeugender
Weise dargetan zu haben, daß die vielen in der Literatur
lange Zeit aufgeführten Beispiele für die Existenz erworbener
Eigenschaften, namentlich für die Erblichkeit von Verstüm-
melungen, ein völlig unzureichendes Beweismaterial seien.
Damit ergab sich die Notwendigkeit, mit neuen exakten
Methoden, vor allem mit Hilfe des Experiments die ungeheuer
wichtige Frage zu prüfen.
Den Abschluß von Weismanns Vererbungstheorie bildet
seine , Determinantenlehre", welche einerseits die Frage
nach der Konstitution der Erbsubstanz zu beantworten sucht,
andererseits die Frage, in welcher Weise die Erbsubstanz im
Lauf der Ontogenie sich entfaltet und Ursache wird, daß die
anfänglich gleichen oder gleich aussehenden Embryonalzellen
sich differenzieren und das Material der verschiedenen Organ-
anlagen liefern.
Weismann faßt in seiner Determinantenlehre den Orga-
nismus als ein Mosaik von Eigenschaften auf, dem im Keim
ein Mosaik von Anlagen entspricht. Jede Eigenschaftsanlage
besitzt in dem Keimplasma ein materielles Substrat in Form
eines kleinsten Teilchens; diese Träger der Eigenschaftsanlagen
sind die Determinanten oder Iden; sie sind nach Weismann
entsprechend den auch von anderen Seiten entwickelten Lehren
in den Chromosomen enthalten, welche Anhäufungen von Iden,
Idanten sind. Indem sich im Lauf der Embryonalentwicklung
die Determinanten auf dem Wege „erbungleicher Teilung"
auf die einzelnen Zellgruppen verteilen, lösen sie in ihnen
Differenzierungsvorgänge aus und werden Ursache, daß die
126 Nekrologe
im Keim präformierte, aber unseren Sinnen nicht wahrnehm-
bare Verschiedenartigkeit zum Ausdruck gelangt.
Mit seiner Theorie der Vererbung verband Weismann
die Frage nach dem Wesen und der Bedeutung der Be-
fruchtung. Im Befruchtungsprozeß der vielzelligen Tiere
und Pflanzen sind zwei Vorgänge kombiniert: 1. die Entwick-
lungserregung, vermöge deren das bis dahin entwicklungs-
unfähige Ei die Möglichkeit gewinnt sich zu teilen und einen
neuen Organismus zu liefern, 2. die Vereinigung der im Ei
enthaltenen mütterlichen mit der vom Spermatozoon gelieferten
väterlichen Erbmasse, ein Vorgang, für welchen Weismann den
neuen Namen „Amphimixis" eingeführt hat. Nach Weis-
mann ist das Wesentliche an der Befruchtung die Amphimixis.
In ihr erblickt er einen wichtigen Faktor für die Entstehung
neuer Arten. Denn indem bei der Befruchtung eine neue
Kombination von Eigenschaften eintrete, nämlich der vom
Vater stammenden mit denen der Mutter, werde die nötige
Variabilität herbeigeführt, deren die Natur bedürfe, um auf
dem Weg der Auslese neue Arten zu erzeugen.
Die hier versuchte kurze Skizze von Weismanns wich-
tigsten Forschungen wird es verständlich machen, daß jahr-
zehntelang seine Anschauungen der Gegenstand lebhaftester
Erörterungen gewesen sind, und sein Name auch außerhalb der
engeren Kreise der Fachgenossen sich hohen Ansehens erfreute.
Viel hat dazu auch beigetragen, daß er eine fest in sich
geschlossene wissenschaftliche Persönlichkeit war, welche in
ganz außergewöhnlicher Weise es verstand, sich in ein Problem
zu vertiefen. Auch wer ihn nicht kannte, mußte aus seinen
Werken das Gefühl gewinnen, daß alle seine Lehren der Aus-
fluß einer ernsten, auf reicher Gedankenarbeit beruhenden
Überzeugung waren. In dieser mit großer Lehrbefähigung
gepaarten Überzeugungstreue ist der große Lehrerfolg bedingt,
welchen er trotz der durch sein Augenleiden bedingten Schwierig-
keiten bei der heranwachsenden Jugend hatte. In seinen Vor-
lesungen über Deszendenztheorie vereinigte er Angehörige der
verschiedensten Fakultäten. Sein Institut war der Sammel-
Nekrologe 127
punkt zahlreicher Spezialschüler, aus deren Zahl eine Reihe
unserer tüchtigsten Zoologen hervorgegangen sind. Wenigen
Zoologen sind so reiche wissenschaftliche Ehrungen zuteil
geworden, an denen sich Bayern durch seine Ernennung zum
auswärtigen Mitglied unserer Akademie und durch die Verleihung
des Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft beteiligte.
Hartwig.
Nils Christofer Duner, geboren am 21. Mai 1839 in Bille-
berga (Provinz Schonen), Schweden, wo sein Vater Pfarrer
war, wurde nach bestandenem Abiturientenexamen 1855 Student
in Lund, wo er 1862 den Doktorgrad erwarb. Bereits 1858
wurde er als Extra- Assistent an der Sternwarte, und 1859 am
Physikalischen Institut in Lund angestellt. 1862 wurde er
dann zum ordentlichen Assistenten und 1864 zum Observator
der Lunder Sternwarte ernannt. Am 30. September 1887 er-
folgte seine Ernennung zum a. o. Professor der Astronomie an
der Universität Lund. Schon im folgenden Jahr wurde er
aber nach Upsala als ordentlicher Professor an der Universität
und Direktor der Sternwarte berufen. In dieser Stellung blieb
er, bis er 1909 als Emeritus in den Ruhestand trat. Die letzten
Jahre verlebte er zuerst in Upsala und siedelte später, Ende
September, 1914 nach Stockholm über.
In den letzten Monaten waren seine Kräfte etwas herab-
gemindert, doch konnte er noch im August eine Reise nach
Helgum im nördlichen Schweden vornehmen, wo er die totale
Sonnenfinsternis beobachtete. Ungefähr zur Zeit seiner Über-
siedlung nach Stockholm verschlimmerte sich seine Krankheit
aber plötzlich, und nach einigen Wochen, am 10. November
1914, verschied er.
Von den zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten Duners
mögen hier nur einige der wichtigsten erwähnt werden. Nach-
dem der große Refraktor der neuen Sternwarte in Lund im
Jahre 1867 aufgestellt worden war, begann Dunör eine syste-
matische Beobachtung der Doppelsterne nebst einer eingehenden
Diskussion der älteren Beobachtungen. Die Resultate dieser
128 Nekrologe
umfassenden Arbeiten sind in der 1876 veröffentlichten Ab-
handlung „Mesures micrometriques d'etoiles doubles, faites a
l'Observatoire de Lund, suivies de notes sur leurs mouvements
relatifs" vereinigt. Diese Abhandlung, bekanntlich eine der
Hauptquellen für die Kenntnis der Doppelsterne, stellte Duner
in die erste Reihe der Doppelsternforscher.
Nach Beendigung dieser Arbeit widmete sich Duner u. a.
dem Studium der Fixsternspektra. Er unternahm eine syste-
matische genaue Untersuchung der Spektra der rötlichen und
roten Sterne (dritte Vogelsche Klasse). Die hauptsächlichsten
Resultate dieser Untersuchungen faßte er in der bekannten
Arbeit „Sur les etoiles ä spectre de la troisieme classe" (1884)
zusammen.
Die vielleicht hervorragendste Arbeit Duners war seine
auf spektroskopischem Wege nach dem Dopplerschen Prinzipe
ausgeführte Untersuchung über die Rotation der Sonne. Die
im Jahre 1891 veröffentlichte Abhandlung „Recherches sur
la rotation du Soleil" enthält die Ergebnisse seiner in Lund
ausgeführten Messungen. Mehrere Jahre später nahm er in
Upsala diese Arbeit wieder auf, diesmal in Verbindung mit
0. Bergstrand. Diese späteren Untersuchungen über die
Sonnenrotation, die der Hauptsache nach eine Bestätigung der
in Lund erlangten Resultate lieferten, sind in der Abhandlung
„Über die Rotation der Sonne, zweite Abhandlung" (1906)
veröffentlicht.
Schließlich seien unter den übrigen Arbeiten Duners hier
nur erwähnt seine in Gemeinschaft mit F. Engström aus-
geführten Zonenbeobachtungen der Sterne zwischen 35" und
40 "^ Deklination für den Katalog der Astronomischen Gesell-
schaft und seine Entdeckungen und Untersuchungen betreffend
den Lichtwechsel der veränderlichen Sterne, insbesondere der
Algolsterne Y Cygni und Z Herculis. In den Astr. Nachr.
hat er eine große Menge von Mitteilungen über verschiedene
Themata veröffentlicht.
In den Jahren 1861 und 1864 nahm Duner an den
schwedischen Expeditionen nach Spitzbergen teil, wo er mit
* Nekrologe 129
A. E. Norde uskiöld vorbereitende Untersuchungen anstellte
betr. die Möglichkeit zur Ausführung einer Gradmessung in
jenen nördlichen Gegenden. Durch Zusammenwirken von
Schweden und Rußland kam diese Gradmessung später tat-
sächlich zur Verwirklichung, und als Mitglied der schwedischen
Gradmessungskommission machte sich Duner um die Förderung
derselben sehr verdient.
Nachdem Dunör die Leitung der Upsalaer Sternwarte
übernommen hatte, gelang es ihm, eine durchgreifende Ver-
besserung der Sternwarte und ihrer instrumenteilen Aus-
rüstung: zu erwirken. Er interessierte sich lebhaft für die
Einführung der photographischen Methoden in die Astronomie,
und der durch ihn beschaffte große Refraktor von 36 cm
Öffnung wurde mit einem photographischen Rohr von 33 cm
Öffnung versehen. Durch die von Duner erwirkten Ver-
besserungen und Neuanschaffungen wurde die Upsalaer Stern-
warte zum größten und modernsten astronomischen Institut
Schwedens gemacht.
Als Lehrer zeichnete sich Duner besonders durch den
aufopfernden Eifer und das lebhafte Interesse aus, mit welchen
er sich der rein persönlichen Leitung der Studien und der
Förderung der wissenschaftlichen Arbeiten seiner Schüler
widmete. Dadurch und durch seinen festen Charakter und
seine liebenswürdige Persönlichkeit erwarb er sich in hohem
Maße die Ergebenheit und die Dankbarkeit aller seiner Schüler
und Mitarbeiter.
Am wissenschaftlichen Verkehr nahm Dun^r hervor-
ragenden und wirksamen Anteil. Er war eines der stiftenden
Mitglieder der Astronomischen Gesellschaft, und er gehörte
seit vielen Jahren dem Vorstand dieser Gesellschaft an. Er
war ein fleißiger Teilnehmer der Astronomenversammlungen,
und auch auf den astrophotographischen Kongressen und bei
der Organisation der Arbeiten für die internationale photo-
graphische Himmelskarte entwickelte er eine fruchtbare Wirk-
samkeit. Seine großen wissenschaftlichen Verdienste ver-
schafften ihm übrigens die Mitglied- oder Ehrenmitgliedschaft
Jahrbuch 1915. 9
lt5U Nekrologe »^^^^^^H
vieler Akademien und gelehrter Gesellschaften. So war er]
Korrespondent der Berliner und Münchener Akademie der]
Wissenschaften. Noch sei festgestellt, daß Dun^r ein warmer j
Freund deutschen Wesens war und niemals diese seine Ge-I
sinnung verbarg. Noch kurz vor seinem Tode schrieb er an]
eines unserer Mitglieder warme Worte in diesem Sinne, die'
unvergessen zu bleiben verdienen.
Nach einem in den A. N. erschienenen Nekrologe von 0. Bergstrand.
Johann Wilhelm Hittorf. Ende des vergangenen Jahres hat
unsere Akademie ihr ehrwürdigstes Mitglied auf dem Gebiete
der exakten Wissenschaften verloren, Wilhelm Hittorf, ge-
boren in Bonn am 27. März 1824, gestorben in Münster am
28. November 1914, den seiner Zeit vorauseilenden Physiker,
zugleich den ersten und vornehmsten Vertreter der physikali-
schen Chemie, zu einer Zeit, da es diese Wissenschaft weder
dem Namen noch dem Wesen nach gab, und da ihre Zukunft
wesentlich auf der eigenartigen Verknüpfung des physikalischen
und chemischen Gedankens beruhte, welche der Lebensgang
und die Arbeitsweise in Hittorf entwickelt hatte.
Sein Leben ist schnell erzählt, es zeichnet sich unter den
bescheidenen und eingeschränkten Lebensläufen der Gelehrten
jener Zeit durch einen besonderen Grad von Einförmigkeit
und Bescheidenheit aus. Er studierte in Bonn und fand an
dem Mathematiker Plücker, der aber damals schon zur Physik
übergegangen war, einen hingebenden Lehrer und Förderer.
Mit seiner Hilfe konnte er experimentell arbeiten, was ihm
bei der Abfassung seiner Doktor - Dissertation (Über Kegel-
schnitte) noch nicht vergönnt war; er veröffentlichte als Erst-
lingsarbeit eine Abhandlung: Über die Oxydierung des Platin
auf galvanischem Wege, also bereits ein Thema elektrochemi-
schen Inhalts! Auf einen ähnlichen Gegenstand bezog sich
sein Habilitationsvortrag 1847, durch den er nominell Privat-
dozent in Bonn wurde, der aber in Wirklichkeit die Grund-
lage für seine Lehrtätigkeit in Münster bilden sollte. Li Münster
war an der ehemals fürstbischöflichen Universität, damaligen
Nekrologe 131
Akademie, die Professur sowohl für Physik wie für Chemie
zu besetzen. Beide wurden dem 23 jährigen, von Bonn her
gut empfohlenen Privatdozenten Hittorf übertragen, mit einem
Gehalt von 350 Talern und einem jährlichen Institutsetat von
50 Talern. Hittorf ist seiner Professur und der Stadt Münster
treu geblieben; er hat hier 67 Jahre lang gewirkt, seit 1852
als Extraordinarius, seit 1856 als Ordinarius für Physik und
Chemie, fortgesetzt unter stärkster Inanspruchnahme seiner
Zeit und Kraft für Lehr- und Institutszwecke. Erst 1877
konnte er die chemische Professur an einen Nachfolger ab-
geben und sich auf die Physik - Professur beschränken, die er
1889 nach erreichtem 65. Lebensjahr ebenfalls aufgab, unter
der Nachwirkung einer nervösen Depression, auf deren Gründe
wir zurück kommen. Bei der geistigen Spannkraft, die er
bald wieder erlangte, konnte er noch 1900, während des Über-
ganges der Professur von Ketteier auf Heyd weiller, vertretungs-
weise eingreifen. Bei Gelegenheit der Naturforscher-Gesellschaft
1912 in Münster hatte ich die Ehre und Freude, ihn in seinem
schönen geräumigen Haus zu besuchen, das er sich in einer
gartenreichen Villengegend Münsters erbaut hatte und das er als
Junggeselle zusammen mit seiner Schwester bewohnte. Damals
noch machte der 88 Jährige den Eindruck der vollkommensten
geistigen Frische, sein schöner Charakterkopf, mehr von west-
fälischem wie von rheinischem Schnitt, prägte Geist und Energie
aus, nur im Gehen war er behindert und konnte deshalb auch
nicht an der damaligen Versammlung teilnehmen. Erst kurz
vor seinem Tode hat seine geistige Kraft nachgelassen.
Sein Lebensabend brachte ihm Anerkennung und Ehren
in reicher Fülle, unter Anderem den Orden pour le merite,
das Ehrenpräsidium der deutschen Bunsengesellschaft, die Mit-
gliedschaft der meisten Akademien. Der unsrigen gehört er
seit 1896 an. Zum 90. Geburtstag verlieh ihm Münster das
Ehrenbürgerrecht, das er sich durch wiederholte erfolgreiche
Vertretung der Universitätswünsche Münsters an den zustän-
digen Berliner Steilen reichlich verdient hatte. Aber während
seiner eigentlichen Schaffenszeit hat es ihm an jeder Anerken-
132 Nekrologe ^^1
nung, fast au jeder Beachtung gefehlt. Einen einzigen Ruf,
an dje Universität Bern, hat er 1856 erhalten und abgelehnt,
weil er in Münster zum Ordinarius befördert wurde. Seine
lonenarbeiten haben wenigstens Widerspruch hervorgerufen;
er mußte sie verteidigen nicht nur gegen die drückende Auto-
rität des alten Berzelius, auch gegen Bunsen und eine ganze
Reihe von Physikern. Dagegen wurde die andere große Gruppe
seiner Arbeiten, diejenigen über die Gasentladungen, in Deutsch-
land während Dezennien totgeschwiegen, weil die Wissenschaft
für diesen Gegenstand noch nicht reif war. Die Einleitung zu
dieser Untersuchungsreihe, eine zusammen mit seinem Lehrer
Plücker verfaßte Arbeit, erschien ursprünglich in den eng-
lischen PhilosophicalTransactions 1 ff. Die großen Hauptarbeiten
Hittorfs von 1869 bis 1884 stehen unter dem Titel „Die Elek-
trizitätsleitung der Gase" in den Poggendorfschen Annalen.
Hittorfs Beobachtungen sind viel zuverlässiger und seine Er-
klärung derselben viel sorgfältiger als die zehn Jahre später
veröffentlichten eindrucksvollen Darstellungen von Crookes,
gegen welchen Hittorf sein Eigentum verteidigen mußte (An-
nalen 1879, Bd. 7, pag. 607); und noch heute nennt man in
England Crookessche Röhren, was man bei uns Geißler-Röhren
nennt (nach dem Bonner Glasbläser) und was eigentlich Plücker-
Röhren (nach dem Auftraggeber des Glasbläsers) oder Hittorf-
Röhren heißen sollte (nach demjenigen, der die Mannigfaltig-
keit der Erscheinungen in ihnen wesentlich geklärt hat).
Zu diesem Mangel an litterarischen Erfolgen kamen Schwie-
rigkeiten politischer Art. Der Kulturkampf erschwerte auch
die Wirksamkeit Hittorfs empfindlich. War doch sein Labo-
ratorium in dem alten Jesuitenkollegium untergebracht, dessen
Geist in jener Zeit gewaltsam aufgestachelt wurde, und war
doch andrerseits Hittorf als liberaler Katholik bekannt, der
eine Adresse an Döllinger unterschrieben hatte und bei Be-
rufungen sich nicht an die (für Münster ursprünglich unum-
gängliche) katholische Konfession kehren wollte. Jedenfalls
haben diese jahrelangen konfessionellen Reibungen — zusammen
mit Überarbeitung und Überbürdung im Laboratorium, in dem
Nekrologe 133
er keine Art von Hilfskraft hatte — beigetragen zu einem
vorübergehenden nervösen Zusammenbruch. Den letzten Stoß
hierbei scheint ihm aber bezeichnenderweise ein wissenschaft-
liches Moment versetzt zu haben: Es war das Eindringen der
Maxwellschen Theorie, welche Hittorf nicht assimilieren konnte.
War es die Allgemeinheit und Abstraktheit des Inhalts oder
war es die mathematische Form, Hittorf empfand dieselben
Schwierigkeiten, die wohl die meisten Physiker der älteren Ge-
neration damals bei Maxwells Treatise hatten, aber mit krank-
haft gesteigerter Heftigkeit. Stundenlang brütete er über dem
ihm unverständlichen Buche, verließ vorzeitig das Theater, um
zu seinem Maxwell zurückzukehren, und nahm auf eine Harz-
reise, die ihm seine Freunde als Gegenmittel gegen Maxwell
verschrieben hatten, heimlich den Maxwell mit. (Nach den
Lebenserinnerungen von Frau Adelheid Sturm, geb. Deinhardt
und nach der gerade erschienenen trefflichen Biographie seines
Nachfolgers Heydweiller in der Physikalischen Zeitschrift 1915,
an die wir uns auch sonst anschließen.) Wie rührend ist die
fassungslose Bescheidenheit Hittorfs gegenüber einer Theorie,
die wir heute in der durch Hertz geklärten Darstellung jedem
Studenten lehren können! Hoffen wir, daß es Hittorf in
späteren Jahren zum Bewußtsein gekommen ist und zur Ge-
nugtuung gereicht hat, daß seine eigenen früheren Arbeiten
über das Glimmlicht bereits weit über die Maxwellsche Theorie
hinausgingen, daß er in ihnen bereits die Elemente der Elek-
tronentheorie erarbeitet hatte, die berufen war, die Maxwell-
sche Theorie abzulösen und weiterzubilden!
In der Tat hatte Hittorf in seinen „Strahlen des Glim-
mens" (wir sagen heute nach dem Vorgange Goldsteins „Ka-
thodenstrahlen") weitaus als erster die freien Elektronen dar-
gestellt und eingehend untersucht, also die Quellen der elek-
trischen Kraftlinien, während die Maxwell-Faradaysche Theorie
nur die Ausbreitung der elektrischen Kraftlinien studierte und
die Aufmerksamkeit von ihren Quellen ablenkte. Von diesen
„Glimmlichtstrahlen" wies er die gradlinige Ausbreitung und die
Schattenbildung nach, ihre Fluoreszenzwirkung am Glase, ihre
134 Nekrologe '^H
zerstäubende Wirkung auf Metalloberflächen und, als entschei-
dendes und unterscheidendes experimentelles Kennzeichen, das
später zur Massenbestimmung der Elektronen führen sollte,
ihre Ablenkbarkeit durch den Magneten. Jeder Punkt der
Kathode wird, so beschreibt Hittorf seine Strahlen, zur Spitze
eines Strahlenkegels; jeder Strahl desselben verhält sich wie
ein unendlich dünner, geradliniger, gewichtsloser, steifer Strom-
faden, der an der Kathode befestigt ist und, was seine Rich-
tung betrifi't, aus der Umgebung in die Kathode fließt, ent-
sprechend dem negativen Vorzeichen der Elektronenladung.
Hittorf konnte bereits den Spannungsverlauf in der Röhre, das
Kathodengefälle, meßend verfolgen und die Charakteristik der
Röhre (die Strom -Spannungs- Kurve) entwerfen. Zu seineu
Versuchen diente ihm zuletzt eine Hochspannungsbatterie aus
2400 Bunsenelementen , die er eigenhändig ohne Hilfsmittel
an Geld oder Arbeitskräften hergestellt hatte. Durch die
Wärmewirkung der von dieser Batterie erzeugten Kathoden-
strahlen brachte er Iridium, eines der wärmebeständigsten
Metalle, zum Schmelzen.
Durch diese Arbeiten wurde Hittorf der Vater des frucht-
barsten Zweiges der modernen Physik, der Konvektions- und
weiterhin der Wellenstrahlungen. Es bleibt noch die andere
Hauptreihe seiner Arbeiten zu besprechen, durch die er, wie
eingangs erwähnt, der Begründer der physikalischen Chemie
wurde. Es sind dieses die Untersuchungen „Über die Wande-
rung der Ionen während der Elektrolyse". Die Vorstellung
der Ionen und ihrer Konvektion war bereits durch Faraday
geschaffen ; aber die Größe ihrer Geschwindigkeit war unbe-
kannt. Hittorf lehrte diese Größe durch die Überführungs-
zahlen zu messen, zeigte daß sie für die positiven und nega-
tiven Ionen verschieden sei, bewies die ausnahmslose Gültig-
keit des Ohmschen Gesetzes, für die elektrolytische nicht
minder wie für die metallische Leitung (dieses im Gegensatz
zu Bunsen), und erkannte endlich die wahre chemische Natur
der Ionen als Metall und Säurerest (im schweren Wider-
spruch gegen die herrschenden Theorien von Berzelius). Daß
Nekrologe 135
das Kation scheinbar nicht immer als Metall zum Vorschein
kommt, führte er auf sekundäre oxydierende Prozesse zurück,
deren Wichtigkeit er betonte. Zugleich erkannte er (16 Jahre
vor Guldberg und Waage) die Natur der chemischen Gleich-
gewichte in einem Sonderfall und untersuchte beim Selen die
Bedingungen eines Umwandlungspunktes. Es war ihm be-
schieden, gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, als die von
ihm gestreute Saat in der aufblühenden physikalischen Chemie
bereits reiche Früchte trug, auf diese Fragen nochmals zurück-
zukommen.
Die deutsche Physik und Chemie ist sich heutzutage voll
bewußt, was sie der Lebensarbeit Hittorfs zu danken hat und
die Münchener Akademie wünscht durch diese Zeilen Zeugnis
dafür abzulegen, wie hoch sie die Ehre schätzt, ihn als Mit-
glied geführt zu haben. A. Sommerfeld.
Arthur v. Auwers wurde am 12. September 1838 in Göt-
tingen geboren, wo sein Vater als verabschiedeter Rittmeister
die Stelle eines Üniversitäts-Stallmeisters inne hatte. Schon
im zartesten Kindesalter verlor er zuerst die Mutter, dann den
Vater. Nachdem er die Volksschule und die ersten Klassen
des Gymnasiums in Göttingen besucht hatte, wurde er von
seinem Vormund in das rühmlichst bekannte Gymnasium in
Schulpforta (Thüringen) gebracht, aus dem so viele ausge-
zeichnete Männer hervorgegangen sind. Nach bestandener Ab-
solutorialprüfung bezog er die Universitäten Göttingen und
Königsberg, um sich einer früh erwachten Neigung folgend
dem Studium der Astronomie zuzuwenden. 1859 wurde er
Assistent der Sternwarte in Königsberg, wo er 1862 den Doktor-
grad erlangte. Wenige Monate später erfüllten sich seine
schon in Schulpforta entstandenen Wünsche, indem er die
Tochter eines seiner Lehrer heimführte und einen Bund schloß,
der das Glück seines Lebens wurde. Zugleich übersiedelte er
nach Gotha, um bei Hansen als Volontär zu arbeiten. Schon
im August 1866 erfolgte seine Berufung als Astronom und
136
Nekrologe
Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Berlin. Hier
bot sich ihm die Möglichkeit dar, in fast völlig ungebundener
Weise wissenschaftlicher Arbeit zu leben, und so traten auch
in Zukunft Wünsche nach einer Veränderung in ihm nicht
hervor, und er blieb bis zum Lebensende in seiner Stellung.
Hier verliefen ihm in ruhiger und emsiger Arbeit die Jahre,
nur dreimal durch große wissenschaftliche Reisen unterbrochen:
in den Jahren 1874 und 1882 zur Beobachtung des Venus-
durchganges in Luxor (Ägypten) und Punta Arenas (Südamerika),
1889 einer Verabredung mit seinem Freunde Grill folgend nach
dem Kap zur Beobachtung des Planeten Victoria zum Zwecke
einer Parallaxenbestimmung mit dem Heliometer. Auwers
erfreute sich im allgemeinen, trotz mancher kleinen Schwan-
kungen, einer festen Gesundheit bis in die letzten Jahre, und
unter relativ guten Umständen konnte er 1912 das 50jährige
Doktorjubiläum feiern und sich der vielfachen Sympathiekund-
gebungen und Ehrungen erfreuen, die ihm von seinen Kollegen,
Fachgenossen und den vielen gelehrten Körperschaften, deren
Mitglied er gewesen, entgegengebracht wurden. Sein Landes-
herr verlieh dem hochverdienten Manne bei dieser Gelegenheit
den erblichen Adel. Seitdem nahmen aber die körperlichen
Beschwerden zu, wenn auch Perioden besseren und schlechteren
Befindens wechselten, und so kam schließlich die Nachricht
von Auwers' sanftem Hinscheiden am 24. Januar 1915 nicht
unerwartet. Seine ihm vor 53 Jahren angetraute treue Lebens-
gefährtin und drei Söhne, welche sich in angesehenen Stel-
lungen befinden, standen trauernd an der Bahre des Heim-
gegangenen.
Tiefere Neigung und Begabung für die exakten Wissen-
schaften pflegen sich sehr oft schon in ganz jungen Lebens-
jahren zu ofi^enbaren. So darf es nicht verwundern, wenn
Auwers schon am Gymnasium sich mit astronomischen Studien
beschäftigte. Merkwürdig aber und für sein ganzes Wesen
bezeichnend ist es, daß seine astronomischen Interessen schon
in den ersten Anfängen nach ganz bestimmter Richtung wiesen
und daß er im großen und ganzen dieselbe Richtung auch in
I
Nekrologe 137
der Folgezeit festhielt. Wenn er schon mit 16 Jahren „W. Her-
schels Verzeichnis von Nebelflecken und Sternhaufen" be-
arbeitete, so entsprang diese erst später (1862) veröffentlichte
Erstlingsarbeit im Grunde genommen demselben Bemühen, von
welchem Auwers auch späterhin mit gesteigertem Erfolge fast
ausschließlich geleitet wurde: vorhandene Ortsbestimmungen
am Himmel durch möglichst eingehende Bearbeitung nutzbar
zu machen. Mit welcher Energie und unermüdlichen Arbeits-
kraft Auwers auf diesem Gebiete mehr als ein halbes Jahr-
hundert lang der Astronomie die gröMen Dienste leistete, ist
den Fachgenossen zu bekannt, als daß es nötig wäre, im ein-
zelnen daran zu erinnern. Aber es ist nicht möglich, diese Ver-
dienste hervorzuheben, ohne seine Neubearbeitung der Bradley-
schen Fixsternbeobachtungen zu nennen und der Arbeiten von
Auwers zu gedenken, die sich um dieses Hauptwerk gruppieren
und die eine Versicherung der erhaltenen Eigenbewegungen
liefern sollten und geliefert haben: Neureduktion der Kataloge
von T. Mayer, Pond, Piazzi usw. sowie zuletzt der älteren
in Greenwich unter Bradley angestellten Beobachtungen. Den
Schlußband dieser letzteren umfangreichen Arbeit konnte Auwers
noch kurz vor seinem Tode der Öffentlichkeit übergeben und
so nach dieser Richtung sein Lebenswerk vollenden. Mehrere
Jahre früher konnte er, auf alle diese Untersuchungen gestützt,
seinem Fundamentalkatalog die letzten Korrektionen erteilen
und damit ein System für stellare Ortsbestimmungen aufstellen,
das eine Homogenität und Sicherheit besitzt, die wohl kaum
überboten werden kann. — Als typische Repräsentanten von
Auwers' hervorragenden Arbeiten, die sich mit Einzelproblemen
beschäftigen, müssen seine Untersuchungen über die veränder-
lichen Eigenbewegungen von Procyon und Sirius erwähnt werden.
Ein geradezu enormes Material verarbeitend liefern diese den
Abschluß von Betrachtungen, die Bessel in seinen letzten
Jahren begonnen, die dann von C. A. F. Peters fortgesetzt
worden waren. Auwers konnte die Resultate von Peters in
endgültiger Weise bestätigen, wonach die merkwürdigen Zweifel,
die der Besselschen Entdeckung entgegengestellt worden waren,
138 Nekrologe
als durchaus unbegründet zu bezeichnen sind. Die Entdeckung
des Siriusbegleiters hat ja kurz vor dem Erscheinen der Auwers-
schen Untersuchung, die damals bereits abgeschlossen war, auch
jene belehrt, die rechnerischen Resultaten nicht die gebührende
Würdigung zuerkennen wollen.
Die Venusdurchgänge 1874 und 1882 waren mit Vorteil
für eine Bestimmung der Sonnenparallaxe nur in nichteuro-
päischen Ländern zu beobachten. Daß sich hierbei das Deutsche
Reich durch Aussendung kostspieliger Expeditionen in hervor-
ragender Weise beteiligt hat, war in erster Linie dem Eintreten
von Auwers zu danken, der die maßgebenden Kreise für die
Sache interessierte und die überaus umfänglichen Vorarbeiten
ausführte und leitete. Mit nicht genug anzuerkennender Hin-
gabe hat er alle Einzelheiten der Ausrüstungen, die den Beob-
achtern mitzugebenden Instruktionen, die Feststellung der Ar-
beitsprogramme angeordnet, und wenn alles programmäßig ver-
laufen ist, so darf ein erheblicher Teil des Verdienstes ihm
zugesprochen werden. Und als dann alle Beobachtungsergeb-
nisse in einem riesigen Materiale vorlagen, übernahm er ihre
Bearbeitung und führte sie in dem Zeitraum 1882 — 1898 zu
einem guten Ende, und es braucht kaum hinzugefügt zu werden,
in mustergültiger Weise. So entstand das große 6 starke Bände
umfassende Werk über die beiden Venusdurchgänge, welches
ein glänzendes Zeugnis abgibt für die gründliche und weit-
sichtige Arbeitsweise des Verfassers. Trotzdem hat ihm das
Werk wohl einige Enttäuschungen gebracht; denn für die
Kenntnis des Wertes der Sonnenparallaxe hat es nicht die Be-
deutung erlangt, die von seinem Verfasser wohl erhofft worden
war. Wir wissen jetzt, daß es nicht anders sein konnte, auch
wenn die photographische Praxis im Jahre 1874 (1882 wurde
nicht photographiert) ebensoweit gewesen wäre wie jetzt und
wenn auch größere Heliometer zur Anwendung gekommen
wären, als damals möglich war. Aber das Werk hat doch in
anderer Beziehung auch jetzt noch einen großen Wert für die
praktische Astronomie. Es ist nach der vortrefflichen Be-
arbeitung durch Auwers die größte und beste Dokumenten-
Nekrologe 139
Sammlung über die Vorteile und Nachteile, die das Heliometer
gegenüber anderen Meßinstrumenten besitzt.
Wohl durch die Beschäftigung mit den Venusdurchgängen,
wobei sich eine überaus große Zahl von Ausmessungen der
Sonnenscheibe als Nebenresultat ergab, wurde Auvvers ver-
anlaßt, die Gestalt dieser Scheibe zu untersuchen und zwar
mit Hinzuziehung eines geradezu ungeheuren Materials von
Durchgangsbeobachtungen. Es gelang ihm so, ein Resultat
von bleibendem Werte festzustellen, das er mit einer Sicher-
heit, die wohl bis dahin nicht erreicht worden war, aussprechen
konnte: die verschiedenen Sonnendurchmesser sind nicht um
mehr als etwa On voneinander verschieden. Die Sonnenscheibe
zeigt also keine meßbare Abweichung von der Kreisform.
Ebenso sind zeitliche Veränderungen nicht nachweisbar; die
Veränderungen, welche bisher manchmal beobachtet worden
sind, verschwinden bei einer sorgfältigen Reduktion der Mes-
sungen.
In seinen jungen Jahren war Auwers ein eifriger und
umsichtiger Beobachter, wie u. a. seine wertvollen Parallaxen-
bestimmungen mit dem Königsberger Heliometer bezeugen.
Seit seiner Berufung nach Berlin war ihm aber die, wie er
sich oft äußerte, liebe und ansprechende Beobachtungstätigkeit
erschwert, da er nur über kleine Fernrohre frei verfügen konnte.
Wo er es aber für wichtig hielt, hat er die vorhandenen
Schwierigkeiten überwunden. So hat er sich, um das Zonen-
unternehmen der Astronomischen Gesellschaft zu fördern, ent-
schlossen, die Berliner Zone 15"— 20" selbst zu beobachten und
hat die keineswegs kurzweilige Arbeit mit der ihm eigenen
Energie nicht nur am Fernrohr durchgeführt, sondern auch
die Reduktion, und zwar in vorbildlicher Weise, geliefert, die
durch die Hinzufügung von allen bemerkbaren Eigenbewegungen
einen erhöhten W^ert erlangt hat.
Alle Arbeiten von Auwers zeichnen sich durch große
Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit aus. Er scheute keine Mühe,
um Beobachtungen selbst von untergeordneter Bedeutung durch
eine schärfere Bearbeitung nutzbar und mit einem angemes-
140 Nekrologe
senen Gewicht stimmberechtigt zu machen. Neue theoretische
Gesichtspunkte oder hypothetische Annahmen vermied er fast
ängstlich, für ihn galt es nur, die zahlenmäßigen Tatsachen
festzustellen, wie sie sich in den gewissermaßen gereinigten
Beobachtungen darstellen. Bei dieser Arbeitsrichtung war es
ziemlich natürlich, daß das Bedürfnis, mit der jüngeren
astronomischen Generation Fühlung zu nehmen, bei Auwers
stark zurücktrat, namentlich insoweit ein solches Bedürfnis
durch Vorträge, Vorlesungen, Unterweisungen usw. befriedigt
werden kann. Nur ganz ausnahmsweise und nur in jüngeren
Jahren hat er deshalb von der Berechtigung, an der Berliner
Universität Vorlesungen zu halten, Gebrauch gemacht. Er
selbst mag wohl in späteren Jahren die hierdurch entstandene
Isolierung manchmal bedauert haben.
Man würde die Verdienste von Auwers um die Astro-
nomie ganz unvollständig würdigen, wenn man nur seine
wissenschaftlichen Arbeiten hervorheben würde. Das Zustande-
kommen vieler gemeinschaftlicher wissenschaftlicher Unter-
nehmungen, ebenso wie von Arbeiten einzelner, die eine
Unterstützung nach irgend einer Richtung nötig hatten, sind
aufs engste mit seinem Namen verknüpft, sei es, daß er die
nötige Hilfe von den maßgebenden Stellen verschaffte, sei es,
daß er in der selbstlosesten Weise selbst mit Hand anlegte
und oft eine wenig angenehme und große Arbeitslast auf sich
nahm. Was er gelegentlicli der Aussendung der deutschen
Venusexpeditionen geleistet hat, welche Unsumme von Arbeit
ihm als dem Vorsitzenden der betreffenden Kommission zu-
gefallen war, die er mit einer bis ins kleinste gehenden Um-
sicht und Sorgfalt vollführte, kann nur der ganz beurteilen,
der selbst in der einen oder anderen Weise an dem Unter-
nehmen beteiligt war. Ein überaus stark ausgebildetes Pflicht-
gefühl bildete den Grundzug von Auwers' Wesen. Eine ein-
mal übernommene Verpflichtung bis zum Ende durchzuführen,
galt ihm als ein sittliches Gebot, dem er, wenn nötig, mit
Anspannung aller seiner Kräfte zu folgen als selbstverständlich
betrachtete. Da er weiter über ein nicht gewöhnliches Organi-
I
Nekrologe 141
sationstalent und eine hervorragende Geschäftsgewandtheit
verfügte, so war es ganz natürlich, daß er in allen gemein-
schaftlich mit anderen auszuführenden Unternehmungen, Be-
ratungen usw. in vorderste Reihe gestellt wurde und sehr oft
den alles belebenden Mittelpunkt bildete. Was ihm z. B, die
„Astronomische Gesellschaft", deren Mitbegründer, Schriftführer
(1865 — 74) und Vorsitzender (1881 — 90) er gewesen, verdankt,
kann nicht in wenigen Worten ausgedrückt werden. Es mag
nur daran erinnert werden, wie seiner Mitarbeit und dem
energischen Nachdruck, mit dem er als Leiter des Zonen-
unternehmens die daran beteiligten Beobachter und Bearbeiter
antrieb und mahnte — was diesen mitunter sogar unbequem
war — es in erster Linie zu verdanken ist, wenn das Zonen-
unternehmen fast bis zum völligen Abschluß gebracht werden
konnte. Auch die „Astronomischen Nachrichten* haben Grund,
den Namen Auwers in besonderen Ehren zu halten. Wer
weiß, ob dieses für die Astronomie unersetzlich gewordene
Organ ohne Unterbrechung bis zum heutigen Tage hätte
erscheinen können, wenn nicht Auwers in einem höchst
kritischen Moment eingetreten wäre und einen hoffentlich für
lange Zeiten ausreichenden Schutz gegen alle widrigen Zufällig-
keiten geschaffen hätte. Freilich war ihm dies nur möglich,
weil er sich im Laufe der Jahre eine ziemlich einzig dastehende
autoritative Stellung zu schaffen und einen Einfluß zu gewinnen
wußte, dem sich oft die höchsten Behörden in Deutschland
fügten. Daß dies so gekommen ist, ist leicht erklärlich. Denn
schon bei flüchtiger Begegnung erschien dieser schweigsame
Mann, dem man fast jedes Wort abringen mußte, als eine
hervorragende Persönlichkeit von ebenso entschiedenem Willen
als vornehmem Charakter. Man erlangte sofort die Gewißheit,
von ihm ein wohlbegründetes Urteil zu erhalten, bei dem es
keine persönlichen Rücksichten gab, vielmehr nur die Sache
in Frage kam, und dieser erste Eindruck wurde bei näherem
Verkehr nur verstärkt. So konnte es nicht fehlen, daß seine
Meinung auch in allen astronomischen Dingen, die z. B. eine
staatliche Entscheidung erforderten, von maßgebender Bedeutung
142 Nekrologe
sein mußte. Es gereicht ihm zur höchsten Ehre, daß man
auch nicht einen Fall anführen kann, in dem er seinen Ein-
fluß in einer seiner vornehmen Gesinnung widersprechenden
Weise geltend gemacht hätte, selbst dann, wenn man vielleicht
seiner Meinung nicht beistimmen konnte.
Bei den meisten Entscheidungen, die in den letzten Jahr-
zehnten in Deutschland und besonders in Preußen im Interesse
der Astronomie getroffen wurden, und es ist gewiß sehr viel
in dieser Richtung geschehen, war Auwers der Anreger,
Förderer und gewissenhafte und sachkundige Berater, und so
haben die Astronomen und insbesondere die deutschen allen
Grund, den Verlust dieses ausgezeichneten Mannes tief zu
beklagen und seinen Namen stets in dankerfüllter Erinnerung
zu behalten. H. Seeliger.
J
Historische Klasse.
Die historische Klasse hat im Berichtsjahre 1914/15 an
korrespondierenden Mitgliedern R. Koser und G. Preuss ver-
loren. Reinhold Koser (geb. 7. Februar 1852, gest. 25. August
1914) war in seiner Generation der nach Leistungen und
Wesensart vornehmste und bezeichnendste Vertreter preußisch-
geschichtlicher Forschung und Darstellung; die von seinen
Lehrern überkommene Tendenz kleindeutsch-preußischer Be-
trachtung hatte er in reiner Sachlichkeit überwunden, die
Eigenart des märkischen Bodens aber spricht aus allen seinen
Schriften wie sie aus seiner Persönlichkeit sprach; sie hat
ihn zum klassischen Geschichtsschreiber Friedrichs des Großen
gemacht. Unserer Akademie gehörte er seit 1901, der
historischen Kommission seit 1898 an. Georg Friedrich Preuß
(geb. 12. April 1867, gefallen auf dem östlichen Kriegsschau-
platze am 3. November 1914), zuerst (1904) als Münchener
Privatdozent außerordentliches, später, als Breslauer Professor,
korrespondierendes Mitglied der Klasse, ist schon in seinem
Werke über Wilhelm von Oranien und das Haus Witteisbach
Nekrologe 143
von dem bayerischen Boden, von dem seine Arbeit hier ausge-
gangen war, immer mehr in die Weite der allgemeinen Ge-
schichte hinausgelenkt; der Tod des gedankenreichen und
w^armherzigen Mannes hat lebendige Hoffnungen vor der Zeit
geknickt. ^)
Unter den Münchener ordentlichen Mitgliedern, deren
Scheiden wir zu beklagen haben, ist das eine, Robert von Pöhlmann,
trotz seiner 62 Jahre ebenfalls um vieles zu früh gestorben.
Er ist seiner ganzen Laufbahn nach Bayer, seinem von ihm
selbst so bewußt empfundenen, inneren Wesen nach ins-
besondere Franke gewesen, ein stolzer Nürnberger. Er hat
von Erlangen aus als korrespondierendes (1887), in München
als außerordentliches (1900) und ordentliches (1901) Mitglied
und seit 1907 als Sekretär der historischen Klasse der Aka-
demie zugehört und gedient und seit 1902 eine Anzahl seiner
charakteristischen Äußerungen in ihren Schriften erscheinen
lassen (vgl. den Almanach von 1909, S. 364 ff., für das Frühere
und für das Ganze seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit
und Leistung den unten gedruckten Nekrolog seines Nach-
folgers Ulrich Wilcken), zuletzt seine Weltanschauung des
Tacitus: in ihnen wie in seiner persönlichen Mitwirkung über-
strömend von Leben und Geist, von menschlicher Liebens-
würdigkeit und von feurigem Bekennertum. Er ist auf der
Höhe seiner Kraft und mitten aus der miterlebten Gegenwart
durch den Tod weggerissen worden.
Eine fast schon entschwundene Vergangenheit dagegen
schien Ludwig von Rockinger zu verkörpern, längst bevor er
am 24. Dezember 1914, wenige Tage vor der Vollendung
seines 90. Jahres, als Senior unserer Klasse und Akademie,
starb. Rockinger stammte aus dem alten Bayern; am 29. De-
zember 1824 als Sohn eines Hoflakaien des Kronprinzen Lud-
wig zu Würzburg geboren, selber ein Pate des Kronprinzen,
*) Über Koser siehe 0. Hintzes Nachrufe in der Historischen Zeit-
schrift und in den Abhandlungen der Berliner Akademie, über Preuß
die von Ziekursch und Kaufmann in der Chronik der Universität Breslau.
144 Nekrologe
übersiedelte er schon im nächsten Jahre mit seinen Eltern im
Gefolge des Königs Ludwig nach München und blieb lebens-
lang Münchener. Er studierte klassische und als Schüler
seines Verwandten Schmeller deutsche Philologie und dann,
als Lebeusberuf, Jurisprudenz; er wurde, durch den Zwang
des Erwerbes, in seiner Jugend eine Weile lang als Landtags-
stenograph nach Stuttgart geführt, später (1869) ein Jahr lang
durch den Archivdienst nach Würzburg, stets strebte er nach
München zurück. Er hätte gewünscht, juristischer Professor
zu werden; der Gang seiner Studien führte ihn ebenso logisch
zum Archiv, und in dessen Laufbahn ist er seit 1853 eben-
mäßig aufgestiegen, bis er 1889 Reichsarchivdirektor wurde;
Krankheit zwang ihn bereits 1895 zum Rücktritt. Er hat
sich nebenher 1856 in der juristischen Fakultät der Universität
für bayerische und deutsche Rechtsgeschichte als Privatdozent
niedergelassen, ohne den ersehnten Erfolg, er ließ sich 1865
streichen. In der philosophischen Fakultät trat er 1873, als
Honorarprofessor, mit einem Lehrauftrag für Paläographie und
bayerische Geschichte, wieder ein und hat in ihr bis 1896
gelesen. Die Akademie wählte ihn 1856 zum außerordentlichen,
1868 zum ordentlichen Mitglied der historischen Klasse. Er
hat vielmals in der Akademie vorgetragen und in ihre Schriften
geschrieben und mehreren ihrer Kommissionen lange mit-
arbeitend angehört (Monumenta Boica: er gab Band 39 — 44
selber heraus; Aventin; Historische Kommission; Vertretung
bei der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae). Seine
Schriften schied er 1909 (im Almanach der Akademie S. 375 ff.)
in sechs Gruppen: mittelalterliche Formelbücher, bayerische und
pfälzische Geschichte, bayerische Rechtsgeschichte, fränkische
Geschichte und Rechtsgeschichte, deutsche Rechtsbücher im
Mittelalter, Verschiedenes (dabei Archivalisches). Hilfswissen-
schaften und Reehtsgeschichte stehen dabei im Vordergrunde,
wie sie es auch in seiner Lehrwirksamkeit taten. Er hat,
60 Jahre hindurch, eine lange Reihe von Arbeiten veröffent-
licht, viele davon in unseren Abhandlungen und Sitzungs-
berichten. Sie konvergierten auf ein doppeltes Ziel: kritische
Nekrologe 145
Ausgaben der mittelalterlichen bayerischen Landesgesetzgebung
einerseits, des Schwabenspiegels, zu dem die altbayerische Rechts-
geschichte ihn hingeführt hatte, anderseits. Der Historische
Verein von Oberbayern hat ihn (1888) mit der ersten, die
Wiener Akademie ihn (1871) mit der zweiten Aufgabe betraut.
Für beide hat er weitausgreifende, tiefeindringende, schwer-
flüssige, gelehrte und wichtige Vorarbeiten geleistet und ver-
öffentlicht, vornehmlich zur Geschichte und Gestaltung der
Texte. Zum Abschluß hat er keines der beiden großen und
schwierigen Werke gebracht; die Natur der weitschichtigen
Aufgaben selber, im Verein mit persönlichen Schicksalen, hat
ihn daran verhindert. Er hinterließ auch so ein stattliches
Erbe eines langen Forscherlebens. Ihn selber aber hat der
halbe Mißerfolg seiner Arbeit und lange Kränklichkeit wohl
in die Einsamkeit zurückgetrieben, in der er, ehedem gesellig,
witzig und naturfroh, seine späteren Jahre verbrachte: mitten
in der Großstadt, auf die er fremd und kritisch hinuntersah,
ein Einsiedler, auch äußerlich merkwürdig fremdartig, ein
uralter Mann, der mit der Gegenwart nichts mehr zu schaffen
hatte und in den Tagen seiner Jugend und mehr noch den
Jahrhunderten seiner Rechtsquellen eigentlich lebte. Er verließ
jahrelang sein Zimmer nicht mehr und las jahrelang keine
Zeitung, bis der Weltkrieg ihn wieder in den Zusammenhang
des Heute hineinhob. Aber einsam hat er sich zur Ruhe
bestatten lassen, und auch die Vorarbeiten und Aufzeichnungen,
die er noch besaß, hat er verbrannt, nur die für den Schwaben-
spiegel seiner Auftraggeberin, der Wiener Akademie, über-
wiesen. Sein Amtsnachfolger F. L. von Baumann, der ihn
nur so kurz überleben sollte, hat ihm in der Archivalischen
Zeitschrift, I. Bd. 3. Folge, S. 276—293, eine eingehende
Darstellung gewidmet, auf deren Angaben dieser Nachruf fußt.
E. Marcks.
Jahrbuch 1915. 10
146 Nekrologe ^H
Bald nach Kriegsbeginn, am 27. September 1914, hat die
Akademie durch den Tod Robert von Pöhlmanns eines ihrer ver-
dienstvollsten Mitglieder, die historische Klasse ihren Sekretär
verloren.
Geboren am 31. Oktober 1852 zu Nürnberg, hat Pöhl-
mann sich schon als Schüler des „Alten Gymnasiums* seiner
Vaterstadt für das historische Studium entschieden. Wie er
in einer autobiographischen Skizze vor nicht langem erzählt
hat, lockte ihn die Geschichte als die Wissenschaft, die „recht
eigentlich dazu berufen ist, den Menschen von den Fiktionen
der Vergangenheit, vom Wahn der Jahrtausende zu befreien".
Im Anfang seiner Studien hat er die mittelalterliche und neuere
Geschichte bevorzugt. So war hier in München Giesebrecht
sein Führer. Doch hat er gelegentlich auch Heinrich Brunn
als seinen „unvergeßlichen Lehrer" bezeichnet. In Göttingen
hatte Waitz den größten Einfluß auf ihn, in dessen Schule
denn auch seine Dissertation über den Römerzug Heinrichs VII.
(1875) heranreifte. Aber die entscheidende Richtung auf das
Gebiet, das sein eigentliches Arbeitsfeld werden sollte, hat ihm
Wilhelm Röscher, der Nationalökonom, gegeben. Er ist es
gewesen, der, wie Pöhlmann später dankbar bekannt hat,
seiner ganzen Lebensarbeit „Richtung und Ziele" gegeben hat.
So ist es vor allem die moderne Sozial- und Wirtschafts-
geschichte gewesen, der Pöhlmann ein ganz besonderes Studium
zuwendete.
Von dieser Basis aus unternahm er es, die Preisaufgabe
über die Wirtschaftspolitik der Florentiner Renaissance zu lösen,
die die Jablonowskische Gesellschaft gestellt hatte. Nach ein-
gehenden Archivstudien, die ihn namentlich auch in die Archive
von Florenz, Pisa und Mailand führten, gewann er 1878 den
Preis mit seinem Buch über die Wirtschaftspolitik der Floren-
tiner Renaissance, das noch vor nicht langem von fachmän-
nischer Seite als „Pöhlmanns prächtige Jugendarbeit" von
neuem anerkannt worden ist.
Unmittelbar danach trat die nach diesen Vorläufern über-
raschende Wendung zur Antike ein. Schon im folgenden Jahr,
Nekrologe 147
1879, legte er eine feinsinnige Studie über „Hellenische An-
schauungen über den Zusammenhang von Natur und Geschichte"
vor und habilitierte sich hiermit in Erlangen, und zwar für
das Fach der alten Geschichte, und von nun an hat er seine
ganze Kraft der Erforschung des Altertums gewidmet. Dieser
Übergang besagte bei ihm aber nicht ein Abstreifen seiner
früheren Interessen, sondern Pöhlmann hat auch fernerhin,
wenn er die alte Geschichte behandelte, immer gleichzeitig die
spätere Entwicklung bis zur Gegenwart vor Augen gehabt.
Er hat eine Hauptaufgabe seines Lebens gerade darin erblickt,
die von der modernen Forschung, im besonderen der modernen
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gewonnenen Ergebnisse, die
dort erprobten Methoden und Fragestellungen auch auf die
Antike anzuwenden und für sie nutzbar zu machen. In wie
enger Fühlung er auch nachher noch mit der modernen For-
schung geblieben ist, zeigt allein schon die Tatsache, daß er
noch in späteren Jahren es unternehmen konnte, die 22. - 24.
Neuauflage von Roschers „Grundlagen der Nationalökonomie"
zu bearbeiten (1896 — 1906). So hat Pöhlmann durch seinen
Ausgangspunkt von der modernen Geschichtsforschung unter den
Vertretern der alten Geschichte unserer Zeit einen ganz eigenen
Platz eingenommen. Wohl gibt es auch andere Forscher auf
diesem Gebiet, die sich mit der wirtschaftlichen und gesell-
schaftlichen Entwicklung des Altertums eingehend und erfolg-
reich beschäftigen, aber für Pöhlmann ist charakteristisch,
daß für ihn dabei die moderne Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
den Ausgangspunkt bildete, wie denn auch seine Schriften da-
durch ihren eigenen Stil haben, daß sie ganz mit der modernen
Terminologie operieren.
Die erste Frucht dieser Methodenübertragung war die
Studie über ,Die Anfänge Roms" (1881), in der er im beson-
deren die Ergebnisse der modernen siedlungsgeschichtlichen
Forschungen für dies Problem zu verwerten bestrebt war. Es
folgte 1884 sein Buch über „Die Übervölkerung der antiken
Großstädte, im Zusammenhang mit der Gesamtentwicklung
städtischer Zivilisation" — wiederum die preisgekrönte Lösung
10*
148 Nekrologe ^H
einer von der Jablonowskischen Gesellschaft gestellten Auf-
gabe. Auch hier zeigte Pöhlmann wieder, wie es ihm nicht
auf ein Zusammentragen des toten Stoffes, sondern auf ein
lebendiges Verstehen bis auf den Grrund ankam. Recht cha-
rakteristisch für seine Arbeitsweise ist es, wie er, um zu einer
klaren Vorstellung und Würdigung der antiken baupolizei-
lichen Vorschriften über die Stockwerkshöhe zu kommen, die
modernen Polizeiverordnungen von Berlin, Wien und Paris
heranzog. So zeigte er schon in dieser vortrefflichen Studie,
wie er durch die Fragestellungen, die er der modernen Entwick-
lung entnahm, die oft spröde antike Tradition zu beleben verstand.
War dieses Thema ihm von anderer Seite gestellt worden,
so ging er nun daran, sich selbst für seine Lebensarbeit große
Pläne zu entwerfen. Anfangs dachte er an eine „Soziale Ge-
schichte Griechenlands", und ein interessantes Bruchstück aus
den Vorarbeiten liegt uns vor in seiner Abhandlung „Aus dem
hellenischen Mittelalter. Zum sozial- und wirtschaftsgeschicht-
lichen Verständnis der homerischen Welt" (Aus Altertum und
Gegenwart P S. 139 ff.). Aber dieser Plan wurde zurück-
gedrängt durch einen anderen, dessen Ausführung sein Haupt-
werk darstellt, die „Geschichte des antiken Kommunismus und
Sozialismus" (1893 — 1901). Es spricht für die Anerkennung,
die sich Pöhlmann für seine Arbeitsmethode erkämpft hatte,
daß schon nach wenigen Jahren eine Neuauflage dieses zwei-
bändigen Werkes nötig wurde. Ihr gab er, um den Zusammen-
hang mit den Problemen unserer Zeit noch schärfer hervor-
treten zu lassen, nunmehr den Titel: „Geschichte der sozialen
Frage und des Sozialismus in der antiken Welt" (1912).
Hiermit hatte er ein außerordentlich wichtiges Problem
der alten Geschichte herausgegriffen, das in dieser umfassenden
Weise noch nicht behandelt worden war. Was Pöhlmann
bietet, ist eine Geschichte der sozialen Bewegungen und der
sozialistischen Ausgleichsbestrebungen in Hellas und Rom. Nach
einer eingehenden Darstellung der realen Erscheinungen ver-
weilt er mit besonderer Liebe bei den theoretischen Reform-
vorschlägen der Philosophen. Die Analyse und historische
I
Nekrologe 149
Würdigung der platonischen Staatsideale im Lichte der mo-
dernen Staats- und Sozialwissenschaft steht im Mittelpunkt
des Werkes. Auch wer nicht überall zustimmen kann, wird
zugeben müssen, daß hier eine großzügige Arbeit vorliegt.
Außer diesem Hauptwerk liegen noch mehrere Einzelunter-
suchungen vor, die nach derselben Methode Probleme der an-
tiken Sozial- und Wirtschaftsgeschichte behandeln. Im be-
sonderen sei auf die vortreffliche Würdigung von Tiberius
Gracchus als Sozialreformer hingewiesen.
Über seine Methode hat sich Pöhlmann mehrfach ge-
äußert, so in einem Aufsatz „Zur Methodik der Geschichte
des Altertums" und auch in seinen großen Kritiken über
George Grote, Ranke und Mommsen. Wenn er in seiner
Kritik über den V. Band von Mommsens Römischer Geschichte
die Verwertung der Erkenntnisse der modernen Sozialwissen-
schaft und Nationalökonomie vermißt, so ist ihm zuzugeben,
daß von diesem Standpunkt aus hie und da noch Lichter auf-
gesetzt werden könnten, aber andererseits kann doch nicht
verkannt werden, daß diese Betrachtungsweise Pöhlmann s
überhaupt erst angewendet werden konnte, nachdem Mommsen
aus „Pandekten und Inschriften", die er einmal als „die Bronnen
der Kunde wirklichen römischen Lebens" bezeichnet hat, die
festen Fundamente unseres Wissens geschaffen und auf diesen
Fundamenten seinen Riesenbau errichtet hatte.
Neben diesen sozialen und wirtschaftlichen Problemen
ist es vor allem die geistige Entwicklung von Hellas und
Rom gewesen, die Pöhlmann gefesselt hat, und zwar im
besonderen die Entwicklung der Denk- und Lehrfreiheit. Ja,
es scheint, daß gerade dieser Gesichtspunkt ihn der alten
Geschichte zugeführt hat, denn in jener autobiographischen
Skizze erzählt er, wie sich sein Interesse besonders denjenigen
Perioden der Geschichte zugewendet habe, „in denen sich die
geistige Befreiung des Menschen, die Entstehung des modernen
Menschen vollzog, der Aufklärung, der Renaissance und der
Antike". So ist er mit besonderer innerer Wärme diesem
Problem der Geistesfreiheit in der Antike nachgegangen, wie
150 Nekrologe
er auch im politisclien Leben mannhaft für sie eingetreten ist.
Eine Frucht dieser Studien ist seine Schrift über „Sokrates
und sein Volk" (1899), die den bezeichnenden Untertitel führt
„Ein Beitrag zur Geschichte der Lehrfreiheit "^ sowie die spätere
Studie „Das Sokratesproblem" (1906) und endlich die tempera-
mentvolle Abhandlung „Die Weltanschauung des Tacitus"
(1910), in der er die Ursachen des Unterganges der hellenischen
Geistesfreiheit untersuchte.
Die Verbindung seiner sozial- und wirtschaftsgeschicht-
lichen mit seinen geistesgeschichtlichen Interessen geben den
kurzen Abrissen, die er von einigen Teilen der alten Geschichte
verfaßt hat, ihren besonderen Wert und Reiz. Die „Griechische
Geschichte und Quellenkunde", die in dem bescheidenen Ge-
wände eines Handbuches jetzt in 5. Auflage vorliegt, gehört
zu den geistvollsten Behandlungen dieses Themas. Auch der
kurze Abriß, den er in Pflugk-Hartungs Weltgeschichte von
der römischen Kaiserzeit entworfen hat, gehört zu dem An-
regendsten, was über diese Periode geschrieben ist.
Man fühlt eben überall in Pöhlmanns Schriften, daß
ein ganzer Mann dahintersteht, ein kampfesmutiger und
kampfesfroher Bekenner seiner Überzeugung. Er war ein
Mann, der im Sinne Niebuhrs sich mit Temperament und
Leidenschaft in die alte Welt versenkte, weil er sie sich lebendig
vorzustellen wußte und die Kämpfe der Gegenwart dort wieder-
fand. Darum gehörten Altertum und Gegenwart aufs engste
für ihn zusammen, wie er denn auch einen großen Teil seiner
Einzelarbeiten zwanglos unter dem Titel „Aus Altertum und
Gegenwart" zusammenfassen konnte. Darum hatte er auch
einen tiefen Einblick in den unvergänglichen Wert, den die
Antike für die europäische Kultur bis auf den heutigen Tag
besitzt, und darum hat er auch einen scharfen Degen geführt,
wenn flache Angriffe gegen die humanistische Bildung hervor-
* traten. Auch was er in diesem Kampf für das „Erbe der
Alten* geleistet hat, wird ihm unvergessen bleiben.
Ulrich Wilcken.
I
151
Öffentliche Sitzung
zu Ehren Seiner Majestät des Königs
am 20. November 1915.
Der Präsident der Akademie, Herr Otto Crusius, der von
Seiner Majestät dem König an Stelle Karl Theodor von Heigels
ab 1. April 1915 ernannt wurde, hielt zum Andenken von
Heigels, der am 23. März 1915 verschieden ist, eine längere
Ansprache, die unter den Akademiereden erscheint.
Die Klassensekretäre verkündeten folgende in der allge-
meinen Sitzung am 14. Juli 1915 vollzogenen und von Seiner
Majestät dem König bestätigten Wahlen:
Philosophisch - philologische Klasse:
a) als ordentliches Mitglied:
Dr. Oswald Külpe, Geh. Hofrat, o. Professor der Philosophie
an der Universität München, bisher außerord. Mitglied,
b) als korrespondierende Mitglieder:
1. Dr. Karl Robert, Geh. Regierungsrat, o. Professor der
Archäologie an der Universität Halle,
2. Dr. Josef Ritter von Karabacek, K. u. K. Wirklicher
Hofrat, 0. Professor der Geschichte des Orients und
ihrer Hilfswissenschaften an der Universität Wien.
Die mathematisch - physikalische Klasse hat keine Wahlen
vorgenommen.
Wahlen
Historische Klasse:
als ordentliche Mitglieder:
Dr. Michael Doeberl, K. Ministerialrat, Honorarprofessor
der Geschichte an der Universität München, bisher
außerord. Mitglied,
Dr. Robert Davidsohn, Professor in München, vormals in
Florenz, bisher korrespond. Mitglied,
Dr. Ulrich Wilcken, o. Professor der alten Geschichte an
der Universität München.
I
153
Personalstand.
(Ende 1915.)
Protektor:
SEINE MAJESTÄT DER KÖNIG.
Verwaltung.
Präsident :
Dr. Otto Crusius, Großh. Bad. Geh. Hofrat, o. üniv. -Professor für
klassische Philologie, geb. 20. Dez. 1857 zu Hannover (o. 1905,
a. 0. 1903), Widenmayerstr. lO/III,
Sekretär der philosophisch-philologischen Klasse:
Dr. Ernst Kuhn, K. Geh. Rat, o. Üniv.-Professor für arische Philologie,
geb. 7. Febr. 1846 zu Berlin (o. 1883, a. o. 1878), Heßstr. 5/1.
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse:
Dr. Karl Ritter v. Goebel, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des K. Botanischen Gartens und des Pflanzenphysiologischen
Instituts, geb. 8. März 1855 zu Billigheim, Baden (o. 1892), Menzinger-
straße 15 (Botan. Garten).
Sekretär der historischen Klasse:
Dr. Erich Marcks, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Geschichte, geb.
17. Nov. 1861 zu Magdeburg (o. 1913, korr. 1898), Elisabethstr. 10/11.
Syndikus:
Dr. Karl Mayr, Honorarprofessor für Geschichte an der Universität, geb.
28. März 1864 zu Krumbach (a. o. 1909), Römerstr. 26/0.
154
Personalstand
Bibliothek:
Bibliothekar : Dr. AdolfHilsenbeck, Bibliothekar der K. Hof- und Staats-
bibliothek.
Kanzlei :
Kanzleisekretär: Adolf Reichel.
Diener: Paul Seidel.
Kassenverwaltung:
Kassier: Hans Dehn er.
Kassesekretär: Joseph Miller.
. Haus :
Hausverwalter: Joseph Ennichl.
Hausdiener und Heizer: Peter Hufnagl.
Pförtner und Hilfsheizer: Anton Schwald.
Buchhändler der Akademie:
G. Pranzscher Verlag (Kgl. u. Herzogl. Bayer. Hofbuchhändler J. Roth),
Otto.str. 3 a.
155
Ehrenmitglieder.
1892 Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Therese von Bayern.
1911 Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayei'n.
Ordentliche und ausserordentliche Mitglieder.
Philosophisch -philologische Klasse.
Ordentliche Mitglieder
(nach dem Jahre der Wahl und nach dem Stande Ende 1915).
Dr. Ernst Kuhn (o. 1883, a. o. 1878), s. Klassensekretär S. 153.
Dr. Nikolaus Weck lein, K. Geh. Hofrat, Gymnasialrektor a. D.. geb.
19. Februar 1843 zu Gänheim (o. 1887, a. o. 1872), Possartstr. 12/0.
Dr. Hermann Paul, K. Geh. Hofrat, o. Professor für deutsche Philologie,
geb. 7. Aug. 1846 zu Salbke bei Magdeburg (o. 1893, ausw. 1892),
Kaulbachstr. 62a/Il.
Dr. Iwan Ritter v. Müller, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für klassische
Philologie und Pädagogik, geb. 20. Mai 1830 zu Wunsiedel (o. 1894,
a. 0. 1893, korr. 1876), Siegfriedstr. 21/1.
Dr. Georg F. Graf v. Hertling, Exz., Staatsrat i. o. D., Staatsminister
des Kgl. Hauses und des Äußern, lebenslänglicher Reichsrat, geb.
31. Aug. 1843 zu Darmstadt (o. 1899, a. o. 1896), Promenadeplatz 22.
Dr. Karl v. Amira, o. Univ.-Professor für deutsche Rechtsgeschichte,
deutsches büi-gerliches Recht, Handelsrecht und Staatsrecht, geb.
8. Februar 1848 zu Aschaffenburg (o. 1901), Möhlstr. 37.
Dr. Otto Crusius (o. 1905, a. o. 1903), s. Präsident S. 153.
Dr. Franz Muncker, o. Univ.-Professor für neuere insbesondere deutsche
Literaturgeschichte, geb. 4. Dez. 1855 zu Bayreuth (o. 1906, a. o. 1901),
Liebigstr. 39/1, 2. Aufg.
Dr. Paul Wolters, o. Univ.-Professor für Archäologie, geb. 1. Sept. 1858
zu Bonn (o. 1908, korr. 1903), Tengstr. 20/1 r.
Dr. Friedrich Vollmer, o. Univ.-Professor für klassische Philologie, geb.
14. Nov. 1867 zu Fingscheidt (o. 1908, a. o. 1906), Mauerkircher-
straße 26/ni.
156 Personalstand fl
Dr. Wilhelm Streitberg, o. Univ.-Professor für indogermanische Sprach-
wissenschaft, geb. 23. Februar 1864 zu Rüdesheim a. Rh. (o. 1911,
a. o. 1909), Isabellastr. 31/11.
Dr. Clemens Baeumker.K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Philosophie,
geb. 16. Sept. 1853 zu Paderborn (o. 1913, a. o. 1912, korr. 1909), Franz
Josephstr. 30/1.
Dr. August Heisenberg, o. Univ.-Professor für mittel- und neugriechische
Philologie, geb. 13. Novbr. 1869 zu Osnabrück (o. 1913, a. o. 1911),
Hohenzollernstr. IIO/III.
Dr. Erich Berneker, o. Univ.-Professor für slavische Philologie, geb.
3. Febr. 1874 zu Königsberg in Preußen (o. 1913, a. o. 1911), Mauer-
kircherstraße 16/11.
Dr. Oswald Külpe, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Philosophie,
geb. 3. August 1862 zu Candau (o. 1915, a. o. 1914), Elisabeth-
straße 13/1.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Friedrich Ohlenschlager, K. Oberstudienrat, Gymnasialrektor a. D.,
geb. 2. Aug. 1840 zu Niedernberg (1883), Luisenstr. 54/III.
Dr. Friedrich Wilhelm Frhr. v. Bissing, o. Univ.-Professor für Ägyp-
tologie und orientalische Altertumskunde, geb. 22. April 1873 zu
Potsdam (1909), Georgenstr. 10—12.
Dr. Erich Petzet, Bibliothekar an der K. Hof- und Staatsbibliothek,
geb. 3. Mai 1870 zu Breslau (1910), Clemensstr. 38/III.
Dr. Karl Vossler, o. Univ.-Professor für romanische Philologie, geb.
6. Sept. 1872 zu Hohenheim bei Stuttgart (1912), Leopoldstr. 87/11.
Dr. Lucian Scherman, a. o. Univ.-Professor für Sanskrit -Sprache und
Literatur, Direktor des K. Ethnographischen Museums, geb. 10. Okt.
1864 zu Posen (1912), Herzogstr. 8/II.
Dr. Joseph Schick, o. Univ.-Professor für englische Philologie, geb.
21. Dez. 1859 zu Rißtissen (1913), Ainmillerstr. 4/II.
Dr. Albert Rehm, o. Univ.-Professor für klassische Philologie und Päda-
gogik, geb. 15. August 1871 zu Augsburg (1914), Montsalvatstr. 12.
Mathematisch-physikalische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Adolf Ritter v. Baeyer, Exz., K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Chemie, Direktor des Chemischen Laboratoriums des Staates, geb.
31. Okt. 1835 zu Berlin (o. 1877, a. o. 1875, korr, 1870), Georgen-
straße 4/0.
Personalstand 157
Dr. Ludwig Radlkofer, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des Botanischen Museums, geb. 19. Dez. 1829 zu München
(o. 1882, a. 0. 1875), Sonnenstr. 7/1.
Dr. Paul Heinrich Ritter v. Groth, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Mineralogie, Direktor der Mineralogischen Sammlung des Staates,
geb. 23. Juni 1843 zu Magdeburg (o. 1885, a. o. 1883, korr. 1881),
Kaulbachstr. 62/0.
Dr. Hugo Ritter v. Seeliger, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Astro-
nomie, Direktor der K. Sternwarte, geb. 23. Sept. 1849 zu Biala,
Österreich (o. 1887, a. o. 1883), Sternwartstr. 15.
Dr. Richard Ritter v. Hertwig, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Zoologie und vergleichende Anatomie, Direktor der Zoologischen
Sammlung, geb. 23. Sept. 1850 zu Friedberg (o. 1889, a. o. 1885),
Schackstr. 2/ni.
Dr. Aurel Voss, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathematik,
geb. 7. Dez. 1845 zu Altona (o. 1889, a. o. 1886), Habsburgerstr. l/II.
Dr. Walther Ritter v. Dyck, K. Geh. Rat, o. Professor für Mathematik
an der Techn. Hochschule, geb. 6. Dez. 1856 zu München (o. 1892,
a. 0. 1890), Hildegardstr. 5/1II.
Dr. Karl Ritter v. Goebel (o. 1892), s. Klassensekretär S.,153.
Dr. Ferdinand Lindemann, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für
Mathematik, geb. 12. April 1852 in Hannover (o. 1895, a. o. 1894),
Kolbergerstr. 11/IIr.
Dr. Alfred Pringsheim, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathe-
matik, geb. 2. Sept. 1850 zu Ohlau, Schlesien (o. 1898, a. o. 1894),
Arcisstr. 12.
Dr. Wilhelm Konrad Röntgen, Exz., K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor
für Experimentalphysik, Direktor der Physikalisch - metronomischen
Sammlung, geb. 27. März 1845 zu Lennep (o. 1900, korr. 1896), Äußere
Prinzregentenstr. 1/L
Dr. Johannes Rückert, o. Univ.-Professor für Anatomie, insbesondere
deskriptive und topographische Anatomie, Direktor der Anatomischen
Sammlung, geb. 28. Dez. 1854 zu Koburg (o. 1901, a. o. 1893), Nuß-
baumstr. 12/1.
Dr. Karl Ritter v. Linde, K. Geh. Rat, Honorarprofessor für angewandte
Thermodynamik an der Techn. Hochschule, geb. 11. Juni 1842 zu
Berndorf (o. 1901, a. o. 1896), Heilmannstr. 17.
Dr. Johannes Ranke, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Anthropo-
logie und allgemeine Naturgeschichte, Direktor der Anthropologisch-
prähistorischen Sammlung, geb. 23. Aug. 1836 zu Thurnau (o. 1902,
a. 0. 1893), Briennerstr. 25/ni.
1 58 Personalstand ^M
Dr. Sebastian Finster walder, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mathe-
matik an der Techn. Hochschule, geb. 4. Okt. 1862 zu Rosenheim
(o. 1903, a. 0. 1899), Plüggenstr. 4.
Dr. August Rothpletz, o. Univ.-Professor für Geologie und Paläonto-
logie, Direktor der Geologischen und Paläontologischen Sammlung,
geb. 25. April 1853 zu Neustadt a. H. (o. 1904, a. o. 1899), Giselastr. 6/1.
Dr. Siegmund Günther, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Erdkunde an
der Techn. Hochschule, geb. 6. Februar 1848 zu Nürnberg (o. 1905,
a. 0. 1900), Nikolaistr. l/II.
Dr. August Föppl, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mechanik an der
Techn. Hochschule, geb. 25. Januar 1854 zu Großumstadt, Hessen
(o. 1909, a. 0. 1903), Lachnerstr. 22.
Dr. Erwin Voit, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Physiologie und
Diätetik, geb. 16. Dez. 1852 zu München (o. 1909, a. o. 1903), Bauer-
straße 28,111.
Dr. u. Dr. Ing. h. c. Ludwig Burmester, K. Geh. Hofrat, o. Professor
für darstellende Geometrie und Kinematik an der Techn. Hoch-
schule, geb. 5. Mai 1840 zu Othmarschen (o. 1909, a. o. 1905), Kaul-
bachstr. 83/11.
Dr. Arnold Sommerfeld, o. Univ.-Professor für theoretische Physik,
Direktor des Instituts für theoretische Physik, geb. 5. Dez. 1868 zu
Königsberg i. Pr. (o. 1910, a. o. 1908), Leopoldstr. 87/111.
Dr. Max Ritter v. Grub er, K. Geh. Rat und Obermedizinalrat, o. Univ.-
Professor für Hygiene und Bakteriologie, geb. 6. Juli 1853 zu Wien
(o. 1910, a. 0. 1909), Prinzenstr. 10.
Dr. Siegfried Mollier, o. Univ.-Professor für Anatomie, insbesondere
für Histologie und Entwicklungsgeschichte, Konservator der Anato-
mischen Sammlung, geb. 19. Juli 1866 zu Triest (o. 1911, a. o. 1908),
Vilshofenerstr. 10.
Dr. Erich v. Drygalski, o. Univ.-Professor für Geographie, geb. 9. Febr.
1865 zu Königsberg i. Pr. (o. 1912, a. o. 1909), Gaußstr. 6.
Dr. Otto Frank, o. Univ.-Professor für Physiologie, Direktor des Phy-
siologischen Instituts, geb. 21. Juni 1865 zu Großumstadt, Hessen
(o. 1912, a. 0. 1909), Haydnstr. 5/II.
Dr. Max Schmidt, Dipl.-Ing. h. c, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Geo-
däsie und Topographie an der Techn. Hochschule, geb. 17. März
1850 zu Tambach (o. 1913, a. o. 1911), Franz Josephstr. 18/III.
Personalstand 159
Historische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Johann Friedrich, o. Univ.-Professor für Geschichte, geb. 5. Mai
1836 zu Poxdorf, Ofr. (o. 1880, a. o. 1869), von der Tannstr. 17/11.
Dr. Sigmund Ritter v. Riezler, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
bayer. Landesgeschichte, geb. 2. Mai 1843 zu München (o. 1888,
a. 0. 1877), K. Maximilianeum.
Dr. Franz Ritter v. Reber, K. Geh. Rat, o. Professor für Kunstgeschichte
an der Technischen Hochschule a. D., K. Zentral gemäldegalerie-
direktor a. D., Honorarprofessor an der Universität, geb. 10. Nov.
1834 zu Cham, Opf. (o. 1890, a. o. 1887), Kaulbachstr. 31/0 1.
Dr. Hermann Ritter v, Grauert, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für
Geschichte, geb. 7. Sept. 1850 zu Pritzwalk i. d. Ostpriegnitz (o. 1899,
a. 0. 1898), Tengstr. 35/11.
Dr. Lujo Brentano, K. Sachs. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für National-
ökonomie, Finanzwissenschaft und Wirtschaftsgeschichte, geb. 18. Dez.
1844 zu Aschaffenburg (1901), Mandlstr. 5/0.
Dr. Hans Prutz, K. Preuß. Geh. Reg.-Rat, emerit. Univ.-Professor für
Geschichte, geb. 20. Mai 1843 zu Jena (1902), Reitmorstr. 52/III.
Dr. Heinrich Wölfflin, K. Preuß. Geh. Reg.-Rat, o. Univ.-Professor für
Kunstgeschichte, geb. 21. Juni 1864 zu Winterthur (1912), Widen-
mayerstraße 26/ni.
Dr. Adolf Sandberger, o. Univ.-Professor für Musikwissenschaft, geb.
19. Dez. 1864 zu Würzburg (o. 1912, a. o. 1902), Prinzregentenstr. 48/1.
Dr. Erich Marcks (o. 1913, korr. 1898), s. Klassensekretär S. 153.
Dr. Leopold Wenger, o. Univ.-Professor für römisches Zivilrecht und
deutsches bürgerliches Recht, geb. 4. September 1874 zu Obervellach
in Kärnten (o. 1914, a. o. 1912), Germaniastr. 5/0.
Dr. Michael Doeberl, K. Ministerialrat, Honorarprofessor an der Uni-
versität, geb. 15. Januar 1861 zu Waldsassen (o. 1915, a. o. 1903),
Schönfeldstr. 6/llL
Dr. Robert Davidsohn, geb. 26. April 1853 zu Danzig, K. Preuß.
Professor (o. 1915, korr. 1909), Maximiliansplatz 5.
Dr. Ulrich Wilcken, o. Univ.-Professor für alte Geschichte, geb. 18. Dez.
1862 zu Stettin (1915), Konradstr. 12/0.
160
Personal stand
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Ludwig Quidde, K. Preuß. Professor, geb. 23. März 1858 zu Bremen
(1892), Gedonstr. 4/1.
Dr. Georg Leidinge r, Oberbibliothekar an der K. Hof- und Staats-
bibliothek, geb. 30. Dez. 1870 zu Ansbach (1909), Lotzbeckstr. 6/L
Dr. Karl Mayr, (1909), s. Verwaltung S. 153.
Dr. Georg Habich, Direktor des K. Münzkabinetts, geb. 24. Juni 1868
zu Darmstadt (1910), Schönfeldstr. 20/11.
Dr. Georg Hager, K. Generalkonservator der Kunstdenkmale und Alter-
tümer Bayerns, geb. 20. Okt. 1863 zu Nürnberg (1911), Kochstr. 18/n.
Dr. Theodor Bitterauf, Professor der Geschichte an der Kriegsakademie,
a. 0. Professor an der Universität, geb. 7. Okt. 1877 zu Nürnberg
(1914), Kaiserplatz 9/1 r.
Personalstand
161
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder
nach den drei Klassen (bzw. Sektionen derselben), in alpha-
betischer Ordnung.
üie Zahl vor dem Namen bezeichnet das Jahr der Wahl in die Akademie.
I. Philosophisch -philologische Klasse.
Auswärtige Mitglieder:
1890 Delbrück Berthold in Jena
1884 Förster Wendelin in Bonn
1897 Hirth Friedrich in New- York
1891 Jagic Yatroslav v. in Wien
1884 Imhoof- Blumer Friedrich
in Winterthur
1874 Kern Heinrich in Utrecht
1892 Leskien August in Leipzig
1877 Meyer Wilhelm in Göttingen
1879 Nöldeke Theodor in Straß-
burg i. E.
1890 Stumpf Karl in Berlin
1888 Wimmer Ludwig in Kopen-
hagen.
Korrespondierende Mitglieder:
1912 Behaghel Otto in Gießen 1880
1908 Bezold Karl in Heidelberg 1888
1907 Boll Franz in Heidelberg 1900
1904 Braune Wilhelm in Heidel- 1906
berg
1895 Brugmann Karl in Leipzig 1899
1911 Bulle Heinrich in Würzburg 1913
1879 Comparetti Domenico in
Florenz 1910
1910 Cumont Franz in Brüssel 1911
1898 Diels Hermann in Berlin 1912
1896 Er man Adolf in Berlin 1909
1901 Evans Arthur J. in Oxford 1905
1913 Fischer Hermann v. in Tu- 1907
hingen 1909
Jahrbuch 1915,
Foucart Paul in Pai-is
Geiger Wilhelm in Erlangen
Götz Georg in Jena
Grenfell Bernard P. in Ox-
ford.
Grünwedel Albert in Berlin
Heiberg Ludwig in Kopen-
hagen
HillebrandAlfredin Breslau
Hirzel Rudolf in Jena
Hülsen Christian in Florenz
Hunt Arthur in Oxford
H u s s e r 1 Edmund inGöttingen
Jacob Georg in Kiel
Jacobi Hermann in Bonn
11
162
Personalstand
1902 Jirecek Joseph Konstantin in
Wien
1886 Jolly Julius in Würzburg
1915 Karabacek Josef, Ritter v.
in Wien
1910 Kenyon Frederick George in
London
1909 Kluge Friedrich in Freiburg
im Breisgau.
1907 Lambros Spyridion P. in
Athen
1903 Lenel Otto in Freiburg i. Br.
1908 Liebermann Felix in Berlin
1892 Luchs August in Erlangen
1903 Mit t eis Ludwig in Leipzig
1905 Noreen Adolf in Upsala
1904 Omont Henri in Paris
1915 Robert Karl in Halle
1914 Sauer August in Prag
1906 Schlumberger Gustav in
Paris
1897 Schuchardt Hugo in Graz
1889 Sievers Eduard in Leipzig
1895 So der wall Knut Fredrik in
Lund
1913 Stählin Otto in Erlangen
1886 Steinmeyer Elias v. in Er-
langen
1895 Sweet Henry in Oxford
1904 Thomsen Vilhelm in Kopen-
hagen
1893 Vitelli Gii'olamo in Florenz
1904 Wilamowitz-Moellen-
dorff Ulrich v. in Berlin
1905 Windisch Ernst in Leipzig
1900 Wundt Wilhelm in Leipzig
1908 ZielinskiThaddäus in St. Pe-
tersburg.
II. Mathmatisch- physikalische Klasse.
Astronomie und Geodäsie.
Korrespondierende Mitglieder:
1911 Bau sching er Julius inStraß- 1896 Helm ertF.Robertin Potsdam
bürg i. E.
1897 Bruns Ernst Heinr. in Leipzig
1892 Förster Wilhelm in Berlin
1908 Hill George William in West-
Nyak.
1912 Struve Hermann in Berlin.
Mathematik.
1882 Brill Alexander in Tübingen
1899 Darboux Gaston in Paris
1903 Hilbert David in Göttingen
1879 Klein Felix in Göttingen
1880 KönigsbergerLeoinHeidel-
berg
1912 Mittag-Leffler Gustav in
Stockholm
Korrespondierende Mitglieder:
1895 Neu mann Karl in Leipzig
1887 Noether Max in Erlangen
1912 Schwarz Hermann Amandus
in Berlin
1910 Zeuthen Hieronymus in Ko-
penhagen.
Personalstand
163
1910
1895
1890
1912
1911
1873
1890
1888
1910
1910
1888
1907
1880
1884
1878
1909
Physik.
Korrespondierende Mitglieder:
Hann Julius in Wien
Loren tz H. A. in Haarlem
Mach Ernst in Haar
N ernst Walter in Berlin
Planck Max in Berlin
Quincke Georg Hermann in
Heidelbersr
R a y 1 e i g h John William Lord
in London
Recknagel Georg in Augs-
burg
Chemie.
Auswärtiges Mitglied:
Hof mann Karl in Charlottenburg.
Korrespondierende Mitglieder:
1909 Riecke PMuard in Göttingen
1911 Rutherford Ernst in Man-
chester
1907 Thomson Joseph John in
Cambridge (England)
1909 Voigt Woldemar in Göt-
tingen
1905 Warburg Emil in Charlotten-
burg
1907 Wien Wilhelm in Würzburg.
Ciamician Giacomo in Bo-
logna
Claisen Rainer Ludwig in
Godesberg a. Rh.
Curtius Theodor in Heidel-
berg
Fischer Emil in Berlin
Fischer Otto in Erlangen
Grabe Karl in Frankfurt a. M.
Haller Albin in Paris
1910 Paternö di SessaEmanuele
in Rom
1911 Perkin William Henry in Ox-
ford
1882 Roscoe Henry E. in London
1901 Thiele Johannes in Straß-
burg i. E.
1914 Willstätter Richard in
Berlin.
Physiologie.
Korrespondierende Mitglieder:
1912 Exner Siegmund in Wien 1913 Langley John Newport in
1885 Hensen Viktor in Kiel Cambridge (England).
1901 Hering Ewald in Leipzig 1914 Rubner Max in Berlin.
1911 Kries Johannes v. in Frei-
burg i. Br.
Zoologie und Anatomie.
Auswärtiges Mitglied :
1870 Häckel Ernst in Jena.
Korrespondierende Mitglieder:
1900 Bütschli Otto in Heidelberg 1903 Fürbringer Max in Heidel-
1906 Froriep Aug. v. in Tübingen berg
11*
164
Personalstand
1897 Hertwig Oskar in Berlin
1906 Rabl Karl in Leipzig
1899 Retzius Gustav in Stock-
holm
1911 Roux Wilhelm in Halle
1896 Schulze Franz Eilhard in
Berlin
1896 Waldey er Wilhelm in Berlin
1910 Wilson Edmond Beecher in
New- York.
Botanik.
1909 Bower Frederick Orpen in
Glasgow
1902 Engler Adolf Gustav Heinr.
in Berlin
1913 Haberlandt Gottlieb in
Berlin
1908 Nawaschin Sergius in Kiew
1880 Pfeffer Wilhelm in Leipzig
1909 Prain David in Kew
Korrespondierende Mitglieder:
1880 Seh wendener Simon in
Berlin
1906 Stahl Ernst in Jena
1900 Vries Hugo de, in Amsterd
1893 Warming Eugen in Kopen
hagen
1914 Wettstein Richard, Ritter
von Westersheim in Wien
1903 Wiesner Julius v. in Wien,
'am ■
Mineralogie, Geologie und Paläontologie.
Korrespondierende Mitglieder:
1898
1913
1902
1891
1896
1910
1895
1907
Barrois Charles in Lille
Becke Friedrich J. K. in Wien
Br0gger Waldemar Chri-
stofer in Christiania
Capellini Giovanni in Bo-
logna
Fedorow Eugraf v., in St.
Petersburg
Fl et eher Lazarus in London
Geikie Sir Archibald in
London
Gilbert Karl Grove in Wash-
ington
1899 Karpinskij Alexander in St.
Petersburg
1910 Miers Henry Alexander in
London
1912 Nathorst Alfred Gabriel in
Stockholm.
1910 Osborn Henry Fairfield in
New-York
1910 Scott Dukinfield Henry in
London
1870 Tschermak Gustav v. in
Wien
1912 Willis Bailey in Chicago.
I
Erdkunde.
Korrespondierende Mitglieder:
1909 Partsch Joseph in Leipzig
1909 Penck Albrecht in Berlin
1882 Schweinfurth Gg. in Berlin
1911 Wiechert Emil in Göttingen.
Personalstand
165
III. Historische Klasse.
Auswärtige Mitglieder:
189S Dove Alfred in Freiburg i.Br. 1870 Ritter Moriz in Bonn.
Korrespondierende Mitglieder:
1904
1910
1881
1891
1887
1895
1898
1892
1904
1882
1890
1903
1909
1901
1903
1904
1897
1902
1914
1888
1902
1890
1891
1906
1912
Bei GW Georg v. in Freiburg
i. Br.
Bernheim Ernst in Greifs-
wald
Bezold Friedrich v. in Bonn
Bode Wilhelm v. in Berlin
Bresslau Harry in Sti-aßburg
i. E.
Bücher Karl in Leipzig
Chuquet Arthur in Paris
Cipolla Carlo Graf in Turin
D'Avenel Georges Vicomte
in Paris
Dehio Georg Gottfried in
Straßburg i. E.
Duchesne Louis in Rom
Fester Richard in Halle a. S.
F i n k e Heinr. in Freiburg i. Br.
Fournier Paul in Grenoble
Gierke Otto v. in Berlin
Goetz Walter in Leipzig.
Harnack C. G. Adolf v. in
Berlin
Hauck Albert in Leipzig
Hintze Otto in Berlin
Kaufmann Georg in Breslau
Knapp Georg Friedrich in
Straßburg i. E.
Lenz Max in Hamburg
Leroy-Beaulieu Anat. in
Paris
Luschin Arnold, Ritter von
Ebengreuth in Graz
Mahaffy John P. in Dublin
1911 Meinecke Friedrich in Berlin
1895 Meyer Eduard in Berlin.
1890 Meyer v. Knonau Gerold
in Zürich
1904 Monaci Ernesto in Rom
1888 Müller Karl Ferd. Friedr. v.
in Tübingen
1898 OberhummerEugen inWien
1908 Ottenthai Emil v. in Wien
1902 Pais Ettore in Rom
1912 Pirenne Henri in Gent
1909 Redlich Oswald in Wien
1899 Rooses Max in Antwerpen
1908 Schäfer Dietrich in Berlin
1913 Schanz Georg v. in Würz-
burg
1895 Schmoll er Gustav v. in
Berlin
1892 Schröder Richard in Heidel-
berg
1912 Schulte Alois in Bonn
1875 So hm Rudolf in Leipzig
190(5 Strzygowski Joseph in Graz
1913 Tangl Michael in Berlin
1914 Troeltsch Ernst in Berlin
1884 Ulmann Heinrich in Greifs-
wald
1911 Valois Noel in Paris
1903 Venturi Adolfo in Rom
1871 Villari Pasquale in Florenz
1903 Vi seh er Robert in Wien
1908 Vogüe Charles Jean Melchior
Marquis de in Paris
1891 Winter Gustav in Wien.
166
Personal stand
Besondere Kommissionen
bei der K. Akademie der Wissenschaften.
I. Kommission für die Herausgabe der Monumenta Boica.
Mitglieder
auf unbestimmte Zeit gewählt:
Marcks, Vorsitzender Riezler v. Grauert v.
Petz Dr. Johann, K. Reichsarchivrat, Redakteur und Schriftführer.
Hilfsarbeiter: Dr. Steinberger Ludwig, Privatdozent
Dr. Bastian Franz.
2. Historische Kommission.
I. Ordentliche Mitglieder:
Winter Gustav, Wien 1901
Hauck Albert, Leipzig 1903
Below Georg v., Freiburg i.Br. 1903
Quidde Ludwig, München 1907
(a. 0. 1887)
Redlich Oswald, Wien 1908
Goetz Walter, Leipzig
1913 (a. 0. 1911)
Brandenburg Erich, Leipzig 1913
(a. 0. 1911)
Marcks Erich, München 1914
Beckmann Gustav, Erlangen 1914
(a. 0. 1903).
Ritter Moriz, Bonn, Vorsitzender
1898 (a. 0. 1883)
Riezler Sigmund v., München,
Sekretär 1887 (a. o. 1883)
Bezold Friedrich v., Bonn 1892
(a. 0. 1883)
Meyer v. Knonau Gerold, Zürich
1894
Lenz Max, Hamburg 1894
Friedrich Johann, München 1898
Dove Alfred, Freiburg i. Br. 1901
Grauert Hermann v., München
1901
II. Ausserordentliche Mitglieder:
Herre Hermann, München 1903 Mayr Karl, München 1911.
Wissenschaftliche Mitarbeiter in München :
Bauckner Arthur Endres Fritz Müller Karl Alexander v
3. Kommission für die Savigny-Stiftung
(auf unbestimmte Zeit gewählt).
Amira v., Vorsitzender Brentano
Grauert v. Wenger
Personalstand 167
4. Kuratorium für die Liebig-Stiftung.
Crusi US, Vorsitzender So xhlet Dr. Franz v., Schriftführer
Goebel v., Vertreter des Vor- Radlkofer Ludwig
sitzenden Brentano, Lujo
Liebig Hans Frhr. v., Privatdozent für Chemie in Gießen, als Vertreter
der Familie.
Ferner die gegenwärtigen Inhaber der goldenen Liebig-Medaille :
Settegast Dr. H., Geh. Regierungsrat, Professor in Berlin
Kellner Dr. 0., Geh. Hofrat, Professor in Möckern
Frank Dr. Adolf, Geh. Hofrat, Professor in Charlottenburg
Rubner Dr. Max, Geh. Medizinalrat, Professor in Berlin
Kraus Dr. Karl, Geh. Hofrat, Professor an der Techn. Hochschule inMünchen
König Dr. Joseph, Geh. Regierungsrat, Professor in Münster in Westf.
5. Kommission für den Zographos-Fonds
(auf je drei Jahre gewählt).
Wecklein Wolters
Crusius Heisenberg.
6. Kommission für die Münchener Bürger- und Cramer-Klett-Stiftung.
Crusius Seeliger V.
Goebel v. Hertwig v.
Baeyer v.
7. Kommission für die Thereianos-Stiftung
(auf je drei Jahre gewählt).
Kuhn, Vorsitzender Wolters
Crusius Heisenberg
Wecklein Wenger.
8. Kommission für die Hardy-Stiftung.
Crusius Streitberg
Kuhn Scherman.
9. Kommission für die Koenigsstiftung zum Adolf von Baeyer-
Jubiläum.
Crusius Goebel v.
Baeyer V,
168
Personalstand
10. Kommission für die Wilhelm Koenigs-Stiftung
für botanische und zoologische Forschungen und Forschungsreisen.
Crusius Hertwig v.
Goebel v.
II. Kommission für den Hitl'schen Fonds zur Förderung
der Medaillenkunst.
Crusius Otto Habich Georg
Hitl Georg, Privatier Stadler Anton, Professor
Frauendorfer v. Mayr-Graz Karl, Kunstmaler
Diez Julius, Professor Hahn Hermann, Professor.
12. Kommission für die Heinr. v. Brunokstiftung.
Crusius Goebel v.
Baeyer v.
13. K. B. Kommission für die internationale Erdmessung.
Crusius, Vorsitzender
Seeliger v., Sekretär und Stell-
vertreter des Vorsitzenden
Kustos: Dr. Ernst Zapp
Technischer Offiziant:
Mitglieder:
Finsterwalder
Schmidt.
14. Mitglieder der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae
historica
von der K. B. Akademie gewählt am 5. März 1875 und 9. Februar 1895
ohne Begrenzung der Funktionsdauer.
Riezler v.
Steinmeyer v., korr. Mitglied der historischen Klasse.
15. Kommission für die Herausgabe des Thesaurus linguae Latinae.
Vollmer, Vertreter der K. Akademie der Wissenschaften in München,
z. Z. Vorsitzender.
Thesaurus-Bureau:
Dittmann Dr. Georg, K. Preuß. Gymnasialoberlehrer in Urlaub, General-
redaktor
Jachmann Dr. Günther, Redaktor
Hey Dr. Oskar, K. Gymnasialprofessor in Urlaub, Sekretär
13 Assistenten.
Personalstand 169
16. Kommission für die Herausgabe einer Enzyklopädie
der mathematischen Wissenschaften.
Dyck Dr. Walter v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften, z. Z. Vorsitzender
Seeliger Dr. Hugo v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften.
17. Kommission für die Herausgabe der Bibliothekskataloge
des Mittelalters.
Grauert v. Vollmer Leidinger
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Lehmann Paul.
18. Kommission für das Corpus griechischer Urkunden.
Crusius Grauert v. Heisenberg
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Marc Paul.
19. Kommission für die Herausgabe von Wörterbüchern
der bayerischen Mundarten.
Kuhn, I.Vorsitzender Streitberg, 2. Vorsitzender
Riezler v. Berneker
Amira v. Muncker.
Paul
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Maus s er Otto.
20. Kommission für die Samsonstiftung.
Crusius Marcks
Goebel v, Mollier
Gruber v. Ranke
Hertwig v. Riezler v.
Külpe Rückert
Kuhn Voit
21. Vertreter der Akademie für das Ägyptische Wörterbuch.
Bissing Frhr. v.
170
Berichte und Protokolle
akademischer Kommissionen.
Bericht der Kommission für den Thesaurus linguae latinae
über die Zeit vom 1. April 1914 bis 31. März 1915.
1. Herr Brugraann hat am 6. Februar 1915 aus Ge-
sundheitsrücksichten die Vertretung der phil.-hist. Klasse der
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in der Thesaurus-
Kommission niedergelegt. An seine Stelle ist Herr Prof. Dr.
Richard Heinze gewählt worden. Die Kommission ist Herrn
Brugmann, der als Nachfolger Otto Ribbecks ihr Mitglied ge-
worden, nicht nur für seine regelmäßige Teilnahme an ihrer
Arbeit und ihren Sitzungen verpflichtet, sondern dankt es ihm
besonders, daß er durch sein Ansehen und durch seine ruhige
Milde die Beziehungen, welche die Thesaurus-Arbeit zur ver-
gleichenden Sprachwissenschaft unterhalten muß, angeknüpft
und aufs beste gepflegt hat.
2. Die Kommission hat, da Fragen allgemeinerer Art zur
Erledigung nicht vorlagen, von der Abhaltung der Ostersitzung
1915 abzusehen beschlossen.
3. Unsere Arbeit, die gerade wieder anfing das gewohnte
Tempo einzuschlagen, ist naturgemäß durch den gewaltigen
Krieg aufs schwerste beeinträchtigt worden. Nachdem am
16. April Dr. Jachmann als zweiter Redaktor eingetreten
und am 1. Mai als Ersatz für den in das Lehramt zurück-
berufenen Dr. Pflugbeil Gymnasiallehrer Friedrich Leonhardi
Kommissionsberichte 171
aus Dresden von der K. sächs. Regierung ins Bureau entsandt
war, schienen alle Bedingungen gegeben, um einen frischen
Fortgang der Arbeit zu gewährleisten. Da brach der Krieg
aus, und nicht weniger als 11 von den 18 Mitgliedern des
Bureaus wurden aus ihrer Tätigkeit gerissen, darunter auch
der zweite Redaktor. Für diesen gelang es Ende des Jahres
Urlaub zu erwirken, der bis zum 1. Juli d. J. verlängert wor-
den ist; ein Assistent trat aus der Krankenpflege wieder ins
Bureau zurück. Aber alle übrigen, durchweg schon eingear-
beitete und bewährte Kräfte, blieben seit August unserer Tätig-
keit fern. Vier von ihnen haben ihr Leben dem Vaterlande
zum Opfer gebracht: Dr. Camill Becker (gefallen am 23. 8.
14 bei Bois la Chapelle), Friedrich Leonhardi (gefallen am
8. 10. 14 bei Vassimont), Dr. Sigmund Tafel (gefallen am
15. 11. 14 bei Wytschaete), Dr. Walther Schwering (als
Kriegsfreiwilliger am Typhus im Lazarett bei Tournai am 1. 2.
15 verstorben). Sie haben alle, jeder in seiner Art, dem The-
saurus-Werke wertvolle Dienste geleistet, und ihr Andenken
wird bei uns in Ehren gehalten werden.
4. Für die Weitergewährung der regelmäßigen und auch
der außerordentlichen Beiträge, die bisher die Thesaurus-Arbeit
ermöglicht haben, sprechen wir allen beteiligten Regierungen
und wissenschaftlichen Gesellschaften unsern aufrichtigen Dank
aus. Wir verzeichnen mit Genugtuung, daß uns bisher noch
kein Beitrag ausgeblieben oder auch nur gekürzt worden ist,
Auch die Druckerei hat es bis jetzt möglich gemacht, alles
eingehende Manuskript wie in Friedenszeiten zu erledigen.
5. Nach den Halbjahrberichten des Herrn Generalredaktors
sind im Jahre 1. April 1914 bis 1. April 1915 fertiggestellt
worden 21 Bogen, Band V bis dispono, Band VI bis ferveo.
das Onomastikon bis Desideratus.
6. Im Jahre 1914 betrugen
die Einnahmen . . M. 57 653.65
die Ausgaben . . »57 590.60
Überschuß K 63.05
172
Kommissionsberichte
Unter den Ausgaben sind verrechnet M. 3000, die als
Rücklage für den Sparfonds verwendet worden sind.
Die als Reserve für den Abschluß des Unternehmens vom
Buchstaben P an bestimmte Wölfflin - Stiftung betrug am
1. Januar 1915 M. 60 619.87.
7. Übersicht über den Finanzplan für 1915.
Einnahmen:
Beiträge der Akademien und gelehrten Gesellschaften
(einschließlich der Sonderbeiträge von Berlin und
Wien) M. 32000.—
Beitrag der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg , 600. —
Giesecke- Stiftung 1914 , 5000.—
Zinsen, rund ......... , 150. —
Honorar von Teubner für 60 Bogen (6 Onomastikon) . „ 9096.—
Stipendien und Beiträge anderer Staaten ... , 4700. —
Ausgaben:
Gehälter
Laufende Ausgaben
Honorar (60 Bogen)
Verwaltung (inkl. Angestellten-Versicherung)
Exzerpte und Nachträge ....
Unvorhergesehenes .....
Sparfonds
Summe M.
51546.—
M.
33267.—
11
3500.—
71
4800.-
«
5000.—
Jl
1000.—
V
500.-
K
3000 —
Summe M. 51067.
Voraussichtlicher Überschuß M. 479.
Berlin, Göttingen, Leipzig, München, Wien,
1. April 1915.
Diels. Hauler. Heinze. Lommatzsch.
Norden. Vollmer. Wendland.
Komraissionsberichte 173
Bericht über den Fortgang der Arbeiten bei der Kom-
mission für die Herausgabe der mittelalterlichen Biblio-
thekskataloge Deutschlands und der Schweiz
in der Zeit von Mai 1914 bis Mai 1915.
Unser Unternehmen hat im vergangenen Jahre mannig-
fach unter dem Kriege gelitten, jedoch wurden die Arbeiten
nur unwesentlich aufgehalten. Einen großen schmerzlichen
Verlust erlitten wir durch den am 15. November 1914 erfolgten
Heldentod unseres langjährigen Mitarbeiters, des Herrn Dr. Sig-
mund Tafel (München-Stuttgart). Die Erinnerung an seine
lautere Persönlichkeit und seine tüchtigen Leistungen wird stets
in uns fortleben.
Unser Berliner Mitarbeiter, Herr Dr. F. Schillmann, der
ebenfalls seit 1914 im Heeresdienste steht, ist uns zum Glück
bisher erhalten geblieben.
Die Forschungsreisen wurden 1914/15 mit Rücksicht
auf die Kriegsverhältnisse stark beschränkt und nur durch den
unterzeichnenden Redaktor Dr. P. Lehmann ausgeführt. Als
ich Ende Mai 1914 anläßlich der Kartellversammlung der
deutschen Akademien in Wien war, benutzte ich die Gelegen-
heit, einige Stunden in der K. K. Hofbibliothek zu arbeiten,
und fand dort in Cod. Pal. 3404, einem Augsburger Notariats-
protokollbuch vom Ende des 15. Jahrhunderts, einige bisher
unbekannte Bücherverzeichnisse, z. B. das des Augsburger Ka-
nonikus Konrad Harscher von 1493, worin viele antike Klassiker
und deutsche Texte verzeichnet stehen. Am 30. Juli trat ich
eine Reise an, die namentlich den Bibliotheken und Archiven
des Rheinlandes gelten sollte. Jedoch kam es nur zu Arbeiten
in Bonn, Darmstadt, Düsseldorf und Köln. Neuentdeckt
wurden im Staatsarchiv zu Düsseldorf Bücherverzeichnisse des
Stiftes D. aus dem 14. Jahrhundert. Am 12. August mußte
174
Ko mmissionsberichte
die Reise des Krieges wegen abgebrochen werden, so daß vieles,
namentlich ein großer Teil der Kölner Sammlungen unerledigt
blieb. Vom 16.— 20. März 1915 ergänzte ich frühere Nach-
forschungen in Ulm,
Die übrige Zeit wurde auf die Fortsetzung des Druck-
manuskriptes, der Drucklegung des 1. Bandes und auf die Vor-
bereitung der Register verwendet, wobei ich von Herrn cand.
phil. Anton Mayer (München) unterstützt wurde. Leider traten
im Druck mehrfach längere Unterbrechungen ein, da die Druckerei
des G, H. Beck sehen Verlages infolge der Einberufungen unter
Personalmangel zu leiden hatte. Immerhin waren bis Mai 1915
15 Druckbogen fertig. Mit langsamer Fortsetzung des Druckes
im Kriege ist zu rechnen.
München, im Mai 1915. Der Redaktor:
Dr. Paul Lehmann.
Abrechnung für 1914.
Einnahmen.
Ausgaben.
J(,
o3
Ji
4
Überschuß vom Jahre 1913
2172
62
Gehalt des Redaktors .
2400
—
Beitrag Berlin ....
800
—
Honoi'are der Mitarbeiter
63
15
„ Göttingen . . .
800
—
Reisekosten
192
90
„ Leipzig . . . .
1000
—
Kleine Ausgaben (Bureau-
, München . . .
2000
-
bedarf, Photographien
u. a.)
47
84
Portoausgaben ....
13
47
Summe
6772
62
Summe
2717 36
Abgleichung.
Einnahmen . .
6772.62.^
Ausgaben
2717.3(1 -
Rest und Übergang auf das Jahr 1915 . 4055.26 J(<
Kominissionsberichte 175
Dritter Bericht der Kommission für die Herausgabe
von Wörterbüchern bayerischer Mundarten.
Das Berichtsjahr 1915 stand vollständig unter dem Zeichen
des Krieges. Der Verkehr mit den Sammlern mußte natur-
gemäß und im Verhältnis zu den Einberufungen der Militär-
pflichtigen unter ihnen eine weitere sehr fühlbare Beschränkung
erfahren. Immerhin blieb wenigstens ein Teil bis heute arbeits-
fähig. Es ist nur zu wünschen, daß diese Daheimgebliebenen
im kommenden Arbeitsjahr dem Wörterbuch ebenso treu bleiben
wie in den beiden Kriegsjahren 1914/1915. Wie sehr sie da-
mit nicht nur im Sinne der Kommission, sondern vor allem
auch derer handeln, die draußen im Felde und zu Hause in
den Lazaretten liegen, das zeigen uns die Briefe und sogar
Fragebogenbeantwortungen aus dem Schützengraben, aus Feld-
batterien und vom Krankenlager. Unter diesen Umständen
durften wir von einem vollständigen Verzeichnis unserer Sammler
heuer absehen. Unser Registrator Wilhelm Schmidt steht, mit
dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet, als Leutnant der
Landwehr noch an der Westfront; die Registraturgeschäfte
wurden daher wie im Vorjahre von Fräulein Charlotte Kuhn
weitergeführt.
1. Bayerisch-österreichisches Wörterbuch.
Die Registrierung des aus den Fragebogen anfallenden
Materials konnte im Berichtsjahre, namentlich in dessen zweiter
Hälfte in größerem Umfange als bisher in Angriff genommen
werden. Das gilt namentlich von den lexikalisch oft schwer
faßbare Probleme behandelnden Fragebogen zum Wortschatz
der Hochzeit (Nr. 7—11). Die Zahl der Wortzettel hat sich
wiederum ganz erheblich vermehrt. Die Arbeiten zur Wort-
1 • t) Kommissionsberichte
und Lautgeographie wurden fortgesetzt, auf Reisen allerdings
mußte infolge der Kriegslage verzichtet werden. Im Laufe
der nächsten Monate soll versucht werden, auf den General-
stabskarten die Grenzlinien einzutragen, die in der Frage der
Diphtongierung von o, der Vokalisierung des nachvokalischen l,
des Wandels von mhd. e zu ea und der Behandlung der rahd.
Diphthonge uo, üe, ie für die Abgrenzung des Altbayerischen
vom Schwäbischen und des Altbayerisch -oberpfälzischen vom
Ostfränkischen bestehen. Die Sammlung von Segen- und Be-
schwörungsformeln sowie größerer Texte zum Zeremoniell der
altbayerischen Bauernhochzeit konnte eine beachtenswerte Meh-
rung erfahren. Das war namentlich möglich durch die Liebens-
würdigkeit von Oberrealschulprofessor Dr. Schmöger, der uns
eine handschriftliche Sammlung zur Kopie überließ. Eine er-
hebliche Anzahl von Zeitungsausschnitten erhielten wir durch
Zollinspektor Fasold und Bernhard Stark, München. Außer-
dem arbeitete die Kanzlei ein umfangreiches, genau nach Be-
griffen und örtlicher Herkunft geordnetes Verzeichnis der mund-
artlichen und volkskundlichen Literatur Bayerns für die Jahre
1912—14 aus.
An neuen Fragebogen konnten zehn — in der laufenden
Reihe Nr. 32 — 41 — abgefaßt und an den arbeitsfähig ge-
bliebenen Teil der Sammler versandt werden. Sie umfassen
zusammen 47 Druckseiten und 666 Fragen.
Die Fragebogen 32 — 35 behandeln das unter die Begriffe
Gliedmaßen, Arm, Hand, Finger fallende Wortmaterial. Die
Nummern 36 — 41 suchen in 413 Fragen (30 Druckseiten) den
Wortschatz der Schneiderei, zunächst der Männerschneiderei
und Männerkleidung festzustellen. Eine Anzahl besonders eif-
riger Sammler konnte diese im Hochsommer fertig gedruckten
Fragebogen bereits beantworten. Die Entwürfe zu Nr. 32 — 35
stammen von Professor Lessiak, Prag, die Revision besorgte
Dr. Mausseb. Die Entwürfe für die Schneidereifragebogen sind
verfaßt von Dr. Mausser, die Revision lag bei Professor Lessiak.
Die Redaktion sämtlicher Fragebogen wurde wiederum von Hof-
rat Seemüller, Wien, ausgeübt. In den Monaten August und
Kommissionsberichte 177
September gelangte ferner an die arbeitsfähigen Sammler eine
Anfrage über die Kurz-, Kose- und Verkleinerungsformen des
Namens Erasmus und über die Verbreitung des Erasmus-Kultus
zum Versand. Die Anfrage wurde sehr zahlreich und von
mancher, namentlich geistlicher Seite mit großer, auch die
Pfarrmatrikeln ausschöpfender Gründlichkeit beantwortet.
Allen Sammlern, die uns im Berichtsjahre durch Beant-
wortung von Fragebogen und Einsendung freigesammelten
Materials erfreuten, ist die Kommission zu Dank verpflichtet.
Wie im Berichtsjahr 1913 und 1914 zeichneten sich auch
während der abgelaufenen Arbeitsperiode manche Sammler
wiederum durch besondere Sorgsamkeit und über den Durch-
schnitt reichliche Beischaffung von Material aus. In diesem
Sinne müssen folgende Persönlichkeiten besonders genannt
werden: Konrektor Dr. Ammer, München; Landtagsabgeordneter
Bauernfeind, Naabdemenreuth; Lehrerin Beil, Feldafing; Lehrerin
Beisel, Englmar; Archivar Bertele, Lauingen; Schweizer Boeck,
Hofhegnenberg; Pfarrer Brand, Erlach; Ökonom Brandl, Maxi-
milian; Bauer Brandmair, Derching; Präparandenoberlehrer
Brunner, Cham; Seminardirektor Durmayer, Bamberg; Bahn-
verwalter Eichbauer, Ludwigshafen; Pfarrer Eitlinqer, Finsing;
Steuerverwaltersgattin Ertl, Hengersberg; Zollinspektor Fasold,
München; Landwirt Geyer, Lauterbach; Schulverweserin Hai-
dinger, Dorfen; Hauptkassekontrolleur Hauptmann Haindl,
Passau (war in hervorragender Weise im Feld und Schützen-
graben für uns tätig); Förster Haaser, Griesbach (Opf.); Kauf-
mann Heimerl, München; Gutsbesitzer Hien, Mitterharthausen ;
Pfarrer Hornauer, Weihmichl; Lehrer Kleindinst, Mering; Ka-
min kehrermeister KuLZER, Tittling; Förster Kulzer, Berats-
hausen; Steinmetzmeisterswitwe Lehrberger, Tittmoning; Oberin
M. Ludovika mit zwei Lehrschwestern vom Kloster St. Joseph,
Aiterhofen (u. a. sehr viel Material zum Thema Bekleidung,
Wäsche); Kooperator Oswald, Iggensbach; Gustav Pappenberger,
München; Steuerverwalter Oellinger, Riedenburg; Schriftsteller
RoNNiNGER, München; Lehrer Schadenfroh, München; Pfarrer
Schnirle, Pfaffenberg; Postadjunkt Schlosser, Hengersberg;
Jahrbuch 1915. 12
178 Kommissionsbericlite
Frau Scheicher, Traunstein; Fräulein Emilie Schleussner, Rai-
sting; Fräulein Maria Schnepf, Traunstein; Söldner Schön,
Adlersberg; Reallehrer Schwarz, München; Edmund Stark,
Falkenthal; Bernhard Stark, München; Georg StOrzer, Haim-
hausen bei Dachau; Fischereibesitzer Strasser, Altötting; Frau
Franziska Teuerschuh, Burghausen ; Oberstlandesgerichtsrat Vier-
LiNG, München ; Notariatsbuchhalter Vogl, Weilheim ; Geschwister
Vogt, Beilngries; Oberlehrer Vollmann, München; Thomas Wild,
München.
Zwei Sammler arbeiteten im Lazarett an der Beantwortung
unserer Fragebogen. Sie verdienen ausdrückliche Nennung:
Expedient Fenzl, Parkstein; Oberlehrer Schlereth, Geisenfeld.
Durch den Tod verloren wir die Sammler Lotte Ziegeltrun,
München, die gutes Material für die Gegend von Burghausen
beibrachte und den unermüdlichen Gymnasialprofessor Franz
Binhack, der innerhalb zwei Jahren 30 Fragebogen für die
Mundart seiner Heimat Waldsassen beantwortete. Auf dem
Felde der Ehre fiel Forstassistent Karl Staudigl, dem wir
manchen Aufschluß über die Mundart des südöstlichen Ober-
bayern, namentlich der Umgebung von Ruhpolding verdanken.
Die Handbibliothek der Kommission wurde durch Schen-
kungen von Lehrer Steinbacher, Aubing, Landgerichtsrat Ebner
als Vorstand des historischen Vereins Straubing und Schrift-
steller Hörner, München, bedacht. Für weitere Zuwendungen,
namentlich von Seite historischer Vereine und bayerischer Mund-
artschriftsteller, wäre die Kommission sehr dankbar.
2. Rheinpfälzisches Wörterbuch.
Die Sammlungen für das Rheinpfälzische Wörterbuch
hatten naturgemäß durch den Krieg ungemein schwer zu
leiden. Von den 329 angemeldeten Sammlern ist es nur einem
möglich geworden, eine Beantwortung auf den 1. Fragebogen
einzuliefern. Sie stammt von Rechtspraktikant und Vizefeld-
webel Hans ScHUG in Altenglan und ist (über 600 Zettel) ein
vorbildliches Muster von Gründlichkeit und Liebe zur Sache.
Die zweite schwere Beeinträchtigung der Arbeiten am Rhein-
Kommissionsberichte 179
pfalzischen Wörterbuch ist durch den Tod des Gymnasial-
rektors Dr. Georg Heeger in Würzburg eingetreten. Heeger
war wie kaum ein zweiter durch Geburt und Anlage zu den
von der Akademie eingeleiteten Arbeiten für einen Atlas der
Mundarten der Rheinpfalz und für die Abfassung eines groß
angelegten Rheinpfälzischen Wörterbuches berufen. Am 19. No-
vember 1856 zu Westheim in der Rheinpfalz als Sohn eines
Bauern geboren, verbrachte er fast sein ganzes, am 12. Mai
1915 viel zu früh beschlossenes Leben in pfälzischen Landen:
zunächst als Volksschullehrer in Offenbach bei Landau, dann
in Gymnasialdiensten in Landau (1882 — 1907) und Kaisers-
lautern (1907 — 1912). Im letzteren Jahre wurde Heeger zum
Rektor des Realgymnasiums Würzburg ernannt. Zugleich trat
die Akademie mit ihm in Verbindung. Die Arbeiten, die
Heeger für die Aufnahme der rheinpfälzischen Mundarten ge-
leistet hat, sind in den Jahresberichten der Kommission auf-
gezählt. Sie werden unvergessen bleiben und zusammen mit
den Studien und Veröffentlichungen, die Heeger vor seinem
Eintritt in unseren Arbeitsverband abfaßte,^) die feste, unver-
rückbare Grundlage für die Tätigkeit der Zukunft bilden.
Das wird um so mehr der Fall sein, als Heeger das Gesamt-
gebiet der Mundartforschung und Volkskunde seiner Heimat
beherrschte und durch wissenschaftliche Publikationen erschloß.
Man kann ohne Übertreibung sagen, daß in erster Linie durch
*) Der Dialekt der Südost- Pfalz (Teil I: Die Laute), Aufruf zur
Sammlung für die Herausgabe eines Wörterbuches der vorderpfalzischen
Mundart (beide 1896), Die germanische Besiedelung der Vorderpfalz an
der Hand der Ortsnamen, Tiere im ijfälzischen Volksmunde (1900, 1902,
1903), Volkslieder aus der Rheinpfalz (zusammen mit Wüst 1909), Ri-ra-
ritzelche (1. Folge 1912), dazu eine große Reihe von Aufsätzen zur Mund-
artforschung und Volkskunde der Rheinpfalz in verschiedenen Zeit-
schriften. Siehe genauere bibliographische Angaben und weitere Notizen
zur Biographie Heegers, die hier nicht wiederholt werden können, be-
sonders in dem Nachruf von Dr. Albert Becker in den Blättern für das
Gymnasialschulwesen 51 (1915), 277—279. Zur Charakteristik Heegers,
speziell als germanistischer Forscher, vgl, ferner Maußer, Bayerland
1915, 375 ff.
180 Kommissionsberichtt)
Heeger, in den letzten drei Jahren zusammen mit der Wörter-
buchkommission der Akademie, die Erforschung der Mundarten
und des Wortschatzes der Rheinpfalz auf eine neue, wissen-
schaftlichen Forderungen allein genügende Grundlage gestellt
worden ist.
3. Ostfränkisches Wörterbuch.
Die Vorarbeiten für die Abfassung der Belehrung für die
Sammler des Ostfränkischen Wörterbuches sind so weit in
Gang gekommen, daß nach dem Krieg die Sammelarbeiten
sofort eröffnet werden können. Über die Arbeiten der Kanzlei
zur Feststellung des Verlaufes der Grenze zwischen dem Ober-
pfälzischen und dem Ostfränkischen in den Regierungsbezirken
Oberfranken und Mittelfranken siehe oben S. 176. Außerdem
sammelt die Kanzlei Materialien zur Fixierung der pjpf -Itinie
in Unterfranken. Das Rundschreiben über den Namen Erasmus
wurde an die geistlichen Sammler auch des Ostfränkischen
Gebietes mit Erfolg versandt. Ferner begann die Kanzlei
das handschriftliche Idiotikon von Forchheim, verfaßt von
Hans Leygeber (s. Jahresbericht 1914 S. 10), zu verzetteln.
Am 13. Oktober 1915 verschied der Universitätsprofessor
Dr. August Gebhardt in Erlangen, der Verfasser der ver-
dienstlichen Grammatik der Nürnberger Mundart (in Bremers
Sammlung deutscher Mundartengraramatiken), von dem die
Kommission speziell für das Ostfränkische und das ostfränkisch-
oberpfälzische Grenzgebiet manch wertvollen Dienst hätte er-
warten dürfen.
Dezember 1915.
Die Wörterbuchkomraission
der K. B. Akademie der Wissenschaften
Dr. Ernst Kuhn,
Vorsitzender.
Dr. Otto Maußer,
wissenschaftlicher Hilfsarbeiter.
Komuiissionsberichte 181
Bericht der Kommission für Höhlenforschung in Bayern
in den Jahren 1914/15.
Dr. Hugo Obermaier hat seit mehr als 10 Jahren in
Verbindung mit Rentamtmann Josef Fraunholz im unteren
Altmühltale Höhlenuntersuchungen mit Erfolg veranstaltet.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen waren die Funde aus
der Kastlhänghöhle gegenüber Kastl am rechten Ufer der
Altmühl, welche der Anthropologisch- prähistorischen Sammlung
des Staates einverleibt wurden. (J. Fraunholz, H. Obermaier,
M. Schlosser, Die Kastlhänghöhle, eine Rentierjägerstation im
bayerischen Altmühltale, Beitr. z. Anthr. u. Urgesch. Bayerns,
XVIII, S. 119 — 164.) Da durch Fraunholz auch in den Klausen
von Neuessing bei Probegrabungen interessante, paläolithische
Fuudgegenstände zu Tage gefördert worden waren, hat Ober-
maier, bis dahin Privatdozent in Wien, der mittlerweile in das
vom Fürsten von Monaco gegründete und mit reichlichen Mit-
teln ausgestattete internationale Institut für die Paläonto-
logie der Menschen in Paris als Professor berufen worden ist,
für sich von diesem Institut Mittel zur systematischen Aus-
grabung der Klausen erwirkt. In den Jahren 1912 und 1913
wurden deshalb von der Anthropologisch-prähistorischen Staats-
sammlung in Verbindung mit dem Institut die Grabungen unter
Leitung von Professor Obermaier und Professor F. Birkner
durchgeführt.
Das internationale „Institut de Paleontologie humaine"
(L'Anthropologie, XXII, 1911 S. 111/112), dessen geschäfts-
führendem Ausschuß (conseil d'administration) der deutsche
Heichsangehörige Dr. Hugo Obermaier als Professor für prä-
Iö2 Kommissionsberichte
historische Geologie und dessen wissenschaftlichem Ausschuß
(conseil de perfectionnement) als Vertreter der deutschen
Wissenschaft Geheimrat F. von Luschan (Berlin) und M.
Hoernes (Wien) angehören, führt satzungsgemäß wissenschaft-
liche Untersuchungen über den Ursprung und die Geschichte
des fossilen Menschen aus, bearbeitet die Funde in seinem
Laboratorium und übernimmt auch die Veröffentlichung der
Ergebnisse. Die Fundergebnisse verbleiben jedoch demjenigen
Lande, in dem die Untersuchungen stattgefunden haben. Auf
Grund dieser satzungsgemäßen Bestimmung war es möglich,
die Mitwirkung des Instituts bei den Grabungen der Anthro-
pologisch-prähistorischen Staatssammlung im Altmühltale zu
gestatten.
Die Grabungen hatten reichen Erfolg (Konstatierung von
Kulturschichten der Acheul-, Moustier-, Solutre- und Made-
leinestufe, Aufdeckung eines menschlichen Skelettes der So-
lutrestufe). Die Ergebnisse harren aber noch der wissenschaft-
lichen Bearbeitung, welche durch den Ausbruch des Krieges
leider unterbrochen wurde, da Obermaier als deutscher Reichs-
angehöriger durch den Krieg in Spanien zurückgehalten ist,
wo er bis zum August 1914 für das internationale Institut
in der Höhle Castillo Grabungen leitete, an denen in den
Monaten Juni und Juli 1914 auch Professor Birkner teilnahm.
Außer im Altmühltale wurde durch die Anthr.- prähisto-
rische Sammlung mit Mitteln der K. bayer. Akademie der
Wissenschaften unter Leitung von Professor Birkner und
unter Mitwirkung von Dr. Ernst Frickhinger (Nördlingen) in
der Umgebung von Nördlingen nach Resten des paläolithi-
schen Menschen gesucht. Besonders die Grabungen im Hohlen-
stein (Gde. Ederheim) und am Kaufertsberg bei Lierheim
waren erfolgreich. Im Hohlenstein fanden sich Reste der
Madeleinestufe, am Kaufertsberg solche der Madeleine- und
Mas d'Azilstufe. Auch aus anderen Höhlen des Juragebietes
sind aus früheren Zeiten mehr oder minder sichere paläolithische
Funde bekannt geworden. (F. Birkner, Der Eiszeitmensch in
Bayern. Beitr. z. Anthr. u.Urgesch, Bayerns, XIX, S. 102 — 134).
Koramissionsberichte 183
Nach diesen Feststellungen erschien es als ein Bedürfnis, die
wissenschaftliche Erforschung der bayerischen Höhlen syste-
matisch zu betreiben. Zu diesem Zwecke wurde eine akade-
mische Kommission für Höhlenforschung in Bayern begründet.
Für das Jahr 1915 waren verschiedene Aufgaben in Aus-
sicht genommen. Es sollte in erster Linie die Untersuchung
des Schulerloches bei Oberau durchgeführt werden, da der
Besitzer desselben in dem mit der Staatssammlung abge-
schlossenem Vertrage verlangt hatte, daß die Grabungen
spätestens 1915 erfolgt sein müßten. Weiter sollte damit
begonnen werden, die vermutlichen Wohnstätten des paläo-
lithischen Menschen in Bayern kartographisch aufzunehmen.
Zur Ausführung der letzteren Aufgabe begab sich Pro-
fessor Birkner am 16. und 17. Mai zuerst nach Neuessing,
um die Kastlhänghöhle und die Klausen in das Katasterblatt
einzutragen und bei dieser Gelegenheit wegen der im Herbst
auszuführenden Grabung im Schulerloch vorbereitende Schritte
zu unternehmen. Es stellte sich heraus, daß alle bisher ver-
wendeten Arbeiter zum Heeresdienst eingezogen waren und
die Beschaffung von sonstigen einigermaßen brauchbaren Ar-
beitern schwierig sein würde. Immerhin versprach der Brauerei-
besitzer Schwaier, dem die Klausen gehören und der die dort
gemachten Funde der Staatssammlung überlassen hat, bei der
Suche nach Arbeitern mitzuhelfen.
In den Tagen vom 24. Juli bis 1. August unternahm es
Professor Birkner mit dem Mitarbeiter der Kommission, Rent-
amtmann Joseph Fraunholz, die im Donau-, Laaber- und
Naabtal gelegenen Höhlen, Grotten und Felsenschutzdächer,
von denen Fraunholz teils durch frühere Besuche, teils durch
Bekannte Kunde erhalten hat, kartographisch festzustellen.
Es konnten im Donautale 10, im Laabertale 16 und im
Naabtale 11 Stellen kartographisch in Katasterblätter (1:5000)
und in die Generalstabskarte (1:50000) aufgenommen werden.
In einem Teile derselben, z. B. in den Galeriehöhlen gegenüber
dem Klösterl bei Kelheim und in der Räuberhöhle am Schelmen-
graben bei Waltenhofen (Naabtal) sind durch frühere Grabungen
184 ßommissionsbericlite
bereits Wohnschichten des Steinzeitmenschen nachgewiesen
worden, weshalb die Vermutung begründet ist, dafs auch in
einer Anzahl der übrigen Höhlen Reste des Steinzeitmenschen
sich finden.
Am Anfang des Monats September galt es die Grabungen
im Schulerloch bei Oberau (Gde. Altessing) zu beginnen. Es
konnten zu diesem Zwecke einige Bewohner Neuessings als
Arbeiter gewonnen werden. Da diese aber keine geübten Erd-
arbeiter waren, suchte Professor Birkner durch persönliche
Besprechungen von Seite der Forstärater in Kelheim (6. Sept. 15)
und der K. Regierung von Niederbayern, Kammer der Forsten,
in Landshut (8. Sept. 15) einige Forstarbeiter zu erhalten; es
wurden ihm auch 2 Arbeiter wenigstens bis zum 1. Oktober
zur Verfügung gestellt.
Am 12. September begab sich Professor Birkner nach
Neuessing, um mit Unterstützung von Rentamtmann Fraun-
holz, der vom 12. — 25. September an den Grabungen teilnahm,
und Dr. Friedrich Wagner mit den Untersuchungen zu be-
ginnen. An zwei Tagen nahm auch Professor Schlosser daran
teil. Mit 6 bzw. gelegentlich 7 Arbeitern konnte die Aus-
grabung vorgenommen werden.
Im Schulerloch, an dessen Eingang leider durch Einbauten
vor ca. 100 Jahren die ursprünglichen Verhältnisse zum Teil
nicht mehr sicher sich feststellen lassen, zeigte sich ganz ober-
flächlich eine bis 30 cm mächtige Kulturschicht aus der älteren
Bronzezeit, darunter folgte eine bis ca. 2 m mächtige Schicht mit
Steinwerkzeugen und Tierresten aus der Moustierstufe. Strati-
graphisch ließen sich drei Abteilungen konstatieren. Zu oberst
eine fast erdfreie Kalksteinchenschicht, die in der Mitte höchstens
30 cm dick war, an den Wänden aber teilweise bis 50 cm
hinabreichte. Es folgte dann eine erdige Schicht mit viel
weißen Steinchen und bei 190 — 200 cm unter der bronzezeit-
lichen Schicht schloß sich eine erdige Schicht mit wenig Stein-
chen an. Unterlagert war die Moustierschicht von einer ziem-
lich lettigen Schicht, welche nur mehr wohl durch Raubtiere
eingeschleppte Tierknochen enthielt.
Kommissionsberichte 185
Die Tierwelt der Moustierschicht umfalät nach der vor-
läufigen Bestimmung durch Professor Schlosser der Haupt-
sache nach: Mammut, Rhinozeros, Höhlenbär, Höhlenhyäne,
Kenntier, Steinbock, Pferd, Bison, Hirsch. Im Großen und
Ganzen handelt es sich um Reste von relativ wenig Individuen.
Die Stein Werkzeuge aus der Moustierschicht, von denen
an guten Stücken über 700 gesammelt werden konnten, zeigen
durchwegs die für diese Stufe charakteristischen Schaber und
Spitzen; von der unteren Grenze der oberen Schicht, mit den
weißen Steinchen, an begannen relativ kleine, in ihrer Form
zum Teil unregelmäßige Instrumentchen zahlreicher zu werden,
um nach oben zu wieder abzunehmen. In der unteren Schicht,
mit wenig weißen Steinchen, scheinen Stücke mit Bearbeitung
an den beiden Flächen, eine der Acheulstufe eigentümliche Be-
arbeitungsweise, häufiger zu sein als in der oberen Schicht. Wie
sich die Funde des Schulerloches zu den Moustierfunden im
übrigen Deutschland und in Frankreich verhalten, kann erst
durch eine eingehende Bearbeitung und Vergleichung mit den
Originalfunden in den betreffenden Museen festgestellt werden.
Schon jetzt kann die Behauptung aufgestellt werden, daß das
Schulerloch zu den reichsten Fundstellen der Moustierstufe in
Deutschland gerechnet werden muß.
Neben den Arbeiten im Schulerloch selbst galt es, auch
in der Umgebung nach Wohnstellen der Eiszeitmenschen zu
suchen. Probegrabungen an verschiedenen Stellen außerhalb
des Schulerloches haben aber keine weiteren Spuren des dilu-
vialen Menschen ergeben.
186 Medaillen -Verleihunar
Die grosse silberne Medaille der Akademie der Wissen-
schaften „Bene merenti"
wurde im Jahre 1915 verliehen
Herrn Fritz Weiß, deutschen Konsul in Chengtu (China),
Herrn Leo Frobenius in Berlin, Leiter einer Inner-
afrikanischen Forschungsexpedition.
Nachtrag:
Am 30. Dezember 1915 starb das ordentliche Mitglied der
philos.-philolog. Klasse Herr Oswald Külpe.
'/
JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH BAYERISCHEN
AKADEMIE der WISSENSCHAFTEN
1916
MÜNCHEN
VERLAG DER K. B. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
IN KOMMISSION DES G. FRANZ'SCHEN VERLAGS (J. ROTH)
1916
iy
Akademische Buchdruckerei von F. Straub in München,
i:n^halt.
III
öffentliche Sitzung am 18. März 1916
Ansprache des Präsidenten . . . . .
Bewilligungen aus Stiftungen und Preisaufgaben
Seite
1
10
15
1»
21
Satzung
Geschäftsordnung
Satzungen der Kommissionen
Historische Kommission
Urkunde über die Errichtung einer Witteisbacher Stiftung
für Wissenschaft und Kunst
Kommission für die internationale Erdmessung .
Satzungen der Stiftungen
Savigny- Stiftung ......... 26
Liebig -Stiftung 34
Zographos- Fonds 40
Münchener Bürgerstiftung ....... 43
Gramer -Klett- Stiftung 45
Thereianos- Stiftung 47
Hardy- Stiftung 51
Koenigs - Stiftung zum Adolf v. Baeyer- Jubiläum . . 53
Wilhelm Koenigs -Stiftung zur Förderung botanischer und
zoologischer Forschungen etc. ...... 55
Georg Hitl'scher Fonds 57
Heinrich v. Brunck- Stiftung ...... 59
Karl V. Dapper-Saalfels-Stiftung 60
Albert Samson- Stiftung 62
, , „ Geschäftsordnung .... 227
„ „ , Preisaufgaben .... 176
66
u. 184
68
IV
Nekrologe ....
Baumann Ludwig
Boveri Theodor
Brunner Heinrich
Dove Alfred
Foerster Wendelin
Heigel Karl Theodor
Heibig Wolfgang
Külpe Oswald
Prym Friedrich
Riecke Eduard
Rooses Max
Roscoe Henry E.
Simson Bernhard
Graf zu Solms-Laubach Hermann
Windelband Wilhelm
Öffentliche Sitzung am 15. November 1916
Verkündigung der Neuwahlen
Nachtragsbewilligungen
von Doeberl
, V. Hertwig
, V. Amira
, Marcks
, Voßler
„ Marcks
, Wolters
, Baeumker
, A. Krazer
„ Sommerfgld
„ V. Reber
„ V. Goebel
„ Marcks
„ Goebel
„ Baeumker
Seito
118
Personalstand
Verwaltung ..........
Ehrenmitglieder, ordentliche und außerordentliche Mitglieder
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder
Besondere Kommissionen
Berichte und Protokolle der akademischen Kommissionen
Thesaurus linguae latinae ..... . .
Mittelalterliche Bibliothekskataloge
Historische Kommission
Wörterbuch-Kommission .......
185
187
193
198
202
205
207
214
Bericht über die Höhlenforschung in Bayern im Jahre 1916 224
Adresse
Nachtrag
229
232
Satzung und (jescliäftsordnung
der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften.
Organisations-Urkunde
der Kgl. Bayer. Akademie der "Wissenschaften
vom 21. März 1827.
LUDWIG,
von Gottes Gnaden König von Bayern, etc. etc.
Wir haben Uns über die dermaligen Verhältnisse der
Akademie der Wissenschaften in München, welche von Un-
serem höchstseligen Regierungs-Vorfahrer dem Churfürsten
Maximilian dem III. nach ihrer ersten Stiftung bestätigt,*)
und von Unseres in Gott ruhenden Herrn Vaters, des Königs
Maximilian Joseph Majestät erneuert und neu errichtet
worden,**) Vortrag erstatten lassen , und verordnen, — auf
den Antrag Unseres Staats-Ministeriums des Innern nach Ver-
nehmung Unseres Staatsraths, wie folgt:
I. Die Akademie der Wissenschaften in München ist ein
unter dem Schutze des Königs stehender Verein von Gelehrten,
um die Wissenschaften zu pflegen, dieselben durch Forschungen
zu erweitern, und durch die vereinten Kräfte ihrer Mitglieder
Werke hervorzubringen, welche die Kraft eines einzelnen Ge-
lehrten übersteigen.
*) Der Stiftungsbrief vom 28. März 1759.
**) Durch Konstitutionsurkunde vom 1. Mai 1807.
Jabrbucb 1916.
2 Organisations-Urkunde
IL Die Wirksamkeit der Akademie umfaßt das ganze Ge-
biet der allgemeinen Wissenschaften, insbesondere
1. Philosophie, Philologie, alte und neue Literatur;
2. Mathematik und sämmtliche Naturwissenschaften, na-
mentlich Physik, Chemie, Astronomie und die ver-
schiedenen Zweige der Naturgeschichte;
3. Geschichte, und zwar vorzüglich die vaterländische in
ihrem ganzen Umfange, mit ihren Hülfswissenschaften,
jedoch mit Ausnahme der politischen Geschichte des
Tages.
Ausgeschlossen sind von dem Wirkungskreise der Aka-
demie die besonderen positiven Wissenschaften, nämlich Theo-
logie, Jurisprudenz, Kameralistik und Medicin.
IIL Nach den Hauptgegenständen ihrer Wirksamkeit theilt
sich die Akademie in drey Klassen, nämlich in
1. die philosophisch -philologische,
2. die mathematisch-physikalische, und
3. die historische Klasse.
IV. Das Personal der Akademie soll künftig bestehen aus
1. einem Vorstande,
2. drey Klassen-Sekretären,
3. einer verhältnissmässigen Anzahl sowohl ordentlicher
in München wohnender Mitglieder, als
4. ausserordentlicher oder Ehrenmitglieder, und
5. einer angemessenen Anzahl korrespondirender Mit-
glieder.
Diejenigen ordentlichen Mitglieder, welche ihren Wohn-
sitz in München aufgeben, treten in die Reihe der ausser-
ordentlichen Mitglieder ein.
Die dermaligen auswärtigen ordentlichen Mitglieder be-
halten zwar ihre bisherige Stellung zur Akademie, in Zukunft
können jedoch die ausser München wohnenden Individuen nur
in der Eigenschaft ausserordentlicher oder Ehrenmitglieder,
oder korrespondirender Mitglieder eintreten.
Organisations-Ürkunde 8
V. Der Vorstand wird von sämmtlichen ordentlichen Mit-
gliedern der Akademie aus ihrer Mitte durch Stimmenmehrheit
gewählt, bedarf jedoch zur Ausübung seines Amtes Unserer
königlichen Bestätigung. Er bekleidet die ihm auf diese Art
übertragene Stelle jederzeit drey Jahre, ist aber jederzeit wieder
wählbar; die Funktion des aus der ersten Wahl hervorgehenden
Vorstandes wird sich jedoch ausnahmsweise nur auf zwey Jahre
erstrecken.*)
Der Vorstand wacht über die genaue Beobachtung der
Statuten und die Erfüllung der Pflichten eines jeden Mitgliedes
oder Angehörigen der Akademie.
Er führt in den allgemeinen Versammlungen, und, so oft
er es zuträglich findet, auch in den besonderen oder Klassen-
Versammlungen den Vorsitz; er kann ausserordentliche Ver-
sammlungen anordnen; er unterzeichnet alle Ausfertigungen
der Akademie, und hat überhaupt alle Befugnisse, so wie alle
Verpflichtungen eines Collegial- Vorstandes. Im Falle der Ab-
wesenheit oder sonstigen Verhinderung überträgt er die Ge-
schäfte des Vorstandes einem Klassen-Sekretär.
VI. Die Klassen-Sekretäre werden aus den ordentlichen
Mitgliedern jeder Klasse und von denselben durch Stimmen-
mehrheit gewählt; diese Wahl muss Uns jedesmal angezeigt
werden, ohne jedoch Unserer Bestätigung zu bedürfen. Die
Funktionen der Klassen-Sekretäre dauern jederzeit drey Jahre,
nach deren Abfluss eine neue Wahl statt findet, bey welcher
sie wieder wählbar sind. Die Klassen-Sekretäre geben in Ab-
wesenheit des Vorstandes die Gegenstände der Verhandlungen
in den Versammlungen ihrer Klassen an, führen das Protokoll
und die Correspondenz der Klasse, nehmen in Empfang, was
besonders an dieselbe gerichtet ist, verfassen die Ehren- Reden
auf die der Akademie durch den Tod entrissenen Mitglieder
*) Eine Kgl v^erordnung vom 22. November 1841 bestimmt, daß
der Vorstand der Akademie aus der Mitte der ordentlichen Mitglieder
vom König jeweils auf drei Jahre ernannt wird.
1»
4: Organisations-Urkunde
ihrer Klasse, und redigiren gemeinschaftlich die durch den
Druck bekannt zu machenden Jahres-Berichte der Akademie.
VII. Die erste dermalige Ernennung der ordentlichen
Mitglieder der Akademie wird unmittelbar von Uns aus-
gehen, für die Zukunft aber hat die Akademie ihre Mitglieder
durch freie Wahl mit Vorbehalt Unserer jedesmaligen Be-
stätigung zu ersetzen. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder
der Akademie setzen Wir für die Zukunft für jede Klasse auf
höchstens zwölf, daher im Ganzen mit Einschluss des Vor-
standes und der Klassen-Sekretäre auf sechs und dreissig
fest.*) Jeder, der künftig als ordentliches Mitglied der Aka-
demie aufgenommen werden soll, muss der gelehrten Welt
durch schriftstellerische Werke von anerkanntem Werthe oder
durch wichtige Entdeckungen bekannt, von unbescholtenem
Charakter und in München wohnhaft sein. Im Uebrigen ist
die Wahl ganz frey, und die Mitglieder der Akademie können,
unter den obigen Voraussetzungen aus der Klasse der Geist-
lichkeit, der Staatsdiener, des Militärstandes, der öffentlichen
Lehrer an der Universität und Studien-Anstalten und der Privat-
Gelehrten gewählt werden. Die Pflichten der ordentlichen Mit-
glieder liegen unmittelbar im Zwecke der Anstalt, ihre wesent-
liche Verbindlichkeit besteht in thätiger Mitwirkung an den
Arbeiten der Akademie und ununterbrochener Theilnahme an
*) Eine Kgl. Verordnung vom 20. April 1856 bestimmte:
I. Jede Klasse der Akademie ist befugt, zwölf ordentliche Mitglieder
zu zählen, welche das siebenzigste Lebensjahr noch nicht er-
reicht haben.
IL Die ordentlichen Mitglieder der drei akademischen Klassen, welche
das siebenzigste Lebensjahr bereits erreicht oder überschritten
haben, behalten alle als Akademiker bisher besessenen Rechte
und Befugnisse, sind jedoch nur zu jenen Arbeiten und Dienst-
leistungen verpflichtet, welche sie nach freiem Entschlüsse über-
nehmen wollen.
Durch Kgl. Verordnung vom 13. Juli 1869 wurde die Zahl der ordent-
lichen Mitglieder der mathematisch-physikalischen Klasse auf 18, die
der außerordentlichen auf 12, ferner durch Verordnung vom 10. Mai 1909
die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf 24 erhöht.
Organisations-Urkunde 5
ihren Berathungen. Jedes Mitglied der Akademie hat bey seinem
Eintritte in dieselbe eine von ihm verfasste, des Druckes würdige
Inaugural-Abhandlung in öffentlicher Sitzung zu verlesen.
VIII. Zu Ehren- oder ausserordentlichen Mitgliedern
werden solche inländische oder auswärtige Individuen gewählt,
welche nach ihren Verhältnissen die Bedingungen zu ordent-
lichen Mitgliedern nicht erfüllen, aber sonst durch Rang oder
andere äussere Verhältnisse, verbunden mit wissenschaftlichen
Kenntnissen und Liebe zu den Wissenschaften, zur Beförderung
der Zwecke der Anstalt beytragen können.*) Die Akademie
legt ihnen keine Pflicht auf, es steht ihnen frey, den Sitzungen
beyzuwohnen, und Abhandlungen vorzulesen, oder einzusenden,
welche, wenn sie des Druckes würdig befunden werden, in die
Denkschriften der Akademie aufzunehmen sind.
IX. Zu korrespondirenden Mitgliedern werden von
in- und ausländischen Gelehrten diejenigen ausersehen, welche
durch zweckmässige Mittheilungen über wissenschaftliche Gegen-
stände fortwährend der Akademie nützliche Dienste zu leisten
im Stande und bereitwillig sind.
X. Die ausserordentlichen sowohl, als die correspondirenden
Mitglieder werden von der Akademie selbst mit Vorbehalt
Unserer jedesmaligen Genehmigung gewählt.**)
XL Jedem Mitgliede der Akademie steht der Austritt aus
diesem Verein frey; zur wirklichen Ausschliessung aber wird
Unsere ausdrückliche Sanktion erfordert.
XII. Nur jene Mitglieder der Akademie, welche zu öffent-
lichen regelmässigen Vorlesungen an der Ludwig-Maximilians-
Universität, an der polytechnischen Schule oder an anderen
ähnlichen Staats-Anstalten sich verpflichten, können in Zukunft
*) Die Greschäftsordnung vom 5. September 1866 trennt die Ehren-
mitglieder von den außerordentlichen Mitgliedern.
**) In der Geschäftsordnung vom 5. September 1866 ist die Höchst-
zahl der korrespondierenden Mitglieder nicht beschränkt.
6 Organisations-Urkunde
aus dem Fond der Akademie einen ständigen Gehalt erhalten.
Ausserdem werden Wir dem Vorstande und den Klassen-
Sekretären für die Dauer ihrer Funktionen angemessene jähr-
liche Remunerationen aus dem der Akademie zugewiesenen
Fond bewilligen.*)
XIII. Dem Vorstande und den Sekretären wird noch zur
Besorgung der Kanzleigeschäfte und zur Führung der Regie-
Rechnung ein Aktuar mit einem angemessenen Funktions-
Gehalte, und ein Kanzleygehülfe gegen Taggeld beygegeben.
Der Aktuar hat zugleich das Einlaufs-Tagebuch zu führen,
die Ausfertigungen der Akademie zu besorgen, und die Regi-
stratur derselben in Ordnung zu erhalten.**)
XIV. Das Staatsrainisterium des Innern (Sektion für die
Angelegenheiten der Kirche und des Unterrichts oder die hiefür
bestimmt werdende Stelle),***) dem in Beziehung auf ihre äussere
Thätigkeit und Geschäfts- Verhältnisse die Akademie als wissen-
schaftlicher Verein untergeordnet ist, kann, so oft es für noth-
wendig erachtet wird, das Gutachten der Akademie über wissen-
schaftliche Gegenstände, welches diese unentgeldlich zu geben
verpflichtet ist, erholen, auch wegen besonderer Beachtung
einzelner Gegenstände specielle Aufträge an dieselbe erlassen,
sowie hinwieder die Akademie berufen ist, wichtige und ge-
meinnützige Resultate ihrer Forschungen und Beobachtungen,
dann begründete Ansichten über wahrhaft dringende Bedürf-
nisse der im Artikel 11 bezeichneten Wissenschaften dem ge-
nannten Staatsministerium vorzulegen. Auch hat die Akademie
selbst durch Herstellung und Fortführung einer ununterbrochenen,
*) Zur Zeit erhält kein Akademiker als solcher einen ständigen
Gehalt aus dem Etat der Akademie. Der Vorstand bezieht 900 Mk.,
die 3 Klassensekretäre je 300 Mk. jährliche Remuneration.
**) Gegenwärtig hat die Akademie einen Syndikus, einen Rentarat-
mann, einen Kanzleisekretär, einen Kassensekretär und einen Diener für
die Kanzlei.
***) Jetzt „Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten".
Organisations-Ürkunde 7
freyen, jedoch rein wissenschaftlichen Verbindung mit gelehrten
Instituten und Gesellschaften des In- und Auslandes die zur
Erreichung ihres Zweckes dienlichen Hilfsmittel zu vermehren.
XV. Die wissenschaftliche Thätigkeit der Akademie äussert
sich vorÄÜglich durch
1. Berathung,
2. Schrift und Druck,
3. Ermunterung.
XVI. Zum Behufe einer freyen wissenschaftlichen Be-
rathung sollen in gewissen Zeiträumen theils ordentliche all-
gemeine, theils Klassen-Sitzungen gehalten werden, in
welchen die von der allerhöchsten Stelle an die Akademie zum
Gutachten gebrachten Fragen berathen, die wichtigeren aus-
wärtigen Correspondenz-NacBrichten vorgelegt, die von den
einzelnen Mitgliedern verfassten Abhandlungen und Vorträge
gelesen, die Wahlen neuer Mitglieder vorgenommen, und
überhaupt alle zur gemeinsamen Berathung der Akademie
oder ihrer einzelnen Klassen geeigneten Gegenstände dis-
cutirt werden.*)
XVII. In jedem Jahre sollen zwey öffentliche, feyerliche
Sitzungen gehalten werden, nämlich am Namenstage des re-
gierenden Königs und am 28. März, als dem Tage der ersten
Stiftung dieses wissenschaftlichen Vereins. In diesen beyden
festlichen Versammlungen sollen, neben gedrängten Rechen-
schafts-Berichten über das Wirken der Akademie, Abhand-
lungen über wissenschaftliche Gegenstände von allgemeinerem
Interesse und Gedächtniss-Reden über ausgezeichnete verstorbene
Mitglieder vorgetragen werden.**)
XVIII. Die Mittheilung durch Schrift und Druck besteht
vorzüglich in der Herausgabe
*) Siehe Geschäftsordnung vom 5. September 1866, Titel , Sitzungen
1 und 2*.
**) Siehe Geschäftsordnung vom 5. September 1866, Titel , Sitzungen 3*.
8 Organisations-Ürkunde
1. der akademischen Denkschriften, in welche die
von Mitgliedern der Akademie verfassten wichtigeren
Abhandlungen aufzunehmen, jedoch dieselben zur Er-
leichterung des Absatzes in besondere, nach den ver-
schiedenen Klassen der Akademie geordnete Hefte zu
vertheilen sind;
2. der Sammlung der für die vaterländische Geschichte
wichtigen Urkunden, welche unter dem Namen
,Monumenta boica"
bekannt, und unter besonderer Berücksichtigung der
Städte-Urkunden mit Ausdehnung auf geschichtliche
Urkunden aus den neuerworbenen Gebietstheilen des
Königreiches fortzusetzen ist, und
3. einer Literatur-Zeitung unter geeigneter Mit-
wirkung anderer, nicht zur Akademie gehörender
Gelehrten. *)
XIX. Ermunternd wirkt die Akademie der Wissenschaften
vorzüglich
1. durch Ausschreibung wahrhaft interessanter wissen-
schaftlicher Preisfragen und Belohnung ihrer gelungenen
Lösung ;
2. durch Zuerkennung akademischer Denkmünzen für ein-
gesendete gelungene Arbeiten.
XX. Indem Wir hierdurch Unserer Akademie der Wissen-
schaften die Hauptbestimmung ihrer künftigen Wirksamkeit
vorgezeichnet haben, tragen Wir derselben auf, eine auf diese
Bestimmungen gegründete Geschäftsordnung zu entwerfen, und
Uns zur Genehmigung vorzulegen.**)
*) Die Literaturzeitung („Gelehrte Anzeigen") hörte im Jahre 1860
auf zu erscheinen, an ihre Stelle traten , Sitzungsberichte", siehe Ge-
schäftsordnung, Titel „Sitzungsberichte".
**) Maßgebend ist gegenwärtig die Geschäftsordnung vom 5. Sep-
tember 1866.
Organisations-Urkunde 9
Gegenwärtige Verordnung soll durch das Regierungs-
blatt zur allgemeinen Kenntniss gebracht, und durch Unser
Staatsministerium des Innern förderlich in Vollzug gesetzt
werden.
München am 21. März 1827.
Ludwig.
Fürst V. Wrede, Graf v. Thürheim.
Freyherr v. Zentner. v. Maillot.
Graf V. Armansperg.
Nach dem Befehle
Seiner Majestät des Königs:
Egid V. Kobell.
10
Geschäftsordnung der K. Akademie der "Wissenschaften.
Von Seiner Majestät König Ludwig II.
unterm 5. September 1866 und 5. Januar 1884 genehmigt.
Wahlen.
1. Wahlberechtigt sind nur die hier residierenden ordent-
lichen Mitglieder der Akademie.
2. Zu den Wahlversammlungen, sowohl der einzelnen Klassen
als der Gesamt-Akademie, werden die ordentlichen Mit-
glieder durch ein Circular eingeladen.
Das unterschriebene Circular gehört zum Akt der
Wahlverhandlung.
3. Die Wahlen der Mitglieder finden in zwei aufeinander-
folgenden Sommer-Monaten statt.
a) Wahl der Klassensekretäre.
1. Die Wahl eines Klassensekretärs geschieht alsbald (im
Fall der Erledigung durch Ableben unter dem Vorsitz
des Vorstandes) durch relative Mehrheit der Anwesenden
in einer Klassensitzung mittelst Stimmzettel, welche der
stellvertretende Sekretär, der Senior der Klasse, einsieht.
2. Nach erfolgter Wahl tritt der Sekretär sofort in seine
Tätigkeit.
3. Die Neuwahl wie die Wiederwahl wird den andern Klassen-
sekretären zur Bekanntgabe mitgeteilt.
b) Wahl der ordentlichen Mitglieder.
1. Die Vorschläge zur Ergänzung einer statusmässigen Stelle
durch einen einheimischen hier wohnenden Gelehrten
unterliegen der Vorberatung und alsdann der Entschei-
dung der Klasse durch Kugelung.
Geschäftsordnung 1 1
2. Die Gültigkeit der Wahl verlangt absolute Stimmenmehr-
heit von drei Viertel der eingeladenen und nicht unab-
weislich abgehaltenen Mitglieder.
3. Das von allen Mitgliedern unterschriebene Wahlprotokoll
wird samt den schriftlichen Vorschlägen durch das Prä-
sidium der Gesamt- Akademie in allgemeiner Sitzung mit-
geteilt und diese entscheidet durch absolute Stimmenmehr-
heit mit Kugeln, ohne Rücksicht auf die Zahl der Er-
schienenen, über die Wahl.
4. Das gleiche Verfahren gilt bei den folgenden unter c
und d aufgeführten Wahlhandlungen.
c) Wahl der ausserordentlichen Mitglieder.
Die Vorschläge stehen jedem einzelnen ordentlichen Mit-
glied der Klasse zu.
d) Wahl der auswärtigen und korrespondierenden
Mitglieder.
1. Die Anträge können gleichfalls von jedem ordentlichen
Mitgliede der Klasse einzeln gestellt werden.
Jeder Vorschlag muss dem Klassensekretär vor der
Wahlsitzung schriftlich übergeben werden.
2. Bei der Würdigung derselben ist, ausser der selbstver-
ständlichen Beachtung der Persönlichkeit, das Bedürfnis
einzelner oder besonderer in der Klasse vertretener Wissen-
schaften wahrzunehmen.
e) Wahl von Ehrenmitgliedern.
Die Vorschläge können nur vom Vorstande nach Benehmen
mit den Klassensekretären an die Gesamt-Akademie gebracht
werden.
Sämtliche Wahlen der Mitglieder unterliegen der könig-
lichen Bestätigung. Ihre Verkündigung erfolgt in öffentlicher
Sitzung.
Nehmen auswärtige oder korrespondierende Mitglieder
ihren bleibenden Wohnsitz hierselbst, so treten jene als ordent-
12 Geschäftsordnung
liehe, diese als ausserordentliche in ihre Klasse ein, auch in
dem Fall, dass damit die Normalzahl der Mitglieder über-
schritten wird.
Sitzungen.
1.
Allgemeine Sitzungen.
Bei Mitteilungen von allgemeinem Interesse beruft der
Vorstand sämtliche hier wohnende Akademiker in besonderer
Einladung, wie gelegentlich der Wahl neuer Mitglieder.
2.
Klassen Sitzungen.
1. Die Sitzungen der drei Klassen werden gleichzeitig am
ersten Samstag des Monats gehalten.
2. Eine Verlegung dieser regelmässigen Sitzung wird vor-
her durch Circular angezeigt.
3. über die Reihenfolge der Vorträge wird in der November-
Sitzung jeder Klasse Anordnung getroffen.
4. Der von einem Mitgliede in einer Sitzung zu haltende Vortrag
soll vor derselben dem Klassensekretär angemeldet werden.
5. Die Klasse erledigt in ihren Sitzungen oder in dringen-
den Fällen durch Circulare auch Anfragen oder Aufträge
des Staatsministeriums oder was sonst in den Kreis der
Beratung eintritt.
3.
Öffentliche Sitzungen.
1. Nach Eröffnung der Sitzungen (welche an einem Königs-
tage und an dem Stiftungstag der Akademie stattfinden) *)
durch den Vorstand erstatten die Klassensekretäre Bericht
über die Personal- Veränderungen innerhalb ihrer Klasse.
2. Die Festrede wechselt nach der Folge der drei Klassen.
Jede Klasse hat rechtzeitig den Redner zu bestimmen
und dem Vorstande bekannt zu geben.
*) Gegenwärtig wird erstere Mitte November, letztere in der ersten
Hälfte des Monats März abgehalten.
Geschäftsordnung 13
Denkschriften.
Jedes Jahr gibt jede Klasse eine Abteilung zu einem
Bande akademischer Denkschriften ; dieser enthält circa hundert
Bogen.
Die Aufnahme der Abhandlungen, mögen sie nun in einer
Sitzung vorgetragen oder eingesendet worden sein, hängt von
dem Gutachten der Klasse ab.
Von den einzelnen Abhandlungen werden auch eine Zahl
Separat-Abzüge ausgegeben.
Sitzungsberichte.
Die Sitzungsberichte veröffentlichen, was alles in den
Klassensitzungen zum Vortrag kam, sei es im Auszug, sei es
vollständig.
Über die Aufnahme entscheidet die Klasse.
Dieselben berichten auch über die öffentlichen Sitzungen.
Für künstlerische Beilagen, sowohl zu den Denkschriften
als den Sitzungsberichten, muss ein Voranschlag gemacht und
die besondere Genehmigung des Vorstandes eingeholt werden.
Monumenta boica.
Die hiefür eigens niedergesetzte Kommission hat die Aus-
wahl, die Form und den Bearbeiter der Urkunden zu bestimmen.
Honorare.
Für die Festrede in der öffentlichen Sitzung, für die Ab-
handlungen in den Denkschriften und den Sitzungsberichten
werden Honorare bezahlt.
Übersteigt eine Abhandlung in einer Abteilung der Denk-
schriften die Zahl von acht Bogen, in den Sitzungsberichten
die Zahl von drei*) Bogen, so wird für das Weitere kein
Honorar bezahlt.
*) Gegenwärtig fünf.
14 Geschäftsordnung
Für die Festrede bleibt ohne Rücksicht auf ihren Umfang
das Honorar festgesetzt.*)
Jetons.
Präsenzgelder werden an die Mitglieder der Klasse für
die Klassensitzung und an die bei einer öffentlichen Sitzung
anwesenden Akademiker verteilt.**)
Ferien.
Die regelmässigen Ferien dauern von August bis Ende
Oktober.
*) Dieselbe wird zur Zeit gleich drei Bogen der Denkschriften
honoriert.
**) Für die Klassensitzungen je 2 Mk. , für die öffentlichen Sit-
zungen je 5 Mk.
15
Satzungen der Kommissionen.
Satzung der historischen Commission hei der königlichen
Akademie der Wissenschaften.
Ich habe beschlossen, eine Commission für deutsche Ge-
schichts- und Quellenforschung bei Meiner Akademie der
Wissenschaften nach ähnlichen Grundsätzen, wie die natur-
wissenschaftlich-technische Commission zu errichten, und be-
stimme desshalb auf solange Ich nicht anders verfüge, wie folgt:
I.
Die Commission besteht aus:
1. einem Vorstande,
2. einem Sekretär,
3. aus 15 — 20 ordentlichen Mitgliedern, von welchen
mindestens drei Mitglieder der historischen Classe der
Akademie sein müssen, die übrigen aber ohne sonstige
Bedingung aus den wissenschaftlichen Notabilitäten
Deutschlands und den deutschen Provinzen der Nach-
barstaaten ausgewählt werden,
4. einer unbestimmten Anzahl ausserordentlicher Mit-
glieder.
Diese Commission bildet einen integrirenden Theil der
königl. Akademie der Wissenschaften, ist daher mit dieser dem
königl. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
Angelegenheiten untergeordnet.
11.
Der Vorstand leitet in den Sitzungen die Debatte, hält
die Umfrage, gibt zuletzt seine Stimme ab, und hat bei Stimmen-
gleichheit den Stichentscheid.
Er wird im Falle der Abwesenheit von dem Sekretär ver-
treten. Er muss Mitglied der Akademie sein.
16 Satzungen der Kommissionen
Der Sekretär führt das Protokoll und besorgt die Cor-
respondenzen. Er muss ein in München residirendes ordent-
liches Mitglied der Akademie sein.
Für den ersten Fall erfolgt Meinerseits die Ernennung
des Vorstandes, des Sekretärs und der ordentlichen Mitglieder
der Commission unmittelbar. Weiterhin hat die Commission
in der jährlichen Plenarsitzung der ordentlichen Mitglieder bei
dem Abgange des Vorstandes oder Sekretärs oder ordentlicher
Mitglieder Mir deren Nachfolger, ebenso wie die ausserordent-
lichen Mitglieder zur Ernennung in Vorschlag zu bringen.
III.
Die Commission wird sich vornehmlich mit der Auffindung
und Herausgabe werthvollen Quellenmaterials für die deutsche
Geschichte in deren ganzen Umfange beschäftigen, soweit
dasselbe nicht in den Bereich bereits bestehender Unterneh-
mungen fällt. Sie wird ausserdem wissenschaftliche Arbeiten,
die in diesem Gebiete nothwendig oder erspriesslich erscheinen,
hervorzurufen suchen, sie wird endlich hervorragende wissen-
schaftliche Arbeiten dieses Gebietes, welche sonst nicht zur
Publikation gelangen würden, veröffentlichen.
Sie ist ermächtigt, Jedem, der in ihrem Auftrage die
Bearbeitung eines Gegenstandes übernimmt, die zu liquidirenden
Baarausgaben dafür zu vergüten, und die Arbeit selbst in ge-
eigneter Weise zu honoriren.
IV.
Zu Michaelis jeden Jahres findet eine Plenarsitzung aller
ordentlichen Mitglieder statt.*) Für die Theilnahme an der-
selben erhält jedes ausserhalb Münchens wohnende Mitglied
eine Reiseentschädigung von 200 fl.
In dieser Sitzung berichtet der Sekretär über die Arbeiten
und Verwendung der Geldmittel des abgelaufenen Jahres. Die
Commission fasst sodann Beschluss über die Arbeiten und den
*) Seit dem Jahre 1891 findet die Plenarversammlung mit Aller-
höchster Genehmigung nicht mehr zu Michaelis statt, sondern in der
Pfingstwoche.
Satzungen der Kommissionen 17
Etat des kommenden Jahres. Sie fasst Beschluss über etwaige
Wahlen. Wenn bei der Ausführung der Beschlüsse dringende
Fälle eine sofortige Entscheidung fordern, deren Beschliessung
zur Competenz der Plenarsitzung gehören würde, so kann
darüber durch eine Berathung des Vorstandes und des Sekretärs
in Gemeinschaft mit den in München anwesenden und den
näher bei der Sache betheiligten Mitgliedern deren Beschluss
gefasst werden.
Der Vorstand und sämmtliche Mitglieder der Akademie,
sowie die ausserordentlichen Mitglieder der Commission haben
die Befugniss, der Plenarsitzung beizuwohnen. Stimm- und
wahlberechtigt sind jedoch nur die ordentlichen Mitglieder der
Commission.
V.
Die in München anwesenden Mitglieder der Commission
treten, so oft es einem derselben erforderlich scheint, zu einer
Sitzung zusammen, die von dem Vorstande, — oder in dessen
Abwesenheit von dem Sekretär berufen und geleitet wird. Die
Beschlüsse dieser Sitzungen werden den auswärtigen Mitgliedern
durch den Sekretär mitgetheilt.
VI.
Die Commission hält ihre Sitzungen in den Lokalitäten
der Akademie der Wissenschaften.
VII.
Sie veröffentlicht ihre Arbeiten in zwanglosen Bänden, die
auf ihrem Titel als: , herausgegeben durch die historische
Commission bei der Königlich bayerischen Akademie der Wissen-
schaften* bezeichnet werden.
Die Kosten der Herausgabe werden überall aus dem
Fonde der Commission gedeckt, welchem dagegen der etwaige
buchhändlerische Ertrag der Publikationen zuwächst.
VIII.
Ich bewillige der Commission jährlich die Summe von
15000 fl. aus Meiner Cabinettscassa.
Aus diesem Fonde werden ausser den Autor-Honorarien,
Reiseentschädigungen und Druckkosten auch die Regieausgaben
Jahrbuch 1916. 2
18 Satzungen der Kommissionen
für Schreibmaterialien , Post [Fracht] bestritten. Was von
demselben in einem Jahre nicht verbraucht wird, wächst der
Einnahme des nächsten Jahres zu.
IX.
Unter der Aufsicht des Vorstandes, der im Falle seiner
Abwesenheit auch in dieser Beziehung durch den Sekretär
vertreten wird, führt der Cassier der Akademie der Wissen-
schaften die Cassa und Rechnung der Commission gegen eine
jährliche Remuneration von 150 fl. und entwirft jährlich den
Etat zur Instruktion der Plenarsitzung.
X.
Die Plenarsitzung hat jährlich über die Arbeiten der
Commission und die Verwendung ihrer Geld-Mittel umständ-
lichen Bericht zu erstatten, welcher Bericht durch das Staats-
ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten
Mir zur Genehmigung in Vorlage zu bringen ist.
XI.
Ich ernenne zu Mitgliedern der Commission die Akademiker
von Rudhart, von Spruner, von Sybel und zum Sekretär
derselben den Akademiker von Sybel. Dieselben haben sofort
Anträge über die Ernennung auswärtiger Mitglieder einzureichen.
Nach deren Eingang behalte Ich Mir vor, den Vorstand der
Commission zu bezeichnen. Zugleich bestimme Ich, dass die
Commission in den Kreis ihrer Arbeiten und auf ihren Fond
die Herausgabe der deutschen Reichstagsakten, wie Ich solche
auf den Antrag des Professors von Sybel genehmigt habe,
sowie die Arbeiten der seither bestehenden archivalischen Com-
mission übernehme.
XII.
Der jährliche Etat der Commission ist Mir zur Geneh-
migung vorzulegen , die Revision der Rechnungen aber, wie
bei der naturwissenschaftlich-technischen Commission, von der
k. Rechnungskammer zu führen.
München am 26. November 1858.
gez. MAX.
Satzungen der Kommissionen 1"
Urkunde über die Errichtung einer Witteisbacher-
Stiftung für Wissenschaft und Kunst.
LUDWIG IL,
von Gottes Gnaden König von Bayern,
Pfalzgraf bei Rhein,
Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben etc. etc.
Um die Allerhöchsten Intentionen Unseres vielgeliebten,
nun in Gott ruhenden Herrn Vaters, Seiner Majestät des Königs
Maximilian IL von Bayern im thunlichsten Umfange in ehrende
Verwirklichung zu bringen und insbesondere für die Arbeiten
der von Höchstdemselben bei der Akademie der Wissenschaften
in München gegründeten historischen Kommission auch ferner-
hin die entsprechenden Mittel zu sichern, haben Wir in Ge-
meinschaft mit Unseres vielgeliebten Herrn Bruders, des Prinzen
Otto von Bayern Königlicher Hoheit beschlossen, eine allge-
meine Landesstiftung, zunächst zur Förderung wissenschaftlicher
Zwecke, zu errichten und verordnen hier wegen was folgt:
I.
Die bezeichnete Stiftung führt den Namen „Witteisbacher-
Stiftung für Wissenschaft und Kunst" ; sie besitzt die Eigen-
schaft einer Landesstiftung mit juristischer Persönlichkeit und
hat ihren Sitz in München.
IL
Zur Dotation derselben bestimmen Wir und Unseres Herrn
Bruders, des Prinzen Otto von Bayern Königliche Hoheit den
Betrag von zusammen sechsmal hundert fünfzig tausend Mark
aus dem Nachlasse Unseres Höchstseligen Herrn Vaters.
2*
20 Satzungen der Kommissionen
III.
Die Verwaltung des Stiftungsvermögens wird der Kassa-
verwaltung der Akademie der Wissenschaften in München unter
der Aufsicht des jeweiligen Vorstandes der von Unserem Höchst-
seligen Herrn Vater, Seiner Majestät dem König Maximilian IL
von Bayern gegründeten Kommission für deutsche Geschichts-
und Quellenforschung oder des Stellvertreters desselben über-
tragen.
IV.
Die Renten des Stiftungsvermögens sind bis auf Weiteres
für die Zwecke und Arbeiten der vorgenannten historischen
Kommission zu verwenden.
Hinsichtlich der Zusammensetzung und der Aufgaben, dann
des Geschäftsganges und der sonstigen Einrichtungen dieser
Kommission verweisen Wir auf die von Unserem Höchstseligen
Herrn Vater, dem Könige Maximilian II. von Bayern hierüber
getroffenen Bestimmungen, deren allenfallsige Aenderungen Wir
übrigens Uns und Unseren Regierungsnachfolgern vorbehalten.
V.
Für den Fall die Zwecke der genannten historischen Kom-
mission seinerzeit von Uns oder Unseren Regierungsnachfolgern
als erfüllt erachtet werden sollten , behalten Wir Uns und
Unseren Regierungsnachfolgern vor, die Renten der bezeich-
neten Stiftung anderen wissenschaftlichen Zwecken oder auch
Zwecken der bildenden Künste zuzuwenden und hienach auch
die Bestimmungen über die Verwaltung des Stiftungsvermögens
zu ändern.
VI.
Unser Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schul-
angelegenheiten ist beauftragt, die zum Vollzuge dieser Stiftung
erforderlichen weiteren Anordnungen zu treffen.
Gegeben zu München, den 23. März 1880.
LUDWIG.
Dr. von Lutz.
Satzungen der Kommissionen 21
Bestimmungen über die Organisation einer Bayerischen
Kommission für die internationale Erdmessung.*)
§ 1.
Zur Durchführung der für die Zwecke der internationalen
Erdmessung in Bayern vorzunehmenden Arbeiten wird auf die
Dauer derselben eine aus Mitgliedern der mathematisch-physi-
kalischen Klasse der k. Akademie der Wissenschaften bestehende
Kommission unter der Vorstandschaft des Generalkonservators
der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates [bezw. des Vor-
standes der k. Akademie der Wissenschaften] gebildet, welche
den Namen
„K, Bayerische Kommission für die internationale
Erdmessung"
führt und dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten untergeordnet ist.
§ 2.
In dieser Kommission sind die Referate über astronomische,
geodätische, mathematische und physikalische Fragen je einem
Fachmanne zu übertragen, und es ist hierauf von dem Vor-
stande der Kommission sowohl bei der Verteilung der Referate
als bei den Anträgen auf Wiederbesetzung erledigter Funk-
tionen Rücksicht zu nehmen.
§ 3.
Die formellen Geschäfte der Kommission besorgt ein stän-
diger Sekretär, welcher Mitglied der Kommission ist, und auf
Vorschlag des Vorstandes von dem k. Staatsministerium des
Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten bestimmt wird.
*) Ursprünglich Kommission für die europäische Gradmessung.
22 Satzungen der Kommissionen
Derselbe ist in Fällen der Verhinderung des Vorstandes dessen
Stellvertreter, führt in den Sitzungen der Kommission das
Protokoll*) und besorgt die Redaktion der Druckschriften, welche
die Erdmessungskommission herauszugeben für gut findet. Siegel
und Akten der Kommission sind in seiner Verwahrung. Bei
der Aufstellung des ständigen Sekretärs wird zugleich dessen
Stellvertreter bezeichnet.
§ 4.
Das Kassa- und Rechnungswesen wird dem für das k. General-
konservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates
und die k. Akademie der Wissenschaften aufgestellten Rech-
nungsbeamten übertragen und von diesem nach den für jene
Institute geltenden administrativen Vorschriften besorgt.
§5.
Die Mitglieder der Erdmessungskommission und deren Vor-
stand besorgen die ihnen zukommenden Arbeiten unentgeltlich;
für auswärtige Beschäftigungen erhalten dieselben die ihnen
gebührenden Taggelder und Reisekosten und für Druck-
schriften, welche die Ergebnisse ihrer Beobachtungen dar-
stellen, das für Abhandlungen der akademischen Denkschriften
übliche Honorar.
Dem Rechnungsführer [sowie dem Sekretär der Akademie]
wird von dem k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten auf den gutachtlichen Antrag der
Kommission eine [ihren] Dienstleistungen entsprechende Re-
muneration bewilligt**) und dem Sekretär [der Kommission]
durch den Etat eine Aversalsumme zur Bestreitung der Aus-
lagen für Schreibgeschäfte und Bureaubedürfnisse angewiesen.
*) Laut Ministeria] entschliessung vom 10. Juli 1868 ist „in den
Fällen, in welchen der beständige Sekretär der Kommission als Vorstand
zu fungieren hat, ein Administrativ-Beamter der k. Akademie oder des
Generalkonservatoriums als Sekretär zu verwenden*.
**) Diese Remunerationen sind seit dem Jahre 1889, bezw. 1898
aufgehoben.
Satzungen der Eonunissionen 23
§ 6.
Die Kommission hat darüber zu wachen, dass alle auf
Bayern treffenden Erdmessungsarbeiten mit möglichst geringem
Kostenaufwande rechtzeitig und genau nach den Beschlüssen
der allgemeinen Konferenzen und der permanenten Kommission
der internationalen Erdmessung vollzogen und publiziert werden.
Zu dem Ende hat dieselbe
1. mit der letztgenannten Kommission die erforderliche
Korrespondenz zu unterhalten;
2. während jedes Winterhalbjahrs in einer Sitzung durch
wohlerwogene Beschlüsse die Arbeiten zu bestimmen,
welche im Sommerhalbjahr auszuführen sind und die
Summen festzusetzen , welche von jedem Kommissär
gegen vorschriftsmässige Verrechnung auf die seiner
Leitung unterstellten Arbeiten verwendet werden dürfen;
3. zu jeder Zeit die vorgelegten Manuskripte für Druck-
schriften in der Richtung zu prüfen, ob sie im Sinne
der obengenannten Beschlüsse abgefasst und überhaupt
druck würdig sind und je nach dem Ergebnisse dieser
Prüfung die Genehmigung zum Drucke des Manuskriptes
zu geben oder zu versagen; endlich
4. jährlich jedesmal im Laufe des Winters über den Fort-
gang der Erdmessungsarbeiten in Europa und Bayern
an das k. Staatsministerium des Innern füf Kirchen-
und Schulangelegenheiten zu berichten und die erforder-
lichen Anträge über Beschickung der allgemeinen und
besonderen Konferenzen der Erdmessungskommissäre
durch Mitglieder der bayerischen Kommission zu stellen.
§ 7.
Regelmässige Sitzungen der Erdmessungskommission haben
jährlich nur zwei, eine im Winter- und eine im Sommer-Se-
mester stattzufinden; in dringenden Fällen kann der Vorstand,
wenn er es für nötig findet oder zwei Mitglieder es beantragen,
ausserordentliche Sitzungen halten. Bei allen Abstimmungen
über geschäftliche Fragen entscheidet einfache Stiramenmehr-
24 Satzungen der Kommissionen
heit, kommt eine solche nicht zu Stande, so zählt die Stimme
des Vorstandes doppelt. In allen wissenschaftlichen und tech-
nischen Fragen sind die Konferenzbeschlüsse und deren allen-
fallsige Interpretationen durch die permanente Kommission der
internationalen Erdmessung massgebend. Diese Interpretationen
sind in zweifelhaften Fällen durch den Vorstand der bayerischen
Kommission zu veranlassen.
§ 8.
Alle Ausfertigungen und Berichte der Kommission werden
von dem Vorstande und dem Sekretär, beziehungsweise von
deren Stellvertretern unterzeichnet.
Das Amtssiegel der Kommission trägt das bayerische
Wappen und die Umschrift: ,K. Bayerische Kommission für
die internationale Erdmessung.* Ein Exemplar dieses Siegels
erhält jedes Kommissionsmitglied zu seinem speziellen dienst-
lichen Gebrauche für Korrespondenzen in Erdmessungsangelegen-
heiten und für Verhandlungen, welche für diesen Zweck mit
Behörden und Privaten zu pflegen sind.
§ 9.
Die bayerische Kommission für die internationale Erd-
messung geniesst für ihre Korrespondenzen und ihre mit der
Fahrpost zu versendenden Akten die Postportofreiheit auf
Grund der Allerhöchsten Verordnung vom 23. Juni 1829 und
beziehungsweise der Artikel 26 und 47 der Postverträge vom
23. November 1867.*)
§ 10.
Die Assistenten , welche ein Kommissär bedarf, werden
von diesem ausgewählt und von dem Vorstand der Erdmessungs-
kommission bei dem vorgesetzten k. Staatsministerium zur Be-
stätigung ihrer Funktionen und Bezüge beantragt.
Dieselben sind dem Kommissär untergeordnet und erhalten
von diesem ihre von der Erdmessungskommission genehmigten
*) Geändert durch Verordnung vom 22. Dezember 1907 (Ges. u.
V. Bl. S. 1082).
Satzungen der Kommissionen 25
Instruktionen, wesshalb auch der betreffende Kommissär für
alle Arbeiten seiner Assistenten verantwortlich ist.
Um sich bei dem persönlichen Verkehre mit Stellen, Be-
hörden und Privaten gehörig legitimieren zu können, wird
jedem Kommissär auf Antrag des Vorstandes der Erdmessungs-
kommission vom k. Staatsministerium des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten und jedem Assistenten auf Antrag
des betreffenden Kommissärs von dem Vorstande der Erd-
messungskommission eine Legitimationsurkunde ausgefertigt.
München, den 20. Oktober 1868.
26
Satzungen der Stiftungen.
I.
Satzung der Savigny- Stiftung.
Bei der Feier, welche die Juristische Gesellschaft zu Berlin
am 29. November 1861 zum Gedächtnisse des am 25. Oktober
desselben Jahres verstorbenen kgl. Preussischen Staatsministers
Dr. Friedrich Karl v. Savigny beging, wurde der Beschluss
verkündet, das Andenken des grossen Rechtslehrers durch
Gründung einer Stiftung zu ehren.
Da zur Ausführung dieses Beschlusses die Summe von
16,436 Thlr. Preuss. Cour, bereits verfügbar ist, wird nach-
stehendes Statut errichtet:
I. Zweck der Stiftung.
§ 1. Der Zweck der Stiftung ist:
in wesentlicher Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gesetz-
gebung und der Praxis
1. wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete des Rechts
der verschiedenen Nationen zu fördern,
namentlich solche, welche das römische Recht und
die verschiedenen Germanischen Rechte sowohl für sich
als auch im Verhältniss zu einander behandeln,
ferner solche, welche die von Savigny begonnenen
Untersuchungen in seinem Sinne weiterführen;
Satzungen der Stiftungen 27
2. besonders befähigte Rechtsgelehrte in den Stand zu
setzen , die Rechtsinstitutionen fremder Länder durch
eigene Anschauung kennen zu lernen und darüber Be-
richte oder weitere Ausführungen zu liefern.
2.' Befähigung zur Theilnahrae.
§ 2. Die Befähigung zur Theilnahme an den Vortheilen,
welche die Stiftung behufs der Förderung ihres Zweckes ge-
währt, ist an keine Nationalität gebunden.
3. Rechte der Stiftung.
§ 3. Die Stiftung besitzt unter dem Namen ,Savigny-
Stiftung" die Rechte einer Korporation und führt in ihrem
Siegel das Wappen der Familie v. Savigny. Sie hat ihren
Sitz in Berlin und ihren Gerichtsstand bei dem kgl. Stadt-
gerichte daselbst.
4. Stiftungs-Vermögen.
§ 4. Das Kapital- Vermögen der Stiftung wird aus den
bisher gesammelten Beiträgen und aus den künftig eingehenden
Zuwendungen gebildet, sofern der Geber nicht eine andere
Bestimmung über die Art der Verwendung treffen sollte.
Das Kapital- Vermögen der Stiftung darf niemals ange-
griffen werden.
§ 5. Für die Zwecke der Stiftung werden nur die Zinsen
des Kapital- Vermögens verwendet.
5. Kupatorium der Stiftung.
§ 6. Die Stiftung wird durch ein Kuratorium von sechs
Personen vertreten.
Das Kuratorium wird bei seiner Gründung aus zwei Mit-
gliedern der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, zwei
Mitgliedern der juristischen Fakultät der kgl. Friedrich- Wilhelms-
Universität daselbst und zwei Mitgliedern der juristischen Ge-
sellschaft daselbst gebildet, welche von diesen Körperschaften,
beziehungsweise von der juristischen Gesellschaft gewählt werden.
28 Satzungen der Stiftungen
Die Legitimation der von der juristischen Gesellschaft ge-
wählten zwei Mitglieder wird dadurch geführt, dass die von
der Akademie und der Fakultät gewählten vier Mitglieder des
Kuratoriums die Wahl derselben als giltig anerkennen.
§ 7. Scheidet ein Mitglied aus dem Kuratorium aus, so
erfolgt die Neuwahl von derjenigen Körperschaft, von welcher
die Stelle des ausgeschiedenen Mitgliedes bei der Gründung
der Kuratoriums besetzt worden war. — Ein gleiches Wahl-
recht steht in gleichem Umfange der juristischen Gesellschaft
zu Berlin zu. In Beziehung auf die Prüfung der Legitimation
der von der letzteren gewählten Mitglieder findet auch bei
Neuwahlen die Vorschrift des § 6 Alinea 3 des Statuts An-
wendung.
Ist dieses Wahlrecht innerhalb eines von dem Kuratorium
zu bestimmenden angemessenen Zeitraumes nicht ausgeübt
worden, so ergänzt sich das Letztere durch Kooptation aus der
Zahl der in Berlin wohnenden Rechtsverständigen. Es müssen
jedoch stets zwei Mitglieder im Kuratorium sitzen, welche
weder der Akademie noch der Universität angehören.
Ueber jeden Wahlakt des Kuratoriums wird eine notarielle
Urkunde aufgenommen.
§ 8. Das Kuratorium legitimiert sich als Vertreter der
Stiftung durch ein Attest des kgl. Polizei-Präsidiums zu Berlin
darüber, dass das Kuratorium der Stiftung zur Zeit aus den
im Atteste genannten Personen besteht.
Das Kuratorium hat die Befugniss, einen Syndikus aus
seiner Mitte zu wählen und diesem General- und Spezialvoll-
macht cum facultate substituendi zu ertheilen, auch für ein-
zelne Rechtsgeschäfte oder Prozesse Jemand, sei derselbe Mit-
glied des Kuratoriums oder nicht, unter Beilegung sämtlicher
Rechte, welche dem Vertreter einer abwesenden Partei zu-
stehen, zu bevollmächtigen.
§ 9. Das Kuratorium wählt aus seiner Mitte einen Vor-
sitzenden, dessen Name durch eine von dem Kuratorium zu
bestimmende Berliner, Wiener und Münchener Zeitung ver-
öffentlicht wird.
Satzungen d,er Stiftungen 29
Der Vorsitzende repräsentirt die Stiftung in allen ausser-
gerichtlichen Angelegenheiten. Die Zahlungs- Anweisungen an
die Kasse der Stiftung bedürfen jedoch der Unterschrift des
Vorsitzenden und zweier Mitglieder des Kuratoriums.
§ 10. Die Beschlüsse des Kuratoriums werden durch
Stimmenmehrheit seiner Mitglieder gefasst.
Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden
den Ausschlag.
Lässt der Vorsitzende schriftlich abstimmen, so muss die
schriftlich zu formulirende Frage jedem Mitgliede zur Er-
klärung vorgelegt werden, und steht es dann in der Befugniss
jedes Einzelnen, über die Frage eine mündliche Berathung und
Abstimmung zu beantragen.
Zu einem giltigen Beschlüsse des Kuratoriums auf Grund
mündlicher Abstimmung ist die Anwesenheit von mindestens
drei Mitgliedern erforderlich.
§ 11. Das Kuratorium hat für die zinsbare und deposital-
mässig sichere Anlegung des Stiftungsvermögens Sorge zu
tragen.
Die Documente der Stiftung sind bei einer mit Deposital-
verwaltung verbundenen öffentlichen Anstalt zu deponiren.
Die Kasse der Stiftung wird durch einen vom Kuratorium
hiermit zu beauftragenden öffentlichen Kassenbeamten geführt.
Diesem wird nach erfolgter Rechnungslegung alljährlich die
Decharge durch das Kuratorium ertheilt.
§ 12. Das Kuratorium stellt nach einem sechsjährigen
vom 1. Januar 1863 ab zu berechnenden Turnus die Zinsen-
masse nach Abzug der Verwaltungskosten in runder Summe
folgenden drei Akademien zu den Zwecken der Stiftung (§ 1)
zur Verfügung und zwar die Zinsenmassen
1. des ersten und zweiten Jahres der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften zu Wien,
2. des dritten und vierten Jahres der kgl. Akademie der
Wissenschaften zu München,
3. des fünften und sechsten Jahres der kgl. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin.
30 Satzungen der Stiftungen
§ 13. Von demjenigen Zeitpunkte an, wo das Kapital-
Vermögen der Stiftung die Summe von Dreissigtausend Thalern
Preuss. Cour, erreicht haben wird, tritt ein dreijähriger Turnus
unter den genannten Akademien in der angegebenen Reihen-
folge ein.
§ 14. Der Geschäftsgang bei dem Kuratorium wird durch
die anliegende Geschäftsordnung geregelt.
§ 15. Zu einer Abänderung der Geschäftsordnung ist die
Zustimmung von wenigstens vier Mitgliedern des Kuratoriums
erforderlich.
6. Der Wirkungskreis der Akademien.
§ 16. Die Akademie, welcher die Zinsenmasse nach Vor-
schrift des § 12 zur Verfügung gestellt ist, hat die Wahl, aus
derselben
1. ein in Druck oder in Schrift ihr vorliegendes Werk zu
prämiiren,
2. eine Preisaufgabe zur Konkurrenz auszuschreiben,
3. ein Reisestipendium zu ertheilen,
4. die zur Ausführung einer rechtswissenschaftlichen Arbeit
erforderlichen Geldmittel zu gewähren.
Dem freien Ermessen der Akademie bleibt überlassen, ob
sie die ihr zur Verfügung gestellte Zinsenmasse zu einem und
demselben Unternehmen oder zu verschiedenen Zwecken (Nr. 1
bis 4) verwenden will.
Auch die Zinsenraassen mehrerer Jahre können mit Ein-
willigung der betheiligten Akademien für ein und dasselbe
Unternehmen bestimmt und verwendet werden.
Ordentlichen einheimischen Mitgliedern der konferirenden
Akademie dürfen weder Preise noch Reisestipendien ertheilt
werden.
Die wissenschaftlichen Arbeiten ad 1. 2. 4., sowie die
Reiseberichte ad 3. müssen in Lateinischer, Deutscher, Eng-
lischer, Französischer oder Italienischer Sprache abgefasst sein.
§ 17. Beabsichtigt die Akademie ein bereits vollendetes
Werk zu prämiiren (§16 Nr. 1), so hat dieselbe innerhalb
Satzungen der Stiftungen 31
eines Jahres, von dem Zeitpunkte an gerechnet, wo ihr die
Zinsenmasse zur Verfügung gestellt ist, diese Prämiirung aus-
zusprechen und dem Kuratorium unter üebersendung des Werkes
sowie des die Prämiirung motivirenden Gutachtens die Zahlungs-
anweisung zu ertheilen.
Schriften, welche schon länger als vier Jahre vor dem
Beschlüsse, ein Werk zu prämiiren, durch den Druck veröffent-
licht worden, sind von der Prämiirung ausgeschlossen.
Die Auszahlung der ganzen Prämie für ein Werk, welches
im Manuscripte vorliegt, darf erst nach der Veröffentlichung
des Werkes durch den Druck erfolgen.
§ 18. Stellt die Akademie eine Preisaufgabe (§ 16 Nr. 2),
so veröffentlicht sie innerhalb eines Jahres, von dem Zeitpunkte
an gerechnet, wo ihr die Zinsenmasse zur Verfügung gestellt
ist, in ihren Organen und in den ihr geeignet erscheinenden
öffentlichen Blättern das Thema, die Bedingungen der Kon-
kurrenz und den Zeitpunkt der Ablieferung der Arbeiten, setzt
auch das Kuratorium hiervon in Kenntniss.
An dem auf diesem Zeitpunkt der Ablieferung zunächst
folgenden 21. Februar oder in der demnächst folgenden Ge-
samtsitzung verkündet die Akademie das Resultat der Kon-
kurrenz-Ausschreibung, sowie den Namen des Verfassers der
gekrönten Preisschrift und ertheilt demnächst dem Kuratorium
bei üebersendung der Preisschrift und des die Preisertheilung
motivirenden Gutachtens die Zahlungsanweisung.
Die Auszahlung der ganzen Prämie erfolgt auch in diesem
Falle erst dann, wenn die Veröffentlichung der Preisschrift
durch den Druck bewirkt wird.
Ist die Preisaufgabe nach dem Urtheile der Akademie
nicht gelöst, so steht es in ihrer Befugniss, dieselbe Aufgabe
nochmals zur Konkurrenz auszuschreiben.
§ 19. Bewilligt die Akademie ein Reisestipendium (§ 16
Nr. 3), so wird dieser Beschluss innerhalb eines Jahres, von
dem Zeitpunkte an gerechnet, wo ihr die Zinsenmasse zur
Verfügung gestellt ist, spätestens am nachfolgenden 21. Februar
oder in der demnächst folgenden Gesamtsitzung verkündet und
32 Satzungen der Stiftungen
steht es in der Befugniss der Akademie, dem Perzipienten eine
bestimmte Anweisung zu ertheilen. Der diesfällige Beschluss
unter Angabe der Zahlungsmodalitäten ist dem Kuratorium
zur Ausführung mitzutheilen. Die Akademie wird Massregeln
treffen oder durch das Kuratorium treffen lassen, welche die
Veröffentlichung des Reiseberichtes möglichst sichern.
§ 20. Entscheidet sich die Akademie dafür, die Zinsen-
masse ganz oder zum Theile einem Rechtsgelehrten zur Aus-
führung einer bestimmten wissenschaftlichen Arbeit zu ge-
währen (§16 Nr. 4), so ist sie verpflichtet, über den Plan der
Arbeit vom Verfasser eine Vorlage zu erfordern, von dem
Fortgange des Unternehmens sich in Kenntniss zu erhalten
und die Veröffentlichung des Resultates der Forschungen mög-
lichst zu sichern.
Dem Kuratorium wird bei Mittheilung der gemachten
Vorlagen und der in der Angelegenheit von der Akademie
gefassten Beschlüsse die Zahlungs-Anweisung ertheilt.
§ 21. Verfügt die Akademie an dem 21. Februar oder
in der demselben zunächst folgenden Gesammtsitzung (§§ 18
bis 19) nicht über die ihr zur Verfügung gestellte Zinsen-
masse oder macht sie nicht innerhalb des einjährigen Zeit-
raumes von dem ihr nach § 17 resp. § 20 zustehenden Rechte
Gebrauch, ein bereits vollendetes Werk zu prämiiren, be-
ziehungsweise einem Rechtsgelehrten zur Ausführung einer
wissenschaftlichen Arbeit die Mittel zu überweisen, oder er-
klärt sie nicht innerhalb gleicher Frist dem Kuratorium, dass
sie von dem Rechte des § 16 Alinea 3 Gebrauch mache, so
ist die Masse der ferneren Verfügung der Akademie entzogen.
Diese verfallenen Massen werden einem besonders zu ver-
waltenden Fonds der Stiftung zugeschrieben, dessen Zinsen
zur Deckung der Druckkosten für die prämiirten Werke gleich-
zeitig mit der Zinsenmasse des Kapital- Vermögens (§ 12) der
Akademie zur Verfügung gestellt werden.
Die von der Akademie nicht zum Druck angewiesenen
Zinsen des Druckkostenfonds werden zum Kapitale dieses Fonds
geschlagen.
Satzungen der Stiftungen 33
§ 22. Abänderungen dieses Statuts bedürfen, ausser der
Bestätigung der Staatsbehörde, der Zustimmung der drei Aka-
demien und des Kuratoriums der Stiftung.
So beschlossen zu Berlin, den 27. März 1863,
Das Gründungs- Comite der Savigny-Stiftung:
V. Bernuth. v. Bethmann-Hollweg.
Borchardt. Bornemann. Dr. Bruns. Dr. Dove.
Dr. Gneist. Dr. Heydemann, Dr. Homeyer.
Meyen. Freiherr v. Patow. Dr. Richter.
Dr. Rudorff. Graf v. Schwerin. Simson.
Volkmar. Graf v. Wartensleben.
Auf Grund vorstehender Statuten ist die hiesige Savigny-
Stiftung durch die Allerhöchste Ordre vom 20. v. Mts., welche
wörtlich, wie folgt, lautet:
,Auf Ihren Bericht vom 18. ds. Mts. will Ich der
„Savigny-Stiftung zu Berlin auf Grund ihres wieder
, beifolgenden Statuts de dato Berlin den 27. März
,1863 hiermit Meine landesherrliche Genehmigung
„erth eilen"
Salzburg, den 20. Juli 1863.
Gez. WILHELM.
Gez. V. Mühler.
,An den Minister der geistlichen, Unter-
richts- und Medicinal- Angelegenheiten"
landesherrlich genehmigt worden.
Berlin, den 6. August 1863.
(L. S.)
Der Minister der geistlichen, Unterrichts-
und Medicinal-Angelegenheiten.
In Vertretung: Lehnert.*)
*) Die drei Akademien zu Berlin, München und Wien haben durch
Beschlüsse vom 23. April, bezw. 6. und 7. Mai 1863 die ihnen in der
Satzung zugedachten Funktionen dauernd übernommen. Das Kuratorium
der Stiftung konstituierte sich zu Berlin am 29. Dezember 1863.
Jahrbuch 1916. 3
34 Satzungen der Stiftungen
Durch das Kuratorium der Savigny- Stiftung sind in den
Jahren 1886 und 1887 folgende Zusätze zum Statut gemacht
und von den drei beteiligten Akademien , sowie von Staats-
aufsichtswegen von dem K. Preussischen Minister der geist-
lichen, Unterrichts- und Medizinal- Angelegenheiten genehmigt
worden:
1. Zusatz zu § 16, „Die verfügende Akademie ist be-
rechtigt auf Antrag des Kuratoriums die Zinsenmasse bis zu
einem Fünftel zur Unterstützung periodischer Publikationen,
welche zu den Zwecken der Savigny- Stiftung in Beziehung
stehen, zu verwenden."
2, Zusatz zu § 20. „Für die Ausführung der Arbeit in
der von der beteiligten Akademie zu bestimmenden Form hat
dieselbe einen Termin festzusetzen und ist berechtigt, denselben
auf höchstens zwei Jahre zu verlängern. Von der Verlängerung
ist das Kuratorium zu benachrichtigen.
Ist kein Termin festgesetzt, so gilt als solcher der Schluss
des fünften Jahres nach demjenigen Jahre , in welchem der
Auftrag erteilt worden ist. Erfolgt die Ausführung innerhalb
der bezeichneten Frist nicht, so werden die noch nicht er-
hobenen Beträge dem Fonds der Stiftung zugeführt."
II.
Kevidierte Satzung der Liebig-Stiftung.*)
Allerhöchst genehmigt laut Entschliessung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 9. April 1892
Nr. 5303.
§ 1-
Die Stiftung hat den Zweck, das Andenken an den Be-
gründer der Landwirtschafts-Wissenschaft auf dem Gebiete der
Naturforschung
*) Die Stiftung wurde begründet mit einem von praktischen Land-
wirten und Freunden der Landwirtschaft für Justus von Liebig gesam-
melten Ehrengeschenk im Betrag von 15200 Gulden. Die Bestimmungen
Satzungen der Stiftungen 3o
Justus von Liebig
dauernd zu erhalten und zu ehren.
Dieselbe wurde am 9. August 1873 landesherrlich be-
stätigt, hat juristische Persönlichkeit und steht unter dem
Schutze der bayerischen Staatsverfassung.
§2.
Der Stiftungszweck soll durch öflPentliche Anerkennung
hervorragender Leistungen in Beziehung auf die Landwirt-
schaft und zwar:
1. wissenschaftlicher Leistungen,
2. sonstiger erfolgreicher Bestrebungen überhaupt erreicht
werden.
Ausserdem können die aus der Stiftung fliessenden , zu
solchen Anerkennungen nicht verbrauchten Mittel auch behufs
Anregung und Förderung zur Landwirtschaft in Beziehung
stehender wissenschaftlicher Arbeiten, Publikationen oder son-
stiger Unternehmungen Verwendung finden.
§ 3.
Die öffentlichen Anerkennungen erfolgen entweder auf
Grund des Erlasses von Preisausschreiben über Wissenschaft
liehe Fragen oder ohne Preisbewerbung nach freiem Ermessen
des Kuratoriums der Liebig -Stiftung.
Bewerbungen , welche nicht durch ein Preisausschreiben
veranlasst wurden, sind unzulässig.
§ 4.
Die Auszeichnungen bestehen:
1. in Medaillen von Gold, Silber oder Bronce,
2. in Ehrengeschenken in Geld, nicht unter fünfhundert
Mark deutscher Währung.
über die Verwendung dieses Geschenks für eine Liebig - Stiftung und
über den Zweck derselben wurden noch von Liebig selbst, kurz vor
seinem Tode, getroflFen. Zur Zeit ist das Stiftungskapital auf 47700 M.
angewachsen.
8*
36 Satzungen der Stiftungen
§ 5.
Die Verleihung einer Medaille in Gold schliesst ein Greld-
Ehrengeschenk ans. Mit letzterem dagegen ist die Bewilligung
der silbernen oder broncenen Medaille verbunden , welche aber
auch für sich allein verliehen werden können.
§ 6.
Die Zahl der gleichzeitigen Inhaber der goldenen Me-
daille ist auf acht beschränkt, so dass nach Erfüllung dieser
Zahl eine weitere Verleihung nur nach dem Tode eines In-
habers derselben erfolgen kann. Nur deutsche oder Deutsch-
Oesterreicher sind befähigt, solche zu erlangen.
§ 7.
Bei einer Konkurrenz um Preise, welche in Folge des-
fallsiger Ausschreiben verliehen werden , sollen nur wissen-
schaftliche Arbeiten zulässig sein, die in deutscher Sprache
abgefasst sind; die Verleihung der Preise dagegen ist, inso-
ferne nicht die goldene Medaille in Frage steht (§ 6), an eine
Nationalität nicht gebunden.
§ 8. ^
Ueber die Einkünfte aus dem Stiftungs-Kapital im Sinne
der entsprechenden Bestimmungen verfügt das Kuratorium der
Lie big- Stiftung.
§ 9.
Dieses Kuratorium soll bestehen:
1. aus dem Präsidenten der k. Akademie der Wissen-
schaften in München;
2. aus dem Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse
derselben Akademie;
3. aus einem weiteren Mitgliede dieser Klasse;
4. aus den Inhabern der goldenen Liebig-Medaille;
5. aus einem Lehrer der Volkswirtschaft an der Universität
oder der technischen Hochschule München;
6. aus einem derselben Universität oder einer der beiden
andern Hochschulen Münchens (der technischen und
Satzungen der Stiftungen 37
tierärztlichen) an gehörigen Vertreter eines landwirtschaft-
lichen oder zur Landwirtschaft in naher Beziehung
stehenden Faches;
7. aus einem Nachkommen Justus von Liebigs in männ-
licher Linie, wofern dessen männliche Descendenz diese
Vertretanff wünscht und dem Kuratorium die betreffende
Person schriftlich bezeichnet. Dieselbe wird von den
majorennen männlichen Familien-Mitgliedern auf Lebens-
dauer durch Stimmenmehrheit gewählt.
§ 10.
Die in München wohnenden Mitglieder des Kuratoriums
bilden den Lokal-Ausschuss, welcher die laufenden Geschäfte
zu besorgen hat.
Der Präsident der Akademie der Wissenschaften in München
führt als solcher den Vorsitz im Kuratorium, der Sekretär der
mathematisch - physikalischen Klasse vertritt denselben; den
Schriftführer wählt der Vorsitzende aus den Mitgliedern des
Lokal- Ausschusses.
§ 11.
Das unter § 9. 3. erwähnte Mitglied der Akademie und
der unter § 9. 5. erwähnte Lehrer der Volkswirtschaft sowie
das unter § 9. 6. erwähnte Mitglied einer der drei Hoch-
schulen Münchens wird auf Vorschlag des Vorsitzenden von dem
Lokal-Ausschuss gewählt.
§ 12.
Der Lokal-Ausschuss sowie das Plenum des Kuratoriums
treten in Folge besonderer Einladung des Vorsitzenden, welcher
die Gegenstände der Verhandlungen anzufügen sind, nach Be-
dürfnis zusammen, um über die Erreichung der Zwecke der
Stiftung zu beraten.
§ 13.
Jedes Mitglied des Kuratoriums ist berechtigt, schriftlich
oder mündlich Anträge zu stellen, und der Vorsitzende ist ver-
pflichtet, diese zur Beratung und nach Massgabe des § 14 zur
Abstimmung zu bringen.
38 Satzungen der Stiftungen
§ 14.
In allen Fällen, in welchen die Erfüllung des Stiftungs-
zweckes (§ 2) in Frage steht, fasst der Lokal-Ausschuss keine
bindenden Beschlüsse; derselbe formuliert und begutachtet
zunächst nur die eingekommenen Vorschläge und unterbreitet
sie dann den auswärtigen Mitgliedern zur schriftlichen Ab-
stimmung.
Zur Vornahme derselben wird den auswärtigen Mitgliedern
von dem Vorsitzenden eine Präklusivfrist gesetzt, nach deren
fruchtlosem Verlaufe die Stimmenabgabe nicht mehr zulässig
ist. Stimmen, welche nicht bestimmt mit ^Ja" oder „Nein*
lauten, werden nicht gezählt.
Die definitive Abstimmung des Lokal-Ausschusses erfolgt
erst nach Eingang der Abstimmung der auswärtigen Mitglieder.
Der definitive Beschluss des Kuratoriums verlangt zwei
Dritteile der von den auswärtigen und einheimischen Mitgliedern
abgegebenen Stimmen.
§ 15.
Das Kuratorium wird nach Aussen durch den Vorsitzenden
desselben vertreten. Derselbe hat die Beschlüsse, so weit solche
von weiterem Interesse für das Publikum sind, bekannt zu
machen.
§ 16.
Verleihungen von Medaillen der Liebig-Stiftung oder
von Ehrengeschenken (resp. Zuerkennungen von Preisen in
Folge von Ausschreibungen) oder Unterstützungen von Unter-
nehmungen aus derselben sind der deutschen Landwirtschafts-
Gesellschaft, so lange diese besteht, zur Proklamierung bei
derselben mitzuteilen. Ausserdem werden solche durch die
Presse zur öffentlichen Kenntnis gebracht.
§ 17.
Die Stiftung domiziliert in München und führt den Namen
Liebig-Stiftung.
Satzungen der Stiftungen 39
§ 18.
Das Vermögen der Stiftung besteht:
1. ans einem von Freunden der Sache gespendeten Ehren-
geschenke von dreissigtausend Mark;
2. aus etwaigen Schenkungen, welche in der Absicht ge-
macht werden, den Grundstock der Stiftung zu erhöhen.
Die Verwaltung des Stiftungsfonds geschieht durch den
Lokal- Ausschuss und die Kassaverwaltung der K. Akademie
der Wissenschaften nach den Normen, welche für diese Kassa-
verwaltung gegeben sind.
Die Kassa- Kuratel und die Rechnungs- Revision hat die
K. Rechnungskammer.
§ 19.
Das Stiftungsvermögen soll pupillarisch, wo möglich hypo-
thekarisch angelegt und darf in keinem Falle dauernd ver-
mindert werden ; es soll eine jährliche Rente von mindestens
1 200 Mark abwerfen. Tritt durch unvermeidliche Ereignisse
eine Schmälerung dieser Rente ein, so ist die Verwendung
dieser Stiftungsrente ganz oder teilweise zu sistieren, bis die
Normalrente wieder erreicht ist.
§ 20.
Aenderungen an diesem Statut, wenn einzelne Bestimmungen
bei der Ausführung auf Schwierigkeiten stossen, oder wenn die
Zeitverhältnisse solche erfordern sollten, hat das Kuratorium
das Recht jederzeit vorzunehmen; dieselben können jedoch
nur dann bewirkt werden, wenn mindestens zwei Drittel der
Mitglieder des Kuratoriums zustimmen.
Jede Abänderung des Statuts bedarf der königlichen Ge-
nehmigung.
40 Satzungen der Stiftungen
IIT.
Satzung des Zographos-Fonds zur Förderung des Studiums
der griechischen Sprache und Literatur
beschlossen von der philos.-pbilol. Klasse der K. bayer. Akademie der
Wissenschaften in der Sitzung vom 3. Februar 1877, bezw. vom 6. März
1886, genehmigt vom K. Staatsministerium durch Entschliessung vom
10. Februar 1877, bezw. vom 27. Mai 1886.
Das von Herrn Christakis Zographos geschenkte Kapital
im Betrage von 25000 Francs oder 20000 Mark wird den
für die Anlage von Stiftungsgeldern massgebenden Vorschriften
entsprechend in Wertpapieren angelegt , welche dem Kassier
der K. Akademie der Wissenschaften zur Aufbewahrung zu
übergeben sind.
§ 2.
Die Beschlussfassung über die Art der ersten Anlage des
Kapitals und über die Wiederanlage etwa heimbezahlt werdender
Kapitalbeträge steht , vorbehaltlich der im § 1 gezogenen
Schranken, dem Vorstande der K. Akademie der Wissenschaften
in Gemeinschaft mit den Klassen-Sekretären zu; jedoch darf
dabei eine Herabminderung des Kapitals unter den Nominal-
wert nicht stattfinden, welchen dasselbe zur Zeit aufweist oder
im betreffenden Zeitpunkte zufolge einer etwa inzwischen ein-
getretenen Admassierung aufweisen wird.
§ 3.
Sollte durch irgend welchen Unglücksfall eine Vermin-
derung des Kapitals eintreten, so sind die aus ihm fliessenden
Renten so lange zu dessen Wiederergänzung zu verwenden,
bis dasselbe wieder auf seinen ursprünglichen Nominalbetrag
gebracht ist, und hat so lange jede anderweitige Verwendung
derselben zu unterbleiben.
§4.
Der Kassier der K. Akademie der Wissenschaften hat nicht
nur für die gehörige Aufbewahrung der Wertpapiere zu sorgen,
Satzungen der Stiftungen 41
sondern auch die Ziehungslisten in Bezug auf diese zu über-
wachen und die fälligen Zinsen rechtzeitig zu erheben. Werden
Papiere des Fonds zur Heimbezahlung gezogen oder ander-
weitig gekündigt, so hat er hievon dem Vorstande der K. Aka-
demie und den Klassensekretären sofort Anzeige zu machen
und auf die ihm gemäss eines nach § 2 gefassten Beschlusses
erteilte Weisung für die Erhebung und Wiederanlage der Be-
träge zu sorgen. Auch hat derselbe jährlich über den Stand
des Fonds und die für denselben bezogenen Einnahmen und
Ausgaben schriftliche Rechnung zu stellen, von deren Ergebnis
in der nächstfolgenden Sitzung der philos.-philol. Klasse Mit-
teilung zu machen ist, nachdem dieselbe zuvor durch den Vor-
stand der Akademie und die Klassensekretäre geprüft worden
sein wird.
§ 5.
Die Verwendung der Renten des Kapitals erfolgt, nach
Abzug der auf dessen Verwaltung erlaufenden Kosten (s. § 10)
und vorbehaltlich der im § 3 gesetzten Einschränkung derart,
dass alle zwei bis vier Jahre, je nach dem Umfang oder der
Schwierigkeit der Aufgabe, ein dem jedesmal verfügbaren
Rentenbetrage möglichst entsprechender Preis ausgeschrieben
beziehungsweise zuerkannt wird für die Bearbeitung eines
Themas , welches dem Gebiete der Sprache , Literatur , des
öffentlichen und Privat-Lebens der Griechen im Altertum oder
im Mittelalter entnommen ist. Von dem zuerkannten Preise
wird ein Teil sofort nach der Zuerkennung, der Rest aber erst
dann zahlbar, wenn der Verfasser für die Druck -Veröffent-
lichung genügende Sicherheit geboten hat; die ziflFermässige
Ausscheidung der beiden Beträge bleibt von Fall zu Fall dem
Beschlüsse der philos.-philol. Klasse vorbehalten.
§ 6.
Sowohl die Wahl der Preisaufgaben als die Zuerkennung
der Preise erfolgt durch den Beschluss der philos.-philol. Klasse
nach einfacher Mehrheit der in der betreffenden Sitzung an-
wesenden ordentlichen Mitglieder auf Grund eines vorgängigen
42 Satzungen der Stiftungen
Berichtes, welchen ein von ihr gewähltes Gomite erstattet haben
wird. Sowohl die gestellten Preisaufgaben als die zuerkannten
Preise sollen namens der Gesamt-Akademie an ihrem Stiftungs-
Feste verkündet und in einigen der gelesensten Blätter öffent-
lich ausgeschrieben werden.
§7.
Konkurrenzfähig sind Arbeiten, welche entweder in deutscher
oder in lateinischer oder in griechischer Sprache geschrieben
sind. Dieselben müssen an Stelle des Namens des Verfassers
ein Motto tragen, welches an der Aussenseite eines mitfolgenden,
den Namen des Verfassers enthaltenden, verschlossenen Couverts
wiederkehrt. Der unerstreckliche Einsendungs-Terrain ist der
31. Dezember desjenigen Jahres, mit welchem die Bewerbungs-
frist abläuft.
§ 8.
Die philos.-philol. Klasse wählt aus ihrer Mitte auf drei
Jahre das Gomite, dem sie die Berichterstattung über die ein-
gelaufenen Arbeiten und die Vorschläge der neu zu stellenden
Preisaufgaben überträgt. Sie wird in ihrer dem Stiftungstage
der Akademie zunächst vorangehenden Sitzung diesen Bericht
und diese Vorschläge entgegennehmen und über die betreffenden
Fragen Beschluss fassen. Das Ergebnis hievon ist sofort dem
Vorstande der Akademie mitzuteilen.
§ 9.
Glaubt die Klasse keiner der eingelaufenen Arbeiten den
Preis zuerkennen zu können, oder sind solche überhaupt nicht
eingelaufen, so hat dieselbe sofort darüber Beschluss zu fassen,
ob der demzufolge unverwendet bleibende Rentenbetrag zu
weiteren Preis- Ausschreibungen verwendet oder aber zum Kapital
geschlagen werden soll.
§ 10.
Die eigentlichen Regiekosten, Briefporti, Zeitungs-Inserate,
ferner angemessene Remunerationen für den Kassier, sowie für
die jedesmaligen Preisrichter, sind auf Rechnung der laufenden
Renten zu tragen.
Satzungen der Stiftungen 4 3
IV.
Münchener Bürgerstiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der "Wissenschaften.
Von dem Wunsche geleitet, dem derzeitigen Präsidenten
der Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften, Max
von Pettenkofer, Ehrenbürger der Stadt München und Be-
sitzer der goldenen Bürgermedaille , einen bleibenden Beweis
der Verehrung und des Dankes für sein gemeinnütziges Wirken
zu geben, hat sich eine Anzahl von Münchener Bürgern und
Firmen zu dem Zwecke vereinigt, ein Kapital zu sammeln
und der Kgl. Akademie der Wissenschaften zur Verfügung zu
stellen, um daraus eine , Münchener Bürgerstiftung bei der
Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften" zu errichten.
Nachdem die gezeichneten und eingezahlten Beträge die
Summe von 70000 M. überschritten haben, wurde durch den
Präsidenten und die drei Klassensekretäre Namens der Gesamt-
akademie beschlossen, der zu errichtenden Stiftung folgendes
Statut zu geben:
Satzung der Münchener Bürgerstiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 8. Juni 1896
Nr. 8510.
§ 1.
Aus Spenden Münchener Bürger und Firmen wird eine
Stiftung errichtet unter dem Namen „Münchener Bürgerstiftung
bei der Kgl. bayerischen Akademie der Wissenschaften".
§ 2.
Zweck der Stiftung ist, aus den Zinsen dieses der Kgl. Aka-
demie zur Verfügung gestellten Kapitals Forschungen auf dem
Gebiet derjenigen Wissenschaften zu veranlassen und zu unter-
stützen , welche in der mathematisch - physikalischen Klasse
Vertretung finden.
44 Satzungen der Stiftungen
§ 3.
Das Stiftungsvermögen wird gebildet: durch die bereits
eingezahlten Geldbeträge, ferner durch künftige, dem gleichen
Zwecke gewidmete Spenden, endlich durch nicht aufgebrauchte,
zum Kapital geschlagene Zinsen. — Sollte durch unvorher-
gesehene Ereignisse eine Verminderung des Kapitals eintreten,
so muss dasselbe aus den jährlichen Renten wieder auf seine
vorige Höhe gebracht werden.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassenverwaltung der Kgl. Akademie der Wissen-
schaften nach den für die übrigen akademischen Stiftungen
geltenden Vorschriften.
§ 5.
lieber die Verwendung der jährlichen Zinsen des Stiftungs-
vermögens zu dem in § 2 bezeichneten Zweck entscheidet eine
Kommission, welche aus dem Präsidenten der Kgl. Akademie, dem
Sekretär der matbem. -physikalischen Klasse und drei weiteren,
auf je drei Jahre gewählten Mitgliedern dieser Klasse besteht.
§ 6.
Die Namen der Bürger und Firmen, welche für die Mün-
chener Bürgerstiftung einen Betrag von mindestens 1000 M.
(eintausend Mark) gespendet haben , werden zum ehrenden
Gedächtnis auf einer in den Räumen der Kgl. Akademie anzu-
bringenden Tafel verzeichnet.
§ 7.
A ender ungen dieses Statuts sind nur auf Antrag der mathe-
matisch-physikalischen Klasse durch einmütigen Beschluss des
Präsidenten der Kgl. Akademie und der drei Klassensekretäre
und mit Allerhöchster Genehmigung zulässig.
München, den 25. April 1896.
Der Präsident der Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften
Dr. M. V. Pettenkofer.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-physikal. und
historischen Klasse
W. Christ. Carl Voit. C. A. Cornelius.
Satzungen der Stiftungen
Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayerischen Akademie
der Wissenschaften.
Bestrebt dem Beispiel seines verewigten Vaters nachzueifern,
welcher durch seine Stiftungen für das Gewerbemuseum in
Nürnberg und für die Kgl. technische Hochschule in München
seinen Gemeinsinn bekundet hat, zugleich auch beseelt von dem
Wunsche, dem derzeitigen Präsidenten der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften, Dr. Max von Pettenkofer,
ein Zeichen seiner Verehrung zu geben, hat Herr Theodor
Freiherr von Cramer-Klett, erblicher Reichsrat der Krone
Bayern, unter dem 21. Oktober 1896 durch Vermittlung Seiner
Exzellenz des Kgl. Staatsministers des Innern für Kirchen- und
Schulangelegenheiten, Herrn Dr. Robert Ritter von Landmann,
der Kgl. Akademie der Wissenschaften ein Kapital von 60 000 Mark
zur Verfügung gestellt, damit daraus eine
Cramer-Klett-Stiftung
begründet werde, deren Satzungen im allgemeinen den Satzungen
der im April dieses Jahres begründeten Münchener Bürgerstiftung
entsprechen sollen.
Demnach haben der Präsident und die drei Klassensekretäre
Namens der Gesamtakademie am 13. November 1896 folgendes
Statut verabredet und beschlossen , welches von dem Stifter
am 23. November 1896 in Rom gebilligt und unter dem
13, Dezember 1896 landesherrlich bestätigt worden ist:
Satzung der Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
§ 1.
Mit einem von Herrn Theodor Freiherrn von Cramer-
Klett, erblichen Reichsrat der Krone Bayern, zur Verfügung
gestellten Kapital von 60000 Mark wird eine Stiftung errichtet
nnter dem Namen „Cramer-Klett-Stiftung bei der Kgl. bayer.
Akademie der Wissenschaften".
46 Satzungen der Stiftungen
§2.
Zweck dieser Stiftung ist, mit den jährlichen Zinsen des
Kapitals, soweit diese nicht zur Vermehrung des Kapitals selbst
bestimmt sind, wissenschaftliche Forschungen, vorzugsweise auf
dem Gebiete der Naturwissenschaften, zu veranlassen und zu
unterstützen.
§ 3.
Zur Erhöhung des Stiftungskapitals soll mindestens ein
Zehntel der jährlichen Zinsen verwendet werden.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Akademie der Wissen-
schaften nach den für die übrigen akademischen Stiftungen
geltenden Vorschriften.
üeber die Verwendung der jährlichen Zinsen des Stiftungs-
vermögens zu den in § 2 und § 3 bezeichneten Zwecken ent-
scheidet eine Kommission , welche aus dem Präsidenten der
Kgl. Akademie, dem Sekretär der mathematisch-physikalischen
Klasse und drei weiteren, auf je drei Jahre gewählten Mit-
gliedern dieser Klasse besteht.
§ 6.
Aenderungen dieses Statuts sind nur auf Antrag der
mathematisch-physikalischen Klasse durch einmütigen Beschluss
des Präsidenten der Kgl. Akademie und der drei Klassensekretäre
und mit Allerhöchster Genehmigung zulässig.
München, den 13. November 1896.
Der Präsident der Kgl. b. Akademie der Wissenschaften
Dr. M. V. Pettenkofer.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-physikal. und
historischen Klasse
W. Christ. Carl Voit. C. A. Cornelius.
Satzungen der Stiftungen 47
VI.
Satzung der Thereianos-Stiftung zur Förderung der
alt- und mittelgriechischen Studien.
Festgesetzt in der Sitzung der philosophisch-philologischen Klasse der
kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften am 5. Februar 1898. Genehmigt
vom kgl. Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten am 18. Mai 1898 Nr. 7716.
§ 1.
Der am 15. März 1897 in Triest verstorbene Gelehrte
Dr. Dionysios Thereianos hat durch testamentarische Ver-
fügung vom 18. /30. Juli 1895 die kgl. bayer. Akademie der
Wissenschaften zur Universalerbin seines Wertnachlasses ein-
gesetzt, um damit nach Erfüllung der legataren Auflagen
einen Fonds zur Förderung der alt- und mittelgriechischen
Studien zu begründen.
§ 2.
Der Gesamtnachlass betrug nach amtlicher Schätzung
162 844 Gulden 15 Kreuzer österreichischer Währung. Nach
Wegfertigung der testamentarischen einmaligen Auflagen, der
Erbschaftssteuern und sonstigen Kosten der Nachlassbehandlung
sind verblieben:
in Wertpapieren nach dem Kurswerte 258920 M. 60 Pf.
und im Baren 3387 ,51 „
sohin ein Gesamtvermögen von 262308 M. 11 Pf.
dessen jährliches Zinserträgnis nach Auszahlung zweier auf
Lebenszeit gewährten Leibrenten im Betrag von jährlich 1200
Gulden und 1000 Gulden ö. W. für die Zwecke des Thereianos-
Fonds zu verwenden ist.
§ 3.
Das Fondskapital iDCsteht in Wertpapieren und wird von
der Kassa der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften nach
den für die übrigen akademischen Stiftungen und Fonds be-
stehenden Vorschriften verwaltet.
48 Satzungen der Stiftungen
§4.
Massgebend ist für die Verwendung der verfügbaren Mittel
der Wille des Stifters, den derselbe in seinem Testament in
nachfolgender Weise kundgegeben hat:
,Tch vermache der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften
mein Vermögen, damit aus den Zinsen desselben alljährlich
beim Stiftungsfeste Preise zu 1000 oder 2000 Frcs. verteilt
und ausserdem wissenschaftliche Unternehmungen unterstützt
werden.
Ueber die Zahl der Preise und über die Höhe der zur
Unterstützung wissenschaftlicher Unternehmungen zu verwen-
denden Summen entscheidet nach den jeweiligen Bedürfnissen
die Akademie, doch muss jedes Jahr wenigstens ein Preis ver-
teilt werden. Sowohl die zu prämiierenden Arbeiten, als die
zu unterstützenden Unternehmungen müssen der Geschichte,
Sprache, Literatur oder Kunst der Griechen, von den ältesten
Zeiten bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken,
angehören. Sowohl die Preise als die sonstigen Unterstützungen
sollen nur an bayerische oder auch an griechische Gelehrte
gegeben werden."
§5.
Ueber die Verwendung der Mittel des Thereianos-Fondes
beschliesst die philosophisch-philologische Klasse der Akademie
alljährlich in einer dem Stiftungsfeste vorausgehenden Sitzung
auf Grund von Vorschlägen einer von ihr gewählten Kommission.
Die Entscheidung erfolgt durch absolute Majorität der in der
betreffenden Sitzung anwesenden ordentlichen Mitglieder und
wird von dem Präsidenten der Akademie in der öffentlichen
Sitzung des Stiftungsfestes bekannt gegeben. Die erste Ver-
kündigung findet an dem Stiftungsfeste des Jahres 1899 statt.
§6.
Zur Vorbereitung der Anträge übör die Verwendung der
Mittel wählt die philosophisch-philologische Klasse auf je drei
Jahre eine Kommission von fünf Mitgliedern aus ihrer Mitte.
Dieselbe kann nach Bedürfnis jederzeit auf Anregung der
Satzungen der Stiftungen 49
philosophisch - philologischen Klasse durch ein von der histo-
rischen Klasse zu wählendes sechstes Mitglied ergänzt werden.
Die Kommission wählt aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden mit
dem Recht des Stichentscheides bei Stimmengleichheit.
§ 7.
Aus den Mitteln des Thereianos - Fonds werden zur För-
derung der Studien auf dem Gebiete der Geschichte, Sprache,
Literatur oder Kunst der Griechen im Altertum und Mittelalter
a) Preise erteilt,
b) Unterstützungen für wissenschaftliche Unternehmungen
gewährt.
§ 8.
Preise im Betrag von 800 oder 1600 Mark sind in Aus-
sicht genommen für wissenschaftlich wertvolle Schriften baye-
rischer, das ist in Bayern geborener oder dauernd in Bayern
domizilierender Gelehrter und Gelehrter griechischer Natio-
nalität. Ausser Konkurrenz bleiben Schriften der ordentlichen
und damit stimmberechtigten Mitglieder der philosophisch-philo-
logischen Klasse der bayerischen Akademie. Preise werden nur
erteilt für Schriften, die zu dem im § 7 bezeichneten Arbeits-
gebiet gehören und im nächstvorausgehenden oder einem der
10 vorausgehenden Jahre erschienen sind.
§ 9-
Jedes Jahr ist mindestens ein Preis zu erteilen. Für Preis-
erteilung überhaupt können jährlich nicht mehr als 3200 Mark
verwendet werden. Was von diesem Höchstmass für Preise
nicht ausgegeben wird, kann durch Beschluss der philosophisch-
philologischen Klasse zur Unterstützung wissenschaftlicher Un-
ternehmungen in dem durch § 7 bezeichneten Gebiete ver-
wendet werden.
§ 10.
Unterstützungen wissenschaftlicher Unternehmungen werden
nur gewährt auf Grund der Vorlage eines genauen Arbeits-
jahrbuch 1916. 4
50 Satzungen der Stiftungen
planes und unter der Voraussetzung eines eingebenden, nach
dem Abschluss des Unternehmens an die Akademie zu erstat-
tenden Berichtes. In Betracht kommen nur Unternehmungen,
welche sich auf Geschichte, Sprache, Literatur oder Kunst der
Griechen im Altertum und Mittelalter beziehen und von einem
bayerischen oder griechischen Gelehrten ausgeführt oder doch
geleitet werden, üeber die Zeit der Auszahlung der Unter-
stützungssumme ist für jeden einzelnen Fall Beschluss zu fassen.
§ 11.
Diejenigen Erträgnisse des Fondskapitals, welche in einem
Jahre für die beiden bezeichneten Zwecke und etwaige Ver-
waltungskosten nicht zur Verwendung kommen , sind nach
jedesmaligem Beschluss der philosophisch-philologischen Klasse
entweder für das nächste Jahr zu reservieren oder zu dem
Fondskapital zu schlagen. Die Stellung eines Mitgliedes der
Kommission gilt als Ehrenamt und wird nicht honoriert.
§ 12.
Eine Aenderung der Statuten kann nur auf Antrag der
philosophisch - philologischen Klasse und des Präsidiums der
Akademie durch Entschliessung des kgl. bayer. Staatsmini-
steriums des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten
erfolgen.
Kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften.
M. V. Pettenkofer, Präsident.
V. Christ, C. v. Voit, Friedrich,
Klassensekretäre.
Satzungen der Stiftungen " 51
VII.
Satzung der Hardy-Stiftung bei der Kgl. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 7. Juli 1905
Nr. 13828.
Der am 10. Oktober 1904 zu Bonn verstorbene Univer-
sitätsprofessor a. D. Dr. Edmund Hardy hat durch rechts-
gültiges Testament vom 28. Oktober 1901 die Königlich Baye-
rische Akademie der Wissenschaften zur Erbin seiner Hinter-
lassenschaft eingesetzt mit der Bestimmung, daraus abzüglich
einiger Vermächtnisse eine Stiftung für indologische Studien
zu errichten.
§ 2.
Das Stiftungsvermögen besteht
in Wertpapieren zum Kurswerte von 71347 M, 80 Pf.
■in Barem 38 „ 50 „
somit in einem Gesamtvermögen von 71386 M. 30 Pf.
und wird von der Kas.saverwaltung der K, Bayer. Akademie
der Wissenschaften nach den für die übrigen akademischen
Stiftungen und Fonds bestehenden Vorschriften verwaltet.
§ 3.
Massgebend ist für die Verwendung der verfügbaren Mittel
der Wille des Stifters, den er in seinem Testament in nach-
folgender Weise kundgegeben hat:
„Der Zinsertrag soll alljährlich am 9. Juli entweder
a) zur Unterstützung eines jungen Gelehrten, gleichviel
Avelchem deutschen Bundesstaat er angehören mag, der
seine Universitätsstudien bereits vollendet hat, behufs
Fortsetzung seiner Fachstudien, oder b) zu Preisen für
vorliegende, wissenschaftliche Leistungen oder c) zur Unter-
stützung wissenschaftlicher Unternehmungen verwendet
werden, — alles jedoch unter Beschränkung auf das Ge-
52 Satzungen der Stiftungen
biet der Indologie in dem Umfang dieses Begriffes, wie
er wissenschaftlich anerkannt wird.
„Die Verleihung eines Preises für gedruckte Werke
ist auf solche zu beschränken, die im Laufe der letzten
drei Jahre, vom Verleihungstermin an gerechnet, erschienen
sind. In diesem Falle, aber auch nur in diesem allein,
soll die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Ver-
fassers zu einem deutschen Bundesstaat keinen Unterschied
begründen.
„Bei der K. Bayer. Akademie der Wissenschaften soll
es stehen, im Falle, dass es sich um eine wissenschaftliche
Reise oder um Unterstützung grösserer wissenschaftlicher
Unternehmungen handelt, auch über den Zinsertrag von
zwei oder mehreren aufeinander folgenden Jahren kraft
eines einmaligen Beschlusses zu verfügen. Für die Ver-
längerung über das dritte Jahr hinaus soll es jedoch eines
erneuten Beschlusses bedürfen.
„Die Verwendung des Jahresertrages der Hardy-Stif-
tung soll jedesmal an einer geeigneten Stelle bekannt
gegeben werden.
„Wenn Verhältnisse irgendwelcher Art die Inanspruch-
nahme der Zinserträge der Stiftung für ihren eigentlichen
Zweck der Förderung der Indologie ausschliessen, so bleibt
es der K. Bayer. Akademie der Wissenschaften anheim-
gegeben, sie für andere Zweige der orientalischen Forschung,
jedoch unter Bevorzugung solcher Zweige, welche sich mit
der Indologie berühren, entsprechend zu verwenden."
§ 4.
Über die Verwendung der Mittel der Hardy- Stiftung be-
schliesst die philosophisch - philologische Klasse alljährlich in
ihrer Juli-Sitzung auf Grund von Vorschlägen einer zu diesem
Zweck eingesetzten Kommission. Diese besteht aus dem Prä-
sidenten der Akademie, dem Klassensekretär, zwei Mitgliedern
der philosophisch-philologischen und einem Mitglied der histo-
rischen Klasse, welche jeweils auf drei Jahre gewählt werden;
Satzungen der Stiftungen 5ö
doch soll unter allen Umständen der Vertreter der Indologie
dieser Kommission angehören.
§ 5.
Diejenigen Erträgnisse des Stiftungs Vermögens, welche in
einem Jahre für den bezeichneten Zweck und etwaige Verwal-
tungskosten nicht zur Verwendung kommen, sind nach jedes-
maligem Beschluss der Klasse entweder für das nächste Jahr
zurückzubehalten oder zu dem Stiftungsvermögen zu schlagen.
§ 6.
Änderungen dieser Satzung sind nur auf Antrag der philo-
sophisch-philologischen Klasse und des Präsidiums der Akademie
mit Allerhöchster Genehmigung zulässig.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heig^el.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Voit. Friedrich.
VIII.
Satzung der Koenigs - Stiftung zum Adolf von Baeyer-
Jubiläum zur Förderung wissenschaftlicher chemischer
Forschungen.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 4. Dezember 1905
Nr. 26449.
§ 1.
Der ausserordentliche Professor an der Universität München
Dr. Wilhelm Koenigs hat bei der Königlich Bayerischen Aka-
54 Satzungen der Stiftungen
deraie der Wissenschaften mit einem Kapital von 50000 Mark
eine Adolf von Baeyer- Jubiläums-Stiftung zur Förderung
wissenschaftlicher chemischer Forschungen errichtet.
§ 2.
Zweck der Stiftung ist, aus den Zinsen des Stiftungs-
vermögens wissenschaftliche chemische Forschungen zu unter-
stützen.
§ 3.
Das Stiftungs vermögen wird gebildet durch die bereits
eingezahlte Summe von 50000 Mark, ferner durch künftige,
dem gleichen Zweck gewidmete Spenden, endlich durch nicht
aufgebrauchte zum Kapital geschlagene Zinsen.
§ 4.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Bayer. Akademie der
Wissenschaften nach den für die übrigen akademischen Stif-
tungen geltenden Vorschriften.
§ 5.
Die Entscheidung über die jährliche Vergebung der Zinsen
wird einer Kommission übertragen, welche besteht aus dem
Präsidenten der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften,
dem, Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse und den-
jenigen ordentlichen Mitgliedern dieser Klasse, welche Ver-
treter der Chemie sind.
§ 6.
Gesuche um Bewilligung von Geldmitteln aus den Zinsen
der Stiftung sind an den Sekretär der mathematisch - physi-
kalischen Klasse zu richten, welcher sie der Kommission zur
Entscheidung vorlegt.
§ 7.
Sitzungen der Kommission finden wenigstens einmal im
Jahre statt. Die Einladungen hiezu ergehen vom Präsidium.
Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten.
Satzungen der Stiftungen 55
. . § 8.
Eine Änderung dieser Statuten kann nur auf Antrag der
in § 5 bezeichneten Kommission und nur mit Allerhöchster
Genehmigung erfolgen.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der philos.-philol., raath.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Voit. Friedrich.
IX.
Satzung der Wilhelm-Koenigs-Stiftung zur Förderung
botanischer und zoologischer Forschungen und
Forschungsreisen.
Landesherrlich bestätigt laut Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 25. April 1907
Nr. 7754.
§ 1.
Die Erben des verstorbenen Professors der Chemie an der
Kgl. Universität München Dr. Wilhelm Koenigs stellten im
Sinne des Verstorbenen der Königlich Bayerischen Akademie
der Wissenschaften die Summe von 50000 Mark zur Verfügung,
deren Zinsen Verwendung finden sollen zur Förderung bota-
nischer und zoologischer Forschungen und Forschungsreisen.
§ 2.
Die Entscheidung über die Vergebung der Zinsen wird
einer Kommission übertragen, welche besteht aus dem Prä-
sidenten der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften, dem
Sekretär der mathematisch -physikalischen Klasse und je einem
Vertreter der Botanik und der Zoologie, welche von der
mathematisch-physikalischen Klasse zu wählen sind.
56 Satzungen der Stiftungen
§ 3.
Die Vorschläge über die Verwendung der Stiftungszinsen
gehen von den beiden, nach § 2 gewählten Vertretern der
Botanik und Zoologie aus, wobei in der Regel abwechselnd
die eine und die andere der beiden Disziplinen berücksichtigt
werden sollen.
§ 4.
Die Vergebung der Zinsen findet alle zwei Jahre statt.
Doch kann in besonderen. Fällen auf einstimmigen Beschluss
der Kommission auch in der Zwischenzeit über die vorhandenen
Zinsen verfügt werden.
Nicht verwendete Zinsen werden zum Kapital geschlagen.
§ 5.
Die mit Hilfe der Koenigs - Stiftung erworbenen oder
gesammelten Objekte (Naturalien und Instrumente) sind den
botanischen oder zoologischen Sammlungen des Staates zu
übergeben.
§ 6.
Wer aus der Koenigs - Stiftung eine Bewilligung erhält,
hat der Kommission über die Verwendung der Mittel Bericht
zu erstatten.
§ 7.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Kgl. Bayer. Akademie der
Wissenschaften nach den für die übrigen — nicht in das
Depot der Bank gegebenen — Stiftungsgelder geltenden Vor-
schriften.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-phys. und historischen
Klasse
Kuhn. V. Voit. Poehlmann.
Satzungen der Stiftungen 57
X.
Satzung des Georg Hitrschen Fonds zur Förderung
der Medaillenkunst.
Bestätigt durch Entschliessung des Kgl. Staatsministeriums des Innern
für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 22. Januar 1909 Nr. 1424.
§ 1.
Herr Privatier Georg HitI in München hat dem Kgl. Ge-
neralkonservatorium der wissenschaftlichen Sammlungen des
Staates die Summe von 15000 Mark schenkungsweise mit der
Bestimmung tiberwiesen, dass deren Zinsen Verwendung finden
sollen zur Förderung der modernen Medaillenkunst.
§ 2.
Die Entscheidung über die Vergebung der Zinsen trifft
eine Kommission, die aus dem Generaldirektor der wissen-
schaftlichen Sammlungen des Staates, dem Schenker, zwei
Künstlern und zwei Sachverständigen besteht. Einer der letz-
teren hat der Direktor oder ein Beamter des Münzkabinettes
zu sein.
Die Mitglieder der Kommission werden vom General-
direktor im Einvernehmen mit dem Stifter und dem Direktor
des Münzkabinettes gewählt. Spätere Ergänzungen trifft die
Kommission selbst.
Die Kommission wählt aus ihrer Mitte den Vorsitzenden.
Die Kommission tritt alljährlich mindestens einmal bis
spätestens 20. Dezember zusammen. Die Einberufung geschieht
durch das K. Generalkonservatorium. Die Beratung findet im
K. Münzkabinett statt.
§ 3.
Die jährlichen Zinsen können Verwendung finden:
a) alljährlich als Preis für die hervorragendste Leistung
auf dem Gebiet der modernen Medaillenkunst während
des verflossenen Jahres.
Zu diesem Zweck wird alljährlich das K. General-
konservatorium zur Einsendung von einschlägigen Ar-
58 Satzungen der Stiftungen
beiten an das K. Münzkabinett München bis zum 1. De-
zember öffentlich einladen. Hierbei können berück-
sichtigt werden nur fertige Medaillen oder plastische
Medaillenmodelle, ferner auch in Stahl geschnittene,
sowohl negative wie positive Stempel. Übersteigt das
Modell die projektierte Grösse der Medaille, so ist diesem
bei der Einsendung eine photographische Verkleinerung
im beabsichtigten Durchmesser beizufügen,
b) für Erteilung eines Auftrags.
Die Bestimmung des Vorwurfs für die Medaille bleibt
der Kommission vorbehalten, kann aber auch dem freien
Ermessen des zu beauftragenden Künstlers anheim-
gestellt werden.
Für Preise und Aufträge kommen nur in Betracht bayerische
oder in Bayern lebende Künstler.
§4.
Nicht verwendete Zinsen werden angesammelt und gelangen
spätestens alle drei Jahre, vom Datum dieser Satzungen ab
gerechnet, zur Verwendung.
§ 5. ^
Anlage und Verwaltung des Fondsvermögens, das gemäss
Entschliessung des K. Staatsministeriums des Innern für Kirchen-
und Schulangelegenheiten vom 12. November 1908 Nr. 23963
als gesondertes, staatliches Zweckvermögen anzusehen ist, er-
folgt durch die Kassaverwaltung der Königlich Bayerischen
Akademie der Wissenschaften nach den für die Verwaltung
von Stiftungsgeldern geltenden Vorschriften.
München, den 18. Januar 1909.
Der Generaldirektor der wissenschaftlichen Sammlungen
des Staates:
V. Heigel.
Der Direktor des K. Münzkabinetts:
Habich.
Satzungen der Stiftungen ^»^
XL
Satzung der Heinrich v. Brunck-Stiftung.
Landesherrlich bestätigt laut Entschließung des Kgl. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 22. Oktober 1909
Nr. 26067.
§ 1.
Der Geheime Kommerzienrat Dr. Heinrich von Brunck
in Ludwigshafen am Rhein errichtet bei der Königlich Baye-
rischen Akademie der Wissenschaften mit einem Kapital von
50000 Mark eine , Heinrich von Brunck-Stiftung" zur
Förderung wissenschaftlich-chemischer Forschungen.
§ 2.
Zweck der Stiftung ist die Verwendung der Zinsen des
Stif tun gs Vermögens zur Unterstützung wissenschaftlich-chemi-
scher und physikalisch-chemischer Forschungen.
Die Bewilligung der Mittel erfolgt jährlich, jedoch ist für
den Fall des Auftretens eines größeren Bedarfs eine Über-
tragung von einem Jahr auf das andere zulässig.
§3.
Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassaverwaltung der Königlich Bayerischen Aka-
demie der Wissenschaften nach den für die „Koenigs-Stiftung"
geltenden Vorschriften.
§ 4.
Die Entscheidung über die Vergebung der Mittel wird einer
Kommission übertragen, welche besteht aus dem Präsidenten
der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, dem
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse und denjenigen
ordentlichen Mitgliedern dieser Klasse, welche Vertreter der
Chemie und der physikalischen Chemie sind.
§ 5.
Gesuche um Bewilligung von Geldmitteln sind an den
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse zu richten,
welcher sie der Kommission zur Entscheidung vorlegt.
60 Satzungen der Stiftungen
§ 6.
Sitzungen der Kommission finden wenigstens einmal im
Jahre statt. Die Einladungen hierzu ergehen vom Präsidium.
Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten.
§ 7.
Eine Änderung dieser Statuten kann nur auf Antrag der
in § 4 bezeichneten Kommission und nur mit Allerhöchster
Genehmigung erfolgen.
Der Präsident der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften
V. Heigel.
Die Sekretäre der
Philos.-philol. Math.-physikal. Histor. Klasse
Kuhn. V. Goebel. v. Poehlmann.
XII.
Satzung der Karl von Dapper- Saalfels -Stiftung
für biologische Studien in München.
Landesherrlich bestätigt laut Entschließung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 23. September 1913
Nr. 24126.
1. Aus einer von dem K. Hofrat, Großherzoglich Olden-
burgischen Geheimen Medizinalrate und K. Preußischen
Professor Dr. med. Karl von Dapper-Saalfels in Kis-
singen gespendeten Summe wurde von S. K, Hoheit Prinz
Ludwig der Betrag von 50,000 Mark der mathematisch-
physikalischen Klasse der K. Akademie der Wissenschaften
für biologische Studien zur Verfügung gestellt. Die K.
Akademie der Wissenschaften widmet diesen Betrag für
die Errichtung einer selbständigen Stiftung mit dem
Satzungen der Stiftungen 61
Namen „Karl von Dapper-Saalfels-Stiftung für
biologische Studien in München".
2. Die Verwaltung dieser Stiftung steht der K. Bayerischen
Akademie der Wissenschaften in München zu, die Ent-
scheidung über die Verwendung der Zinsen wird einer
Kommission übertragen, welche besteht aus dem Präsi-
denten der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften,
dem Sekretär der mathematisch -physikalischen Klasse
und den Vertretern der Biologie in der Klasse.
3. Unterstützt werden können aus den Zinsen der Stiftung
sowohl wissenschaftliche Untersuchungen auf dem Gebiete
der Anatomie, Anthropologie, Botanik, Physiologie, speziell
Stoffwechsellehre und Balneologie und Zoologie, als auch
Studienreisen, indes keine Sammelreisen.
4. Die Gesuche sind vor 1, Dezember jedes Jahres an den
Klassensekretär zu richten. Die Sitzung der Kommission
findet im Dezember statt.
5. Über die mit Unterstützung der Stiftung ausgeführten
Untersuchungen ist der Klasse ein Bericht vorzulegen.
Mit Stiftungsmitteln gesammelte Objekte oder aus Stif-
tungsmitteln angeschaffte Apparate sind einer bayerischen
Staatssammlung oder einem bayerischen wissenschaftlichen
Staatsinstitut zu überweisen.
6. Nicht verwendete Zinsen werden zum Kapital geschlagen.
7. Anlage und Verwaltung des Stiftungsvermögens erfolgt
durch die Kassenverwaltung der K. Bayerischen Akademie
der Wissenschaften nach den für Stiftungsgelder geltenden
Vorschriften.
Die Kassenkuratel und die Rechnungsrevision hat die
K. Rechnungskammer.
München, den 5. September 1913.
K. Akademie der Wissenschaften.
Heigel
Präsident.
62 Satzungen der Stiftungen
XIII.
Satzung der Albert Samson- Stiftung
bei der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Landesherrlich genehmigt laut Entschließung des K. Staatsministeriums
des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten vom 25. Juli 1915
Nr. 15550.
§ 1.
Gemäß den testamentarischen Bestimmungen des Rentners
Albert Samson vom 19. Juli 1905 und dem darin enthaltenen
Vermächtnis errichtet die K. Bayerische Akademie der Wissen-
schaften eine Stiftung, die den Namen
»Albert Samson-Stiftung"
trägt.
§ 2.
Der Zweck der Stiftung ist wissenschaftliche Erforschung
und Begründung der Moral des Einzelmenschen und der gesell-
schaftlichen Moral an der Hand der Ergebnisse der Natur- und
Geschichtsforschung, sowie besonders der experimentellen Psy-
chologie, ferner Feststellung der Folgerungen aus den Ergeb-
nissen dieser Forschung für das Leben des Einzelmenschen
und das Gesellschaftsleben; insbesondere die Erforschung des
Ursprunges, der urgeschichtlichen und weiteren geschichtlichen
Entwicklung der Moral und der einzelnen Moralgesetze, die
Erforschung des Einflusses der körperlichen und geistigen Ver-
anlagung des Menschen, des Einflusses der Bodenbeschaffenheit,
der topographischen und meteorologischen Verhältnisse, ferner
die Erforschung des Einflusses der Kultur, der Erziehung, der
Arbeit, der wirtschaftlichen Bedingungen derselben, der Er-
nährung und ähnlicher Verhältnisse; endlich die Feststellung
und Unterstützung der Folgerungen aus den Ergebnissen der
obigen Forschungen für die physische und sittliche Lebens-
haltung der Einzelmenschen sowie für das Gemeinschaftsleben.
Satzungen der Stiftungen 63
Dogmatische, speziell dogmatisch-philosophische oder theo-
logische Moralbegründungen sind ausgeschlossen und können nur
als Gegenstände der Geschichtsforschung in Betracht kommen.
§ 3.
Die Akademie der Wissenschaften widmet der Stiftung
auf Grund des Vermächtnisses Albert Samsons die Summe
von nominell 552,700 Mark, die derzeit in S^/a^/oigen und
4°/oigen bayerischen Staatspapieren angelegt sind.
§ 4.
Die Verwaltung und auch die Ausrichtung der Stiftung
obliegen einem besonderen Vorstande, für dessen satzungs-
gemäße Zusammensetzung der Präsident der K. Akademie zu
sorgen hat.
Der Vorstand besteht aus 12 ehrenamtlichen Mitgliedern,
von denen 7 der zweiten (mathematisch -physikalischen) und
5 der ersten und dritten (philosophisch - philologischen und
historischen) Klasse angehören.
Von Amtswegen sind Vorstandsmitglieder: der Präsident
der Akademie und die drei Klassensekretäre.
Die übrigen Mitglieder werden von den Klassen durch
einfache Stimmenmehrheit auf je fünf Jahre gewählt.
Gehört der Präsident der ersten oder dritten Klasse an,
so wählt die zweite Klasse aus ihren der Biologie angehörigen
Mitgliedern 6 Vertreter in den Vorstand, die erste und dritte
Klasse wählen je ein Mitglied.
Gehört der Präsident der zweiten Klasse an, so wählt diese
nur 5 Biologen in den Vorstand.
Sind zur Zeit der Ernennung eines neuen Präsidenten aus
der 2. Klasse 6 Vorstandsmitglieder (außer dem Klassensekretär)
vorhanden, so scheidet ein Vorstandsmitglied der 2. Klasse
durch das Los aus. Die 1. und 3. Klasse wählen in diesem
Falle noch ein weiteres Mitglied in den Vorstand.
Der Vorstand wählt seinen Vorsitzenden und dessen Stell-
vertreter aus seinen naturwissenschaftlichen Mitgliedern. Er
setzt die Geschäftsordnung fest und bestellt die für die Ar-
64 Satzungen der Stiftungen
beiten etwa erforderlichen wissenschaftlichen und technischen
Hilfskräfte. Er kann auch der Akademie nicht ansfehörigfe Sach-
verständige mit beratender Stimme zu seinen Sitzungen heran-
ziehen. Ihm unterliegt die Prüfung, ob die vorgeschlagenen
Forschungen mit dem Zweck der Stiftung übereinstimmen.
Der Vorsitzende des Vorstandes oder sein Stellvertreter
vertritt in Gemeinschaft mit einem anderen Vorstandsmitglied
die Stiftung nach Außen.
§ 5.
Die Verwendung der Mittel erfolgt nach Anhörung der
Klassen in der Weise, daß mit der Hälfte des jährlich für die
Stiftungszwecke zur Verfügung stehenden Betrages Arbeiten
aus dem Studiengebiet der mathematisch-physikalischen Klasse,
mit der anderen Hälfte solche aus dem Studiengebiet der philo-
sophisch-philologischen und der historischen Klasse unterstützt
werden.
Mit Zustimmung der Majorität der Vorstandsmitglieder
aus der mathematisch - physikalischen Klasse kann aber auch
ein größerer Betrag als die Hälfte für Arbeiten aus dem Ge-
biete der beiden anderen Klassen und ebenso mit Zustimmung
der Majorität der Vorstandsmitglieder aus der 1. und 3. Klasse
ein größerer Betrag als die Hälfte für Arbeiten auf dem Ge-
biete der 2. Klasse verwendet werden.
§6.
Für die Erreichung des Stiftungszweckes darf niemals das
Hauptkapital angegriffen werden. Falls die Stiftungsmittel
durch das Arbeitsprogramm eines Jahres nicht aufgebraucht
werden, sind sie zur Bildung einer Rücklage für Zwecke der
Stiftung zu verwenden.
Für das sich dadurch bildende Rücklagekapital und die
davon aufkommenden Zinsen sollen dieselben Anordnungen,
welche bezüglich des Stiftungskapitals, dessen Zinsen und deren
Verwendung getroffen werden, in Geltung treten, jedoch mit
der Ausnahme, daß zu größeren Unternehmungen und For-
schungen auch das Kapital nach Anhörung der Klassen in
Satzungen der Stiftungen 65
Angriff genommen werden darf. Behufs leichterer Flüssig-
machung darf die Anlage der Rücklage nur in besten zins-
tragenden Börsenpapieren erfolgen.
Erst wenn die Rücklage den Betrag von 100,000 Mark
— einhunderttausend Mark — erreicht hat, fließen die nicht
zur Verwendung gelangten Überschüsse dem Kapitelfonds der
Stiftung zu.
Auch von anderen Schenkern sollen Mittel zur Vergröße-
rung der Stiftung angenommen werden.
Zweck und Name der Stiftung bleibt jedoch derselbe.
Die Namen und Gaben der Schenker werden in den Jahres-
berichten veröffentlicht.
Etwaige Vei-luste des Hauptkapitals sind aus der Rück-
lage und falls diese nicht ausreicht, aus den Jahreszinsen zu
ersetzen bis das Stiftungskapital wieder auf seine ursprüng-
liche Höhe gebracht und der Rücklage der ihr entnommene
Betrag wieder zugeführt ist.
§7.
Die Verwaltungskosten, einschließlich der Entlohnungen,
werden aus den Jahreszinsen bestritten.
§ 8.
Im Übrigen erfolgt die Verwaltung des Stiftungsvermögens
nach den hiefür einschlägigen jeweiligen Bestimmungen.
Die Kassenkuratel und die Rechnungsprüfung werden der
K. Rechnungskammer überwiesen.
Die Stiftungsaufsicht im übrigen kommt dem K. Staats-
ministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegen-
heiten zu.
München, den 17. Juni 1915.
K. Akademie der Wissenschaften.
Crusius
Präsident.
Die Sekretäre der philos.-philol., math.-phys. und histor. Klasse
Kuhn. V. Goebel. Marcks.
Jahrbuch 1916.
66
Öffentliche Sitzung
zur Feier des 157. Stiftungstages
am 18. März 1916.
Die Sitzung eröffnete der Präsident der Kgl. Akademie
der Wissenschaften Herr Crusius mit folgender Ansprache:
Ew. Majestät!
Königliche Hoheit! Exzellenzen!
Hochverehrte Anwesende!
Im Beginn des Jahres 1915 beschloß die Akademie, von
der Feier ihres Stiftungsfestes abzusehen.
Der Sturm der ersten Kriegsmonate war über uns dahin
gebraust; man hatte die Empfindung, der einmal von diesem
Tisch aus mit dem Worte Ausdruck gegeben wurde: inter
arma silent Musae.
Inzwischen hat sich das äußere und innere Leben unsres
Volkes mehr und mehr den unerhörten Bedingungen der Kriegs-
zeit angepaßt, und wenn Anpassungsfähigkeit ein Zeichen von
Gesundheit und Lebenskraft ist, kann der Deutsche getrost in
die Zukunft schauen. Aus den Schützengräben haben uns
unsre Genossen, unsre Schüler und Kameraden, die im Felde
stehen durften, die rechte Stimmung heimgebracht: Zuver-
sicht und Geduld,
Nicht jeder deutsche Mann, auch nicht jeder Wehrfähige,
ist in der Lage, dem Vaterlande vor dem Feinde mit der
Waffe zu dienen. Dienen kann und soll ihm jeder an seiner
Stelle, indem er die Pflicht tut, zu der er berufen ist. Die
Ansprache des Präsidenten 67
Wissenschaft bleibt übernational: aber auch der deutsche Ge-
lehrte, der seine schlichte Arbeit verrichtet, dient dem Vater-
lande, dessen führende Stellung im Reich des Geistes es zu
wahren gilt.
Den Tag eines Regimentsjubiläums wird man auch im
Kriege nicht unbeachtet lassen. So meinten wir doch nach
alter Weise unser Stiftungsfest feiern zu sollen. Und wie
Seine Majestät der König, unser allergnädigster Protektor,
seine Truppen im Felde inspiziert, so ist er heute, trotz so
vieler dringender Pflichten, in unsrer Mitte erschienen.
Wir huldigen ihm in Dankbarkeit und Treue.
Mit Genugtuung kann ich feststellen, daß nach den in-
zwischen eingelaufenen Berichten die Arbeiten der Akademie,
vor allem in den Kommissionen, ihren stetigen Fortgang ge-
nommen haben. Auch die Beziehungen zum neutralen und
befreundeten Ausland sind fruchtbar geblieben. Die geistige
Einkreisungspolitik hat uns gegenüber keine Aussicht auf Erfolg.
Das große Unternehmen des thesaurus linguae Latinae
kettet die romanischen Völker fest an das wissenschaftliche
Schaffen der 'Barbaren'. Von den 18 Mitgliedern unseres
Büros sind 11 zu den Fahnen gerufen, 4 gefallen. Arbeits-
hilfe kam nicht nur aus Deutschland und Österreich, auch
aus der Schweiz und Amerika. Der Druck konnte gefördert
werden, wie in Friedenszeiten.
Die Arbeit an den mittelalterlichen Bibliotheks-
katalogen ruhte fast ausschließlich auf den Schultern des
bewährten Redaktors Dr. Lehmann.
Die Kommission für Erforschung der bayerischen Mund-
arten war so glücklich über eine reiche Ernte zu berichten;
auch in Feldbatterien, Schützengräben und Lazaretten haben
einberufene Mitarbeiter ihre Tätigkeit fortgesetzt, briefliche
Mitteilungen gemacht, Fragebogen beantwortet. Neue Auf-
gaben zeigen sich am Horizont: die Beschreibung der lebendig
sich umbildenden Standessprache unsrer Soldaten, die Auf-
6*
68 öffentliche Sitzung am 18. März
nähme der bei unseren Truppen gesungenen Lieder; eben wurde
ein Fragebogen dieses Inhalts an etwa 600 Feldadressen versendet.
Die Kommission für Höhlenforschung hatte bei ihren
Grabungen schwer mit Arbeitermangel zu kämpfen. Aber es
kam Hilfe von den K. Forstämtern in Kelheim und der K. Re-
gierung von Niederbayern. So wurde es Professor Birkner
ermöglicht, im Schulerloch bei Oberau schöne Fundergebnisse
zu gewinnen. Professor Schlosser unterstützte ihn bei ihrer
wissenschaftlichen Einschätzung.
Für das griechische Urkundencorpus konnte der
Hauptarbeiter, Dr. Marc, z. Z. als Leutnant im Felde, während
seiner Urlaubszeit tätig sein; auch wurde die Verzettelung
des sprachlichen Materials, z. T. mit weiblichen Hilfskräften,
weiter geführt.
Die Samsonstiftung zur wissenschaftlichen Erforschung
und Begründung der Moral wird Vertreter aller drei Klassen
bei ihren Arbeiten vereinigen. Ich hoffe im nächsten Herbst
über ihre Tätigkeit berichten zu können.
Die Akademie war in der erfreulichen Lage, eine Reihe
von Preisen, Unterstützungen, Anerkennungen zu erteilen.
Die Frist für die Preisaufgabe der Zographos- Stiftung mußte
allerdings verlängert werden; die griechische Landschaft, deren
Durchforschung gewünscht wurde, liegt innerhalb der Kriegs-
sphäre. Erwähnt sei, daß der Stifter des Preises, Herr Chri-
stakis Zographos, der Vater jenes griechischen Politikers ist,
der in schwerer Zeit eine so segensreiche — auch für uns
segensreiche — Tätigkeit entfaltet hat.
Zuwendungen aus Stiftungen und Fonds der K. Akademie
der Wissenschaften:
A. Aus der Thereianos-Stiftung:
1. je ein Preis von 800 M'.
an Dr. Ernst Buschor, Kustos am K. Museum für Abgüsse
klassischer Bildwerke für sein Werk „Griechische Vasenmalerei" ;
Ansprache des Präsidenten 69
an Dr. Friedrich Zucker, Privatdozent an der K. Uni-
versität München, für sein Werk „Griechische Inschriften in
Aegypten", und
an Georgios Der bös, Universitätsprofessor in Athen, für
sein Weik „Christliche Literaturgeschichte";
ferner :
2. 1500 JH an Dr. Leopold Wenger, Universitätsprofessor
in München, zur Fortsetzung des Index zu den griechischen No-
vellen des Justinian;
3. 500 M an Dr. A. S. Arbanitopulos in Nauplia, zur
Bearbeitung seiner Thessalischen Inschriften ;
4. 800 Ji an Dr. Nikos A. Bees, z. Z. in Berlin, zur
Bearbeitung der Historischen Geographie des Peloponnes im
Mittelalter.
B. Aus der Krönerschen Stiftung:
5000 jH an Professor Dr. Ernst Rüdin, K. Oberarzt an
der Psychiatrischen Klinik hier, für Studien über Vererbung
beim Menschen.
C. Aus der Münchener Bürger- und Cramer-
Klett-Stiftung:
1000 Ji zur Bestreitung der Instruktionsreisen des Assi-
stenten an der Mineralogischen Sammlung, Dr. Karl Mie-
leitner;
800 Ji an das Konservatorium der Geologisch -paläonto-
logischen Sammlung für wissenschaftliche Aufsammlungen;
300 Ji an Dr. Benno Rom eis, Prosektor am histologisch-
embryologischen Institut der Universität München, für Unter-
suchungen über den Einfluß der innersekretorischen Organe
auf die Entvsricklung.
D. Aus der Koenigs-Stiftung
zum Adolf von Baeyer- Jubiläum:
1800 M an Geh. Hofrat Professor Dr. H. Kiliani in
Freiburg i. Br. zur Förderung seiner Digitalisstudien.
70 öfiFentliche Sitzung am 18. März
E. Aus der Koenigs-Stiftung
zur Förderung botanischer und zoologis(
Forschungen:
300 Jt an Professor Dr. Ludwig Vanino für Arbeiten
auf dem Gebiete der Leuchtfarben.
F. Aus dem Mannheimer akademischen Reservefonds:
2500 Ji der Zoologischen Sammlung des Staates zur Auf-
sammlung von Wisentresten in Bialowiecer Waldrevier;
1000 Jt dem K. Botanischen Garten zum Erwerbe einer
Sammlung von Algen (2. Rate);
3500 Jt dem K. Münzkabinette zur Erwerbung der frän-
kischen Münzensammlung von Georg Lockner in Würzburg.
G. Aus dem Fonds für naturwissenschaftliche
Erforschung des Königreichs Bayern:
800 oH) an die akademische Kommission für Höhlenfor-
schung in Bayern zu systematischen Untersuchungen der Höhlen
und Grotten in verschiedenen Gebieten Bayerns;
1000 Ji an die Bayer. Botanische Gesellschaft in München
zur Erforschung der gesamten Kryptogamenflora Bayerns;
400 Jt an den Konservator an der Zoologischen Samm-
lung, Professor Dr. Wilhelm Leisewitz, zur Untersuchung
der bayerischen Wirbeltierfauna;
200 Jt an den Benefiziateu Alois Weber in München
zur Untersuchung der Molluskenfauna Bayerns;
300 Jt an die Ornithologische Gesellschaft in Bayern zur
Erforschung der heimischen Vogelwelt.
H. Aus dem Georg Hitl-Fonds für Förderung der
Medaillenkunst:
Preise erhielten:
250 Jt Joseph Gangl; 150 Jt Ludwig Gries;
je 100 Jt Richard Klein, Hans Lindl, Karl May, Adolf
Rothenburger, Berthold Runges, Hans Schwegerle, Lissy
Eckart.
Ansprache des Präsidenten 71
Mit lobenden Erwähnungen wurden ausgezeichnet:
Adolf Daumiller, Lothar Dietz, Otto Hoppe, Max
Olofs, Michael Preisinger.
Verliehen wurde ferner die große silberne Medaille *Bene
merenti' Herrn Fritz Weiß, deutschem Konsul in Chengtu
(China), sowie Herrn Leo Frobenius in Berlin, Leiter einer
innerafrikanischen Forschungsexpedition.
Wir haben die Freude, Herrn Frobenius, der während
der ersten Kriegszeit in gefahrvoller und verantwortungsreicher
Stellung für Deutschland im Orient tätig war, hier zu begrüßen
und wünschen seinen Entdeckerfahrten in hoffentlich naher
Zukunft den besten Erfolg.
Die Tagesordnung gestattet nicht, den wertvollen Zuwachs,
den unsre Sammlungen auch im letzten Semester gewonnen
haben, im Einzelnen zu besprechen.
Nur noch ein Wort über die Expedition der zoologischen
Staatssammlung nach dem Urwald von Bialowiec, über die ich
schon in der Herbstsitzung eine kurze Mitteilung machen konnte.
Das Gouvernement Grodno liegt jetzt im Bereich der deut-
schen Waffen und Verwaltung. Seine Wälder sind der ein-
zige Fleck in Europa, in dem noch der mächtige Bruder des
Auerochsen, der Wisent, seine Heimat hat; der Siegfried des
Niebelungenliedes konnte ihn noch im Wasgenwalde jagen:
si wolten jagen swin,
beren unde wisente: was möhte küeners gesln?
Nach dem Urteil der Fachleute gehören die Wisente zu
den Tiergattungen, die, wie gewisse Naturvölker, dem Unter-
gange geweiht sind. Der Krieg hat seine verheerenden Wir-
kungen auch in die Stille des Urwaldes getragen; so galt es
für die Wissenschaft zu retten, was zu retten war. Die Expe-
dition, als deren wissenschaftlicher Führer Dr. Eberhard Stechow
72 öffentliche Sitzung am 18. März
wirkte, war an Ort und Stelle von Ende Oktober 1915 bis
Januar 1916 tätig. Den bedeutsamsten Teil der vorläufig maga-
zinierten Sammlungen bilden die bei den Verfolgungskämpfen
im August 1915 zu Grunde gegangenen Wisente und sonstige
Tiere, deren Überreste meist frei oder nur von Schnee bedeckt
im Walde lagen.
Die Expedition verdankt ihre Erfolge in erster Linie dem
regen Interesse und der steten Förderung von seiten S. K. H.
des Prinzen Leopold von Bayern, der auch die erste An-
regung zu ihr gegeben hat. Ihm vor allen sei an dieser Stelle
der ehrerbietigste Dank ausgesprochen.
Auch der Leiter der Kaiserlichen Forstverwaltung in
Bialowiec, Forstrat Escherich (aus Forstarat Isen bei München),
der stellvertretende Ortskommandant Hauptmann v. Carnap,
die Offiziere der Etappe, sowie S. Exzellenz General -Feld-
marschall von Hindenburg haben unser Unternehmen mit Rat
und Tat unterstützt.
Wir sind stolz darauf, den Namen siegreicher Feldherrn
mit den Arbeiten unsrer Akademie und der Geschichte unsrer
Sammlungen verbunden zu sehn.
nSXefxog naxrjQ Tidvrcov: Der Krieg ist der Vater der
Dinge — möge sich dies alte Kernwort aus jener hellenischen
Gedankenwelt, in die uns der Redner des Tages führen wird,
bald weiter bewähren in einem gesicherten, werktätigen Frieden.
73
Nekrologe.
Philosophisch-philologische Klasse.
Am Schluß des Jahres 1915, am 30. Dezember, starb zu
München im 53. Lebensjahre das ordentliche Mitglied unserer
Akademie, Geheimer Hofrat Dr. Oswald Külpe, ordentl. Professor
der Philosophie an der Universität München. Sein Tod traf
uns ganz unerwartet. Zwar hatte schon vor Weihnachten ein
Anfall von Influenza eine vorübergehende Störung gebracht.
Aber längst hatte der aufopfernde Lehrer und Menschenfreund
wieder mit alter Kraft und altem Eifer seiner Tätigkeit im
Hörsaal und im Institut sich gewidmet und auch seine auf-
opfernden Bemühungen um die Kriegsverwundeten, denen er
in rührender Menschenliebe vorlesend und ermunternd zahllose
Stunden opferte und die er so gern fast über seine Kräfte
mit reichen Gaben erfreute, wieder aufgenommen, als am frühen
Morgen nach dem Weihnachtsfeste eine eitrige Herzmuskel-
entzündung ihn auf ein hoffnungsloses Schmerzenslager warf
und ihn trotz aller ärztlichen Sorge in wenigen Tagen dahin-
raffte. Am 2. Januar des neuen Jahres haben wir ihn zum
Waldfriedhof hinausbegleitet, wo er unter grünen Fichten, wie
sie in seiner baltischen Heimat ihm rauschten, seine Ruhe-
stätte fand.
Wir beklagen in dem allzufrüh Dahingegangenen eine
Zierde unserer Akademie, der er seit dem 14. November 1914
als außerordentliches, seit dem 10. November 1915 als ordent-
liches Mitglied angehörte. Entrissen ist uns mit ihm ein un-
ermüdlicher Forscher von ebenso umfassenden Kenntnissen, wie
ursprünglicher Geistesstärke und Schaffenskraft, ein beliebter
und erfolgreicher Dozent, der, frei von allem prunkenden Pathos
und aller selbstgefälligen Geistreichigkeit, allein durch die aus-
gereifte Gediegenheit des Inhalts sowie durch die strenge Sach-
lichkeit und die vollendete Klarheit seines Vortrags dauernd
zu fesseln verstand, ein Lehrer von selbstloser Hingebung für
74 Nekrologe
seine Schüler, denen er, wie in der Wissenschaft, so auch in
allen Angelegenheiten und Sorgen des Lebens mit treuem Rat
und mit helfender Tat allzeit fördernd zur Seite stand, ein
Charakter von höchster Zuverlässigkeit in allen Lebenslagen,
bei dem feste Zähigkeit und Bestimmtheit des WoUens mit
Weichheit des Gefühls und Milde des Urteils sich paarte, ein
allzeit gütiger Menschenfreund, der im stillen ungezählte Wohl-
taten spendete, ein liebenswürdiger und feinsinniger Kollege,
mit einem Worte: ein ebenso hervorragender Gelehrter, wie
wahrhaft edler Mensch. Was er als Mensch uns war, steht
unauslöschlich in unseren Herzen eingeschrieben; von seiner
äußeren Lebensentwicklung und seinem wissenschaftlichen Werk
möge hier ein Bild gegeben werden.
Oswald Külpe wurde geboren 1863 am 3. August (dem
22. Juli alten Stils) zu Candau in Kurland, einem unweit der
Kreisstadt Tukkum gelegenen Landstädtchen, in dem sein Vater
als Notar tätig war. Ein verstorbener, von Külpe warm ge-
liebter Bruder, Alfons, war Pfarrer und wirkte zuletzt in Nervi;
dessen Witwe ist die Schriftstellerin Frances Külpe, geb. James.
In der Familie, die schon seit dem 18. Jahrhundert in Kurland
ansässig war — der erste in Rußland lebende Vorfahr war nach
der Familientradition mit der Fürstentochter von Anhalt Zerbst,
der späteren Kaiserin Katharina IL, als Oberjägermeister dort-
hin gekommen — , war die deutsche Kultur und die deutsche Ge-
sinnung durch alle Zeiten hindurch treu festgehalten. So wuchs
auch Külpe durchaus in deutscher Bildung auf — das Russische
hat er erst auf dem Gymnasium erlernt — , und groß war darum
seine Freude, als das Vorrücken der deutschen Heere im Sommer
1915 für seine innig geliebte baltische Heimat und das balti-
sche Deutschtum neue Hoffnungen erstehen ließ.
Zuerst zu Hause, dann am deutschen Gymnasium zu Li-
bau, wo er im Juni 1879 die Reifeprüfung ablegte, vorgebildet,
bezog er nach einer anderthalbjährigen Tätigkeit als Hauslehrer
Ostern 1881 für drei Semester die Universität Leipzig, wo er
anfangs vorwiegend historischen Studien sich widmete, bald
aber durch Wilhelm Wundt ganz der Philosophie und insbe-
Nekrologe 75
sondere der damals mächtig aufblühenden psychologischen For-
schung gewonnen wurde. Nach kürzerem Aufenthalt in Berlin
im Winter 1882/83 setzte er in Göttingen unter Georg Elias
Müller während dreier Semester seine psychologischen Studien
fort, weilte im Sommer 1886 zu Prüfungszwecken vorüber-
gehend in Dorpat, wo er den Grad eines Kandidaten der Ge-
schichte erwarb, der in Rußland für das höhere Lehramt be-
fähigte, und kehrte dann im Oktober 1886 wieder nach Leipzig
zurück, wo er in Wundts psychologischem Seminar arbeitete
und im Herbst 1887 seine Studien beendete.
Die grundlegenden Eindrücke für seine wissenschaftliche
Entwicklung empfing Külpe von dem Altmeister psychologi-
scher Forschung, Wilhelm Wundt, als dessen Schüler er sich
stets betrachtete und dem er allezeit die treueste Verehrung
bewahrte, auch dann, als seine Wege in vielem von denen
seines Lehrers abgegangen waren. In dessen Schule wurde er
nicht nur in die experimentell-psychologische Forschung ein-
geführt (während er den späteren völkerpsychologischen Be-
strebungen Wundts noch nicht näher treten konnte), sondern
auch auf dem Gebiete der Philosophie selbst erhielt sein Denken
durch Wundt mafägebende Richtung. Im Gegensatz zu einer
aus dem Neukritizismus hervorgegangenen weitverbreiteten Auf-
fassung, welche der Philosophie als einer allgemeinen Wissen-
schaft der Werte ein Sondergebiet gegenüber den Seinswissen-
schaften zu sichern sucht, hielt Külpe mit Wundt, dem er
darum den Ehrentitel des „modernen Leibniz" geben will,
daran fest, daß die Philosophie ausnahmslos auf allen Einzel-
wissenschaften beruhe und eine allgemeine Ergänzung und
Vollendung des von diesen gebotenen fragmentarischen Welt-
bildes erstrebe. Vieles Einzelne in Wundts Psychologie, Meta-
physik und Erkenntnislehre hat Külpe verworfen, seinen Volun-
tarismus hat er entschieden bekämpft und den Widerstreit
positivistischer und metaphysischer Tendenzen bei Wundt durch
seine eigene Theorie der „Realisierung" zu überwinden ge-
sucht. Aber gerade diese seine Theorie der „Realisierung",
dieser sein „kritischer Realismus**, ist aus jenem Streben nach
76 Nekrologe
einer Annäherung und Angleichung der philosophischen Theorie
an die Methoden und Erkenntnisse der Natur- und Geistes-
wissenschaften hervorgegangen, welches Külpe in seinem Buche
über die Philosophie der Gegenwart in Deutschland für Wundt,
der es zuerst zu einem „vorläufigen und auf lange hinaus vor-
bildlichen Abschluß" gebracht habe, als charakteristisch her-
vorhebt.
Neben Wundt verdankte Külpe mancherlei Anregung für
seine Fachstudien auch dem Meister der experimentell-psycho-
logischen Methodik, Georg Elias Müller in Göttingen, sowie
dem Leipziger Psychiater und Gehirnanatomen Flechsig. Hatte
Müllers einschneidende Kritik der von dem Begründer der
Psychophysik, Gustav Theodor Fechner, verwendeten Methoden
diesen erst die erforderliche Exaktheit und rechte Begründung
gegeben, so wandte später auch Külpe als Organisator der For-
schungsarbeit in seinem Institute der logischen Durcharbeitung
der experimentell-psychologischen Methoden und der Ausbildung
geeigneter neuer Methoden für neue Aufgaben eine ganz be-
sondere Beachtung zu. In Flechsigs Anregung aber dürfte
der erste Anlaß dazu gegeben sein, wenn wir später Külpe
unablässig für den Wert einer Verbindung der psychologischen
mit der psychopathischen Forschung in der wissenschaftlichen
Arbeit wie in der Unterrichtsorganisation eintreten sehen.
Daß auch die ursprünglichen historischen Interessen seiner
Studienzeit, die besonders bei seinem auch der Kulturgeschichte
zugewandten feinsinnigen Leipziger Lehrer Karl von Noorden
und in den von vaterländischem und sittlichem Pathos erfüllten
zündenden Vorträgen Heinrichs von Treitschke in Berlin För-
derung fanden, Külpe auch später noch begleiteten, zeigen
mehrere beachtenswerte philosophiegeschichtliche Arbeiten seiner
späteren Zeit.
Seine Universitätsstudien schloß Külpe am 12. Oktober
1887 mit der Doktorpromotion ab. Die Dissertation „Zur
Theorie der sinnlichen Gefühle" war aus Wundts Anregung
hervorgegangen, der gerade damals auch die Gefühle nach
ihren elementaren Formen hin in den Bereich der experimental-
Nekrologe 77
psychologischen Forschung gezogen hatte. Gleichwohl aber
zeigte diese Arbeit Külpes doch sofort im Beginn seiner wissen-
schaftlichen Laufbahn, daß der innere Zug seiner Forschungs-
interessen ihn über die in der experimentellen Psychologie
damals fast allein noch herrschende Richtung, die von ihrem
Ursprung aus den Forschungen der Physiologen über die
Sinnesfunktionen her fast ausschließlich auf die psychophysische
Untersuchung der Empfindungen ging, schon damals hinaus-
führte und ihn in der exakten Psychologie neuen Aufgaben zu-
wandte. Die schon in der Doktordissertation in Angriff ge-
nommene Gefühlstheorie war das erste, wenn auch minder wich-
tige, dieser neuen Gebiete, dem dann später das Gebiet der
Denkvorgänge gefolgt ist. Die Gefühlstheorie hat Külpe dann
auch später nach ihrer rein psychologischen Seite hin wie nach
ihrer Bedeutung für die Ästhetik in einer Reihe kleinerer, aber
bedeutsamer Aufsätze gefördert. Den systematischen Ausbau der-
selben, von dem ein Vortrag auf dem internationalen Psychologen-
kongreß zu Genf (1909) eine vorläufige Gesamtskizze gab, zu
vollenden, wie er es beabsichtigt hatte, verhinderte ihn leider
der Tod.
Mit einem verwandten Thema: „Die Lehre vom Willen
in der neueren Philosophie", habilitierte er sich 1888 an der
Universität Leipzig. Die Arbeit erschien 1889 in den von
Wundt herausgegebenen „Philosophischen Studien", dem da-.
mahgen Zentralorgan der engeren Wundtschen Schule, in wel-
chem Külpe auch in den nächstfolgenden Jahren seiner Leip-
ziger Tätigkeit und noch einmal wieder im Jahre 1902 wertvolle
psychologische Arbeiten veröfi'entlichte.
Sechs Jahre war Külpe in Leipzig tätig, als Privatdozent
und zugleich als Assistent in Wundts psychologischem Labora-
torium, seit Anfang 1894 als Extraordinarius. Wie exakt sein
experimentelles Arbeiten hier war, beweisen treffliche experi-
mentalpsychologische Untersuchungen, insbesondere über die
Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit von Bewegungen, sowie
die Konstruktion eines wertvollen und brauchbaren Apparates
zur Kontrolle zeitmessender Instrumente. Diese äußerste Exakt-
78 Nekrologe
heit und methodische Sorgfalt im Experiment sowie bei der
Einstellung und Verwendung der Apparatur, die für alle Er-
forschung der äußeren oder inneren Naturvorgänge unerläßlich
ist, hat Külpe auch später in der psychophysischen Arbeit
stets festgehalten und seinen Schülern zur streng eingeschärften
Pflicht gemacht.
Der Leipziger Zeit entstammt auch der „Grundriß der
Psychologie, auf experimenteller Grundlage dargestellt" (1893).
Das sorgfältig durchgearbeitete, durch Klarheit und durch Ge-
schick in Auswahl und Synthese ausgezeichnete Werk gab
damals die beste kürzere Gesamtdarstellung der neuen Psycho-
logie. In den Grundlagen an Wundt sich anschließend — im
Methodologischen freilich der Art G. E. Müllers näherkommend
— steht es doch charakteristischen Anschauungen Wundts, wie
dessen Apperzeptionstheorie und seinem Voluntarismus, kühl,
im Grunde ablehnend gegenüber und konnte darum das er-
wartete Lehrbuch der Wundtschen Schule nicht werden, das
weit später Wundt selbst in seinem eigenen, in vielen Auf-
lagen erschienenen Grundriß gegeben hat. Anderseits fehlen
in dem Buche, wenn es auch in Einzelpunkten, insbesondere
der psychologischen Methodik („Reihenmethode") sowie der
Gefühlslehre und den an diese sich anschließenden ästhetischen
Fragen bereits gewisse persönliche Lieblingsgedanken aufweist,
.doch die bedeutendsten besonderen psychologischen Auffas-
sungen und Problemgestaltungen des späteren Külpe noch fast
vollständig. Empfindungen und Gefühle sind noch die einzigen
Bewußtseinselemente, aus deren Verschmelzung und raumzeit-
licher Verknüpfung mit Wundt und der Assoziationspsychologie
die komplizierteren Gebilde abgeleitet werden, wozu dann wie
anhangsweise Aufmerksamkeit, Wille, Selbstbewußtsein als „Zu-
stände" des Bewußtseins wenig organisch hinzutreten. Das
Denken, dem später Külpes Forscherinteresse vor allem sich
zuwendet, wird nur nebenbei gelegentlich erwähnt und noch
als ein „Vorstellungs verlauf" betrachtet, der sich allein durch
die Leitung vermittelst „antizipierender Apperzeptionen" von
dem automatischen Spiel der Vorstellungen unterscheiden soll.
Nekrologe '9
So sah denn Külpe selbst in dem Werke später auch nicht
mehr den adäquaten Ausdruck seiner eigenen psychologischen
Stellung. Darin lag der Grund, weshalb er trotz alles Drän-
gens nicht dazu gekommen ist, die viel verlangte zweite Auf-
lage des längst vergriffenen Grundrisses erscheinen zu lassen.
Sie hätte ein völlig neues Buch werden müssen.
Doch auch auf erkenntnistheoretische und ästhetische
Fragen erstreckte sich schon damals sein Interesse. Für die
ersteren zeigt dies ein Aufsatz über das Ich und die Außen-
welt. Die Ästhetik aber lag Külpe auch als feinsinnigem
Kunstkenner nahe. Besonders in der Musik hochbegabt —
das Klavier beherrschte er auch ausübend meisterlich — , fühlte
er, seiner gemütsklaren, affektfreien und mehr nach der pla-
stisch-architektonischen als der malerischen Seite des künstleri-
schen, insbesondere musikalischen Schaffens hin begabten Natur
entsprechend, sich unter den Neueren vor allem zu Johannes
Brahms hingezogen, während ihm Wagners affektstarke, pa-
thetische Art und noch mehr die ihm gewaltsam erscheinende
Charakteristik von Richard Strauß fremd lagen. Wie tief die
ästhetischen Probleme ihn schon in seiner Leipziger Zeit inner-
lich beschäftigten und wie eifrig er solche ästhetische Fragen
mit seinem damaligen Arbeitsgenossen im psychologischen In-
stitute und Freunde Ernst Meumann — von dem ihn freilich
später, nicht durch seine Schuld, mancherlei Unstimmigkeiten
trennten — in anregendem Meinungsaustausch besprach: das
hat er noch kurz vor seinem Tode in einem Nachruf auf Meu-
mann als Ästhetiker lebendig erzählt.
In dieser Leipziger Zeit gestaltete sich auch jener, einem
jeden, der in ihn eintreten durfte, unvergeßliche häusliche Kreis,
in dem im Verein mit Külpe zwei an Jahren weit ältere, aber
an Geist stets jugendfrische , treu sorgende Verwandte jene
geistig hochgestimmte, anregende, auch durch die Musik ver-
schönte geistige Atmosphäre schufen, die auch später in Würz-
burg, Bonn und München den unvermählt Gebliebenen umgab.
, Meinen treuen Lebensgefährtinnen, den lieben Cousinen Ottilie
und Marie" hat Külpe 1912 sein philosophisches Hauptwerk
80 Nekrologe
in treuer Dankbarkeit zugeeignet, wie denn Treue überhaupt
ein Grundzug seines Wesens war.
Zum Oktober 1894 wurde Külpe nach Würzburg in das
durch J. Volkelts Fortgang nach Leipzig freigewordene Ordi-
nariat für Philosophie und Ästhetik berufen. In fünfzehn-
jähriger Tätigkeit schlug er feste Wurzeln in der Franken-
stadt, die ihm zur zweiten Heimat wurde. Hier begründete er
seit Oktober 1896 nach dem Muster des seit 1879 bestehenden
Wundtschen Laboratoriums ein Psychologisches Institut,
das unter Külpes meisterlicher Leitung aus kleinen Anfängen
allmählich sich zu einer Musterstätte psychologischer For-
schung entwickelte, die von Schülern und jüngeren Gelehrten
aller Länder aufgesucht wurde. So entstand um Külpe jener
auch nach dem Fortgang der einzelnen von Würzburg durch
eine gemeinsame Richtung in der Psychologie und später auch
in der Erkenntnistheorie zusammengehaltene Kreis, der be-
sonders seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts unter dem
Namen der „Würzburger Schule" in Psychologen- und Philo-
sophenkreisen stets wachsende Bedeutung gewann.
In diesem Kreise war Külpe die Seele und der Organi-
sator. Nicht alle leitenden Gedanken, die damals in eifriger
Arbeit Gestalt gewannen, sind von ihm ausgegangen, nicht
alle Themen von ihm gestellt. Es war ein Zusammenarbeiten,
wie einst in Piatons Akademie, eine Organisation geistiger
Arbeit, wie Usener deren Bild aus hellenischer Zeit uns ge-
zeichnet hat. Zeitweise unter Külpes Anregung stehende Mit-
forscher, wie Marbe, Ach, Koffka, sind überhaupt nicht oder
nur vorübergehend Külpes Schüler gewesen; und auch unter
denen, die, wie Watt, Messer, Dürr, Grün bäum. Bühler, Orth,
L. Pfeifer u. a., ihm ihre psychologische Richtung verdankten,
steckte die Mehrzahl sich selbständig ihre besonderen Ziele und
suchte sich mehr oder minder selbständig den eigenen Weg.
Aber schon das war eine besondere Kunst Külpes, daß er
hier, wie an den späteren Stätten seines Wirkens, eine solche
Fülle verschiedenartiger Talente und verschiedener Einzelbe-
strebungen zu gewinnen, dauernd zu fesseln und — frei von
Nekrologe o 1
jeder Vergewaltigung der Individualität und unter verständnis-
vollem Eingehen auf die Sonderart eines jeden — in einer
gemeinsamen Gesamtrichtung zu vereinen verstand. Zugleich
stellte er in opferwilligster Weise seine Person und seine Zeit
in den Dienst aller derer, die sich ihm wissenschaftlich an-
schlössen, jeden mit Rat und Tat unterstützend, gemeinsam
planend, gemeinsam experimentierend und kritisch besprechend.
Das Beste eigener Arbeit auf diesem Felde hat er selbstlos in den
Arbeiten seiner Schüler erscheinen lassen, während er sich selbst
hier in der literarischen Produktion fast ausschließlich auf große
Übersichten über Ziele und Stand der Forschung beschränkte.
Wer Külpe als Psychologen wirklich kennen und sein psycho-
logisches Werk gerecht würdigen will, wird daher die Arbeiten
seiner Schüler und seines ganzen Kreises mit heranziehen müssen.
Mancherlei psychologische Einzelfragen sind in Külpes
Institut in dieser Würzburger Zeit und später bearbeitet worden:
aus den von Anfang an in der experimentellen Psychologie her-
kömmlichen psychophysischen Gebieten der Empfindungsinten-
sitäten, der optischen und der akustischen Empfindungen (wo
auch zu musikästhetischen Untersuchungen ein Platz sich bot),
sowie aus den später hinzugetretenen der Vorstellungsassozia-
tion und Reproduktion, der Aufmerksamkeit, des Zeitbewußt-
seins und der Traumanalyse. Was aber der Würzburger Schule
ihre charakteristische Stellung gab, war ihre Denkpsycho-
logie. Ihr Ursprung führt in einen weiteren Zusammenhang.
Es war ein Grundgedanke Külpes, in dem er sich mit
namhaftesten Psychologen der Gegenwart, wie mit einem seiner
Vorgänger auf dem Münchener Lehrstuhle, Carl Stumpf, be-
rührte, das qualitativ Verschiedene im seelischen Leben in
seiner Eigenart zu verstehen und nicht in einen öden Monis-
mus allgemeinen Gleichmachens zu verfallen. Daraus ergab
sich die Bekämpfung der in extremer Weise von Herbart, auf
anderem Wege von Spencer durchgeführten Tendenz, alle Er-
scheinungen des Seelenlebens auf ein einziges letztes Element
zurückzuführen und aus diesem das gesamte Seelenleben syn-
thetisch aufzubauen. In diesem Sinne hatte Külpe schon in
Jahrbuch 1916. 6
82 Nekrologe
seiner Leipziger Zeit, insbesondere im Gegensatz zur Herbart-
schen Theorie, mit Wundt die selbständige, elementare Natur
des Gefübls verfochten. Von da aus tat er dann später —
im Verein mit anderen Mitforschern — über Wundt hinaus
den bedeutungsvollen, freilich auch viel umstrittenen Schritt,
gegenüber der Reduktion der Denkvorgänge auf anschau-
liche und symbolische Vorstellungen und deren assoziativen
und apperzeptiven Verlauf, wie sie bei Wundt und in der
Wundtschen Schule üblich war, die selbständige und elemen-
tare psychologische Eigenart auch der Denkbewußtheiten, der
„Gedanken", aufzustellen.
Während die „Würzburger Schule" in dieser Loslösung
der Denkvorgänge aus den Banden der Assoziationspsychologie
mit den Tendenzen mancher anderer Forscher zusammenging,
wie mit den scharfsinnigen Bewußtseinsanalysen, die Husserl
in seinen „Logischen Untersuchungen" gab, und mit Stumpfs
tief eindringender Unterscheidung „psychischer Erscheinungen"
und „psychischer Funktionen", lag das Eigenartige der Würz-
burger Schule am auffallendsten darin, daß man die psycho-
logische Natur und die Gesetze dieser Denkvorgänge auf dem
Wege einer experimentellen Untersuchung zu bestimmen
versuchte. Während die experimentalpsychologische Unter-
suchung in ihrer ersten Periode fast ausschließlich der Erfor-
schung der Sinnesempfindungen und ihren Reaktionen zuge-
wandt war, dann auf einer zweiten Entwicklungsstufe auch
auf Vorstellungsassoziationen und Gefühle sich ausgedehnt hatte,
wurde in Külpes neu begründetem Institut der Versuch unter-
nommen, auch die „höheren Geistesvorgänge ", insbesondere das
Denken, durch eine neue Versuchstechnik der experimentellen
Forschung zugänglich zu machen. Die für die experimentelle
Psychologie außer Kurs gekommene Methode der Selbstbeob-
achtung sollte in neuer Form wieder zu Ehren gebracht werden,
indem man die Selbstbeobachtung durch eine Verteilung der
Arbeit an verschiedene Personen und das dadurch ermöglichte
Hilfsmittel des Protokolls unter die Bedingungen des Experi-
mentes zu stellen unternahm. So suchte man im Gegensatz
Nekrologe 83
zu den unkontrollierbaren, subjektiven „Schreibtischexperimen-
ten", wie die ältere Zeit sie wohl gelegentlich übte, auch bei
der Erforschung der „höheren Seelen Vorgänge" zu einer den
Anforderungen der exakten Wissenschaft genügenden, wissen-
schaftliche Zusammenarbeit und objektive Prüfung ermöglichen-
den experimentellen Methode zu gelangen.
Die von dem damaligen Würzburger Privatdozenten und
Assistenten in Külpes Institut Karl Marbe und dem vorüber-
gehend dort arbeitenden jetzigen Königsberger Professor Narziß
Ach selbständig begonnenen Arbeiten zur Denkpsychologie
erhielten nach anderen Richtungen hin durch die um jene
Zeit unter Külpes direkter Anregung und Leitung ange-
stellten Untersuchungen von Watt (1905) und Messer (1906)
bedeutsame Förderung, durch Karl Bühler (1907 ff.) aber die-
jenige Gestalt, die vor allem die Aufmerksamkeit und auch
den Widerspruch weckte. Külpe selbst ist literarisch mit ex-
perimentellen Arbeiten auf diesem Grebiete weniger hervor-
getreten, abgesehen von einem Bericht, den er auf dem ersten
Kongreß für experimentelle Psychologie zu Gießen (1904) von
seinen bedeutsamen Versuchen über die von ihm als „Ab-
straktion" bezeichneten Prozesse gab. Wohl aber hat er, der
durch seine Lehrtätigkeit und seine Arbeitsleitung der haupt-
sächlichste Begründer der neuen Denkpsychologie war, später
in mehreren programmatischen Aufsätzen und Reden deren
Wesen, Methoden, Aufgaben und Aussichten großzügig ent-
wickelt*).
Viel Streit hat sich über diese neue „Denkpsychologie"
erhoben, sowohl hinsichtlich der Methode, wie hinsichtlich der
auf diesem Wege gewonnenen Resultate. Die Anhänger der
alten Richtung in der Experimentalpsychologie bekämpften
ebensowohl prinzipiell die Auffassung der Denkinhalte als eines
besonderen, auf die anschaulichen Bewußtseinsinhalte nicht redu-
*) Über die Bedeutung der modernen Denkpsychologie (Bericht über
den 5. Kongreß für experimentelle Psychologie in Berlin 1912). Über die
moderne Psychol. des Denkens (Intern. Monatsschr. für Wissensch., Kultur
und Technik 1912). Über die Methoden der psychol. Forschung (ebd. 1914).
6*
84 Nekrologe
zierbaren „Wissens", wie die Zuverlässigkeit jener neuen For-
schungsmittel einer methodisch geleiteten und methodisch aus-
genutzten Selbstbeobachtung. Auch abgesehen von dem sach-
lichen Widerspruch vermißten viele bei diesen Untersuchungen
die Strenge und Exaktheit, die der an die Anforderungen, v^^elche
die moderne Naturwissenschaft an das Experiment stellt, Ge-
wöhnte bei dem Anspruch der Denkpsychologen, eine experi-
mentelle Wissenschaft zu begründen, naturgemäß für unerläß-
lich erachtete. Sie stritten daher dieser neuen „Denkpsycho-
logie" den Charakter einer Experimentalwissenschaft mit den
durch das Wort „experimentell" erweckten Wertansprüchen ab.
Wundt selbst wandte sich mit Entschiedenheit gegen die neue
Methode, in der er nur die alte Selbstbeobachtung unter „er-
schwerenden Umständen " fand, und später hat sich auch Külpes
anderer Lehrer, Georg Elias Müller, scharf über eine Reihe
von Werken, die der neuen Richtung nahestanden, ausge-
sprochen. Hier ist nicht der Ort, in diesen Streit sachlich
einzutreten. Jedenfalls ist die Schule mit Ehren aus dem
Kampfe hervorgegangen und bemüht sich in fruchtbarer Weise,
durch erfolgreiche und fördernde Leistungen die Berechtigung
ihrer Richtung darzutun, wobei selbstverständlich zuzugeben ist,
daß Experimente im strengen Sinne des Naturforschers auf
diesem Gebiete bloß innerer Vorgänge nicht möglich sind.
Zur Steigerung von Külpes Einfluß auf weitere Kreise
trug nicht wenig bei das Interesse, das er auch den Fragen
der angewandten Psychologie entgegenbrachte, mochten diese
auch immerhin für ihn im ganzen mehr von nebensächlicher
Bedeutung sein. In seinem Institut beachtete man die Be-
ziehungen zwischen Psychologie und Kriminalistik, wie nament-
lich die Verwendung von Assoziationsversuchen für die Tat-
bestandsdiagnostik, später (in Bonn) auch die Vererbung krimi-
neller Anlagen. Insbesondere aber fand, zugleich in Verbin-
dung mit der Würzburger Lehrerschaft, die Külpe nach seinem
Scheiden von Würzburg „in dankbarer Würdigung seiner Ver-
dienste um die Förderung der ideellen Bestrebungen des Lehrer-
standes" auch zum Ehrenmitgliede ihres Bezirksvereins ernannte
Nekrologe 85
(20. Dezember 1909), die Anwendung der Psychologie auf die
Pädagogik Pflege. Reicht hier die von ihm und seinen
Schülern geleistete Arbeit auch nicht an das heran, was von
seinem ehemaligen Leipziger Gefährten in Wundts Schule, Ernst
Meumann, dem eigentlichen .Spezialisten auf diesem Gebiete,
dem zugleich eine große agitatorische Kraft zur Verfügung
stand, geschaffen wurde, so sind doch mehrere gute Arbeiten
über geistige Leistungsfähigkeit der Schulkinder, über Hausauf-
gaben, Arbeits- und Vorstellungstypen usw. aus seiner Anregung
hervorgegangen. Auch später, in Bonn und in München, hat
Külpe der geistigen Entwicklung der Jugendlichen in den ver-
schiedenen Lebensjahren und den daraus sich ergebenden päda-
gogischen Forderungen seine Teilnahme bewahrt.
Überhaupt blieb, mochte seine spätere literarische Tätig-
keit auch leicht einen anderen Eindruck erwecken, die Psycho-
logie doch die Grundlage seines Forschens. Noch in einer
seiner allerletzten Publikationen schreibt er von sich und seinem
Leipziger Arbeitsgenossen Meumann: „Der Boden, der uns beide
trug, war die Psychologie, von der aus seine Neigungen mehr
in die ästhetische, meine mehr in die erkenntnistheoretische
Sphäre sich verzweigten." Sowohl die ästhetischen Studien,
die Külpe als Nachfolger Volkelts besonders in seiner Würz-
burger Zeit pflegte, wie seine Erkenntnistheorie, die er gleich-
falls in Würzburg ausbildete, freilich erst später zur Veröffent-
lichung brachte, sind durch seine Psychologie bedingt.
Theoretisches psychologisches Interesse im Verein mit
einem ausgebildeten Sinn für die Kunst, insbesondere die von
ihm auch ausübend gepflegte Musik, hatten Külpe, wie schon
oben bemerkt, bereits in Leipzig ästhetischen Fragen zuge-
führt. Zwei Würzburger Abhandlungen aus dem Jahre 1899:
„Über die ästhetische Gerechtigkeit" und: „Über den assozia-
tiven Faktor des ästhetischen Eindrucks", zu denen außer
mehreren kleineren Aufsätzen in deutschen und amerikanischen
Zeitschriften (darunter eine beachtenswerte Auseinandersetzung
mit Karl Groos: „Der ästhetische Genuß", aus dem Jahre 1902)
86 Nekrologe
besonders der an Eigenem (namentlich in methodologischer Be-
ziehung) reiche kritische Bericht über den „gegenwärtigen
Stand der experimentellen Ästhetik" auf dem Würzburger
Psychologenkongreß 1906 hinzutritt, lassen den damals fest-
gehaltenen Standpunkt Külpes deutlich erkennen. Es ist der
vor allem durch Fechner begründete, auch von Külpes Vor-
gänger in München, Theodor Lipps, geteilte psychologische,
der die Ästhetik als eine rein psychologische Disziplin be-
trachtet, weil sie, wie Külpe sagt, „alle Tatsachen ihres Ge-
bietes als zum Seelenleben gehörig ansieht und aus Gesetzen
desselben ableitet". Noch 1902 ist ihm die Ästhetik, die er
erstrebt, „eine reine Psychologie der ästhetischen Tatsachen",
welche „die höhere oder niedere Bewertung der einzelnen Ge-
schmacksurteile getrost der praktischen Kritik überlassen kann " .
Mit dieser psychologischen Ästhetik legt auch Külpe den
Schwerpunkt auf den subjektiven ästhetischen Genuß des
Schönen in Natur und Kunst, den er nach einer schon durch
Kant begründeten Wendung aus der reinen Kontemplation
hervorgehen läßt, wohingegen das Problem des genialen künst-
lerischen Schaffens nur gestreift wird. Während nun aber
Lipps für jene psychologische Analyse in seiner „Einfühlungs-
theorie", die einen Gedanken der Romantik selbständig weiter-
verfolgt, das Prinzip findet, aus dem er mit strenger Konse-
quenz, freilich oft auch mit Zwang und nicht ohne mancherlei
Seltsamkeiten im einzelnen, das gesamte Gebiet der ästheti-
schen Wirkung und des ästhetischen Verhaltens einheitlich
ableitet — ähnlich wie andere aus dem Prinzip der inneren
Nachahmung, der bewußten Selbsttäuschung usw. — , wendet
sich Külpe, darin weitherzig gleich dem Begründer der induk-
tiven psychologischen Ästhetik, Gustav Theodor Fechner, und an
diesen anknüpfend, von Anfang an der Vielheit der ästheti-
schen Faktoren zu — des „direkten" und des „assoziativen",
oder, wie er in der späteren Umbildung seiner Theorie sagt,
des „relativeh" — und sucht mit Fechner induktiv und em-
pirisch, auf dem Wege der experimentellen und der ver-
gleichenden Methode, den Anteil eines jeden Elementes und
Nekrologe o»
seine besondere Wirkungsweise an sich und dem zeitlicheu
Verlaufe nach (Külpes „Methode der Zeitvariation" kommt
hier in Betracht) zu bestimmen.
Im Zusammenhange mit einer allgemeinen Zeitbewegung,
die in dem so notwendigen Kampfe Husserls und der badi-
schen Schule Windelbands und Rickerts gegen den „Psycho-
logismus" ihren schärfsten, wenn auch von Übertreibungen
nicht immer völlig freien Ausdruck fand, hat Külpe später,
insbesondere in seiner Bonner und Münchener Zeit, sich von
der rein psychologischen Betrachtungsweise des Ästhetischen
loszumachen gestrebt. Die Ästhetik ist ihm im Gegensatz
zur Psychologie eine „Aufgabewissenschaft", da der von der
Ästhetik zu bestimmende ästhetische Zustand in der Wirk-
lichkeit niemals rein vorkommt, und unterscheidet sich da-
durch von der Psychologie als einer Tatsachenwissenschaft.
Trotz dieser neuen Wesens- und Zielbestimmung ist aber die
Methode Külpes in der Ästhetik stets die psychologische ge-
blieben. — Den Hörern von Külpes Vorlesungen (deren Heraus-
gabe bereits in die Wege geleitet ist) längst bekannt, trat
dieser veränderte Standpunkt scharf hervor in einer Auseinander-
setzung mit Meumanns Ästhetik, die kurz vor Külpes Tode und
zum Teil noch später als seine letzte Publikation erschien.
Auch in der Erkenntnistheorie bekämpfte Külpe jetzt
den „Psychologismus", wie ein rasch in Aufnahme gekommenes,
manchmal auch an verkehrtem Orte als Abschreckung verwendetes
Schlagwort diejenige Richtung nannte, welche die Naturgesetze
der Denktätigkeiten als psychischer Akte mit den objektiven
Normen der Denkinhalte konfundiert und auch diese in den bio-
logischen riuß hineinstellt. Aber trotz dieser scharf und wie
geflissentlich betonten Absage an den Psychologismus hat Külpe
in seinem Forschen und Lehren den Zusammenhang der Philo-
sophie und der Psychologie stets gewahrt, wie in der Ästhetik,
so — wir werden darüber noch zu sprechen haben — auch in
der Erkenntnistheorie.
Freilich betonte er in steigendem Maße auch andere Zu-
sammenhänge der Psychologie. Der kriminalistischen „Tat-
88 Nekrologe
bestandsdiagnostik" und der kriminalistischen Vererbungsfrage
wurde schon gedacht. Noch wichtiger war ihm der Zusammen-
hang mit der Medizin. So hat Külpe sich später mehr und
mehr der Auffassung zugeneigt, daß zwar nicht die Psycho-
logie in jedem Betracht, wohl aber die experimentelle Psychologie,
gemäß der fortschreitenden Differenzierung der Wissenschaften,
als selbständige Disziplin zu pflegen sei — der Psycholog be-
rührte sich hier mit den Psychologiegegnern unter den Philo-
sophen — , die auch in der Ausbildung des Mediziners einen
Platz finden und demgemäß auch in der Universitätsorganisa-
tion bei der medizinischen Fakultät eingereiht werden müsse.
Insbesondere auf die Verbindung der psychologischen und der
psychopathologischen Forschung, wie sie ihm bei Männern
wie Flechsig, Sommer, Pick und Kräpelin entgegentrat, legte
er hohen W^ert. Preist doch das Diplom, in welchem die
medizinische Fakultät zu Gießen ihm am 2. August 1907 bei
Gelegenheit der dritten Jahrhundertfeier der Universität ehren-
halber die Würde eines Doktors der Medizin verlieh, ihn als
„den hervorragenden Vertreter der beobachtenden und experi-
mentellen Psychologie, der den Zusammenhang dieser Wissen-
schaft mit der methodischen Psychopathologie im Auge behalten
und der Psychiatrie auf dem Boden der psychophysischen For-
schung wertvolle Förderung geboten hat". Ein längerer pro-
grammatischer Aufsatz im ersten Bande der neugegründeten
Zeitschrift für Pathopsychologie (1912), bei der Külpe, wenn
auch nicht in derselben leitenden Weise, wie beim „Archiv
für die gesamte Psychologie", Mitherausgeber war, brachte
diese Gesichtspunkte der Forschung und diese Organisations-
gedanken zum Ausdruck. Mit den letzteren freilich hat Külpe
nicht viel Anklang gefunden, weder bei Medizinern noch bei
Psychologen, eher vielleicht bei einzelnen der Experimental-
psychologie feindlichen Philosophen. Den Plan einer Überfüh-
rung der Psychologie in die medizinische Fakultät hat er an-
scheinend später auch nicht weiter verfolgt. Anders mit dem
allgemeinen Gedanken einer Verselbständigung der Psychologie
und einer Ablösung derselben von der traditionellen äußeren Ver-
Nekrologe 89
bindung mit der Philosophie. Ihn hielt er mit vielen anderen
dauernd fest und gab ihm noch kurz vor seinem Tode Ausdruck.*)
Das Bild von Külpes Würzburger Zeit würde unvollständig
sein, würden wir nicht noch zweier Seiten seiner literarischen
Tätigkeit gedenken, die zwar weniger einen Fortschritt in der
streng fachwissenschaftlichen Einzelforschung bedeuten, aber
als Ausdruck einer allseitig abgerundeten, voll ausgereiften
Weltanschauung von durchaus idealer Richtung dem Fach-
mann wie dem Orientierung suchenden Laien von hohem Werte
sind und die zugleich Külpes Kraft systematischen Gestaltens
dartun. Es handelt sich um Külpes systematische Darstellung
der Philosophie in seiner „Einleitung" und um seine kritischen
Überblicke über neuzeitliche philosophische Bewegungen in
zwei kleineren Schriften. Alles sind Werke, die zugleich for-
mell durch Anschaulichkeit und durchsichtige Klarheit der Dar-
stellung sich auszeichnen und die ihre Wirksamkeit durch eine
Reihe stets erneuter und unermüdlich vervollkommneter Auf-
lagen dartun.
Külpe war der geborene Lehrer. Sich mitteilen und an-
regen, war ihm inneres Bedürfnis. Darum liebte er es, münd-
liche Vorlesung und literarische Produktion in engste Be-
ziehung zu setzen. Viele seiner Aufsätze waren ursprünglich
Reden. Aus Würzburger Universitätsvorlesungen hervorgegangen
ist seine zuerst 1895, in siebenter Auflage 1915 erschienene
„Einleitung in die Philosophie", sein am meisten ge-
lesenes Buch, ein didaktisches Meisterwerk. Kein bloßer Ab-
riß des eigenen Systems, wie etwa die „Einleitungen" von
Paulsen und Windelband, sondern eine Entwickelung der Pro-
bleme und der verschiedenen Typen ihrer Lösungsversuche, die
historische Orientierung mit kritischer Prüfung und systemati-
scher Wegführung verbindet, bietet dasselbe dem Leser eine
vorzügliche Einführung in das Philosophieren überhaupt, gibt
aber doch auch Külpes eigener Stellung zu den erkenntnis-
*) In einer Ausführung über die Philosophie der Gegenwart in dem
Sammelwerk , Deutschland unter Wilhelm 11." 1914.
90 Nekrologe
theoretischen, metaphysischen und ethischen Problemen deut-
lichen Ausdruck.'
Seine Erkenntnistheorie, die uns noch näher beschäf-
tigen wird, ist die des kritischen Realismus. Die Meta-
physik wendet sich gegen die beiden Extreme des Materia-
lismus und des universellen Spiritualismus und verteidigt gegen-
über dem parallelistischen Monismus mit Carl Stumpf scharf-
sinnig die dualistische Lösung des Leibseele-Problems. Auch
die an Hume anknüpfende „ Aktualitätstheorie " Wundts, welche
„die gesamte Wirklichkeit des geistigen Geschehens, wie es
unmittelbar aktuell erlebt wird, mit dem Namen Seele belegt",
wird zurückgewiesen und ihr die Substantialitätstheorie gegen-
übergestellt, die unter der Seele ein „reales, von ihren wech-
selnden Erscheinungen verschiedenes, selbständiges und ein-
heitliches Wesen" versteht. Was Külpe zu dieser Auffassung
hintreibt, ist vor allem seine realistische Erkenntnislehre, die,
im Gegensatz zum Konszientialismus, überall, nicht nur in der
äußeren Erfahrung, sondern auch im inneren Erleben, den
Gegenstand des Bewußtseins von dem Bewußtsein selbst unter-
scheidet. Freilich will Külpe in seiner vorsichtigen und oft
geradezu ängstlich zurückhaltenden Art nicht ein „Bekenntnis"
zur Substantialitätstheorie aussprechen; er will nur die Mög-
lichkeit dieser von ihm als die wahrscheinlichste betrachteten
Theorie gegen die insbesondere von Paulsen und Wundt er-
hobenen Einwürfe dartun. Darum enthält er sich auch jeder
näheren Bestimmung des Seelen wesens, mag er auch immerhin
die Herbartsche Auffassung von der Seele als eines in starrer
Unveränderlichkeit verharrenden Realen bekämpfen und im
Zusammenhange mit dem Gottesproblem einige an Lotze und
Fechner anklingende Vermutungen aufstellen. Auch in der
Streitfrage des Voluntarismus und Intellektualismus nimmt er
eine zurückhaltende Mittelstellung ein. Der Voluntarismus
Paulsens und Wundts, der die psychologische und metaphysi-
sche Priorität des Willens behauptet — auch Lipps neigte mehr
und mehr dahin — , wird ebenso verworfen, wie der entgegen-
stehende Intellektualismus. Keiner von den elementaren Vor-
Nekrologe 91
gangen des psychischen Lebens ist als schlechthin primär anzu-
sehen. Ist hier, wie so oft bei Külpe, an die Stelle des „Ent-
weder — Oder" das konziliante und ausgleichende „Sowohl —
Alsauch" getreten, so ist das gleiche auch hinsichtlich des
metaphysischen Gottesproblems der Fall. Eigentliche meta-
physische Gottesbeweise gibt es nicht; aber die Weltzweck-
mäßigkeit, soweit wir eine solche zu erfassen imstande sind,
die Übereinstimmung von Wahrheit und Richtigkeit im Denken
und Erkennen der Welt, die Anpassung der leblosen Natur
an die Erhaltung und Entwicklung von Leben und Bewußt-
sein, der Fortschritt vom Niederen zum Höheren berechtigen
uns, die ganze Welt als ein „System nach der Regel der
Zwecke" zu betrachten. Wir werden dadurch hingewiesen
auf eine Weltseele, einen Weltgeist, dem für die Welt etwa
dieselbe Bedeutung zukommt, wie den Einzelseelen für ihre
Organismen. Den Individualgeistern eignet eine relative Selb-
ständigkeit; unser bewußter Geist verhält sich zu Gott unge-
föhr wie die „Zellseele" zu unserem bewußten Geist. In dieser
an Lotzes monadologische Anschauungen und noch mehr an
Fechner erinnernden Weise will Külpe, unter kritischer Stellung-
nahme gegenüber dem Pantheismus, Panentheismus und Deis-
mus, seinen Theismus begründen. Die volle Ausgestaltung
dieses Theismus könne freilich nicht die Metaphysik geben;
sie wird der Religion überwiesen.
Die gleiche harmonisierende Tendenz verfolgt Külpes Ethik.
Apriorismus und Empirismus, Reflexions- und Gefühlsmoral,
Individualismus und Universalisraus, Subjektivismus und Ob-
jektivismus sollen verbunden werden. Eine bloß formalistische
Ethik im Sinne Kants wird verworfen; zu dem formalen Kri-
terium der Allgemeingültigkeit ist noch ein materiales Kriterium
der Zweck- und Wertgemäßheit hinzuzunehmen. Aber wenn
für diesen Zweck auch mit dem „humanen Universalismus *
das Humanitätsideal als letztes für uns wissenschaftlich be-
stimmbares Objekt des sittlichen Wollens betrachtet wird, so
legt Külpe doch auch hier den Nachdruck überwiegend auf
die Vielheit der sittlichen Güter und ihren Zusammenhang.
92 Nekrologe
Ein höchstes Gut als Maß aller übrigen bleibt ihm für die
Philosophie eine abstrakte Idee; erst die Religion kann, wie
mit Wundt auch Külpe sagt, diese abstrakte Idee des höchsten
Gutes mit ihren das Sinnliche durch übersinnliche Forderungen
ergänzenden Vorstellungen zu einem konkreten Ideal gestalten.
So gewinnt, wie Külpes Metaphysik, auch seine Ethik einen
religiösen Abschluß.
Vorlesungen in Würzburger Ferienkursen für Lehrer ent-
stammen zwei treffliche kleinere historische Schriften
Külpes, „Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland", zu-
erst 1902 veröffentlicht, dann in fünf folgenden Auflagen bis
1914 immer weiter ausgebaut und ergänzt, und , Immanuel
Kant", zuerst 1907, in dritter Auflage 1912 erschienen. Gemäß
ihrer Entstehung sind beide Werke musterhaft klar und gemein-
verständlich geschrieben, in dem edlen, gedankenreichen und
durchsichtigen Stil, der Külpe auszeichnete. Das Bändchen
über Kant ist aus einem intensiven Quellenstudium hervor-
gegangen. Von diesem legt auch die in der Kantausgabe der
Berliner Akademie 1907 erschienene Edition von Kants „Anthro-
pologie in pragmatischer Hinsicht" Zeugnis ab, deren Erwäh-
nung hier angeschlossen sein möge. — Die Monographie fügt
die Darstellung der Kantschen Lehre geschickt in den Rahmen
der Lebensentwicklung ein, und diese ist mit all der Feinheit
gegeben, die den scharf blickenden Psychologen kennzeichnet.
Wundervoll ist die Charakteristik von Kants Persönlichkeit,
Wie köstlich bei aller Kürze weiß er nicht die Analyse des
Pedanten und Spießbürgers zu geben, um dann Kant von
dem Vorwurf der Pedanterie zu reinigen! — Das andere Bänd-
chen bespricht die Hauptrichtungen der deutschen Philosophie
seit Lotze und Fechner unter den Rubriken des Positiyismus,
Materialismus, Naturalismus und Idealismus und geht in dem
Schlußkapitel: „Neueste Erscheinungen" auch kurz auf die
wichtigsten Philosophen der Gegenwart von heute, wie auf
die Marburger und die badische sowie die phänomenologische
Schule Husserls ein.
Was diese vorzüglich orientierenden Werke bieten, ist
Nekrologe 93
weniger eine genetisch-historische Entwicklung der Kantschen
Lehre und der Bewegungen der neuesten Zeit. Ein eigent-
licher Historiker war Külpe nie; auch seine historischen Ar-
beiten sind überwiegend sachlich und systematisch eingestellt.
In erster Linie bietet er vielmehr seinen vielen Lesern die so
nötige kritische Auseinandersetzung mit dem modernen und
jetztzeitigen erkenntnistheoretischen Idealismus, um so den
eigenen realistischen Standpunkt zu begründen. Beide Werk-
chen fügen sich so durchaus in die eigene systematische er-
kenntnistheoretische Arbeit Külpes ein und ergänzen sein dar-
über erschienenes, nicht zum Abschluß gelangtes Hauptwerk.
Gewiß verdankt Külpe, wie jeder Philosoph der Neuzeit, der
in die Tiefe der Probleme eindrang, Kant die tiefgreifendsten
Anregungen; gewiß wertet er mit Recht den sittlichen Idea-
lismus von Kants Weltanschauung, der ja etwas ganz anderes
ist, als der erkenntnistheoretische Idealismus der „Kritik
der reinen Vernunft", überaus hoch. Allein sachlich steht er in
der Kantschrift auf dem Gebiete der Erkenntnistheorie Kant
in der Hauptsache doch durchaus ablehnend gegenüber und
ist bemüht, die von jenem errichteten Wälle methodisch abzu-
tragen. In der , Philosophie der Gegenwart" aber sieht er
zum Schluß aus dem , pathologischen Zwischenzustande einer
philosophischen Anarchie, die zurzeit noch vorzuherrschen
scheint", ein „neues Reich langsam, aber sicher aus dem
zurückweichenden Meere der Zukunft sich erheben". „Auf
der Schwelle dieser Zukunft" steht ihm hier „das Problem
der Realität", dem seine eigene kritische und aufbauende Tätig-
keit gewidmet ist.
Diese seine eigene Erkenntnistheorie des „kritischen Rea-
lismus" bildete Külpe in allem Wesentlichen bereits in der
Würzburger Zeit aus. In einer durch acht Jahre hindurch-
geführten Kette von Vorlesungen gestaltete er sie bis in das
einzelne. Diese Vorlesungen liegen in Külpes sorgfältig aus-
geführtem Manuskript vor, dessen Herausgabe in die Wege
geleitet ist.
So hat Külpe in seiner Würzburger Periode als Haupt der
94 Nekrologe
„Würzburger Schule" sein gesamtes wissenschaftliches Lebens-
werk zur Reife gebracht. Als Psycholog wie als Philosoph
steht er am Ende dieser Zeit abgeschlossen da. Aber die
Veröffentlichung seiner Erkenntnislehre, die neben der Denk-
psychologie und zugleich im engen Zusammenhang mit dieser
mehr und mehr in seinem Forschen und Lehren als eben-
bürtige Aufgabe hervortrat und die vor allem ihn zu einem
ebenso bedeutenden Philosophen wie Psychologen gemacht hat,
erfolgte erst später in Külpes Bonner und Münchener Zeit.
Wir sind damit zu Külpes Lebensentwicklung zurückgekehrt.
Durch den Fortgang von Benno Erdmann nach Berlin
war in Bonn eine philosophische Professur frei geworden, der
schon seit Erdmanns Vorgänger Jürgen Bona Meyer eine ge-
wisse Betonung der Psychologie eigen gewesen war. Ein
psychologisches Institut mit Anschauungsmitteln und einem
Grundstock an Apparaten hatte im Rahmen des philosophi-
schen Seminars Erdmann eingerichtet. So fand Külpe, als er
im Herbst 1909 einem Rufe nach Bonn an Erdmanns Stelle
folgte, in philosophischer wie in psychologischer Beziehung
den bestbereiteten Boden und konnte in den größeren Verhält-
nissen der rheinischen Universität mit wachsendem Erfolge in
Vorlesungen und in dem nach der psychologischen Seite in
Einrichtung und Forschungsrichtung stark erweiterten philo-
sophischen Seminar dieselbe , Wirkung entfalten , wie in der
Frankenstadt, auch hier von Schülern aller Gegenden auf-
gesucht.
Während in Külpes Würzburger Wirksamkeit seine so be-
deutsame erkenntnistheoretische Arbeit nur einem engeren
Kreise näher bekannt war und nach außen hin nur in einigen
Rezensionen sowie in den kritischen Ausführungen seiner Über-
sicht über die philosophischen Bewegungen der Gegenwart und
seines „Kant" erst angedeutet wurde, drückt dieselbe der
Bonner Zeit auch literarisch den Charakter auf.
Die Grundzüge dieses erkenntnistheoretischen Systems ent-
wickelte er zuerst näher in dem gehaltvollen Vortrag „Er-
kenntnistheorie und Naturwissenschaft", den er 1910 vor der
Nekrologe 95
Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Königs-
berg hielt. Obwohl nur eine vorläufige Skizze, bleibt jene
knappe, lebendige Darstellung doch von dauerndem Werte,
zumal sie sich nicht, wie das, was von der späteren ausführ-
lichen Publikation erscheinen konnte, auf die Kritik entgegen-
stehender Ansichten beschränkt, sondern auch von Külpes eigener
positiver Auffassung wenigstens den Kern gibt. Zugleich zeigt
sie eine Lebendigkeit und Frische der Gesamtanschauung, die
den auf dem mühseligen Wege dornenvoller Einzelerörterung
sich voranarbeitenden streng fach wissenschaftlichen späteren
Ausführungen nur an einzelnen Stellen wieder gelungen ist.
Mit dem Neukritizismus stimmt Külpe darin überein, daß
die Philosophie nicht etwa eine neue sachliche Erkenntnis der
Natur aus vermeintlich tieferer Quelle, als sie der Naturwissen-
schaft zur Verfügung steht, konstruieren könne. Ihre Aufgabe
ist eine bescheidenere. Sie hat sich hier zu beschränken auf die
erkenntnistheoretische Frage, wie eine solche Naturerkenntnis
überhaupt möglich sei, um dadurch zu einer Entwicklung der
Voraussetzungen für die Möglichkeit einer Naturwissenschaft
zu gelangen. Mit einem durch Kant und den Neukritizismus
üblich gewordenen Worte bezeichnet auch Külpe dies Ver-
fahren als die „transzendentale" Methode.
Aber diese Anknüpfung an Kant ist doch nur rein äußer-
lich und formal; im Inhaltlichen steht Külpes „transzenden-
tale" Methode zu der Kants und des Neukritizismus von
Windelband, Rickert, Hermann Cohen und Natorp in schärf-
stem Gegensatz. Der erkenntnistheoretische Zusammenhang,
aus dem jene Voraussetzungen für die Möglichkeit einer Natur-
erkenntnis zu gewinnen sind, läßt sich nach ihm nicht aus
dem reinen Bewußtsein oder dem reinen Denken allein ent-
wickeln. In der Natur — wie nicht minder in der Psycho-
logie und der Geschichte — handelt es sich ja nicht um ein
rein Ideales, sondern um reale Gegenstände. Von diesen ver-
mögen wir kein apriorisches Wissen zu konstruieren. Wir
haben sie in stets weiter fortschreitendem Gange a posteriori
zu erforschen, um zuletzt in einer Metaphysik für das reale
96 Nekrologe
Weltbild den systematischen Abschluß zu finden. „Gegeben"
sind uns dabei die Natur- und Seelenvorgänge zunächst nur
in der subjektiven Wirklichkeit unserer Bewußtseinserleb-
nisse, von der wir auszugehen haben. Aber in diesen Be-
wußtseinsinhalten, insbesondere in dem Kommen und Gehen
der Empfindungen, tritt für die analysierende Erkenntnis —
was der „Konszientialismus" übersieht — eine Ordnung und
Gesetzlichkeit zutage, die nicht, wie der qualitative Inhalt
jener Empfindungen, von unserer psychophysischen Organisa-
tion abhängt, sondern diesem Subjekt als eine „Fremdgesetz-
lichkeit" gegenübersteht. Dadurch wird das mit der Erfah-
runor des äußeren und inneren Sinnes verbundene Denken
auf ein bewußtseinstranszendentes Reales gewiesen, das der
Träger dieser in unseren Bewußtseinsinhalten erscheinenden
„Fremdgesetzlichkeit" ist. Dieses Reale ist von uns als tat-
sächlich bestehend anzuerkennen; es ist zu „setzen", wie
Külpe — für seinen realistischen Standpunkt ein wenig miß-
verständlich — sagt. Ist diese „Setzung" erkenntnistheoretisch
der erste Schritt, so muß daran als zweiter sich der Versuch
anschließen, jenes Reale, mit den Ergebnissen der Natur- und
Geisteswissenschaften voranschreitend, zu „bestimmen". „Wie
muß dasjenige beschaffen sein, das die von uns unabhängigen
Beziehungen zwischen den Sinnesqualitäten entstehen läßt?",
so stellt sich die den Physiker angehende, auf die körperliche
Außenwelt bezügliche Teilaufgabe des weiteren Problems, der
dann verwandte Fragen hinsichtlich des Realen im seelischen
Leben und in der Geschichte sich anschließen.
Natürlich steht Külpe mit dieser Auffassung nicht isoliert.
In der Philosophie war die realistische Richtung nie völlig
verschwunden. Von vielen sei nur Külpes mittelbarer Vor-
gänger auf dem Münchener Lehrstuhl, Carl Stumpf, genannt,
der z. B. in der grundlegenden Untersuchung: „Psychologie
und Erkenntnistheorie" in den Abhandlungen unserer Akademie
(1891) bereits ähnlich wie Külpe die Theorie des Kritizismus
von einer „Schöpfung der Natur durch den Verstand" be-
kämpft und mit dem auch sonst Külpe sich mannigfach be-
Nekrologe 97
rührt. Aber auch an Gedanken philosophierender Naturfor-
scher, wie Helmholtz und Heinrich Hertz, werden wir erinnert.
Insbesondere gibt der in der Naturforschung der Gegenwart
— man denke an Mach einerseits, Planck anderseits — schwe-
bende Streit über die wissenschaftliche Natur der Hypothese,
ob diese nämlich bloß ein ökonomisches Mittel für die Ord-
nung von Gedanken ist, oder einen Wert für die fortschreitende
Wirklichkeitserkenntnis besitzt, einen Vergleichspunkt, der zeigt,
wie Külpes erkenntnistheoretische Forschung sich im engsten
Zusammenhange mit dem lebendigen Betriebe der Naturwissen-
schaft entwickelt.
Jenes Reale nun liegt uns nun nicht schon in der Empfin-
dung selbst vor, die den Ausgangspunkt zu seiner Erkenntnis
bildet; ebensowenig in der auf Empfindungen sich aufbauenden
anschaulichen Vorstellung. Es kann nur als Gegenstand eines
unanschaulichen Wissens erfaßt, kann nur gedacht werden.
Darum bezeichnet Külpe es auch — was allerdings recht miß-
verständlich ist — als „ Gedankend in g" ; nicht im Sinne eines
nur im Gedacht werden existierenden Inhalts, eines „ens ra-
tionis", sondern als eine bloß durch das Denken zu erfassende
Realität. (Anderswo freilich sollen diese „Gedankendinge" bloße
„Modelle" der realen Naturobjekte sein.)
Hier ist nun die Stelle, an der sich deutlich der innige
Zusammenhang zwischen Külpes Erkenntnistheorie und
seiner Denkpsychologie zeigt. ,Es ist", so sagt er selbst
in jenem Vortrag, „im letzten Grunde das Vorurteil einer in
der Fülle der Anschauung schwelgenden Zeit, wenn die Ge-
dankendinge der Realwissenschaften ein ärmliches Schema oder
gar ein bloßes X zu sein scheinen. Wie wir uns in der Psycho-
logie gegenwärtig von dem Sensualismus befreien, der die Welt
unserer Gedanken in bloße Empfindungen und Vorstellungen
aufzulösen suchte und alle unanschaulichen Bewußtseinsinhalte
einfach für nicht vorhanden oder für erfunden erklärte, so
sollte auch in der Erkenntnistheorie mit dem Dogma gebrochen
werden, daß bloße Gedankendinge ein Nichts oder eine unüber-
schreitbare Grenze der Erkenntnis bilden." Konszientialismus
Jahrbuch 1916. 7
98 Nekrologe
und Phänomenalismus, die als Warnung vor dem naiven Glauben
eines unkritischen Realismus, der in unseren Empfindungen ein
exaktes Bild der objektiven Wirklichkeit erblickte, ihre Be-
deutung hatten, haben jetzt „den Charakter eines lästigen
Schlagbaums angenommen"; Schopenhauers Wort von der Welt
als unserer Vorstellung, das gegenüber dem dogmatischen na-
iven Realismus erzieherischen Wert hatte, ist jetzt selbst zur
dogmatischen Phrase geworden.
Während der „naive" Realismus dem Wahne huldigt,
das Reale, auf welches im Unterschiede von den Idealwissen-
schaften die Real Wissenschaften gehen, könne vom erkennenden
Geiste unmittelbar in intuitiver Anschauung erfaßt werden,
stellt sich nach dem „kritischen" Realismus, dem mit vielen
anderen — schon Leibniz hat in den „Nouveaux essais sur
l'entendement humain" sein Grundprinzip entwickelt — auch
Külpe huldigt, die Sache ganz anders dar. Nach dem , kriti-
schen Realismus" bedarf es dazu eines diskursiven Gedanken-
ganges, eines besonderen Prozesses, um mit Hilfe bestimmter
Kriterien der Realität, die weder rein rational noch rein em-
pirisch sind, zu jenem Ziele zu gelangen. Diesen Prozeß, der
zur wissenschaftlichen Bestimmung des Realen führt, nennt
Külpe, um schon durch den grundlegenden Terminus seiner
Theorie deren Unterschied gegenüber dem naiven Realismus
anzudeuten, die „Realisierung". Man kann freilich denen
wohl nicht ganz unrecht geben, die, wie Rickert, Herbertz u. a.,
einwandten, daß dieser Ausdruck mehr in ein idealistisches
System hineinzupassen scheine, als in Külpes realistische Er-
kenntnistheorie. Aber das Wort muß bei Külpe durchaus in
der von ihm festgelegten Bedeutung genommen werden: nicht
im Sinne der realen Ausgestaltung eines Ideellen, sondern im
Sinne einer Erkenntnisoperation zur denkenden Erfassung eines
vom Bewußtsein des Forschers unabhängigen Realen.
Vier Einzelfragen schließt das allgemeine Problem der
Realisierung ein: 1. Ist eine Setzung von Realem zulässig?;
2. wie ist eine Setzung von Realem möglich?; 3. ist eine Be-
stimmung von Realem zulässig?; 4. wie ist eine Bestimmung
Nekrologe °^
von Realem möglich? In ebensoviel entsprechenden Bänden
sollte dasjenige Buch, welches Külpe als sein eigentliches
Lebenswerk geplant hatte und von dem 1912 der erste Band
erschien: „Die Realisierung. Ein Beitrag zur Grundlegung der
Realwissenschaften", diese Fragen beantworten. Der Tod hat
die vollständige Ausführung des Planes verhindert. Dem ersten
Bande ist nur noch eine Vorstudie zum dritten gefolgt: „Zur
Kategorienlehre ", in den Sitzungsberichten der Münchener Aka-
demie 1915.
Was der erste Band der „Realisierung" bietet, ist im
wesentlichen Polemik. Der Realismus, ist Külpes Gedanke
(dessen Berechtigung hier nicht erörtert werden kann), hat als
natürliche Denkweise die Präsumption für sich; er befindet
sich in der Defensive. Die Frage, ob wir ein Reales zu
„setzen" berechtigt sind, wird deshalb dann bejahend zu be-
antworten sein, wenn es gelingt, die gegen ihn erhobenen
Einwendungen als unzutrefi'end darzutun und die ihm entgegen-
gesetzten idealistischen Theorien zu widerlegen. Eines beson-
deren positiven Beweises für die Berechtigung, ein Reales zu
setzen, bedarf es nach Külpes Meinung nicht mehr. Nun wird
es freilich, um jene negative Aufgabe zu erfüllen, nötig sein,
alle dem Realismus entgegenstehenden denkbaren Möglich-
keiten vollzählig auszuschließen. Aber Külpe ist überzeugt,
daß er dies in der Tat getan hat, indem er die entgegen-
stehenden Auffassungen unter zwei Gruppen unterbringt, dem
Konszientialismus, der die realen Gegenstände als „Wirk-
lichkeiten des Bewußtseins" auffaßt und von einem Prozeß der
Realisierung überhaupt absieht, und dem objektiven Idea-
lismus, der zwar den Gegenstand der wissenschaftlichen Unter-
suchung nicht als ein unmittelbares Bewußtseinserlebnis betrach-
tet, sondern ihn erarbeitet werden läßt, diesen Prozeß der Er-
arbeitung aber nicht auf reale Gegenstände, die als objektiv
vorhanden vorausgesetzt werden, als Korrelate bezieht, sondern
ihn als eine ideale Konstruktion auffaßt. Eine zwischen dem
Konszientialismus und dem Realismus in der Mitte stehende
Form des Idealismus, der Phänomenalismus, der zwar ein Re-
7*
100 Nekrologe
ales setzt, es aber als ein völlig unbestimmbar bleibendes X
betrachtet, sollte nach der Disposition des Külpeschen Buches
im dritten Teil widerlegt werden.
Ob freilich diese Methode, welche die eigene Ansicht aus
der Niederwerfung aller möglichen gegnerischen hervorsteigen
lassen will, eine völlig ausreichende ist, kann ja umstritten
werden. Auch das ist fraglich, ob die Disjunktion vollständig
ist, und ob auch alles, was Külpe unter jenen beiden Gruppen
unterbringt, sich wirklich restlos einer solchen Charakteristik
fügt. So hat z. B. Rickert wohl nicht mit Unrecht Verwah-
rung dagegen eingelegt, daß sein transzendentaler Idealismus
so schlechthin unter den Begriff des Konszientialismus gebracht
werde, wenigstens wenn das Wort im üblichen Sinne genommen
werden soll. Wie denn, nebenbei bemerkt, auch manches, was
Külpe gegen die methodologische Einteilung der Wissenschaften
bei Rickert vorbringt, ebensowenig überzeugend wirkt, als was
er selbst an dessen Stelle setzen will. Aber auch der
Gegner wird nicht leugnen können, daß in der Analyse und
Zurückweisung der gegen den Realismus vorgebrachten Gründe
sowie in der kritischen Auseinandersetzung mit den entgegen-
stehenden Ansichten - — in besonders lichtvoller Weise mit
Mach und Schubert Soldern — eine Fülle scharfsinnigster Er-
örterungen und bedeutungsvoller Beweisführungen enthalten
ist, die das Buch unter denen, die wir zur Rechtfertigung des
kritischen Realismus besitzen, und unter der neueren erkenntnis-
theoretischen Literatur überhaupt mit in die erste Reihe rücken.
Gegenüber dem in seinen verschiedensten Formen und
nach all seinen Argumenten unermüdlich verfolgten Konszientia-
lismus tritt in diesem ersten Bande die Auseinandersetzung mit
dem objektiven Idealismus der Marburger Schule an Umfang
und Eindringlichkeit sehr zurück. Um so eingehender beschäf-
tigt sich Külpe mit demselben in der Studie „Zur Kategorien-
lehre". Die Kategorien, sucht dieselbe nachzuweisen, sind
nicht, wie der erkenntnistheoretische Idealismus will, Funk-
tionen oder Begriffe eines autonomen Denkens, das, aus nichts
Fremdem schöpfend, aus sich heraus die Gegenstände erzeugt
Nekrologe 101
und ihnen Gesetze gibt, indem es in stets weiter voranschrei-
tendem Gange die unendliche Aufgabe einer Logisierung des
in der Empfindung gelegenen Chaos verfolgt. Kants »koperni-
kanische Tat" ist in Wahrheit einer Rückkehr zum ptolemäi-
schen Weltsystem zu vergleichen. Psychologisch zu begreifen
ist sie aus der Sehnsucht nach Befreiung vom äußeren Zwange;
aber die Herrschaft, die wir über die Dinge zu gewinnen
glauben, indem wir sie uns angleichen, ist nicht von Dauer.
Die Kategorien sind vielmehr, wie schon Aristoteles sie faßte,
Bestimmungen der realen Gegenstände selbst. Sie sind nicht
Denkformen, sondern Gegenstandsbestimmungen. Aber die Er-
kenntnis dieser allgemeinsten Bestimmungen innerhalb der ver-
schiedenen Gebiete von Objekten, die sich je nach der Natur
dieser Gebiete verschieden gestalten, ist nicht von selbst ge-
geben. Sie muß — insbesondere gilt das von den „realen"
Kategorien — erarbeitet werden. Darin liegt der Grund,
daß die Theorie der , Realisierung" hier ein gutes Stück Weges
mit den , Marburgern" zusammengehen kann. Aber nur im
Methodischen, nicht in der Grundauffassung. Diese bekämpft
Külpe unermüdlich mit einer Fülle von Argumenten, mit solchen,
die in ihren Grundgedanken bei der realistischen Auseinander-
setzung mit Kant und dem Neukritizismus zum hergebrachten
festen Bestände gehören, und mit neuen und eigenartigen, unter
denen die auf der Psychologie fußenden wohl am feinsten und
für Külpe am meisten charakteristisch sind.
Als Külpe die Abhandlung zur Kategorienlehre herausgab,
war er nicht mehr in Bonn. Aus den glücklichen Verhält-
nissen der rheinischen Universitätsstadt, wo er, der soviel Liebe
und Freundschaft schenkte, unter Schülern und Amtsgenossen
sehr bald auch viel Liebe und Freundschaft fand, holte ihn
schon nach vier Jahren im Herbst 1913 ein Ruf an einen
noch größeren Wirkungskreis nach München. Hier war
Theodor Lipps unheilbarem Siechtum verfallen. Für ein psycho-
logisches Institut hatte er beim Erweiterungsbau der Uni-
versität glänzende Räume gewonnen; aber die innere Ein-
richtung fehlte noch fast völlig. Külpe war der gegebene
102 Nekrologe
Mann, um die durch die treue Arbeit von Stumpf und Lipps
in München geschaffenen Werte weiter zu pflegen und zugleich
die experimentelle Seite der Psychologie, die Lipps wenig lag,
zur Entwicklung zu bringen. Von der bayerischen Staats-
regierung und der Universitätsverwaltung mit allen erwünsch-
ten Mitteln unterstützt, erreichte er es in kurzer Zeit, das ehe-
malige Lippssche psychologische Seminar zu einem mustergültigen
psychologischen Institut auszubauen — weit reicher noch, als sein
ehemaliges Würzburger Arbeitsheim — und regstes wissenschaft-
liches Leben in ihm zu erwecken. Auch an der Leitung der
Übungen des schon vor seiner Herkunft 1912 neu begründeten
und mit reichen Lehrmitteln ausgestatteten philosophischen
Seminars konnte er tätigen Anteil nehmen. Um die Akademie
der Wissenschaften, der er seit 1914 angehörte, machte er sich
besonders verdient durch einen Arbeitsplan für die Samson-
stiftung, in deren Kuratorium er Mitglied wurde. Die Ver-
einigung philosophischer, naturwissenschaftlicher und geistes-
wissenschaftlicher Kenntnisse befähigte ihn in besonderem
Maße für diese viel umfassende Aufgabe.
Neben einer solchen reichen Lehr- und Verwaltungstätigkeit
ruhte auch in München die literarische Produktion nicht. Neue
Auflagen älterer Werke erschienen; auch kleinere Arbeiten zur
Psychologie und Ästhetik, derer schon gedacht wurde. Die
gleichfalls'^ erwähnte Akademieabhandlung ,Zur Kategorien-
lehre" (1915) faßte lange Vorbereitetes zusammen. An dem
herrlichen "^ Aufschwung, den der uns aufgedrängte Weltkrieg
unserem Volke brachte, nahm er in opferwilliger Betätigung
begeisterten Anteil. Zeugnis davon gibt ein zum Besten des
vaterländischen Unterstützungswerkes der Universität gehaltener
Vortrag: „Die Ethik und der Krieg" (1915). Feinsinnig ab-
wägend, weiß derselbe einem vielbehandelten Gegenstand
manche neue Seite abzugewinnen. Er zeigt, wie innig strenges
ethisches Empfinden und warmes vaterländisches und natio-
nales Fühlen sich bei ihm, dem Lehren Leben war, verbanden
und in einer auf einen tieferen Sinn der geschichtlichen Mensch-
Nekrologe 103
heitsentwicklung vertrauenden sittlich-religiösen Weltanschau-
ung den Abschluß fanden.
Noch ist aus dieser Münchener Zeit eines Überblicks über
die Philosophie der Gegenwart zu gedenken, den Külpe in
dem Sammelwerk: „Deutschland unter Wilhelm IL" (1914)
gab. In knappster Form und trefflicher Systematik faßt er,
ohne in erzählendes Detail sich zu verlieren, zusammen, was
er in der philosophischen Arbeit der Gegenwart als wertvoll für
den Neubau einer im Zusammenhang mit der lebendigen posi-
tiven Wissenschaft stehenden Philosophie der Zukunft erachtet.
Die ganze Eigenart seines wissenschaftlichen Schaffens und
Strebens, das auf Verständnis des Wirklichen, nicht auf selbst-
herrliche Konstruktion eines vermeintlich autonomen Denkens,
auf methodische Erarbeitung, nicht auf eine vorschnelle an-
geblich geniale Intuition, auf Zusammenarbeiten mit allen in
den Schachten der positiven und der philosophischen Wissen-
schaften Schürfenden, nicht auf selbstgefällige Absonderung
gerichtet ist, spricht sich aus in den Sätzen, mit denen er diese
Schrift beschließt: ,Die absolute Philosophie, der jetzt wieder
Herz und Sinn sich öffnen, ist nicht schlechthin bei einem
Philosophen, in einem Buche oder an einer Universität zu
finden, sondern das Ergebnis mannigfacher Arbeit vieler Orte
und Geister. Sie ist das große stille Leuchten, das zahlreiche
und weit zerstreute Flammen ausstrahlt. Wenn die künst-
lichen Schirme, durch die sich diese gegeneinander abschließen,
fallen, wenn es nicht mehr darauf ankommen wird, was jede
von ihnen zur Erleuchtung beiträgt, dann erst wird voller
Tag werden und das Zentralfeuer der Philosophie, von allen
Brennstoffen des Wissens gespeist, seine Helligkeit und Wärme
nach allen Richtungen spenden." Diese wahrhaft goldenen
Worte geben uns zugleich die beste Charakteristik von Külpes
eigenem Wesen, von dem, was er uns war und was seine
Schriften, fortlebend, uns sein werden.
104 Nekrologe
Im folgenden gebe ich ein chronologisches Verzeichnis
von Külpes Schriften. Für freundliche Beihilfe bei der Auf-
stellung desselben bin ich Külpes langjährigem Assistenten in
Würzburg, Bonn und München, Herrn Professor Dr. Karl Büh-
ler, zu Danke verpflichtet. Von den Rezensionen sind nur
die größeren aufgenommen, insbesondere diejenigen, in denen
Külpe Eigenes bietet.
Zur Theorie der sinnlichen Gefühle. Dissertation. Leipzig 1887.
Auch in: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie Bd. XI. 1887.
S. 424—482. XII. 1888. S. 50—81.
Die Lehre vom Willen in der neueren Psychologie. Habilitations-
schrift. Leipzig 1888. Auch in: Philosophische Studien, herausgeg. von
Wundt, Bd. V. 1889. S. 179-244; 381-446.
Wilhelm Wundt. In: Vossische Zeitung 1889. Sonntagsbeilage.
Nr. 46 und 47.
Das Problem der Willensfreiheit. In : Mitteilungen und Nachrichten
für die evangelische Kirche in Rußland, Bd. 45 -46. 1889 — 90.
Über die Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit von Bewegungen.
In: Philosophische Studien VI. 1891. S. 514-535; VII. 1892. S. 147— 168.
Das Ich und die Außenwelt. In: Philosophische Studien VII. 1892.
S. 394—413; VIII. 1893. S. 311-341.
Grundriß der Psychologie. Auf experimenteller Grundlage darge-
stellt. Leipzig 1893.
Ein neuer Apparat zur Controle zeitmessender Instrumente. Be-
schrieben von 0. Külpe und A. Kirschmann. In: Philosophische Studien
VIIL 1893. S. 145—172.
Anfänge und Aussichten der experimentellen Psychologie. In:
Archiv für Geschichte der Philosophie VL 1893. S. 170-189; 449—467.
Aussichten der experimentellen Psychologie. In: Philosophische
Monatshefte XXX. 1894. S. 281—294.
Die Aufgabe der Philosophie. In: Vossische Zeitung 1894. Sonn-
tagsbeilage Nr. 27, 28.
Einleitung in die Philosophie. Leipzig 1895. 7. Aufl. 1915.
Über den Einfluß der Aufmerksamkeit auf die Empfindungsintensi-
tät. In: Dritter internationaler Congreß für Psychologie in München.
1896 (München 1897). S. 180—182.
Über Richard Wagners Kunsttheorie. In: Beilage zur Allgemeinen
Zeitung. 1896. Nr. 4 und 5.
I
Nekrologe 105
Zur Lehre von der Aufmerksamkeit, nach W. Heinrich u. H. E. Kohn.
In: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 110. 1897.
5. 7-39.
Über die Beziehung zwischen körperlichen und seelischen Vorgängen.
Zeitschrift für Hypnotismus VII. 1898.
Über den assoziativen Faktor des ästhetischen Eindrucks. In: Viertel-
jahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XXlIl. 1899. S. 145 — 183.
Die ästhetische Gerechtigkeit. In: Preußische Jahrbücher, Bd. 98.
1899. S. 264-293.
Über das Verhältnis der ebenmerklichen zu den übermerklichen
Unterschieden. In: IV|^ Congres International de Psychologie tenu a
Paris 1900 (Paris 1901), p. 160-168.
Giordano Bruno. Deutsche Stimmen I (Köln 1900), 683—687.
Zu Gustav Theodor Fechners Gedächtnis. Vierteljahrsschrift für
wissenschaftliche Philosophie, Bd. XXV. 1901. S. 191—217.
Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland. Leipzig 1902.
6. Aufl. 1914.
Über die Objektivirung und Subjektivirung von Sinneseindrücken.
In: Philos. Studien XIX. 1902. S. 508-556.
Rezension von K. Groos, Der ästhetische Genuß. In: Göttingische
gelehrte Anzeigen 1902. S. 896—919.
The Conception and Classification of Art from a Psychological Stand-
point. In: University of Toronto Studies. Psychological Series. IL 1902.
Zur Frage nach der Beziehung der ebenmerklichen zu den über-
merklichen Unterschieden. In: Philos. Studien XVIII. 1903. (Festschrift
für Wundt.) S. 328—346.
Ein Beitrag zur experimentellen Ästhetik. In : The American Jour-
nal of Psychology. XIV. 1903. S. 215—231 [479-495].
The Problem of Attention (übersetzt von Titchener). The Monist
XIII. 1903. S. 38 f.
Versuche über Abstraktion. In: Bericht über den I. Kongreß für
experimentelle Psychologie in Gießen 1904 (Leipzig 1904). S. 56—68.
Über Kant. Festrede bei der Kant-Feier der Würzburger Universi-
tät am 12. Februar 1904. Würzburg 1904.
Rezension von: W. Freytag, Der Realismus und das Transzendental-
problem. In: Göttingische gelehrte Anzeigen 1904. S. 89 — 106.
Bemerkung zu der Abhandlung von Kate Gordon: Über das Ge-
dächtnis für affektiv bestimmte Eindrücke. Archiv für die gesamte
Psychologie IV. 1905. S. 459—464.
Rezension von: Kowalewski, Studien zur Psychologie des Pessimis-
mus. In: Göttingische gelehrte Anzeigen 1905. S. 89 — 115.
Rezension von: W. Freytag, Die Erkenntnis der Außenwelt. Ebd«J
S. 987-995.
106 Nekrologe
Der gegenwärtige Stand der experimentellen Ästhetik. Bericht
über den II. Kongreß für experimentelle Psychologie in Würzburg 1906
(Leipzig 1907). S. 1—57.
Immanuel Kant. Leipzig und Berlin 1907. 3. Aufl. 1912.
Ausgabe von: Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Kant-
ausgabe der Berliner Akademie, Bd. VII. Berlin 1907.
Über ästhetische Erziehung. In: Baltische Frauenzeitung 1907, Dez.
Rezension von: N. Ach, Über die Willenstätigkeit und das Denken.
Göttingische gelehrte Anzeigen 1907. S. 595 -608.
Ein Beitrag zur Gefühlslehre. In: Bericht über den III. Intern.
Kongr. für Philosophie in Heidelberg 1908 (Heidelberg 1909). S. 516-555.
Zur Psychologie der Gefühle. In: Vl'^™« Congres International de
Psychologie tenu ä Geneve 1909 (Genf 1910).
Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft. In: Physikalische Zeit-
schrift XI (1910). Auch separat, Leipzig 1910. Auszug in: Verhand-
lungen deutscher Naturforscher und Ärzte. 82. Versammlung, 1910.
Pour la Psychologie du sentiment. In: Journal de Psychologie nor-
male et pathologique VII, 1910.
Die Deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts. In : Freie bayeri-
sche Lehrerzeitung XI (1910), Nr. 5.
Zur Geschichte des Realitätsbegriffs. Atti del IV Congresso Inter-
nazionale di Filosofia. Bologna 1911. I, S. 41— 47. Englisch: Contribu-
tion to the History of the Concept of Reality. In: The Philosophical
Review, XXI. 1912. S. 1 — 10.
Über die moderne Psychologie des Denkens (Vortrag). In: Inter-
nationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kultur und Technik VI. 1912-
S. 1069—1110.
Über die Bedeutung der modernen Denkpsychologie. Bericht über
den V. Kongreß für experimentelle Psychologie in Berlin 1912 (Leip-
zig 1912), 117 — 118 (Auszug aus dem vorhergehenden Vortrag).
Psychologie und Medizin. Zeitschrift für Pathopsychologie I. 1912.
S. 187—267. Auch separat, Leipzig 1912.
Die experimentelle Ästhetik. In: Die Grenzboten, Bd. 71. 1912.
S. 456-466.
W. Wundt zum 80. Geburtstage. Archiv für die gesamte Psycho-
logie XXIV. 1912. S. 105-110.
Wilhelm Wundt. Ein Lebensbild. In: Gartenlaube 1912, Nr. 38.
Die Realisierung. Ein Beitrag zur Grundlegung der Realwissen-
schaften, Bd. I. Leipzig 1912.
Artikel „Gefühl". In: Handwörterbuch der Naturwissenschaften,
Bd. IV. Jena 1913. S. 678-685.
Artikel „Philosophie". In: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II.
Berlin 1914. S. 1147-1164.
Nekrologe 107
Über die Methoden der psychologischen Forschung. Vortrag, ge-
halten im Verein für Naturkunde in München am 2. März 1914. In:
Internationale Monatsschrift für Wissenschaft, Kultur und Technik 1914.
S. 1053-1070; 1219-1232.
Zur Kategorienlehre. Vorgetragen am 6. Februar 1915. Sitzungs-
berichte der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften, philos.-philol.
und histor. Klasse, Jahrgang 1915, 5. Abhandlung. München 1915.
Die Ethik und der Krieg. Nach einem Kriegsvortrag der Universität
München, gehalten am 19. Februar 1915. (Zvrischen Krieg und Frieden,
Heft 20.) Leipzig 1915.
Nekrolog auf Theodor Lipps. In: Jahrbuch der Kgl. Bayer. Aka-
demie der Wissenschaften 1915. München 1915. S. 69-80.
Ernst Meumann und die Ästhetik. In: Zeitschrift für pädagogische
Psychologie und experimentelle Pädagogik XVI, 1915. S. '232 -238
Dazu: Antwort. Von 0. Külpe (auf: , Erwiderung auf die kritischen,
Entwicklungen Pi-of. Külpes betreffend Prof. Meumann". Von G. Stör-
ring), ebendas. XVII. 1916. S. 169-170, und: Zur Richtigstellung. In:
Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. XXXV. 1916. S. 155.
Rezension von: W. Wien, Die neuere Entwicklung unserer Uni-
versitäten und ihre Stellung im deutschen Geistesleben. In: Die Natur-
wissenschaften IV. 1916. S. 50. _
Clemens Baeumker.
Am 6. Oktober 1915 starb in Rom Wolfgang Heibig. Früh,
als Stipendiat des Kaiserlichen archäologischen Instituts, das
damals noch eine preußische Anstalt war, nach Rom gekommen,
hat er dort den größten Teil eines langen, an Arbeit und An-
erkennung reichen Lebens zugebracht, bis zum Jahr 1887 als
der eine der beiden Sekretare des Deutschen Instituts, seitdem
frei von amtlichen Pflichten nur seinen Studien lebend. Diesen
verdanken wir, um nur die größeren Werke zu nennen, das
grundlegende Verzeichnis der „Wandgemälde der vom Vesuv
verschütteten Städte Campaniens" und die darauf basierten
„Untersuchungen über die campanische Wandmalerei", durch
welche er dem Verständnis der gesamten hellenistischen Kultur
zu dienen suchte, sodann die stattliche Veröffentlichung der
ausgewählten Sammlung Barracco und den „Führer durch die
öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom", dessen
allseitige Nützlichkeit nun schon eine dritte Auflage lehrt.
Ein besonders liebevolles Interesse hat Helbisr schon früh den
108 Nekrologe
ältesten geschichtlichen und vorgeschichtlichen Kulturentwick-
lungen in Italien und den Mittelmeerländern überhaupt zuge-
wendet. Außer vielen in den Zeitschriften niedergelegten Be-
richten über reiche Funde und den daran anschließenden For-
schungen ist hier das Buch über die „Italiker in der Po-Ebene"
zu nennen und „Das homerische Epos aus den Denkmälern er-
läutert", ein Werk, das viel Anregung geboten und Wider-
spruch geweckt hat, dessen Wichtigkeit aber gerade durch
die Fortschritte der Forschung und das unglaublich rasche
Anwachsen der Funde immer deutlicher, dessen neue, dritte
Bearbeitung dadurch aber auch zugleich immer schwieriger
wurde. Eine solche behielt Heibig stets im Auge, suchte ihr
durch mancherlei, nach den verschiedensten Seiten weit aus-
greifende Untersuchungen den Weg zu ebnen, sie selbst aber
noch in Angriff zu nehmen, ist ihm nicht vergönnt gewesen.
Aber die Aufgabe muß gelöst werden, und sie wird gelöst
werden, und die Forschung wird auf diesem wie auf so man-
chem anderen Gebiete dabei seines Namens dankbar zu ge-
denken haben. Paul Wolters.
Am 22. Oktober 1915 starb im 68. Lebensjahre Wilhelm
Windelband, korrespondierendes Mitglied der Akademie seit 1904.
In ihm ist einer der hervorragendsten Historiker der Philoso-
phie und ein bedeutender Systematiker dahingegangen, der
nirgendwo in gebahnten Geleisen weiterging, sondern aus der
Fülle einer großen Anschauung heraus überall Neues zu schaffen
verstand.
In Jena Schüler von Kuno Fischer, in Göttingen von Her-
mann Lotze, habilitierte er sich 1873 in Leipzig, wurde 1876
zum ordentlichen Professor in Zürich ernannt, 1877 in gleicher
Stellung nach Freiburg berufen, wirkte 1882 bis 1903 in Straß-
burg und wurde 1903 der Nachfolger seines Lehrers Kuno
Fischer in Heidelberg. An der Begründung der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften nahm er hervorragenden Anteil.
Die hohe Bedeutung Windelbands liegt in erster Linie in
seiner Stellung als Historiker der Philosophie. Was den Hi-
Nekrologe 109
storiker in ihm beseelt, ist nicht so sehr das rein objektive
Bestreben, zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen" ; vielmehr
steht auch Windelbands historische Arbeit durchgehend im
Dienste des systematischen Gedankens. Das Biographische und
Literarische, das bei Kuno Fischer einen so breiten Raum ein-
nimmt, tritt bei ihm fast ganz zurück. Neue Quellen zu er-
schließen oder durch sorgsame Einzelerklärung falsche histori-
sche Auffassungen zu berichtigen, neue zu begründen, ist nicht
seine Sache. Die Geschichte der Philosophie wird ihm zur
Geschichte der philosophischen Probleme. Adolf Trendelen-
burg in seiner Geschichte der Kategorienlehre war darin in
einem einzelnen Falle vorangegangen, Julius Baumann und
andere waren mit weiteren Beispielen gefolgt. Aber das waren
Monographien über Spezialfragen, keine Gesamtanschauung.
Diese prinzipielle Auffassung gab Windelband.
Zuerst freilich in einer Vorstufe. Die Problemgeschichte
ist nicht zu verstehen losgelöst von der allgemeinen Kultur-
entwicklung. Die Kultur und ihre Entwicklung ist nicht nur
das umfassendste Problem der Menschheitsentwicklung, sondern
das Kulturproblem ist auch Grundlage der philosophiegeschicht-
lichen Betrachtung. Das historische Kulturproblem als solches
erfaßt und dem Naturproblera als gleichberechtigt, ja über-
legen, zur Seite gestellt zu haben, das erkannte Windelband,
ohne je, wie Kuno Fischer, Hegelianer gewesen oder ein sol-
cher geworden zu sein, als bleibendes hohes Verdienst Hegels
und des Hegelianismus an. So trat denn die erste große hi-
storische Arbeit Windelbands, die mit unvergleichlicher Leichtig-
keit und Durchsichtigkeit der Darstellung geschriebene an-
ziehende „Geschichte der neueren Philosophie in ihrem Zu-
sammenhange mit der allgemeinen Kultur und den besonderen
Wissenschaften" (Bd. I— H, 1878. 1880. 5. Aufl. 1911) mit
dem neuen Kulturprogramm in die Öffentlichkeit. Ist auch,
wie bei einem ersten Versuche begreiflich, die Durchführung
des Programms noch nicht durchweg zu Ende gekommen, so
mußte der Gedanke selbst, einmal programmatisch ausgesprochen,
doch kräftig weiterwirken. Auch in Windelbands systemati-
I
110 Nekrologe
schem Denken nahm das Kulturproblem, dem später sein Schüler
Rickert die scharfe Form für die Systematik der Wissenschaften
gab, eine zentrale Stellung ein. Seine Philosophie ist nicht
Philosophie der Natur, sondern Kulturphilosophie.
Zur vollen und umfassenden Ausgestaltung gelangte die
Auffassung der Philosophiegescbichte als Geschichte der Pro-
bleme in dem 1892 vollendeten, in sechs Auflagen erschienenen
„Lehrbuch der Geschichte der Philosophie", Windelbands eigent-
lichem Lebenswerk. Keine schulmäläige Geschichte der Philo-
sophie im üblichen Sinne, sondern eher eine Philosophie der
Philosophiegeschichte, zentriert dasselbe die philosophische Be-
wegung um zwei originale Ursprünge: die Philosophie der
Griechen, insbesondere Piatos, als stets nachwirkende erste
Schöpfung, und Kant, als den Begründer der neuen Denk-
weise, welche nicht das Denken von der Natur, sondern das
zu bestimmende Sein von der Gesetzlichkeit des Denkens ab-
hängig macht. In gestaltenskräftiger Synthese von Historik
und sachlicher Systematik bietet das Werk nicht nur einen
Reichtum an eigenartigen historischen Auffassungen und Zu-
sammenhängen, sondern zugleich eine treffliche Einführung in
den sachlichen Gehalt der Philosophie als des Werkes des sich
entwickelnden universalen Menschengeistes. Daß nicht jeder
alle Auffassungen Windelbands teilen wird, im Historischen
wie im Sachlichen, ist selbstverständlich. Obwohl Windelband
vor übelberufenem Konstruieren nach den Kategorien des eigenen
Systems sich sorgsam hütet, ist er den Gefahren nicht immer
entgangen, von denen das Gestalten aus der Einfühlung psy-
chologischer Motive heraus notwendig begleitet ist. Insbeson-
dere die Darstellung des mittelalterlichen Denkens leidet dar-
unter, wo z. B. die Konstruktion des Voluntarismus und Indi-
vidualismus des Duns Scotus mehr dem psychologischen Roman,
als der Geschichte angehört. Aber alles in allem genommen,
nimmt das Werk nicht nur wegen seiner selbständigen Eigen-
art, sondern auch wegen des bleibenden Wertes und der Frucht-
barkeit seiner Ergebnisse in der gesamten neueren philosophi-
schen Literatur einen ausgezeichneten Rang ein.
Nekrologe 111
Nur kurz gedacht werden kann hier der anderen histori-
schen Arbeiten Windelbands. Außer mehreren kleineren Auf-
sätzen und Reden, die zum Teil mit in die „Präludien" auf-
genommen wurden, kommen namentlich in Betracht seine im
Freien Hochstift zu Frankfurt gehaltenen „Vorträge über die
Philosophie im deutschen Geistesleben des 19, Jahrhunderts",
die für das ältere Werk über die neuere Philosophie den Ab-
schluß geben, seine großzügige ideengeschichtliche Übersicht
über das Gesamtgebiet der neueren Philosophie in Hinnebergs
„Kultur der Gegenwart" (1909, 2. A. 1913); ferner für die ältere
Zeit sein wundervoll geschriebener Plato (1898) und seine Ge-
schichte der alten Philosophie in Iwan Müllers Handbuch der
klassischen Altertumswissenschaft. Die dritte Auflage dieses zu-
erst 1888 erschienenen Werkes, das sich durch eine wohl über-
legte Systematik auszeichnet und philosophisches Eindringen in
die Ideen mit reicher philologischer Literaturkenntnis verbindet,
wurde 1912 von Bonhöffer besorgt und in manchem, insbeson-
dere für die hellenistische Zeit, gemäß dem jetzigen Stande der
Forschung modifiziert. Windelbands eigenes produktives Inter-
esse hatte sich inzwischen mehr und mehr auf die Fragen der
systematischen Philosophie gelegt, denen schon seine Disserta-
tion über die Lehren vom Zufall und seine Habilitationsschrift
über die Gewißheit der Erkenntnis gewidmet war.
Seine Beiträge zur systematischen Philosophie gab Windel-
band zumeist in zerstreuten Einzelabhandlungen. Ich nenne
aus der reichen Fülle derselben die „Beiträge zur Lehre vom
negativen Urteil" in der Straßburger Festschrift für Eduard
Zeller (1884), die bedeutungsvolle Straßburger Rektoratsrede
über „Geschichte und Naturwissenschaft" (1894), die beide
Gruppen nicht nach dem Gegenstande, sondern nach der logi-
schen Methode ihres wissenschaftlichen Verfahrens unterscheidet
und damit für die logische Methodenlehre nicht minder wie
für die schärfere philosophische Begriffsbestimmung der Kultur-
wissenschaften einen mit Recht viel beachteten wertvollen An-
stoß gab, das Schriftchen „Vom System der Kategorien" (1900),
das für Windelbands erkenntnistheoretische Stellung in einem
112 Nekrologe
zentralen Punkte von besonderer Bedeutung ist, eine bündige
Darstellung der Prinzipien der Logik in. einem von A. Rüge
redigierten Sammelwerk (1912). Daneben her gehen die Heidel-
berger Vorlesungen über Willensfreiheit (1904) und die noch
nach seinem Tode erschienene unvollendete „ Kriegsvorlesung "
über Geschichtsphilosophie (1916), an der er mit Anstrengung
aller Kräfte noch auf dem Krankenbett diktierte. Manches
veröffentlichte er in den Schriften der Heidelberger Akademie,
wie eine Auseinandersetzung mit dem Phänomenalismus. Re-
ligionsphilosophisch ist eine Abhandlung über das „Heilige".
Auch an der Begründung und Entwicklung der Zeitschrift
„Logos", des Zentralorgans der „südwestdeutschen" oder „ba-
dischen" Schule — wie man den Kreis um Windelband und
Rickert zu nennen sich gewöhnt hatte — nahm er förder-
samen Anteil. Eine Auswahl der systematischen Abhandlungen,
verbunden mit zugleich sachlich bedeutsamen historischen Auf-
sätzen, bieten die „Präludien" (1883; 5. A. 1915), die in ihrer
Verbindung in der Tat das gesamte System Windelbands seinen
Grundzügen nach erkennen lassen. So brachte die 1914 er-
schienene „Einleitung in die Philosophie", abgesehen von Aus-
führungen über Ästhetik und Rechtsphilosophie, sachlich gerade
nichts Neues, wohl aber eine wirksame Zusammenfassung in
abgeklärter und vornehmer, an den „Mikrokosmos" von Windel-
bands Lehrer Lotze erinnernder Sprache.
Was Windelband in diesen Schriften entwickelt, ist ein
an Kant sich anschließender Neukritizisraus, der im Gegensatz
zu anderen gleichzeitigen Richtungen des kritischen oder trans-
zendentalen Idealismus, insbesondere zu der vorwiegend mathe-
matisch-naturwissenschaftlich orientierten Schule Hermann
Cohens, die Philosophie als „Wertphilosophie", als eine Theorie
allgemeingültiger Werturteile, faßt. Darin liegt zugleich die
Ablehnung aller dogmatischen Metaphysik eingeschlossen. Kant
ist hier für Windelband der „AUzermalmer". Die von Windel-
band und seinem Kreis eifrig gepflegte „ Religionsphilosophie "
als philosophische Theorie des „Heiligen" ist nicht auf Meta-
physik aufzubauen, sondern lehrt das Religiöse in uns und
Nekrologe 113
den tatsächlichen Religionen in allgemeingültiger, apriorischer
Weise verstehen. Aber die Philosophie ist nach Ausschluß
der Metaphysik nicht zu dem allgemeinen Teil der Einzel-
wissenschaften herabzusetzen, wie der Positivismus wollte; dann
hätte sie keine besondere Aufgabe. Das Sein ist an diese
aufgeteilt; aber über dem Sein gibt es ein allgemeingültiges
Sollen, eine Geltung von Normen. Vor dem. Sein stehen die
Werte, wie schon Plato die Idee des Guten noch über das
Seiende hinaus setzte. Normen sind nicht, sie gelten: für
Windelband ein grundlegender Begriff, welchen er in seiner
Eigenart von seinem Lehrer Lotze übernimmt, der darin auch
den Sinn der Platonischen Idee erblickte. Die Allgemein-
gültigkeit der Normen aber liegt in einem Überindividuellen,
in dem „reinen Bewußtsein", von dem Kant in den „Prole-
gomena" spricht. Nicht wie Fichte nach der metaphysischen
Seite hin entwickelt Windelband diesen für ihn hochbedeut-
samen Begriff, sondern in rein erkenntnistheoretischem Sinne.
Die Werte aber zeigen uns nicht den Weg, auf dem die Dinge
entstanden sind — das zu erforschen ist Sache der Wissen-
schaft von der Natur — , wohl aber lehren sie den Sinn der
Welt, der in der Kultur sich erschließt, zu deuten. Vierfach
sind die „geltenden" Werte: Das Wahre, Gute, Schöne, Heilige;
vierfach darum auch die Kulturgebiete: Wissenschaft, Sittlich-
keit, Kunst, Religion; die vier philosophischen Grunddisziplinen
der Logik, Ethik, Ästhetik und Religionsphilosophie sollen
ihre allgemeingültigen Voraussetzungen entwickeln und ihren
bleibenden Sinn uns verstehen lehren.
So gestaltet sich Windelbands Philosophieren, obwohl
überall von Kant ausgehend, doch zu einer durchaus eigen-
artigen Weltanschauung, getreu seinem oft angeführten Wort:
„Kant verstehen, heißt über Kant hinausgehen".
Clemens Baeumker.
Am 18. Mai 1915 starb das auswärtige Mitglied Wendelin
Foerster in Bonn. Geboren 1844 in Wildschütz im Riesen-
gebirge, studierte er zunächst Theologie, dann klassische Philo-
Jahrbuch 1916. 8
114 Nekrologe
logie und habilitierte sich 1874 für romanische Philologie, die
er als Nachfolger von Friedrich Diez an der Universität Bonn
von 1876 bis zu seiner Emeritierung 1908 als ordentlicher
Professor vertreten hat. Trotz schwerer körperlicher Leiden
war er auch nach dieser Zeit noch lehrend und forschend tätig.
Als er sich der romanischen Philologie zuwandte, fehlte
es dieser noch vielfach an zuverlässigen Textausgaben. Es ist
Foersters schönster Ruhmestitel, mit der ganzen Wucht seiner
Arbeitskraft und dem furor seines Temperamentes sich in die
entsagungsvolle Aufgabe der Herausgabe und kritischen Reini-
gung älterer romanischer Texte geworfen und sie in 40jährigem,
zähem Bemühen in beispielloser Weise gefördert zu haben.
Immer ist die Textkritik der Punkt gewesen, von dem seine
sprach- und kulturgeschichtlichen Forschungen ausgingen und
zu dem sie, mit allerhand Funden beladen, zurückkehrten.
Durch Veranstaltung von buchstabengetreuen Abdrucken und
Lichtdruckaufnahmen wichtiger alter Handschriften, durch
Zusammenstellung textkritischer Materialien in seinem mit
E. Koschwitz herausgegebenen altfranzösischen Übungsbuch
(1884) hat er für alle Romanisten eine wertvolle Schule der
Kunst, in der er Meister war, errichtet. So groß aber bei
ihm die technische Freude an der Überwindung spezifisch text-
kritischer Schwierigkeiten an und für sich sein mochte, so ge-
hörte seine persönliche Liebe doch den Dichtungen des Mittel-
alters, besonders dem ritterlichen Abenteuerroman, vor allem
dem glänzendsten Vertreter dieser Gattung, Kristian von Troyes.
Mit der Ausgabe eines Abenteuerromans (Richars li biaus) be-
gann er im Jahre 1874 seine romanistische Laufbahn, zehn
Jahre später schenkte er uns, nach einer Reihe verschiedenar-
tiger Texte, den ersten Band seiner klassischen Kristianausgabe
und vierzig Jahre später einen vorläufigen Abschluß seiner Be-
mühungen um Kristian mit dem Wörterbuch und der zu-
sammenfassenden Einleitung zu Kristians sämtlichen Werken
(1914). Endgültig hatte er freilich noch lange nicht abge-
schlossen. Das große Bruchstück Kristians, der Gralroman,
ferner Neuausgaben des Alexius, des Roland, des Heraklius,
Nekrologe 115
der Nobla Leygon, der Gliglois-Roman u. a. standen auf seiner
Liste. All das hat der Tod dem Unermüdlichen aus der Hand
genommen.
Foerster stöhnte unter der Arbeit und hing mit allen Fa-
sern seines Herzens daran. Hingebend und eigenwillig, be-
weglich und hartnäckig, feinsinnig und aufbrausend, war er
ein leidenschaftliches Forschertemperament. Immer wieder
brach die künstlerische Subjektivität bei ihm durch, und immer
wieder bändigte er sie in der Zucht seiner strengen Gelehrsam-
keit, so daß seine Arbeiten eine eigenartige Mischung und
Vereinigung glücklicher Intuitionen und geduldig errungenen
Wissens, genialer Einfälle und unbeirrter Theorien darstellen.
Karl Voßler.
Mathematisch - physikalische Klasse.
Am 11. Juni 1915 starb nach nur zweitägiger Krankheit
im neunundsechzigsten Lebensjahre das korrespondierende Mit-
glied der mathematisch -physikalischen Klasse, Eduard Riecke,
Professor der Physik in Göttingen. Sein Leben und Wirken
ist aufs Engste verknüpft mit dem stolzen Namen Wilhelm
Webers, dessen Schüler, Mitarbeiter und Nachfolger er war.
Geboren zu Stuttgart am 1. Dezember 1845, besuchte er
Gymnasium und Polytechnikum seiner Vaterstadt und bezog
1866 die Universität Tübingen; während des Krieges 1870
war er im Garnisonsdienst zu Ulm tätig. 1871 ging er nach
Göttingen, promovierte daselbst mit einer aus Webers Inter-
essenkreis hervorgegangenen Dissertation: „Über die Magne-
tisierungszahl des Eisens für schwache magnetisierende Kräfte",
erhielt noch im selben Jahre die venia legendi für Physik und
Mathematik und wurde 1873 Extraordinarius der Physik, 1881
als Nachfolger seines Meisters Ordinarius und Instituts-Vorstand.
Ein volles Menschenalter hindurch durfte er in dieser Stellung
wirken, als Vertreter der Experimentalphysik, zugleich aber
und vielleicht überwiegend von theoretischen Interessen geleitet,
denen er seine experimentelle Arbeit unterordnete. Als Studien-
1 1 ö Nekrologe
freund und Vertrauter von Felix Klein konnte er an seinem
Teile mitwirken zu der neueren Blüte der Göttinger Universität,
die durch Kleins persönliches und organisatorisches Wirken
herbeigeführt wurde. Es entsprach ganz seinem wohlwollenden
und weitherzigen Wesen, daß er die Entwicklung neuer Lehr-
gebiete und die Gründung von Instituten, die nach ihrer Arbeits-
richtung dem seinigen verwandt waren, neidlos förderte. „Selbst-
los gabst Du in Deinem Garten, wars nur echt. Allem, was
wachsen wollte, Luft- und Wurzelrecht", sagt H. Th. Simon
in einem Gedicht, welches in der von Riecke begründeten Phy-
sikalischen Zeitschrift das Wesen des Verstorbenen mit feinem
Verständnis schildert. In unsere Akademie wurde Riecke 1909
zusammen mit seinem langjährigen Mitarbeiter W.Voigt gewählt.
Rieckes wissenschaftliche Arbeiten waren außerordentlich
vielseitig. Durch seine Doktorarbeit war er von Weber auf
das Gebiet des Magnetismus gewiesen worden. Er hat das-
selbe bis 1884 mehrfach bearbeitet, teils in theoretischen und
experimentellen, teils auch in mathematischen und instrumen-
tellen Studien. Auch seine Arbeiten zur allgemeinen Elektro-
dynamik in den siebziger Jahren nahmen ihren Ausgang von
Weber, von dem berühmten Weberschen Grundgesetz, dessen
Folgerungen er in speziellen Fällen zog, und dehnten sich auf
das gesamte Gebiet der damals strittigen Fragen der Elementar-
gesetze, der Induktionserscheinungen, der Äquivalenz von Strö-
men mit magnetischen Schichten aus. Eine bedeutsame Stellung
nimmt Riecke in der Entwicklung der Elektronentheorie
ein, eine Stellung, die etwa die Mitte einnimmt zwischen den
mehr qualitativen, voraus ahnenden Anschauungen Webers
und der modernen quantitativen Erfüllung dieser Ahnungen.
Dahin gehört eine rein theoretische Arbeit über die Bewegung
des Elektrons (wie wir heute sagen) im magnetischen Felde,
welche den späteren Arbeiten mit Kathodenstrahlen in be-
merkenswerter Weise vorausgriff. Dahin gehört vor allem
seine Theorie der Elektronenleitung in Metallen („Zur Theorie
des Galvanismus und der Wärme", „Über das Verhältnis der
Leitfähigkeiten der Metalle für Wärme und Elektrizität" in
Nekrologe H«
den Annalen der Physik 1898 und 1900). Hier werden die
allgemeinen Vorstellungen von der Bewegung der freien Elek-
tronen und ihrem Energietransport entwickelt, insbesondere
wird der Begriff der freien Weglänge aus der Gastheorie auf
die Elektronenbewegung übertragen und die fundamentale Be-
deutung des Wiedemann-Franzschen Gesetzes für diese Fragen
herausgearbeitet. So konnte im unmittelbaren Anschluß an
Riecke sein Schüler Drude den entscheidenden Schritt tun und
durch die Ausdehnung des Boltzmannschen Gedankenkreises
von der Gleichverteilung der Energie auf Materie und Elek-
tronen die Rieckeschen Anschauungen quantitativ fundieren.
Eine andere Reihe von Arbeiten, diejenigen über Pyro- und
Piezoelektrizität von Turmalin und Quarz, knüpfen an die
Anregungen seiner Tübinger Studienzeit bei Reusch an und
wurden später durch Voigts Theorien befruchtet. Er gab den
Erfahrungen auf diesem Gebiete eine kühne theoretische Deu-
tung durch seine Vorstellung der in den Molekülen^ voraus-
gesetzten elektrischen Polsysteme. Bei den Verhandlungen
der kartellierten Akademien über Luftelektrizität war
Riecke lebhaft tätig, teils durch zusammenfassende Berichte,
teils durch spezielle Arbeiten über die lonenbewegung in
dichten Gasen.
Auch an dem Aufblühen der physikalischen Chemie hat
Riecke, angeregt durch die reiche Göttinger Tätigkeit von
Nernst, vielfach mitgewirkt. Arbeiten über den osmotischen
Druck, über Quell ung, über den Zerfall von Schwefeldampf
geben Zeugnis davon. "Während die physikalischen Chemiker
bei ihren Betrachtungen spezielle Kreisprozesse ersannen, be-
vorzugte Riecke die allgemeine Methode des thermodynamischen
Potentials, schon zu einer Zeit, als die Gibbschen Gedanken
noch kein Allgemeingut der Wissenschaft waren. Nehmen
wir noch ältere Arbeiten über elastische Nachwirkung und
über die Rotationen von Flüssigkeiten im magnetischen Felde
hinzu, so haben wir in der Tat das Bild einer ungemein viel-
seitigen und reichen Lebensarbeit vor uns.
Mit besonderer Liebe hat Riecke an seinem Lehrbuch der
118 Nekrologe
Physik gearbeitet. Er ließ sich noch in seinen letzten Jahren,
als ein schweres Augenleiden seine Arbeit behinderte, keine
Mühe verdrießen, um es den neuesten Fortschritten anzupassen.
Obgleich es zunächst als Leitfaden der allgemeinen Experi-
mentalphysik dienen will, behandelt es in manchen Teilen
recht weitgehend modernere Fragen, z. B. in der Thermo-
dynamik die Zustandsänderungen auf Grund des thermodyna-
mischen Potentials. Auch in diesem Lehrbuche bewährt sich
Riecke, wie in seinen Vorträgen und populären Darstellungen,
als hervorragender Stilist. Er liebte bei aller Sachlichkeit
eine gewählte und bilderreiche Sprache. In der Einleitung zu
seinem Buche gedenkt er dankbar seiner Lehrzeit bei Wilhelm
Weber. „Möchte ein Hauch von seinem Geiste auch in meiner
Darstellung zu spüren sein." A. Sommerfeld.
Im verflossenen Jahr hat unsere Akademie einen besonders
schweren Vel'lust durch den Tod ihres korrespondierenden Mit-
glieds Dr. Theodor Boveri, Professor der Zoologie und ver-
gleichenden Anatomie an der Universität Würzburg, erlitten.
Gehörte doch der Verstorbene zu den führenden Männern, deren
geschichtliche Stellung nicht nur durch die außergewöhnliche
Bedeutung ihrer Entdeckungen bedingt ist, sondern vor allem
dadurch, daß sie durch die Art ihres Forschens das geistige
Niveau des von ihnen bearbeiteten Wissensgebiets erhöht haben.
Der Verlust ist um so schmerzlicher, als er uns einen Mann
raubte, welcher auf der Höhe seines Schaffens stand, dessen
Wirken auch für die Zukunft zu den höchsten Erwartungen
berechtigte.
Theodor Boveri wurde am 12. Oktober 1862 in Bamberg
geboren als Sohn eines Arztes, der durch seine hervorragende
Begabung für Musik und Malerei im künstlerischen Leben seiner
Heimatstadt eine einflußreiche Rolle spielte. Die künstlerischen
Neigungen des Vaters und sein warmes Interesse für Natur-
wissenschaften wurden auch für den Sohn bestimmend, welcher
nach Absolvierung der beiden untersten Klassen des huma-
nistischen Gymnasiums seiner Vaterstadt dasselbe verließ und
Nekrologe 119
auf das Realgymnasium in Nürnberg übersiedelte, um so Ge-
legenheit zu haben, sich besser im Zeichnen und in den Natur-
wissenschaften auszubilden. Auch konnte er hier seine musi-
kalische Begabung weiterentwickeln, da er im Hause eines
Freundes seiner Eltern, des Musikdirektors Steuer, Aufnahme
und Unterricht fand.
Der ursprüngliche Plan sich der Malerei zu widmen ge-
langte nicht zur Ausführung. Als Boveri nach bestandenem
Absolutorium sich zum Besuch der Universität München ent-
schloß (1881), entschied er sich für das Studium von Philoso-
phie und Geschichte und machte daher nach nur neunmonat-
licher Vorbereitung die für das humanistische Absolutorium
nötige Ergänzungsprüfung in Griechisch, Lateinisch und Ge-
schichte (1882) nach. Der glänzende Ausfall beider Prüfungen
ermöglichte ihm die Aufnahme in das Maximilianeum. Nun-
mehr entschied sich Boveri für das Studium von Medizin und
Naturwissenschaften; er trat dabei in nähere Beziehung zu
Kupffer, dessen Assistent er wurde und unter dessen Leitung
er auch seine erste wissenschaftliche Arbeit „Beiträge zur
Kenntniß der Nervenfasern" anfertigte. Als der Verfasser
dieser Zeilen zu Ostern 1885 als Nachfolger Theodor v. Sie-
bolds die Leitung der zoologischen Staatssammlung übernahm,
siedelte Boveri in das damals neu entstehende zoologische In-
stitut über und erwarb sich unter Benützung seiner Arbeit
über die Nervenfasern mit der Note summa cum laude den
Doktortitel bei der philosophischen Fakultät, Für die freie
Entfaltung seiner wissenschaftlichen Begabung wurde es von
der größten Bedeutung, daß ihm das Lamontsche Stipendium
von der Fakultät auf drei Jahre verliehen und nach Ablauf
derselben auf weitere zwei Jahre verlängert wurde. Dadurch
wurde es ihm ermöglicht, volle fünf Jahre seine ganze Tätig-
keit ausschließlich wissenschaftlicher Forschung zu widmen,
teils im zoologischen Institut der Universität München, teils
in der zoologischen Station Neapel. Erst nach Ablauf dieser
Zeit übernahm er im Jahre 1891 die Assistentenstelle am Mün-
chener zoologischen Institut, doch nur auf kurze Zeit. Im
120 Nekrologe
Jahre 1887 hatte sich Boveri für Zoologie und vergleichende
Anatomie an unserer Universität habilitiert. Schon im Herbst
1893 konnte er einem ehrenvollen Ruf an die Universität
München als Nachfolger Sempers in der Professur für Zoo-
logie und vergleichende Anatomie Folge leisten und sich früh-
zeitig einen Wirkungskreis erringen, vrelcher allen seinen
Wünschen vollauf entsprach, um so mehr als er nahe seiner
Vaterstadt Bamberg lag, wo das elterliche Haus auch nach
dem Tode des Vaters einen Mittelpunkt für die Familie bildete.
So ist es denn begreiflich, daß er Würzburg treu blieb, als
ihm das verlockende Anerbieten gemacht wurde, Weismanns
Nachfolger in Freiburg zu werden. Desgleichen lehnte er es
ab, die Organisation und Direktion des neu zu gründenden
Kaiser- Wilhelm-Instituts für Biologie in Berlin zu übernehmen,
obwohl es bei seiner Arbeitsweise für ihn sehr verführerisch
war, an die Spitze einer großartig geplanten Anstalt gestellt
zu werden, an der die verschiedensten Richtungen der Zell-
und Erblichkeitsforschung, die morphologischen und experi-
mentellen, vertreten und zu gegenseitiger Förderung verbunden
sein sollten. Viel hat zu seiner Anhänglichkeit an Würzburg
auch der Umstand beigetragen, daß er in den ersten Jahren
seines Aufenthalts sich ein eigenes glückliches Heim gründen
konnte. In einer seiner amerikanischen Schülerinnen, Mar-
cella J. O'Grady, fand er die verständnisvolle Lebensgefährtin,
welche dauernd an seinen wissenschaftlichen Forschungen tä-
tigen Anteil nahm und in aufopfernder Treue ihn pflegte,
als er im Winter 1914/15 schwer erkrankte und eine Zeit des
Leidens für ihn begann, von der zwei Tage nach seinem
52. Geburtstag der Tod ihn erlöste.
Was Boveri eine hervorragende Stellung in der Geschichte
der biologischen Wissenschaften für alle Zeiten sichert, sind
seine klassischen Untersuchungen über Reifung, Befruchtung
und Teilung des tierischen Eies. Sie sind zum größten Teil
in der Jenaischen Zeitschrift (zugleich auch selbständig unter
dem Namen „Zellenstudien" als eine Reihe fortlaufender Hefte),
zum Teil in anderweitigen Zeitschriften (Archiv für Entwich-
Nekrologe 121
lungsmechanik, den Sitzungsberichten der Gesellschaft für
Morph, und Physiol. in München und der physikal.-med. Ge-
sellschaft in Würzburg) erschienen, andere wurden in den Fest-
schriften für Kupffer, R. Hertwig und Roux veröJBFentlicht ; sie
bilden eine fortlaufende, zugleich auch ihrer Bedeutung nach
aufsteigende Reihe beginnend mit der Habilitationsschrift: Über
die Bildung 'der Richtungskörper bei Ascaris megalocephala und
lumbricoides, endigend mit der Abhandlung: Über die Ent-
stehung der Eugsterschen Zwitterbienen, welche kurze Zeit vor
seinem Tod erschienen ist. In gleichem Sinn wie der Lehrer
arbeiteten die meisten seiner Schülerinnen und Schüler. Es
ist staunenswert, mit welch zielbewußter Energie Boveri es
verstand, den Strom der Forschung in ein gemeinsames Bett
zu leiten und auf ein einheitliches Ziel zu lenken. In letzter
Instanz gingen alle diese Arbeiten darauf hinaus, das große
Problem der morphologischen Grundlage der Vererbung auf-
zuhellen.
Boveri ging bei seinen Untersuchungen vom Askarisei
aus, welches damals durch die Arbeiten Schneiders, Nußbaums,
Carnoys, vor allem aber E. van Benedens als ein außergewöhn-
lich günstiges Objekt erkannt worden war; er gab die erste
genaue Darstellung der Richtungskörperbildung und wies im
Anschluß an 0. Hertwig nach, daß es sich bei diesem Prozeß
um eine wiederholte Zellteilung handelt, bei welcher der über-
wiegend größte Teil des Protoplasma dem Ei zufällt, während
die Richtungskörper fast nur aus Kernmasse bestehen; er
widerlegte zugleich die Auffassung van Benedens und Weis-
manns, welche den Satz aufgestellt hatten, daß mit dem Rich-
tungskörper Substanzen spezifischer Beschaffenheit ausgestoßen
würden, nach Weismann das ovogene Chromatin, nach van
Beneden die männliche Komponente des hermaphroditen Kerns.
Auch gegen die berühmte Hypothese Weismanns von der durch
die Reifeteilung bedingten Reduktion des Chromatins auf die
Hälfte, der Chromosomen auf die halbe Zahl nahm er Stellung,
indem er die Ansicht vertrat, daß die Chromosomenreduktion
schon im Keimbläschen erfolgt sei, eine Ansicht, die er später
^^^ Nekrologe ^^^^^H
im weiteren Verlaufe seiner Untersuchungen rückhaltlos zu-
gunsten der Weismannschen Lehre zurückgenommen hat.
Wichtiger noch als der erste Teil der Askaris -Unter-
suchungen war der zweite den Befruchtungsprozeiä behandelnde
Abschnitt. Aus ihm sind drei Punkte von fundamentaler Be-
deutung hervorzuheben. Der erste betrifft die Beschaffenheit
der Vererbungssubstanz, Aus seinen Untersuchungen über die
Befruchtung des Seeigeleies hatte 0. Hertwig den Schluß ge-
zogen, daß die bei der Befruchtung sich vereinigenden Kerne
des Eies und des Samenfadens, Eikern und Samenkern, Träger
der Vererbung seien, daß das in ihnen enthaltene Chromatin
oder Nuklein die die Vererbung der väterlichen und mütter-
lichen Eigenschaften vermittelnde Substanz, das Idioplasma
Nägelis, darstelle. Für die Charakteristik dieser Substanz war
dann von großer Tragweite die Entdeckung Flemmings ge-
worden, daß das Chromatin sich bei der Kernteilung zu be-
stimmt gestalteten Körpern, für welche Waldeyer den Namen
„Chromosomen" eingeführt hat, organisiere. E. van Beneden
verdankte man weiterhin die Entdeckung, daß im Askarisei
die Chromosomen in gleicher Zahl in Ei- und Samenkern,
noch ehe das Material derselben sich in der Furchungsspindel
vereinigt, auftreten und daß daher die Chromosomen der Fur-
chungsspindel zur Hälfte vom Samenkern, zur Hälfte vom Ei-
kern stammen, oder anders ausgedrückt, daß sie zur Hälfte
väterlicher, zur Hälfte mütterlicher Herkunft sind. Diese für
die Vererbungslehre fundamental wichtige Entdeckung konnte
Boveri durch seine äußerst genauen Beobachtungen aufs glän-
zendste bestätigen.
Die zweite wichtige Verallgemeinerung bezieht sich auf
das Verhalten der Chromosomen während der Zeit zwischen
zwei aufeinanderfolgenden Teilungen. Schon Habl hatte den
Satz aufgestellt und durch sorgfältige Untersuchungen zu stützen
gesucht, daß die Chromosomen in dieser Zeit, in welcher sie
optisch nicht nachweisbar sind, nicht wie man allgemein an-
nahm aufgelöst werden, sondern erhalten bleiben und nur in
ihrem Gefüge gelockert und daher unsichtbar werden, Boveri
Nekrologe 123
trat mit aller Bestimmtheit für diese „Individualitätstheorie der
Chromosomen" ein, indem er auf das genaueste verfolgte, wie
die bei einer Teilung aus den Mutterchromosomen hervorge-
gangenen Tochterchromosomen in den ruhenden Kern über-
gehen und bei der nächstfolgenden Teilung in gleicher Weise
und Anordnung, wie sie verschwunden waren, als Mutterchromo-
somen dieser Teilung wieder sichtbar werden; er wies ferner
darauf hin, daß jede durch Zufälligkeiten einmal bedingte Er-
höhung der Chromosomenzahl sich dauernd erhalte, Boveri
vergleicht die Chromosomen Organismen, welche im Kernraum
eingeschlossen sind, sich durch Teilung vermehren und abwech-
selnd Perioden der Vermehrung und der scheinbaren Ruhe durch-
machen, wobei letztere die Zeit ihrer größten physiologischen
Aktivität bedeute, ihrer Beeinflussung der Zelltätigkeit.
Der dritte wichtige Punkt ist die Entdeckung des Cen-
trosoma, in deren Verdienst er sich mit E. van Beneden teilt.
Schon früher hatten andere Forscher an den Spitzen der Spin-
deln die Polkörperchen beobachtet und ihnen, da sie die Aus-
gangszentren für die Spindelfasern und die Protoplasmastrah-
lung bilden, eine wichtige aktive Rolle bei der Zellteilung
beigemessen. Das Neue an den Untersuchungen van Benedens
und Boveris war der Nachweis, daß die Centrosomen besondere
Teilungsorgane der Zelle seien, welche sich durch die Genera-
tionsfolge der Zellen verfolgen lassen, sich durch biskuitförmige
Einschnürung vermehren und durch ihre eigene Teilung die
Kern- und Zellteilung auslösen. Daß bei der Befruchtung die
bis dahin teilungsunfähige Eizelle ihre Teilungsfähigkeit wieder
gewinnt, führt Boveri darauf zurück, daß dem mit allem für
die Teilung nötigen Material versehenen, aber des Centrosoma
entbehrenden Ei durch das Centrosoma des Spermatozoon ein
neues Teilungsorgan eingeimpft werde. So wurde Boveri dazu
geführt, in der Einführung des Centrosoma das Wesentliche
der Befruchtung zu erblicken.
In Ausdehnung seiner Untersuchungen auf eine größere Zahl
mariner verschiedenen Tierstämmen zugehöriger Arten konnte
Boveri feststellen, daß in einer Reihe fundamentaler Erschei-
124 Nekrologe ^^^^^^^^^^^^^'^H
nungen vollkommene Übereinstimmung im Tierreich herrsche:
daß die Zahl der Chromosomen ^ür jede Spezies konstant ist,
daß die Chromosomen zur Hälfte vom Vater, zur anderen
Hälfte von der Mutter stammen, daß bei beiden Reifeteilungen
die Zahl der Chromosomen die gleiche ist und die Hälfte der
für die betreffende Art charakteristischen Zahl beträgt, daß
die beiden Reifeteilungen echte Zellteilungen sind. Damit
hatte er einen sicheren Ausgangspunkt für weitere Forschungen
gew^onnen. Es galt nunmehr in das Wechselverhältnis von
Protoplasma, Centrosomen und Chromosomen tiefer einzudringen
und den Anteil, vi^elcher den einzelnen Zellbestandteilen bei
der Zellteilung, Befruchtung und Vererbung zukommt, auf das
genaueste und mit möglichst exakten Methoden festzustellen.
Damit betrat er ein Gebiet, auf welchem er die Genialität
seiner Untersuchungsweise aufs glänzendste entfalten konnte.
Schon in seinen ersten Arbeiten hatte sich Boveri als ein Be-
obachter ersten Ranges erwiesen. Auch scheinbar nebensäch-
liche Dinge, z. B. geringfügige Abweichungen vom normalen
Verlauf fanden bei ihm genaueste Berücksichtigung und ge-
wannen durch die Art, wie er sie theoretisch zu verwerten
wußte, eine überraschende Bedeutung. Derartige zufällige Ab-
weichungen waren für ihn willkommene Naturexperimente; zu
ihnen gesellte er im Fortgang seiner Forschungen immer mehr
das methodisch durchdachte und durchgeführte Experiment,
eine Forschungsweise wie sie damals zum Studium der Be-
fruchtungsvorgänge von 0. und R. Hertwig zum ersten Male
angewandt wurde; er entwickelte sich dabei zu dem unüber-
troffenen Meister experimenteller Zellforschung, als welcher er
in alle Zukunft gelten wird. Unübertroffen ist dabei auch die
geistige Durchdringung des durch Beobachtung und Experi-
ment gewonnenen Tatsachenmaterials, die außergewöhnliche
Schärfe des Urteils, mit der er die Tragweite der einzelnen
Erscheinungen abzuschätzen und aus den gewonnenen Resul-
taten neue Probleme zu entwickeln wußte. Helfend standen
ihm dabei zur Seite die nie ermüdende Energie, mit welcher
er sich in ein Problem vertiefen und in jahrelanger Arbeit es
Nekrologe 125
zu durchdenken wußte, und ein hohes Maß von Phantasie,
welche seiner Forschung neue Bahnen eröffnete. So gestaltete
sich Boveris Arbeitsweise die letzten Jahrzehnte seines Lebens
zu einem Kunstwerk wissenschaftlicher Forschung, bei dem
'jede Untersuchung sich organisch aus der vorausgegangenen
entwickelte.
Am schönsten kommt diese Eigenart der Arbeitsweise Bo-
veris in seinen Untersuchungen über die Natur der Chromo-
somen zum Ausdruck, Sollte der Beweis erbracht werden, daß
nicht das Protoplasma, sondern die Chromosomen die Träger
der Vererbung sind, so mußte bei gleichbleibendem Proto-
plasma experimentell das Massen Verhältnis des väterlichen zum
mütterlichen Chromatin abgeändert und geprüft werden, ob
dann im Laufe der Entwicklung eine gleichsinnige Verschie-
bung der Vererbungsrichtung nachweisbar sei. Von den nach
dieser Richtung unternommenen Experimenten haben das aller-
größte Aufsehen die Untersuchungen hervorgerufen, für welche
später die Bezeichnung „Merogonie" geprägt worden ist. 0.
und R. Hertwig hatten gezeigt, daß Seeigeleier, welche durch
Schütteln ihres Eikerns beraubt worden waren, sich bei der
Befruchtung mit Hilfe der eingedrungenen Samenkerne weiter-
entwickelten und sich teilten. Boveri kombinierte dieses Ex-
periment mit Bastardierung. Indem er durch geeignete Art
der Besamung das Eindringen vieler Samenfäden (Polyspermie)
verhinderte und so eine normale Entwicklung erzielte, gelang
es ihm Larven zu züchten, welche in bezug auf ihre Zellsub-
stanz mütterlicher, in bezug auf ihre Kerne rein väterlicher
Herkunft waren; er suchte nun weiter den allerdings bisher
noch nicht sichergestellten Beweis zu erbringen, daß solche
Larven ausschließlich väterliche Eigenschaften besitzen.
Das Experiment war noch nach zwei anderen Richtungen
bedeutungsvoll. Erstens widerlegte es die vor allem von E. van
Beneden vertretene Lehre, daß Ei- und Samenkerne als ge-
schlechtlich differenzierte Kerne „Halbkerne" seien, die sich
durch die Befruchtung zu einem „Ganzkern" ergänzen müßten,
indem es zeigte, daß die Chromosemen des Vaters für sich
126 Nekrologe
allein schon alle für eine normale Entwicklung nötigen Eigen-
schaften besitzen. Das Resultat fand später eine Ergänzung
durch die Untersuchungen über künstliche Parthenogenesis, d. h.
die durch künstliche Reize ausgelöste Entwicklung reifer, un-
befruchteter Eier, aus denen hervorging, daß auch die Chromo-
somen des in diesen Fällen allein vorhandenen Eikerns in
gleicher Weise für die Entwicklung ausreichen, daß der aus
Ei- und Samenkern bestehende Furchungskern somit ein „dop-
peltes Sortiment" von Chromosomen besitzt, ein väterlich und
ein mütterlich abgestimmtes. Zweitens wurde aber auch das
Experiment wichtig, weil es zeigte, daß die Chromosomenzahl
einen bestimmenden Einfluß auf die Kerngröße und die Zahl
und Größe der am Ende der Furchung vorhandenen Zellen
ausübt. Vergleicht man Larven gleicher Größe, von denen
die einen aus merogonen, die anderen aus normal befruchteten
Eiern sich entwickelt haben, so besitzen die ersteren die dop-
pelte Zellenzahl der letzteren, dementsprechend auch kleinere
Zellen und kleinere Kerne. Daß dies Verhalten dadurch be-
dingt ist, daß merogone Eier nur die 'halbe Chromosomenzahl
der befruchteten Eier besitzen, wird dadurch weiter bewiesen,
daß die gleiche Proportionalität von Chromosomenzahl, Kern-
größe, Zahl und Größe der Zellen sich auch beim Vergleich
von Larven aus befruchteten und künstlich parthenogenetischen
Eiern ergibt.
Boveri hatte nun ferner die interessanten Erscheinungen
der „partiellen Befruchtung" kennengelernt. Das Wesen
derselben besteht darin, daß das besamte Ei sich teilt, bevor
Ei- und Samenkern sich vereinigt haben. Die Folge da-
von ist, daß der Samenkern unverändert in eine Furchungs-
kugel zu liegen kommt und mit dem vom Eikern abstam-
menden Kern derselben auf dem Stadium der Zwei- oder
Vierteilung des Eies verschmilzt, daß im weiteren Verlaufe
Larven entstehen, bei denen je nach dem früheren oder spä-
teren Eintritt der Kernverschmelzung die Hälfte oder ein
Viertel der Zellen zwar das väterliche und mütterliche Chromo-
somensortiment enthält, der Rest dagegen nur das mütterliche.
Nekrologe 127
In den rein mütterlichen Bezirken sind dementsprechend die
Zellen und Kerne kleiner und zahlreicher als in den Bezirken,
in denen es zur partiellen Befruchtung gekommen war. War
in den bisher besprochenen Fällen die Chromosomenzahl im
"Vergleich zur Norm auf die Hälfte verringert, so gelang es
Boveri andererseits auch Material zu gewinnen, bei welchem
die Chromosomenzahl verdoppelt worden war. Das tritt ein,
wenn experimentell in einem geeigneten Moment die Zellteilung
unterdrückt wird, so daß zwar die Chromosomen sich auf die
doppelte Zahl vermehren, das Ei und sein Centrosoma dagegen
ungeteilt bleiben. Dann erhält man Larven, deren Kerne die
doppelte Zahl der Chromosomen besitzen, bei denen im Ver-
gleich zur Norm die Zellen und Kerne in halber Zahl vorhanden
sind, dafür aber bedeutendere Größe erreichen.
Im Anschluß an die erwähnten Untersuchungen über par-
tielle Befruchtung sei hier der letzten größeren Veröffentlichung
Boveris, der Arbeit über die Eugsterschen Zwitterbienen ge-
dacht. Dieselben zeigten die ab und zu bei Bienen auftretende
Erscheinung, daß ein großer Teil der Eier sich zu herma-
phroditen Individuen entwickelt, bei denen schon in der äußeren
Erscheinung eine Kombination von männlichen und weiblichen
Geschlechtscharakteren erkennbar ist. Da nun seit Dzierzon
bekannt ist, daß bei den Bienen die Drohnen sich aus partheno-
genetischen, die Königinnen und Arbeiterinnen aus befruchteten
Eiern entwickeln, deutete Boveri auf Grund seiner Befunde an
Seeigeleiern mit partieller Befruchtung die Bienenhermaphro-
diten in der Weise, daß auch hier die rechtzeitige Vereinigung
von Ei- und Samenkern unterblieben sei; ein Teil der Fur-
chungskerne sei daher rein mütterlicher Herkunft, ein anderer
Teil dagegen sei durch verpätete Vereinigung des männlichen
Kerns mit Abkömmlingen des Eikerns entstanden; es müßten
dann die Teile, welche nur Kerne der ersten Art enthalten ver-
möge ihrer parthenogenetischen Entwicklung männlich, die an-
deren dagegen weiblich sein. Bei den Eugsterschen Hermaphro-
diten lag ferner ein Fall von Bastardierung vor; eine italieni-
sche Mutter war von einer deutschen Drohne befruchtet worden.
128 Nekrologe
Nach den herrschenden Anschauungen über Vererbung müßten
dann die männlichen Partien ausschließlich mütterliche Charak-
tere, die weiblichen Partien Bastardmerkmale zeigen. Durch
eine äußerst sorgfältige Analyse einerseits der unterscheiden-
den Merkmale der deutschen und italienischen Bienen, anderer-
seits der Merkmale der Zwitter konnte Boveri nachweisen,
daß in der Tat die männlichen Partien des Zwitters rein nach
der Mutter geartet waren, die weiblichen Partien dagegen Ba-
stardcharaktere zeigten, eine willkommene Bestätigung nicht
nur der zur Erklärung des Hermaphroditismus aufgestellten
Hypothese von der partiellen Befruchtung, sondern auch der
Deutung der Chromosomen als Vererbungsträger, eine Bestäti-
gung, die um so wertvoller ist, als bei einem Teil der Eugster-
schen Zwitter, welche von einer von deutschen Drohnen be-
fruchteten deutschen Königin stammten, der Unterschied von
Bastardcharakteren und rein mütterlichen Charakteren fehlte.
Die wichtige Rolle, welche die Chromosomen im Haushalt
der Zelle spielen, konnte Boveri noch von einer anderen Seite
aus beleuchten. Weismann hatte auf Grund theoretischer Er-
wägungen einen scharfen Unterschied zwischen somatischen und
Geschlechtszellen aufgestellt; unter ersteren versteht er die Trä-
ger der Lebensfunktionen, welche zur Erhaltung des Individuums
dienen, unter den letzteren die Fortpflanzungszellen, von denen
die Erhaltung der Art abhängt. Boveri gelang es nun bei
den Nematoden, besonders schön bei Ascaris megalocephala
den Unterschied der beiderlei Zellen an der Beschaffenheit
ihrer Chromosomen zu erweisen. Bei Ascaris megalocephala
behalten die Chromosomen der Geschlechtszellen die Beschaffen-
heit bei, welche sie in der ersten Furchungsspindel besitzen;
in den somatischen Zellen dagegen erfahren die Chromosomen
die „Diminution"; sie stoßen ihre kolbig verdickten Enden
ab, welche allmählich resorbiert werden; im übrigen lösen sie
sich in zahlreiche kleine Chromosomen auf, so daß alle so-
matischen Zellen zur Zeit der Teilung sofort an der abweichen-
den Struktur ihrer Chromosomen erkannt werden können.
In der Folgezeit hat Boveri den Versuch gemacht, noch
Nekrologe 129
tiefer in die Konstitution der Chromosomen einzudringen; er
lesfte sich die Frage vor: Sind die Chromosomen eines und
desselben Kerns alle untereinander von gleicher Beschaffen-
heit, oder sind sie, wie es Weismann in seiner Determinanten-
l^re auseinandergesetzt hat, untereinander verschieden, so daß
einem jeden von ihnen eine bestimmte, vom Schwesterchromo-
som verschiedene organbildende Bedeutung zukommt? In wei-
terer Verfolgung dieses Gedankenganges war dann zu ent-
scheiden, ob nicht sogar innerhalb eines und desselben Chromo-
soms die einzelnen Teilchen untereinander verschieden wertig
seien. Zugunsten der Verschiedenwertigkeit der Chromosomen
sprach der namentlich von amerikanischen Forschern für In-
sekten erbrachte, aber auch bei anderen Tieren (Seeigeln) sich
bewahrheitende Nachweis, daß zwischen den einzelnen Chromo-
somen eines Kerns gesetzmäßig wiederkehrende Unterschiede
in Gestalt und Größe mehr oder minder deutlich zu erkennen
sind. Dabei stellte sich heraus, daß — abgesehen von den
noch zu besprechenden Heterochromosomen — von jeder Chro-
mosomenart mindestens ein Paar vorhanden ist, was man dar-
auf zurückführt, daß die gleiche Chromosomenart notgedrungen
zweimal, das eine Mal im väterlichen, das andere Mal im
mütterlichen Sortiment wiederkehren muß. Es galt nun zu
entscheiden, ob es nicht möglich sei, die durch morphologi-
sche Befunde wahrscheinlich gewordene Ansicht von der Ver-
schiedenartigkeit der Chromosome durch den Nachweis einer
verschiedenen physiologischen Wirksamkeit auf experimentellem
Wege zu erweisen. Unterschiede in der Vererbungssubstanz
werden uns nur erkennbar, wenn die in ihnen enthaltenen
Anlagen sich realisieren, d. h. in bestimmten Eigenschaften der
Larve oder des ausgebildeten Tieres zum Ausdruck kommen.
Gelingt es einige Arten der Chromosomen aus der Entwick-
lung ganz oder bei einem Teil der Furchungskugeln auszu-
schalten, so muß sich das in der Larve, wenn es zur Organ-
bildung kommt, in mehr oder minder intensiven Entwicklungs-
störungen äußern.
Auf Grund seiner durch jahrzehntelanges Studium er-
Jabrbucb 1016. 9
130 Nekrologe
worbenen genauen Kenntnis der bei Seeigeleiern vorkommen-
den Entwicklungsstörungen und auf Grund ungemein scharf-
sinniger, vieljähriger Gedankenarbeit entstammender Überle-
gungen ist es Boveri gelungen, einen aussichtsreichen Weg ex-
perimenteller Forschung zu betreten und in den durch zwei Sper-
matozoen befruchteten, „dispermen" Eiern ein ausgezeichnetes
zur Lösung der Frage geeignetes Objekt ausfindig zu machen.
Disperme Eier teilen sich, da sie anstatt des normalen ein-
fachen zwei Centrosomen besitzen, sofort in vier, manchmal
auch nur in drei Furchungskugeln; sie entwickeln sich zunächst
normal, gehen aber fast stets auf dem Blastulastadium zu-
grunde; äußerst selten liefern sie Gastrulae, noch seltener
Pluteuslarven. Isolierte Boveri auf dem Stadium der Drei-
resp. Vierteilung die einzelnen Furchungskugeln und züchtete
sie getrennt für sich auf, so gingen die meisten ebenfalls im
Laufe der Entwicklung zugrunde. Immerhin erhielt er eine
verhältnismäßig größere Zahl von Zwerg-Gastrulae und Plutei.
Am überraschendsten war dabei, daß die viei- aus den Furchungs-
kugeln desselben Eies erzüchteten Larvenformen in ihrer Ent-
wicklungsfähigkeit meistens die größten Verschiedenheiten be-
kunden, der Art, daß eine Furchungskugel einen Zwergpluteus
liefern kann, während die anderen früher oder später zugrunde
gehen.
Boveri begründet nun an der Hand seiner reichen ex-
perimentellen Erfahrungen, weshalb weder Störungen im Proto-
plasma noch in den Centrosomen für diese merkwürdigen Re-
sultate der Dispermie- Experimente verantwortlich gemacht
werden können, daß dagegen bei simultaner Drei- oder Vier-
teilung eine unregelmäßige Verteilung der Chromosomen der
drei Kerne (1 Eikern, 2 Samenkerne) eintreten muß, und daß
diese es ist, welche die Entwicklungsstörungen veranlaßt. Die
Zahl der Chromosomen allein kann dabei nicht maßgebend
-sein, da wir wissen, daß Eier, welche nur den Eikern oder
nur den Samenkern, also nur die halbe Chromosomenzahl ent-
halten, ferner Eier mit verdoppelter Chromosomenzahl sich
normal entwickeln. Und so bleibt nur übrig an qualitative
Nekrologe 131
Unterscliiede zu denken, daß die Chromosomen eines „Sorti-
ments" untereinander verschieden sind und daß bei ihrer un-
regelmäßigen Verteilung Kerne entstehen, welche nicht alle
zur Entwicklung nötigen Arten der Chromosomen enthalten.
Die referierten Untersuchungen sind von ganz außerordent-
licher Tragweite; enthalten sie doch die Keime zu einer ex-
akten biologischen Analyse der Kernsubstanzen, einer Analyse,
von der Boveri mit berechtigtem Stolz sagen konnte, daß sie
„den jetzigen Methoden der physiologischen Chemie völlig
unzugänglich sei", daß »hier die Biologie über analysierende
Mittel von weit überlegener Feinheil verfüge".
In diesem Versuch eine Analyse der Vei'erbungssubstanzen
herbeizuführen, ergaben sich für ihn Anknüpfungspunkte an die
damals neu aufgefundenen Resultate der Mendelschen Bastadie-
rungsforschung. Boveri war einer der ersten, welcher auf die
überraschende Übereinstimmung der Mendelschen Gesetze mit
den Ergebnissen der Chromosomenforschung hinwies, eine Über-
einstimmung, welche sich immer mehr bestätigt hat.
In die Zeit, in welcher Boveri seine Untersuchungen
über qualitative Unterschiede der Chromosomen anstellte, fiel
die Entdeckung der geschlechtsbestimmenden Chromosomen,
daß bei vielen Tieren zweierlei Spermatozoen existieren, von
denen die eine Art das sogenannte x Chromosom enthält, welches
der anderen Art fehlt. Da die Eier sämtlich das x Chromosom
besitzen, müssen bei der Befruchtung zweierlei Individuen ent-
stehen, solche, welche zwei und andere, welche nur ein x Chro-
mosom in ihrem Chromosomenbestand enthalten ; erstere liefern,
wie die Beobachtung ergeben hat, Weibchen, letztere Männchen.
Da es sich hier offenbar um qualitative Unterschiede in den
Chromosomen handelt, ist es begreiflich, daß Boveri in diese
interessanten Forschungen ebenfalls eingriff, teils durch eigene
Untersuchungen, teils durch Untersuchungen seiner Schüler.
So kamen die wichtigen Arbeiten zustande, welche zeigten,
daß bei manchen Nematoden die x Chromosomen durch Ver-
koppelung mit anderen Chromosomen verdeckt sein können,
daß ferner Rückbildung eines x Chromosoms sowohl Ursache
0*
132 Nekrologe
von Hermaphroditismus werden (Rhabdonema nigrovenosura),
als auch die Entwicklung von Männchen am Schlüsse einer
Generationsfolge parthenogenetischer Weibchen veranlassen
kann (Aphiden).
Wenn sich dem Gesagten zufolge Boveris Interesse in
ganz besonderem Maße dem Ausbau der Chromosomenlehre
zuwandte, so wurde er dadurch nicht verleitet, die wichtige
Rolle zu vernachlässigen, welche dem Protoplasma und den
Centrosomen zukommt. Mehrere Arbeiten, auch sie zum Teil
experimenteller Natur, behandeln Verbreitung, Beschaffenheit
und Teilung der Centrosomen und das Verhältnis, in welchem
der zyklische Verlauf ihrer Teilungsvorgänge zum Zyklus der
Chromosomenveränderungen steht. Von noch größerer Tragweite
sind die Untersuchungen, welche sich auf die bestimmenden
Einflüsse beziehen, die vom Protoplasma auf die Chromosomen
ausgeübt werden, Untersuchungen, welche geeignet sind der
Lehre von den Chromosomen als Trägern der Vererbung ge-
wisse Einschränkungen hinzuzufügen. Besonders beweiskräftig
sind in dieser Hinsicht die Experimente, welche zeigen sollen,
daß die Chromosomendiminution der Askariden kein auto-
nomer Vorgang der Chromosomen ist, sondern ein Vorgang,
welcher den letzteren durch die besondere Beschaffenheit des
umgebenden Protoplasma induziert wird. War es doch mög-
lich, den Diminutionsvorgang hinauszuschieben und zu bewirken^
daß die beiden ersten Furchungskugeln untereinander gleich blei-
ben und die ursprüngliche Chromosomenbeschaffenheit bewahren,
wenn man durch Zentrifugieren eine Drehung der Furchungs-
spindel um 90" und dadurch eine gleichartige Beschaffenheit der
beiden Furchungskugeln herbeiführt. Durch dieses Experiment
wie durch Beobachtungen und experimentelle Erfahrungen am
Echinidenei wurde Boveri dazu geführt, bei der Vererbung
zweierlei Merkmale zu unterscheiden, Merkmale allgemeinerer
Natur, wie sie im Furchungsprozeß gegeben sind und mit der
Blastulabildung ihren Abschluß finden, und Merkmale spezieller
Beschaffenheit, wie sie bei der individuellen Ausgestaltung der
Organe zur Geltung kommen. Erstere sollen durch die Be-
Nekrologe 133
schaffenheit des Protoplasma bedingt sein, letztere durch die
Chromosomen. Auf die durch die Chromosomen übertragenen
Eigenschaften will Boveri den Begriff „Vererbung" beschränkt
wissen, weil sie allein es sind, durch die sich Vater und Mutter
in den Fällen unterscheiden, in denen eine erfolgreiche Be-
fruchtung möglich ist, sei es, daß es sich um Individuen einer
und derselben Art handelt oder um Individuen, welche ver-
schiedenen einander nicht allzufern stehenden Arten angehören.
Auf den voranstehenden Seiten ist der Versuch gemacht
worden aus der überreichen Ausbeute zytologischer Unter-
suchungen Boveris die allerwichtigsten Ergebnisse zusammen-
zustellen; dieselben lassen erkennen, in wie mannigfaltiger
Weise die normalen Vorgänge durch Abänderungen im Chromo-
somenbestand und in der Beschaffenheit des Protoplasma mo-
difiziert werden. Von diesen Erfahrungen ausgehend hat Bo-
veri es unternommen, in einer äußerst geistvollen Schrift ein
einem ihm fremden Wissensgebiet entnommenes Problem zu
erörtern; es ist dies die Frage nach der Ätiologie der Ge-
schwülste, besonders des Karzinoms. Wenn es ihm auch nicht
gelungen ist, hierüber bestimmte Vorstellungen oder gar ge-
sicherte Resultate zu gewinnen, so bieten seine Auseinander-
setzungen doch eine Fülle von Anregungen und weitere Stützen
für die wohl immer mehr zur allgemeinen Geltung gelangende
Anschauung, daß die Ursache der Geschwülste nicht in spe-
zifischen Krankheitserregern, sondern in mehr oder minder
autonomen, wenn auch durch äußere Einflüsse beförderten
Abänderungen der normalen Zelltätigkeit zu suchen ist.
Das seinem Wesen am meisten sympathische Gebiet
der Zellforschung hat Boveri, abgesehen von kleineren Er-
örterungen, nur zweimal verlassen, um sich mit vergleichend
anatomischen Untersuchungen zu befassen. Beide Arbeiten
fallen noch in seine Münchener Zeit; die eine behandelt die
Stellungsgesetze der Septen der Hexakorallien, die andere die
Frage nach der von so vielen Forschern vergeblich gesuchten
Niere des Amphioxus. Besonders letztere hat seinerzeit das
allergrößte Aufsehen erregt; denn die Entdeckung der an die
134 Nekrologe
Segmentalorgane der Anneliden erinnerenden kleinen Harn-
kanälchen war nicht nur eine glänzende Beobachtungsleistung,
sondern wurde auch durch ungemein scharfsinnige vergleichend
anatomische Erwägungen ermöglicht. Daß Boveri auch in
seiner Würzburger Zeit der vergleichend anatomischen Denk-
weise sich nicht entfremdet hat, das lehrt seine wundervolle
Rektoratsrede: „Die Organismen als historische Wesen".
Man kann über die wissenschaftlichen Veröffentlichungen
Boveris nicht sprechen, ohne einen hervorstechenden Charakter-
zug hervorzuheben, durch den sie alle in außergewöhnlicher
Weise ausgezeichnet sind; das ist die wundervolle, geradezu
klassische Darstellung, welche selbst die schwierigsten Pro-
bleme durch ihn gefunden haben. Wie in der methodischen
Fortbildung seines gesamten Arbeitsgebietes, so ist auch im
Aufbau jeder einzelnen Untersuchung Boveri Künstler und
Forscher zugleich. Der Umstand, daß er gewohnt war mit
einer außergewöhnlichen Energie jeden Gedankengang bis zu
seinem Ende durchzudenken, drückt sich auch in seiner Dar-
stellung aus und verleiht ihr eine kristallklare Durchsichtig-
keit, wie sie nur von den besten Schriftstellern erreicht wird.
Diese Künstlernatur kommt vor allem in der Gedenkrede
zum Ausdruck, welche Boveri bei Gelegenheit des internatio-
nalen Zoologenkongresses in Graz auf Anton Dohrn gehalten
hat. Dieselbe ist ein Meisterstück von Charakteristik, in welcher
die Persönlichkeit des Mannes plastisch und lebendig heraus-
gearbeitet ist, voller Anerkennung für seine großen Eigenschaften,
ohne daß aber auch verschwiegen worden wäre, was seinen
Leistungen als Forscher hinderlich im Wege stand.
Daß ein Mann von der besonderen Begabung Boveris in
sich die Eigenschaften zu einem hervorragenden akademischen
Lehrer in ganz außergewöhnlicher Weise vereinigte, braucht
kaum hervorgehoben zu werden. Er war ein Meister der
freien Rede; zwar verschmähte er es durch Pathos auf
seine Zuhörer zu wirken; dagegen verstand er es, durch die
ruhige, folgerichtige Entwicklung seiner Gedanken, die alles
Wesentliche erschöpfende Art seiner Darstellung und seine
Nekrologe 135
formvollendete Sprache sie an sich zu fesseln und ihr Inter-
esse bis zum Ende rege zu erhalten. Viel trug dazu bei die
liebevolle Sorgfalt, welche er auf die Vorbereitung der Unter-
richtsmittel, der Zeichnungen, Präparate und Modelle ver-
wandte. Wie sehr er es verstanden hat, den Kreis, nament-
lich seiner engeren Schüler an sich zu fesseln und durch die
Art seiner Unterweisung ihre wissenschaftliche Leistungsfähig-
keit zu steigern, davon haben zwei seiner begabtesten Schüler,
Prof. Spemann und Baltzer, in ihren dem Lehrer und Freund
gewidmeten Nachrufen beredtes Zeugnis abgelegt; sie lassen
erkennen, welchen mächtigen überragenden Einfluß er auf seine
unmittelbare Umgebung ausübte, was aber nicht verhinderte,
daß seine Schüler nicht nur mit Verehrung und Bewunde-
rung, sondern auch mit herzlicher Anhänglichkeit an ihm
emporschauten.
Boveris glänzende Erfolge als Forscher und Lehrer haben
ihm in engeren und weiteren Kreisen reiche Erfolge ver-
schafft. In verhältnismäßig jungen Jahren wurde er durch
das Vertrauen seiner Würzburger Kollegen zur Führung des
Rektorats berufen. Die medizinische Fakultät der Universität
Marburg ernannte ihn zu ihrem Ehrendoktor. Als in Wien
zum ersten Male die für biologische Forschungen bestimmte
Erzherzog-Rainer-Medaille zur Verteilung gelangte, wurde sie
einstimmig ihm zuerkannt. Die Akademien von München,
Kopenhagen, Petersburg und die American National Academy
of Sciences wählten ihn zum korrespondierenden Mitglied. Auch
die höchste wissenschaftliche Auszeichnung Bayerns, der Maxi-
miliansorden für Kunst und Wissenschaften, wurde ihm ver-
liehen. Wie in dieser Weise die Gegenwart dem Verstorbenen
reiche Anerkennung hat zuteil werden lassen, so wird auch
die Zukunft seinen Namen in hohen Ehren halten. Auf viele
Jahrzehnte hinaus hat Boveri einen mächtig nachwirkenden Ein-
fluß auf den Entwicklungsgang der biologischen Forschung ge-
wonnen. Seine Werke werden zu allen Zeiten zu den klassischen
Leistungen auf dem Gebiete der Biologie gerechnet werden.
R. Hertwig.
136 Nekrologe
Am 24. November 1915 starb in Straßburg i. Eis. Graf
Hermann zu Soims- Laubach, einer der kenntnisreichsten Bo-
taniker unserer Zeit.
Geboren am 23. Dezember 1842 in Laubach (Oberhessen)
stellt er eines der bei uns seltenen Beispiele dar, daß ein Mit-
glied der hohen Aristokratie sich ganz der Wissenschaft und
der Universitätslaufbahn widmet.
Seine botanischen Studien trieb er zunächst in Berlin als
Schüler von Alexander Braun, dann in Freiburg und Halle
bei de Bary, mit dem ihn später eine innige, nur mit dem
Tode de Barys endigende Freundschaft verband. Er habili-
tierte sich 1866 und ging dann mit de Bary, der nach Straß-
burg berufen worden war, dorthin als Extraordinarius. 1879
wurde er Ordinarius und Direktor des botanischen Gartens in
Göttingen, 1887 nahm er einen Ruf als Nachfolger Eichlers
nach Berlin an. Als aber sein Lehrer und Freund de Bary
anfangs 1888 starb, machte Graf Solms die Berufung nach
Berlin, die ihm ohnedies nicht sehr sympathisch gewesen war,
rückgängig und wurde de Barys Nachfolger in Straßburg.
Dort wirkte er bis 1907, in welchem Jahre er zurücktrat,
einerseits weil er sich wegen eines langjährigen Leidens Scho-
nung auferlegen mußte, andererseits um sich ganz seinen
wissenschaftlichen Arbeiten widmen zu können.
Diese waren sehr umfangreich und mannigfaltig. Gerne
suchte er dabei abgelegene, von anderen wenig betretene Ge-
biete auf, für die das Material nur schwierig zu beschaffen
war wie z. B. das der perasitischen Samenpflanzen und die
Phytopaläontologie. Er verstand es namentlich auch auf seinen
zahlreichen Reisen seltenes Material zusammenzubringen, das
er dann mit großer Sorgfalt verarbeitete. Seine Schreibweise
war ziemlich trocken, der Stil oft stark latinisierend, was wohl
teilweise mit bedingt hat, daß seine zusammenfassenden Dar-
stellungen weniger Verbreitung gefunden haben, als sie ihrem
inneren Werte nach verdient hätten.
Die Richtung, in der sich seine Arbeiten bewegten, war
Nekrologe 137
die der Morphologie, der Systematik, der Phytopaläontologie,
der Pflanzengeographie und der Geschichte der Kulturpflanzen.
Seine morphologischen Untersuchungen waren von unge-
wöhnlicher Ausdehnung (was gegenüber der immer enger wer-
denden Spezialisierung besonders hervorgehoben werden muß),
indem sie fast alle Gruppen des Pflanzenreiches umfaßten*).
Die Algen sowohl des süßen als des Salzwassers haben
ihn vielfach beschäftigt. Ihm verdanken wir die erste ein-
gehende Entwicklungsgeschichte der Süßwasser -Floridee Ba-
trachospermum und die Aufklärung der Zystokarpienentwick-
lung der marinen Korallineen. Auch den Siphoneen des Meeres
widmete er, namentlich im Anschluß an seine Untersuchung
der fossilen Formen ergebnisreiche Arbeiten.
Von Pilzen hat er die fliegenbewohnende Empusa bear-
beitet (was einem Schriftsteller, der sich durch grundloses
Schimpfen auf seine Vorgänger hervortat, Veranlassung zu der
Bemerkung bot, dieser Pilz habe vielfach die Beobachter be-
schäftigt „von Goethe bis herunter auf den Grafen Solms").
Namentlich aber bot ihm seine Reise nach Java (er war der
erste Botaniker, der dort in dem von Treub eingerichteten
Laboratorium arbeitete) Gelegenheit zur Entdeckung und Unter-
suchung zweier interessanter Pilze, des Ustilago Treubii und
der merkwürdigen Gattung Penicilliopsis.
Unter den Moosen beschäftigten ihn namentlich die Mar-
chantiaceen, besonders die Gattung Exormotheca, während er
den Laubmoosen Portugals eine hauptsächlich ihre Verbreitung
berücksichtigende Untersuchung widmete.
Von Pteridophyten war es auch zunächst wieder eine der
sonderbarsten Formen, die ihn anzog: die der Psilotaceen, bei
denen er die merkwürdige Verbreitung durch Brutkörper ent-
deckte. Dann hat er dem Aufbau und der Verzweigung von
Isoetes, die manche als ein „lebendes Fossil" betrachten, eine
eingehende Studie gewidmet. Leider scheint er den darin aus-
*) Eine vollständige Aufzählung der Solmschen Arbeiten ist dem
von L. Jost verfaßten Nekrologe (Berichte der deutschen botanischen Ge-
sellschaft Jahrg. 1915, Bd. 33) beigegeben.
138 Nekrologe
gesprochenen hübschen Gredanken die „vivipare" Form aus dem
Longemer See (die der Verfasser dieser Zeilen vor vielen Jahren
beschrieben hatte) zur Prüfung ihrer Konstanz in den Mumel-
see im Schwarzwald zu verpflanzen, nicht ausgeführt zu haben,
wie denn alles einigermaßen das experimentelle Gebiet Strei-
fende ihm offenbar wenig „lag". Die Prüfung der von Solms-
Laubach angeregten Frage wäre aber von besonderem Interesse,
nicht nur um den Wettbewerb mit der normalen Form zu be-
obachten, sondern auch weil der Ersatz der Sporenbildung durch
vegetative Vermehrung hier noch nicht ganz „fixiert" ist.
Die Gymnospermen sind in den Solmsschen Arbeiten
(von anatomischen Studien über das Vorkommen des Oxalsäuren
Kalkes in der Zellwand abgesehen) vertreten durch die Ab-
handlung „über die Sproßfolge bei den Cyradeen".
Unter den Angiospermen fesselten ihn in früheren Jahren
besonders die Parasiten. Unsere genaueren Kenntnisse über
die Saug- und anderen Vegetationsorgane der letzteren rühren
in erster Linie aus Solms-Laubach Untersuchungen her. Die
Verhältnisse sind um so interessanter, als hier fast beispiel-
lose Rückbildungen auftreten, die sehr erinnern an die bei
tierischen Parasiten bekannten.
Die Systematik verdankt ihm eine Reihe trefPlicher Mono-
graphien, namentlich auch von Familien, die ihm durch seine
Parasitenstudien nahelagen.
Die Phytopaläontologie ist ein Gebiet, das die deut-
schen Botaniker wenig bebaut haben, wesentlich wohl des-
halb, weil fossile Pflanzen, deren Struktur erhalten ist, bei
uns nur spärlich zu finden sind.
Solms Bedeutung in dieser Richtung wird wohl am besten
durch eine Äußerung des ausgezeichneten Phytopaläontologen
Nathorst gekennzeichnet*), „Solms hat die Paläobotanik er-
stens durch eigene ausgezeichnete Spezialarbeiten bereichert,
und er hat zweitens durch sein Handbuch „Einleitung in die
Paläophytologie vom botanischen Standpunkt aus" einen über-
*) Bei Jost a. a. 0. p. (106).
Nekrologe 139
aus großen und glücklichen Einfluß auf die Entwicklung dieser
Wissenschaft gehabt." . . . Namentlich ist dieser Einfluß in
England, wo die Phytopaläontologie besonders gepflegt wird,
anerkannt worden.
Die Pflanzengeographie hat Solms schon bei seinen
Spezialstudien nicht aus dem Auge gelassen. Er widmete ihr
aber auch ein besonderes kleines (seine in Straßburg gehaltenen
Vorlesungen wiedergebendes) Buch „Die leitenden Gesichts-
punkte einer allgemeinen Pflanzengeographie".
Besonders tritt seine Eigentümlichkeit und der Reichtum
seiner Kenntnisse hervor in seinen Arbeiten über die Kultur-
pflanzen und deren Geschichte. Dahin gehören seine Abhand-
lungen über „Die Herkunft, Domestikation und Verbreitung
des gewöhnlichen Feigenbaumes", die Heimat und der Ursprung
des kultivierten Melonenbaumes; , Weizen und Tulpe und deren
Geschichte". In diesen Untersuchungen sind die Früchte einer
erstaunlichen Gelehrsamkeit und die Beobachtungen auf seinen
zahlreichen Reisen (namentlich in Süd -Europa) niedergelegt.
Seine letzte Arbeit war noch den Zierpflanzen gewidmet —
sie ist ebenso reich an sonst schwer zu findenden tatsächlichen
Mitteilungen als an ungelösten Problemen.
Die Mannigfaltigkeit von Solms' wissenschaftlicher Tätig-
keit tritt in der oben gegebenen kurzen Übersicht nur mangel-
haft hervor; Reichtum an Kenntnissen auf den verschiedensten
Gebieten und gewissenhafte Sorgfalt der Untersuchung sind
wohl ihre hauptsächlichsten Merkmale.
Als Mensch war Graf Solms eine sehr originelle, gewin-
nende Persönlichkeit, die ihn namentlich auch zu einem höchst
interessanten Reisegenossen machte. Mit Vergnügen denkt der
Verfasser dieser Zeilen namentlich an im Herbst 1881 in der
Normandie und auf den Kanalinseln mit Solms verlebte Tage.
Als akademischer Lehrer war dieser sehr beliebt, die Stu-
denten schätzten die eigenartige und frische Persönlichkeit,
die in den Vorlesungen viel mehr zum Ausdruck kam als in
seinen Veröfi'entlichungen. Goebel.
140 Nekrologe
Am 15. Dezember 1915 ist in Bonn bei vorübergehendem
Aufenthalte der langjährige ordentliche Professor der Mathe-
matik an der Universität Würzburg, Geheimer Rat Dr. Friedrich
Prym nach vollendetem 74. Lebensjahre gestorben.
Friedrich Prym wurde am 28. September 1841 in Düren
als Sohn des Tuchfabrikanten Richard Prym und seiner Gattin
Ernestine geb. Schoeller geboren. Nachdem er das dortige
Gymnasium absolviert hatte, studierte er 1859 — 1863 an den
Universitäten Berlin, Heidelberg und Göttingen. Die von ihm
in Göttingen 1861 — 1862 gehörte Vorlesung Riemanns „Über
Funktionen einer veränderlichen komplexen Größe, insbesondere
elliptische und Abelsche" bildete die Grundlage für seine mathe-
matische Ausbildung und für seine ersten wissenschaftlichen
Arbeiten. Auf Grund der Dissertation: »Theoria nova func-
tionum ultraellipticarum. Pars prior", in der zum ersten Male
die Riemannschen Anschauungen und Methoden zur Behand-
lung eines speziellen Falles verwertet wurden, promovierte Prym
am 21. Februar 1863 an der philosophischen Fakultät der
Universität Berlin. Dann trat er, nachdem er inzwischen zu
Hause die in seiner Dissertation begonnenen Untersuchungen
fortgesetzt und im September 1863 abgeschlossen hatte, als
Volontär in das Bankgeschäft der ihm verwandten Familie
Schoeller in Wien ein. Hier wurde die aus seiner Dissertation
hervorgegangene Abhandlung: „Neue Theorie der ultraellip-
tischen Funktionen" am 14. Januar 1864 in der Sitzung der
math.-naturw. Klasse der Akademie vorgelegt und im 24. Bande
ihrer Denkschriften veröffentlicht.
In dem Hauptresultate dieser Arbeit, nach welchem der
Quotient zweier Thetafunktionen , deren Argumente Summen
von je 3 ultraelliptischen Integralen 1. Gattung sind, sich
algebraisch als Quotient zweier Determinanten darstellen lasse,
erkannte Prym den Schlüssel für den allgemeinen hyperellip-
tischen Fall, dessen Behandlung er jetzt unternahm. Für diese
neuen Untersuchungen Pryms wurde ein mehrwöchentliches
Zusammensein mit Riemann entscheidend, der sich im Früh-
jahr 1865 seiner Gesundheit wegen in Pisa aufhielt. Erst die
^ Nekrologe 141
Aufschlüsse, welche Prym hier von Riemann über das Ver-
schwinden der hyperelliptischen Thetafunktionen bekam, ermög-
lichten es ihm, seiner Theorie den gesuchten Abschluß zu geben,
der wieder in der algebraischen Darstellung des Quotienten
zweier Thetafunktionen, deren Argumente nunmehr Summen
von je i? -|- 1 Integralen sind, als Quotienten zweier Deter-
minanten seinen Ausdruck fand. Er veröffentlichte diese Unter-
suchungen, nachdem er inzwischen, 1865, als Professor an das
eidgenössische Polytechnikum in Zürich berufen worden war,
im Juni 1866 unter dem Titel „Zur Theorie der Funktionen
in einer zweiblättrigen Fläche* im 22. Bande der Denkschriften
der Schweiz, naturf. Gesellschaft.
Diese Abhandlung Pryms wurde für die Mathematik von
weittragender Bedeutung; denn ihr war es, neben den Ab-
handlungen Rochs, zu verdanken, wenn die Riemannsche Ab-
handlung über die „Theorie der Abelschen Funktionen", die
in ihrer knappen Darstellungsform, ihrer Gedankenfülle und
ihrer Tiefe für die mathematische Welt bis dahin ein Buch
mit sieben Siegeln geblieben war, nunmehr zum Gemeingut
der Mathematiker und damit zugleich zu einem vielumworbenen
Objekt weiterer Forschung wurde.
Im Jahre 1866 starb am 20. Juli Riemann, am 21. No-
vember der vorher genannte Roch und Prym fiel nun zunächst
allein die Aufgabe zu, die Riemannsche Lehre weiterzuführen.
Welcher Art die Untersuchungen waren, die Prym in den nun
folgenden Jahren in dieser Richtung anstellte, sehen wir aus
den Abhandlungen, die er, 1869 als ordentlicher Professor an
die Universität Würzburg berufen, in diesem Jahre von dort
aus im 70. und 71. Bande des Journals für die r. und a.
Mathematik veröffentlichte.
Prym ging hier von dem Resultate Riemanns aus, daß zu
jeder willkürlich gewählten mehrblättrigen Fläche immer eine
Gruppe sogenannter Abelscher, in der zerschnittenen Fläche
einwertiger Integrale existiert, und daß diese durch die Be-
dingung, den gleichzeitigen partiellen Differentialgleichungen
142 Nekrologe
9m dV du dV „ 1 j 1 , ... ,^
— = — , — = — — zu ffenuffen, und durch passend gewählte
Grenz- und Unstetigkeitsbedingungen vollständig bestimmt wer-
den können, und erkannte die Möglichkeit eines Fortschrittes
in der Funktionentheorie darin, das genannte System von Dif-
ferentialgleichungen unter Zugrundelegung neuer charakteri-
stischer Grenzbedingungen zu integrieren. Solche Bedingungen
aber erhielt er, indem er das Verhalten der Abelschen Inte-
grale, beim Überschreiten der Querschnitte um Konstanten
zuzunehmen, dahin verallgemeinerte, daß sie bei diesem Über-
schreiten in ganze lineare Ausdrücke von sich selbst übergehen
sollen. Prym veröffentlichte damals nur die Hauptresultate
seiner Untersuchungen ; das in der ersten Abhandlung gegebene
Versprechen, daß diese in ihrer Gesamtheit in kurzer Zeit ver-
öffentlicht werden sollen, hat er erst 40 Jahre später durch
das unten genannte im Jahre 1911 erschienene gemeinsame
Werk mit Rost eingelöst; damals wandte er sich anderen
Untersuchungen zu.
Vom Juni 1876 stammt eine Abhandlung „Zur Theorie
der Gammafunktion" (J. f. Math., Bd. 82), in der Prym zeigt,
daß jede der beiden durch Zerlegung der Funktion F {is) in
eine Reihe von Partialbrüchen einerseits und eine Reihe von
ganzen Potenzen von z andererseits entstehenden Funktionen
P(^) und Q{ß) durch ebenso einfache Bedingungen wie r{z)
selbst vollständig definiert werden kann, und vom März 1877
datiert Prym seinen „Beweis eines Riemannsclien Satzes" (J. f.
Math., Bd. 83), in welchem er zeigt, daß jede in der w-blätt-
rigen, die Verzweigung der durch eine irreduzible Gleichung
F{s, ^) = 0 definierten algebraischen Funktion s von z reprä-
sentierenden Fläche T einwertige Funktion o, die nur für eine
endliche Anzahl von Punkten der Fläche von ganzzahliger,
endlicher Ordnung unendlich wird, eine rationale Funktion von
z und s ist.
Im Herbste 1878 wurde Prym durch einen Zufall an eine
Formel erinnert, welche ihm Riemann 1865 bei ihrem Zu-
sammensein in Pisa mitgeteilt und für welche er damals nach
Nekrologe 143
Riemanns Angaben einen Beweis verfaßt hatte. Prym ver-
öffentlichte jetzt diesen Beweis; er stellte ferner, um die Natur
der bewiesenen Formel, die er die Riemannsche Thetaformel
nannte, klar zu stellen, eine Formel von allgemeinem Charakter
auf, welcher an Stelle des jener zugrunde liegenden speziellen
involutorisch-orthogonalen Systems das allgemeinste derartige
System untergelegt ist. In zwei weiteren Abhandlungen er-
gänzte er die von Riemann in der Vorlesung vom W.-S. 1861/62
behandelte Charakteristikentheorie und zeigte mit deren Hilfe
endlich in einer fünften Abhandlung, wie man aus der Rie-
mannschen Thetaformel alle jene Formeln ableiten kann, welche
andere Mathematiker zur Gewinnung der Additionstheoreme
der Thetafunktionen und der zwischen ihnen bestehenden alge-
braischen Beziehungen aufgestellt hatten. Diese 5 Abhand-
lungen erschienen 1882 zusammen unter dem Titel: „Unter-
suchungen über die Riemannsche Thetaformel und die Rie-
mannsche Charakteristikentheorie."
Aber damit waren Pryms Arbeiten über die Riemannsche
Thetaformel nicht abgeschlossen. Nachdem er einen zweiten
Beweis, der sich auf die Bestimmung der Thetafunktion durch
ihre Periodizitätseigenschaften gründet, schon 1880 gefunden
und als „Kurze Ableitung der Riemannschen Thetaformel" im
93. Bande des Journals für Mathematik veröffentlicht hatte,
bemerkte er im Juli 1882, daß man diese Formel auch unter
Verzicht auf alle funktionentheoretischen Hilfsmittel durch
direkte Umformung der ihre linke Seite darstellenden 4 ^p-fach
unendlichen Reihe erhalten kann, wenn man nur das von
Jacobi zur Gewinnung ähnlicher Formeln angewandte Ver-
fahren der Einführung neuer Summationsbuchstaben vermittelst
einer linearen Substitution mit der Einschiebung eines Faktors
verbindet, der (von ähnlicher Wirkung wie der Dirichletsche
diskontinuierliche Faktor bei den bestimmten Integralen) ge-
stattet, die zunächst eingetretene Beschränkung der neuen Sum-
mation aufzuheben. Den auf diesem direkten Wege gewon-
nenen Beweis der Riemannschen Thetaformel veröffentlichte
Prym 1883 im 3. Bande der Acta mathematica. Er hatte aber
144 Nekrologe
zugleich erkannt, daß das nämliche Verfahren zur Herstellung
viel allgemeinerer Thetaformeln angewandt, und weiter, dalä
aus diesen noch andere, der Kiemannschen Thetaformel ähn-
liche Formeln abgeleitet werden können. Diesen beiden Auf-
gaben, mit denen sich schon zwei weitere im 3. Bande der Acta
mathgmatica veröffentlichte Abhandlungen beschäftigt hatten,
waren, zusammen mit einer neuen Behandlung der Transfor-
mationstheorie, jene Untersuchungen gewidmet, welche Prym
und ich, den er schon seit 1881 zu seinen wissenschaftlichen Ar-
beiten herangezogen hatte, vom Anfange des Jahres 1883 an in
sechsjähriger gemeinsamer Tätigkeit anstellten und deren Ergeb-
nisse ich l891, nachdem wir durch meine Berufung nach Straß-
burg 1889 getrennt worden waren, auszugsweise als „Neue Grund-
lagen einer Theorie der allgemeinen Thetafunktionen" herausgab.
Die wiederholte Beschäftigung mit den orthogonalen, in-
volutorischen und orthogonal-involutorischen Substitutionen gab
Prym Veranlassung, die Darstellung der Koeffizienten dieser
Substitutionen durch voneinander unabhängige Parameter, die
bisher nur für die orthogonalen Substitutionen behandelt wor-
den war, auch für die involutorischen und die orthogonal-
involutorischen durchzuführen. Die vollständige Lösung dieser
Aufgabe hat er im November 1891 der Göttinger Gesellschaft
der Wissenschaften vorgelegt und im 38. Bande ihrer Abhand-
lungen veröffentlicht.
Inzwischen hatte Prym an Rost einen neuen Mitarbeiter
gefunden und ging im November 1892 mit diesem an die Er-
gänzung und Ausarbeitung jener Untersuchungen, welche er
vor mehr als zwanzig Jahren über Funktionen, die beim Über-
schreiten der Querschnitte in lineare Ausdrücke von sich selbst
übergehen, begonnen und deren damalige Hauptergebnisse er
im Journal für Mathematik veröffentlicht hatte.
Es handelte sich bei diesen Funktionen, für welche jetzt
der Name „Prymsche Funktionen 1. Ordnung" gewählt wurde,
um Funktionen W der komplexen Veränderlichen ^, welche
dadurch charakterisiert sind, daß sie in vorgegebener Weise
unstetig werden und daß
Nekrologe 145
längs a,. : W+ = Ä„ W' + 51., ,
längs b,. : W+ = B,. W~ -f 33.., (v^l,2...,p)
längs c,.:W+=-- ir- + 6„
endlich für die nach den Unstetigkeitspunkten führenden
Schnitte l„
längs L:W+^W--{-2 7ii2a (a = l, 2...)
ist; dabei bestehen zwischen den Konstanten, für welche mod.
Ay = mod. JBy = l ist, die Relationen :
(1 — By)%y — (1 — A)25. = (S., i:(5. + 27iii;8, = 0.
r n
Die von Prym und Rost 1911 veröffientlichte Theorie dieser
Funktionen umfaßt zwei Teile; in dem ersten, den „Grund-
lagen der Theorie" wird der Existenzbeweis der Funktionen
erbracht, die Aufgabe des zweiten Teiles „Das System der
Funktionen* besteht darin, aus den Funktionen W gewisse ein-
fachste auszuwählen, aus denen sich alle anderen linear zu-
sammensetzen lassen, und die zwischen diesen Eleraentarfunk-
tionen bestehenden Beziehungen zu ermitteln.
Haben alle 2p Größen J., B den Wert 1, so sind die
Funktionen W die Funktionen der Riemannschen Theorie.
Während nun in den anderen Fällen ohne weiteres Funktionen
gebildet werden können, welche nur an einer Stelle logarith-
misch unendlich werden, ist dies bekanntlich in der Riemann-
schen Theorie nicht der Fall; die Verfasser haben aber ge-
funden, daß auch für diese eine nur in einem Punkte logarith-
misch unendlich werdende Funktion geschaffen werden kann,
.wenn man auf die Konstanz der Periodizitätsmodulen an den
Schnitten 6 verzichtet. Die Konstruktion dieser Funktion
Pol«|, für welche
längs tty : P+ =i= P-,
längs &. : P-l- = P- + -w,.(^-) - 2u„{r}) _ ^ _^ «-
p P P
längs Cy : P^ = P- ,
P
längs l,j : P+ = P- •{• 27ii
Jahrbuch 1916. 10
•14:6 Nekrologe
ist, wo die h,, die aus der Riemannschen Theorie bekannten
Konstanten vertreten, und die also keine Funktion W im bis-
herigen Sinne ist, bildet das interessanteste Resultat der ganzen
Theorie. Mit ihrer Hilfe gelingt den Verfassern dann auch
der Aufbau der Riemannschen Thetafunktion, mit welchem das
Werk abschließt. Es wurde kurz vor dem 70. Geburtstage
Prjms 1911 den Mathematikern in einem stattlichen Quart-
band von 550 Seiten unter dem Titel: „Theorie der Prymschen
Funktionen erster Ordnung, im Anschluß an die Schöpfungen
Riemanns" überreicht.
Wie der Titel andeutet, bilden diese Funktionen die ein-
fachste Klasse allgemeinerer, der sogenannten Prymschen Funk-
tionen iVter Ordnung und im Vorworte ihres Werkes sprechen
die Verfasser die HoiFnung aus, daß es ihnen vergönnt sei,
auch diese, in ihren Grundzügen schon vorhandene Theorie in
gemeinsamer Arbeit ausführlich zu entwickeln. Diese HoflF-
nung ist leider nicht in Erfüllung gegangen, obwohl Prym
noch in den letzten Monaten seines Lebens an dem Werke
rastlos gearbeitet hatte.
Im Jahre 1897/98 bekleidete Prym das Amt des Rektors
der Universität; seine am Stiftungstage der Hochschule ge-
haltene Festrede behandelte „die Entwicklung der griechischen
Mathematik von ihren Anfängen bis zu ihrem Höhenpunkte".
Die Hauptvorlesungen Pryms betrafen Differentialrechnung,
Integralrechnung und Funktionentheorie. Sie waren in Inhalt,
Methode und Form das Resultat unermüdlicher Arbeit. Der
Inhalt war bis in jede Einzelheit richtig, die Methode streng,
die Form klar und sorgfältig ausgefeilt. Diese Eigenschaften
verliehen Pryms Vorlesungen bedeutenden pädagogischen Wert.
Am 31. März 1909 vollendete Prym das 40. Jahr seiner
Tätigkeit als ordentlicher Professor in Würzburg; er hatte zu
diesem Termine um Enthebung von der Verpflichtung zur Ab-
haltung von Vorlesungen gebeten, blieb aber auf Wunsch des
Ministeriums noch bis zttm 1. Oktober 1909 im Amte.
1872 hat Prym einen glänzenden Ruf an die neu errich-
tete Universität Straßburg abgelehnt; ebenso 1886 einen sol-
Nekrologe l47
eben an die Technische Hochschule seiner rheinischen Heimat,
Aachen.
Zu seinem 70. Geburtstag hat die Stadt Würzburg Prym
zu ihrem Ehrenbürger ernannt; zu seinem 50jährigen Doktor-
jubiläum verlieh ihm die Universität ihre Ehrenraünze in Gold;
beide Ehrungen brachten den Dank für hervorragende Leistungen
auf gemeinnützigem Gebiete und für reiche Stiftungen zum
Ausdruck.
Schriftenverzeichnis.
1. Theoria nova functionum ultraellipticainim. Pars prior. Inang.-Diss.
Berlin 1863. 4. 39 S. 1 Tafel.
2. Neue Theorie der ultraelliptischen Funktionen. Denkschr. der math.-
naturw. Klasse der K. Akademie der Wiss. zu Wien. Bd. 24, 1864,
4. 104 S. 3 Tafeln. Zweite Ausgabe mit nachträglichen Bemerkungen
und neuen Tafeln. Berlin 1885.
3. Zur Theorie der Funktionen in einer zweiblättrigen Fläche. Denkschr.
der Schweiz. Naturf. Gesellschaft. Bd. 22, 1866. 4. 47 S.
9 m dv
4. Zur Integration der gleichzeitigen Differentialgleichungen «- = -^,
^ = — ~. J. f. Math., Bd. 70, 1869, S. 354.
5. Beweis zweier Sätze der Funktionentheorie. J. f. Math., Bd. 71
1870, S. 223.
6. Über ein Randintegral. J. f. Math., Bd. 71, 1870, S. 305.
W« Ji, G iL
7. Zur Integration der Differentialgleichung :^—^ + -zr—^ = 0. J. f. Math.,
Bd. 73, 1871, S. 340. ^ ^
8. Zur Theorie der Gammafunktion. J. f. Math., Bd. 82, 1877, S. 165.
9. Beweis eines Riemannschen Satzes. J. f. Math., Bd. 83, 1877, S. 251.
10. Untersuchungen über die Riemannsche Thetaforrael und die Rie-
mannsche Charakteristikentheorie. Leipzig 1882. 4. VIII und 112 S.
11. Kurze Ableitung der Riemannschen Thetaformel. J. f. Math., Bd. 93,
1882, S. 124.
12. Ein neuer Beweis für die Riemannsche Thetaformel. Acta math.,
Bd. 3, 1883, S. 200.
18. Ableitung einer allgemeinen Thetaformel. Acta math., Bd. 3, 1883,
5. 216.
14. [mit A. Krazer] Über die Verallgemeinerung der Riemannschen Theta-
formel. Acta math., Bd. 3, 1883, S. 242.
15. [mit A. Krazer] Neue Grundlagen einer Theorie der allgemeinen Theta-
funktionen. Kurz zusammengefaßt und herausgegeben von A. Krazer.
Leipzig 1892. 4. XII und 133 S.
10*
"148 Nekrologe
16. Über orthogonale, involutorisebe und orthogonal-involutorische Sub-
stitutionen. Abb. der K. Ges. der Wiss. zu Göttingen. Bd. 38, 1892.
4. 42 S.
17. [mit G. Rost] Theorie der Pryinschen Funktionen erster Ordnung
im Anschluß an die Schöpfungen Riemanns. 2 Teile. 1911. 4. 250,
und 300 S.
18. Über die Entwicklung der griechischen Mathematik von ihren Ai
fangen bis zu ihrem Höhepunkte. Festrede zur Feier des 316 jäl
rigen Bestehens der Universität Würzburg, gehalten am 11. Mai 189^
4. 27 S. ^ A. Krazer (Karlsruhe).
Einer der berühmtesten Chemiker Englands ist mit Sir
Henry Enfield Roscoe, der jahrelang den Lehrstuhl der Chemie
an der Universität Manchester innehatte, dahingeschieden. Ge-
boren wurde er am 7. Januar 1833 in London. Den philo-
sophischen Doktorhut hat er sich vor mehr als sechzig Jahren
an der Heidelberger Universität geholt. Nachdem er am Uni-
versity College in London studiert hatte, besuchte er die Ru-
perto-Carola, um unter Bunsen seine chemische Ausbildung zu
vollenden. Vor allem begann er unter dessen Leitung photo-
chemische Untersuchungen, er verblieb bei ihnen während seiner
ganzen Laboratoriumstätigkeit und erzielte damit gewichtige,
wissenschaftliche und technische Fortschritte. Unter anderem
ist Roscoe die für die Eisenindustrie ausschlaggebende Ver-
feinerung des Bessemer- Prozesses durch Benutzung der spektral-
analytischen Methode zu verdanken. Als seine wichtigste Arbeit
bezeichnete er selbst die Entdeckung des Elementes Vanadium,
das ihm nach einem Besuch der Kupferminen in Mottram gelang.
Infolge seiner deutschen Studienzeit war Roscoe, der 1882
Präsident der Chemischen Gesellschaft in London und 1896
Vizekanzler der Universität London wurde, ein einflußreicher
Mittler zwischen deutscher und englischer Naturwissenschaft.
Einen Teil seiner wissenschaftlichen Ergebnisse veröffentlichte
er in deutschen chemischen Zeitschriften. Sodann besorgte er
die englische Ausgabe klassischer deutscher Werke wie der
„Gasometrischen Methoden" Bunsens. Vor allem verband er
sich mit dem deutschen, nach England ausgewanderten Fach-
genossen Schorlemer. Das von ihnen gemeinsam herausgege-
Nekrologe 149
bene „Treatise on Chemistry" ist in vielen Sprachen, sogar in
die hindostanische und japanische übertragen worden und ge-
hört namentlich in seiner kleinen Ausgabe zu den beliebtesten
Mitteln, sich über die Grundlagen der Chemie zu unterrichten.
Von besonderem Interesse ist es, daß Roscoe sich im Jahre 1911
in einem Aufsatze, der damals in der „Deutschen Revue" er-
schien, über das Verhältnis der Wissenschaft zum Kriege ge-
äußert hat. Er erklärte, daß der wissenschaftliche Geist gegen
den Krieg und für den Frieden sein und sich mit voller Kraft
dagegen auflehnen müsse, daß internationale Streitigkeiten mit
der gepanzerten Faust zum Austrage gebracht würden. Dabei
verkannte er nicht, daß die Wissenschaft vielfach die Technik
des Krieges in ganz außerordentlichem Maße entwickelt, aber
er wies auf die Möglichkeit hin, daß die Kriegführung schließ-
lich mit den Möglichkeiten der wissenschaftlichen Technik gar
nicht mehr werde Schi'itt halten können. Beispielsweise meinte
er, daß man doch in nicht allzu ferner Zeit nicht mehr wagen
würde, Dutzende von Millionen auf Riesenkampfschiffe auszu-
geben, wenn man in wachsendem Maße die Erfahrung machen
werde, daß diese Riesenschiffe in wenigen Jahren schon wieder
veralten. Ebenso legt er Gewicht darauf, daß die Leistungen
der Luftschiffahrt, die Errungenschaften der Chemie in der
Herstellung von Explosivstoffen und ähnliche Fortschritte der
Wissenschaft immer mehr dahin drängten, dem Kriege Einhalt
zu tun. Leider hat er mit dieser Auffassung nicht Recht
behalten. Goebel (nach Zeitungs-Mitteilungen).
Historische Klasse.
Die historische Klasse hat seit dem März 1915 schmerz-
liche Verluste erlitten, an Männern, die ihr und ihrer Wissen-
schaft etwas bedeuteten : 2 ordentliche, 2 auswärtige Mitglieder,
1 korrespondierendes haben Avir zu beklagen.
Im Vordergrunde steht uns Karl Theodor von Heigel. An
diesem 23. März wird es ein Jahr, daß er von uns geschieden ist.
150 Nekrologe
Die Akademie hat bei seiner Bestattung ihre Stimme erhoben, in
der Novembersitzung hat sein Nachfolger den Präsidenten und
die Persönlichkeit geschildert; die Klasse hatte zugleich ihrem
Sekretär die Pflicht auferlegt, ihn heute noch als Fachgenoss
zu würdigen. Freunde und Schüler haben inzwischen eindring-
lich und liebevoll von ihm gehandelt. Hinzuzusetzen ist im
Grunde nichts: es war die Eigenart seines Lebens und Wesens,
daß es aus einem Gusse war, einfach, gar nicht mißzuver-
stehen — einfach und doch reich.
Wir wissen: er war Münchener und ist es immer geblieben.
Als Schauspielerenkel und -söhn ist er hier (am 23. August
1842) geboren, hier hat er, mit mancherlei tapfer ertragener
Not, eine mühselige und doch helle Jugend durchlebt, hier
hat er studiert, hier wurde er 1866 Archivbeamter und 1873
Dozent, hier wurde er nach langem W^arten und mancher
Feindseligkeit 1883 Professor an der Technischen Hochschule
und 2 Jahre darauf an der Universität: er blieb ihr, auch
gegenüber einer lockenden Werbung, treu, volle 40 Jahre lang,
bis er 1913 von seinem Lehramt zurücktrat. Er hatte viele
Tausende durch seine Vorlesungen, Tausende auch durch sein
Seminar gehen sehen; er hatte eine Reihe fortarbeitender
Schüler erzogen, deren Dankbarkeit nur mit ihnen selber ster-
ben wird; er hatte weiten Scharen den Funken seiner Lehre,
seiner Anregung, seiner Gesinnung ins Herz gestreut. Er war
1877 außerordentliches, 1887 ordentliches Mitglied dieser Aka-
demie geworden: ihre Abhandlungen, Sitzungsberichte und
Reden zeugen von vieljähriger rastloser Mitarbeit. Er hat
ihren Ausschüssen angehört, ihre historische Kommission mit-
geleitet; er wurde 1904 ihr Präsident und Generalkonservator
der wissenschaftlichen Sammlungen des Staates. Er wuchs, über
seine Klasse hinaus, in die neuen, vielseitigen Aufgaben, in
die Sammlungen, denen er vorzustehen hatte, in die Gedanken-
kreise auch der Naturwissenschaft hinein, er half die Samm-
lungen mehren, er arbeitete für künftigen Ausbau und Aufbau.
Er gehörte auch seelisch der Gesamtakademie zu, alle Klassen
vereinigend, ausgleichend, in Sachlichkeit, Klugheit und Ver-
Nekrologe 151
ständnis. Er sprach zu Allen und für Alle und der Klang
seiner Stimme ist uns unvergeßlich, als könne er in diesen
Räumen nie verhallen. Er vertrat die Akademie draußen, im
deutschen und im Weltbunde der Akademien, und hoffte auf
deren Wachstum ; er war, so hat an seiner Bahre gesagt wer-
den können, für unsere Anstalt nicht nur der Mund, er war
ihr Herz.
Welch weiter Rahmen in alledem ! Dennoch nur ein Rah-
men: ausgefüllt erst durch eine starke lebenslange wissenschaft-
liche Produktion. Auch sie war münchnerisch nach Boden und
Art. Ich zähle auf — nicht seine Schriften, aber die Richtungen
seiner Arbeit.
Er begann, als W. v. Giesebrechts Schüler, der auch bei
C. A. Cornelius dankbar lernte, mit mittelalterlicher Forschung.
Der bayerischen und der Reichsgeschichte der Stauferzeit, Hein-
rich dem Löwen und Friedrich dem Rotbart galt seia erstes,
mit Sigmund Riezler gemeinsam herausgegebenes Buch (1867):
ein Rezensent der Historischen Zeitschrift rühmte seine Erzäh-
lung als klar, besonnen, quellenmäßig, und fand, daß sie lieber
bei den Tatsachen als bei Charakteristiken oder Gesichtspunkten
verweile. Heigel hat, in Ausgaben bayerischer Chroniken, ge-
legentlich in volkstümlicher Darstellung der Kaiser, spät noch
in gelegentlicher kritischer Untersuchung und stets in der Vor-
lesung die alte Liebe zum Mittelalter festgehalten. Aber seine
eigentliche Arbeit verschob sich früh. Das Archiv, dem er sich
eifrig und nutzbringend hingab, führte ihn in die bayerische
Neuzeit hinüber: seine selbständige Lebensarbeit galt zuerst
und vor Allem ihr, dem 17. und 18. Jahrhundert, und dem
19. daneben. DöUinger verschaffte ihm bei König Ludwig IL
Auftrag und Stoff zur Biographie Ludwigs I., die 1872 er-
schien: eine wertvolle Grundlegung der persönlichen Geschichte
des Herrschers in allen ihren vielseitigen und schöpferischen
Auswirkungen, gut erzählt, voller Tatsachen, mit ruhigem Ur-
teil. Sein eigener Weg ging zu Kaiser Karl VII. : seiner Kaiser-
wahl, dem österreichischen Erbfolgekrieg von 1740 hat Heigel
(1877) seine breiteste Forschung zugewandt, eindringlich und
152 Nekrologe
d
neu in der Kritik, neu im Gesichtspunkte, der Reichsgeschichte
des 18. Jahrhunderts, neu im archivalischen Stoffe, weit aus-
blickend in das politische Getriebe der Zeit, farbig von hundert
lebendigen Einzelzügen: das Buch war Leopold Ranke gewidmet.
Und diesen Zeiten blieb Heigel treu: in einer Fülle von Auf-
sätzen, deren frühere er in 2 Bänden „Quellen und Abhand-
lungen zur neueren Geschichte Bayerns" zusammenfaßte. Stets
enthalten sie archivalische Neuergebnisse, stets machen sie das
Staubige hell und frisch, stets veranschaulichen sie an Ver-
handlungen und Briefwechseln höfisches und persönliches Leben
vergangener Epochen. Er zog die Geschichte Nymphenburgs
anmutig in diesen Kreis hinein, er erweiterte ihn zu einer
inneren Gesamtanschauung der bayerischen Geschichte von 1648
ab: sie als Geschichte, umfassend und einheitlich, zu schreiben
ist dann freilich seinem Jugend- und Lebensgenossen Riezler
verblieben. Heigel ging seine Einzelpfade weiter, bis an sein
Ende, den Blick stets zugleich auf das Ganze gekehrt: Einzel-
menschen und Bücher, Briefe und Taten, Städte und Epochen,
er hat Alles, in Aufsätzen und Reden und volkstümlichen Über-
sichten, immer wieder beleuchtet. Jedoch er schritt weiter
hinaus: von der vaterländischen sofort zur Reichsgeschichte
und zur deutschen Geschichte. Bezeichnend, daß er da zuerst
insbesondere österreichische Gegenstände aufzusuchen liebte:
von Eugen und Maria Theresia zu Joseph II. und Metternich
hin; seine erste Essaysammlung erschien in Wien. Er kam
eben von Bayern her! Er umspannte aber auch Preußen, und
umspannte Europa: die französische Geschichte rückte immer
fester in seinen Arbeitsraum hinein. Und er schritt vom Zeit-
alter Friedrichs des Großen vorwärts in das der großen Revo-
lution: wie viel Bilder, persönliche und sachliche, hat er auch
da gemalt! Hier fand er die Berufung zu seinem breitesten
Lebenswerke: der Deutschen Geschichte vom Tode Friedrichs
des Großen bis zur Auflösung des alten Reichs, 1786 also bis
1806, dessen 2 starke Bände ihn von 1893 bis 1911 in all-
mählichem Erscheinen begleitet haben. Eine gewaltige Arbeits-
leistung, überall aus den Quellen geschöpft, wertvoll auch sie
Nekrologe 153
in der Forschung und im Gesichtspunkt zugleich : wieder schrieb
Heigel Reichsgeschichte anstatt der preußischen oder öster-
reichischen der Vorgänger, und er zog die Zeugnisse des öflFent-
lichen Geistes aus ganz Deutschland reich heran. Er schrieb
eine große Monographie, immer aber mit weitem Ausblick auf
Zeit und Zusammenhänge; er stellte den Sturz des alten Reiches
in stille Verbindung mit dem Aufstiege des preußisch-deutschen
neuen. Er sprach im Vorwort von dem ihm bleibenden Unter-
bewußtsein: „der Liebe zur engeren Heimat und zu den Stammes-
genossen"; aber dieses Werk vollzog durchaus den Übergang
in die volle Geschichte der Gesamtnation.
Aber noch weiter ging gleichzeitig seine eigene Entwick-
lung: über Ludwig L, zu dem er oft zurückkehrte, hinaus,
in die Tage der Reichsgründung hinüber: Bismarck, der ihn
stets gepackt hatte, wurde wieder und wieder beleuchtet; zu
den Aufsätzen und Reden traten knappe allgemeine Dar-
stellungen, deren Gipfel er wohl in dem kleinen Bändchen
seiner , Politischen Hauptströmungen in Europa im 19. Jahr-
hundert" 1906 erstieg. Sie haben ihn bis in die Weltweite
und die Gegensätze unserer Tage hineingeleitet. Er durch-
schritt die ganze Geschichte Deutschlands im Hinblicke auf die
Flotte und das Meer; er beurteilte Kaiser Wilhelm IT.; er
folgte, von Friedenshoffnungen herkommend, der Gegenwart in
den großen Krieg hinein; er erhob in ihm, stärkend, mahnend,
aufklärend, tapfer und milde, seine besonnene und reine Stimme,
und erst der Tod hat sie verstummen gemacht.
Wahrlich: von 1864 bis 1915 eine lange Kette histo-
rischer Tätigkeit. Ich suchte nachzuweisen, wie organisch sie
erwachsen ist. Sein Lebenswerk, so weit es ausgriff, ist ein-
heitlich im Wesen. Erstaunlich breit ist seine materielle Grund-
lage: ein selbständiges Wissen im Ganzen und im Einzelnen.
Li den Vordergrund schob seine Produktion gern das Einzelne.
Er hat es leise übel genommen, als 1895 ein historischer
Journalist ihn als den „Essayisten" Heigel abstempeln wollte.
Gewiß: der Einzelaufsatz, die lebendige Einzelgestaltung stand
ihm noch besser als das große Buch. Immer froher der Man-
1 54 Nekrologe
4
nigfaltigkeit schüttelten seine Aufsatzbände — es sind ihrer ja
11 geworden und wir hoffen, es werden noch mehr! — die
verschiedenartigsten Gegenstände in bunter Folge heiter durch-
einander; das Leben lockte ihn in allen Gestalten, zeitlichen,
nationalen, stofflichen. Aber freilich: hinter dem Gestalter
stand in jedem Augenblicke der Gelehrte. Er holte seine Steine
stets selber vom Marmorbruch. Er forschte stets selbständig,
stets mit bewußter Kritik; sein Urteil über vielumstrittene
Fragen war immer klar, wohlerwogen, sehr sachlich, sehr ruhig,
aber klug und beneidenswert gesund: man darf es niemals
übersehen. Er war gut geschult; wichtiger war: er war gut ge-
boren. Er konnte gar nicht anders als gesund sehen und fühlen.
Er sah alle Dinge sinnlich greifbar und gab sie so wieder.
Er hatte eine sehr bestimmte Abneigung gegen Allgemein-
heiten, gegen Abstraktes, gegen Konstruktionen. Weite luftige
Überschau, die die Dinge durch große Räume hin einheitlich
ordnet und scharf, begrifflich, auseinander- und zusammendenkt:
das war seine Sache, nicht. Er ging auf die Quelle, auf den
Einzelzug, auf das Einzelwort zurück: das hatte er stets zur
Verfügung; so durchwanderte er, an der Hand jeweils der
Zeitgenossen, in seiner Flottenrede rasch alle Zeitalter der
deutschen Geschichte. Er war nicht etwa eng oder klein: im
Einzelnen lebte ihm stets das Ganze, und im Greifbaren gab
er das Allgemeine. So in jenem Büchlein über die Haupt-
strömungen des 19. Jahrhunderts: es ist merkwürdig, wie vieles
darin steht; die historischen Strahlen brechen sich ihm in der
Einzelheit. Er sah das bunte Leben der Kultur, der Sitte;
stets hat er bildende Kunst und Literatur mit Kenntnis und
Liebe verfolgt und saftig veranschaulicht, er gab da Farbe an
Farbe, man könnte ihn vielleicht den Münchener Malern seiner
Werdezeit nebenordnen. Sein eigentlicher Gegenstand aber war
der Staat und seine Politik. Er war „politischer Historiker",
wenn auch ohne Ausschließlichkeit. Mit Richtungen und Pro-
grammen seines Faches hat er gelegentlich abgerechnet, mit
Treitschke, mit Taine, er nennt wohl auch Lamprecht. Grund-
sätzlichen methodischen Streit, theoretische Formulierungen aber
Nekrologe 155
vermied er, er ging den Weg des Praktikers und tat, was
ihm gemäß war. Er war der Mann des Friedens, der Ver-
einigung und nicht der Scheidung; aber sein Weg war ihm
völlig sicher. Er bildete unverdrossen, und ließ die Metho-
diker kämpfen. Er war der Sprößling eines Künstlergeschlechtes
und ein wenig selber Musiker und Poet, wenngleich er den
Maler in seiner Jugend an den Nagel gehängt hatte; er war
Münchener, er war Oberbayer: in seinem geistigen Wesen,
ebenso wie in seinem äußeren Auftreten, behaglich, warmblütig,
lebensfroh, wohlwollend, ein Freund des unmittelbaren Gefühles
und eines herzhaften guten Lachens. Das ist der Grundton
und die Wurzel seines Wesens : Niemand konnte es verkennen.
Er war Bayer und Süddeutscher: das bezeichnet seine
historische Stellung. Der Süden hat im 19. Jahrhundert weniger
führende Historiker gestellt als der Norden, gerade unter den
Staatshistorikern; das hängt mit den Kräften unseper Staats-
geschichte zusammen. Gervinus und Häußer sprachen im Zeit-
alter der Vorbereitung des Reiches für Süddeutschland; unter
den Späteren steht Heigel in der ersten Reihe, mit Riezler
zusammen vertritt er Bayern ganz vornehmlich in dem Ge-
schlechte, das 1840 und 50 geboren war. Aus dem Heimat-
boden sog er seine Kräfte; er war nicht Philosoph und gab
nichts auf die Probleme und Pointen, er analysierte nicht gern:
er sah sinnlich frisch, er sah die allgemeinen Fragen auch,
aber er gestaltete Alles nach seiner Art: gerade, fest, schlicht,
lebendig.
Und dabei doch: wieweit hinaus ging er aus der Heimat!
Seine Schriften haben es uns gezeigt; er durchreiste Deutsch-
land persönlich, erkannte es überall; und er war Deutscher
nach seinem Willen und seinem Glauben. Auch in ihm war
ein politischer Einschlag. Er war der Sohn der liberalen Zeit,
und für Geistesfreiheit hat er immer Lanzen gebrochen; sein
Nachlaß birgt kirchenpolitische Aufsätze aus den 70er Jahren:
der Kampf trat später immer mehr zurück, die Gesinnung und
das Bekenntnis blieben. Eigentlicher Kämpfer, wie so viele
seiner Zeit- und Fachgenossen, war er freilich nie. Er war der
156 Nekrologe
Sohn der nationalen Zeit, er lebte in der Einheit seines Volks.
Deutsch ist die innerste Anteilnahme, der letzte Ton seiner
Geschichtschreibung, etwa in seinem größten Werk; die deut-
schen Helden seiner eigenen Lebenstage, die Gründer des neuen
Reiches, standen seinem Herzen neben den Fürsten seines Hei-
matlandes, und er war beiden gleichermaßen treu. Er hat
Wilhelm I. und Bismarck geliebt und gefeiert. Einseitig zu
sein vermochte er nicht; die einzelnen Menschen wie die allge-
meinen Kräfte sah er, jedes nach seinem besonderen Rechte, in
seinen besonderen Grenzen; jedes empfand er, als Ganzes; auch
Menschenseelen analysierte er weniger, als daß er sie in ihrer
Einheit unwillkürlich ergriflp. Er erzählte am liebsten, und
wurde Allem gerecht. Die Historiker der voraufgegangenen
Generation rangen um das werdende Reich, die Droysen, Häußer,
Sybel, Treitschke; er wuchs in das Reich als fertiges hinein.
Er konnte die Gegensätze, die ehedem wider einander gestritten
hatten, zusammensehen und versöhnen: das entsprach seiner
Geburtszeit und seinem Wesen, und es entsprach seiner Her-
kunft aus dem Süden. Daß er Bayer blieb und Deutscher
war, diese Einheit erschien seit Jahrzehnten als seine selbst-
verständliche Besonderheit. So hat er für beide das Wort ge-
führt; so hat er, als ein Herold des neuen Reiches, nicht als
Parteimann, sondern stets als Mann der Gesamtheit, mit Rede
und Feder dieses Neue gepriesen, verteidigt, vertieft und für
dieses Neue, für die Einigkeit zwischen Nord und Süd, zwischen
Reich und Sonderstaat Verständigung schaffend geworben. So
hat er als Schriftsteller und Lehrer weithin und heilvoll ge-
wirkt. So hat er wissenschaftlich in seiner Deutschen Geschichte
die Einseitigkeiten der Vorgänger überwunden: der Bayer Heigel
stand in beiden Lagern, er verstand auch Osterreich; es war
ein Fortschritt auch in der geschichtlichen Erkenntnis, und
ein Baustein für eine erweiterte nationale Zukunft.
Und somit war sein Wesen wirklich aus einem Gusse;
keine Risse und Spalten, keine Probleme und Gegensätze: das
Alte und Neue, das Engere und Weitere versöhnte er zu voll-
kommener Harmonie. Es war nicht die schöpferische Führer-
Nekrologe 1^7
kraft der Leidenschaft und des Genius; aber es war eine
reiche und getreue Mitarbeit am großen Werke von Wissen
und Leben, aus mitfühlender und doch eigener und kräftiger
Seele. Er war gütig und nachgiebig, ohne sich je aufzugeben;
er war männlich, aber nicht streitfroh; Alles an ihm erschien
selbstverständlich und naturhaft, gesund und unbefangen, und
war doch in ehrlicher Arbeit ganz innerlich durchlebt; er war
seiner selbst gewiß und in aller natürlichen Bescheidenheit
doch voll eines einfach klaren Selbstgefühls.
Seine eigene Gestalt, die wir alle kannten und liebten, hat
dieses geistige Wesen wundervoll gespiegelt: wurzelecht und
schlicht, sicher und hoch, gütig und klug; die Form seiner
Rede, seines Stiles, seiner Bücher spiegelte es gleichermaßen.
Er war ein Darsteller von Geburt; welche Bilder von Men-
schen, Landschaften, Städten, Stimmungen, welche Abtönung
des Worts! Er begann 1880 lebhafter, flotter, er endete mit
ruhigeren Tönen: aber wie einheitlich und voll wirkt noch
sein Dantonbildnis von 1914! Seine eigene Art als Geschicht-
schreiber, die sich immer treu blieb, ruht auf festem und un-
zerstörbarem Grunde: denn die lebendig ergriffene Einzeltat-
sache muß allezeit die Unterlage aller geschichtlichen Er-
kenntnis bleiben, und wer sie hinstellt und darstellt und warm
erfaßt, der kann niemals ganz veralten. Heigel machte sie
lebendig, weil er lebendig war. Wie hat er auch zu uns ge-
sprochen — einfach und fein zugleich; das Wort nie im Augen-
blicke und doch immer für den Augenblick geformt, Mittel
und Zweck in steter Einigkeit, der Künstler stets hinter dem
Manne der Repräsentation; Alles sicher, Vertrauen erweckend,
fest und warm; und weil es seine selbstverständliche Form
besaß, so war es voll Aussicht auf Dauer. Dauer erwarten wir
für das Beste seiner Arbeit, und für das Bild seiner Persönlich-
keit selbst: im Rahmen seiner Zeit, die aus ihm sprach, das
Bild eines ganzen Menschen voll innerer Echtheit und schlichter
Notwendigkeit. Ich weiß, damit ist viel gesagt. Daß wir ihn
nicht vergessen werden, diese Treue versteht sich von selbst.
Für das Weitere sorge die höhere Treue, die er selber in sich
1 58 Nekrologe
trug und erwies, die Treue gegen sich, gegen die Kräfte, die
er besaß und zu betätigen hatte, gegen das Land, das er liebte.
Sein Andenken wird gesegnet sein.^) E. Marcks.
Am 2. Oktober 1915 beschloß in dem bei Traunstein ge-
legenen Bade Adelholzen das ordentliche Mitglied der histo-
rischen Klasse, Geheirarat Dr. Franz Ludwig von Baumann, Direk-
tor des K. Allgemeinen Reichsarchivs, ein an Mühen und Er-
folgen reiches Leben.
Er vpar am 8. Juni 1846 als der Sohn bürgerlicher Eltern
zu Leutkirch in Württemberg geboren, verbrachte seine Jugend-
zeit im benachbarten Wangen, wohin der Vater bald nach der
Geburt des Sohnes verzog, widmete sich nach Absolvierung
des humanistischen Gymnasiums Kempten in den bewegten und
für Deutschlands Entwickelung so entscheidungsvollen Jahren
1866—71, die auch für ihn eine Zeit schwerster innerer und
äußerer Spannung waren, an der Universität München zunächst
philosophischen und theologischen, dann juristischen und histo-
rischen Studien, wirkte vom Jahre 1872—1895 im Dienste des
Fürsten zu Fürstenberg in Donaueschingen, wo er während
einer 23jährigen Dienstzeit vom Registrator bis zum Vorstand
des Archivs, der Bibliothek und der sonstigen fürstlichen Samm-
lungen aufstieg, und wurde im Jahre 1895 in das K. Allge-
meine Reichsarchiv berufen, dessen Leitung er 1903 übernahm.
1) Heigels Schriften: Aufzählung im Almanach der Akademie von
1909, S. 361 ff., seitdem in den Chroniken der Universität; seit 1909 folgte
noch eine Reihe von Aufsätzen (besonders in den Süddeutschen Monats-
heften, daneben der Historischen Zeitschrift und der Deutschen Rund-
schau) und Reden (besonders in den Schriften der Akademie) und Samm-
lungen (12 Charakterbilder 1913, Deutsche Reden 191G). Schriften über
Heigel: an autobiographischen besonders der Aufsatz bei Zils, Geistiges
und künstlerisches München 1913, S. 151 — 6; Aufsätze von S. v. Riezler
(Bayerische Staatszeitung' 3. Juni 1915), von K. AI. v. Müller (besonders
N. Fr. Presse 24. April 1915, Südd. Mon. Dez. 1913, Juni 1915), von
J. Striedinger (vor den Deutschen Reden 1916), von E. König (Historisches
Jahrbuch 36, 476 ff.). Worte des Sekretärs am Grabe, Münch. N. Nachr.
26. März 1915, vgl. Staatszeitung 28. März. Dazu natürlich die Gedenk-
rede des Präsidenten unserer Akademie.
Nekrologe i 59
Baumann war ein Oberschwabe, ein Allgäuer, und ein
Mann aus dem Volke. Das ist er Zeit seines Lebens geblie-
ben, auch auf wissenschaftlichem Gebiete. Schon am Gym-
nasium hatte er eine besondere Zuneigung zum Studium der
Geschichte gefaßt. Sie wurde an der Universität genährt und
gefestigt unter dem nachhaltigen Eindrucke seines Lehrers Cor-
nelius, der ihn auch in die Methode der historischen Forschung
einführte. Die Richtung hat er seiner wissenschaftlichen Tätig-
keit selbst gegeben. Sie galt von Anfang an seiner ober-
schwäbischen Heimat, deren verschwiegenste Winkel er schon
in jungen Jahren sammelnd und forschend durchstreifte und
auf deren Boden er die meisten und die gesegnetsten Jahre
seines Lebens verbrachte. Gerade die glückliche Vereinigung
von seltener Ortskenntnis mit sicherer Handhabung der histo-
rischen Methode machte seine Forschungstätigkeit so fruchtbar.
Er erhob sich dabei von Anfang an über bloße Lokalgeschichte:
den Blick vom Engeren aufs Weitere gerichtet verfolgte er
die Geschichte seiner Heimat im Rahmen der deutschen und
der allgemeinen Entwickelung, ging er den großen Fragen der
deutschen Geschichte auf dem engeren Boden seiner Heimat nach.
Das zeigte er gleich in seiner Erstlingsschrift „Die ober-
schwäbischen Bauern im März 1525 und die zwölf Artikel"
(1871), worin er Stellung nahm zur vielumstrittenen Frage
nach dem Ursprünge des großen Bauernaufstandes und der
zwölf Artikel, einem Probleme, das ihn Jahrzehnte lang in
seinem Banne hielt, zu dessen Lösung er „Quellen zur Ge-
schichte des Bauernkrieges in Oberschwaben " (1876) und „Akten
zur Geschichte des Bauernkrieges in Oberschwaben " (1877)
herausgab und dem er noch im Jahre 1896 eine Abhandlung
„Die zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern" widmete.
Daneben beteiligte er sich an der Herausgabe des Fürsten-
bergischen Urkundenbucbes, untersuchte die Grafschaftsverfas-
sung im württembergischen Schwaben und schrieb zahlreiche
andere größere und kleinere Abhandlungen, deren wertvollste
er später (1899) unter dem Titel „Forschungen zur schwäbi-
schen Geschichte" in einem besonderen Buche zusammenfaßte,
160 Nekrologe
Der Geschichte seiner Heimat war auch seine umfassendste
literarische Arbeit gewidmet, die ihn durch 13 Jahre beschäf-
tigte, seine dreibändige „Geschichte des Allgäus* (1882—94).
In ihrer glücklichen Vereinigung von umfassender, alle Gebiete
des inneren Lebens gleichmäßig umspannenden Gelehrsamkeit
und von volkstümlicher Auffassung und Darbietung hat sie sich
in der Bibliothek des Gelehrten wie in der Stube des gemeinen
Mannes einen ehrenvollen Platz erworben, ist sie ein Volks-
buch im besten Sinne des Wortes geworden.
Ein Jahr nach der Vollendung dieses Werkes verließ er
seine schwäbische Heimat und trat in den bayerischen Staats-
dienst und damit in den Interessenkreis der bayerischen Haupt-
stadt, mit der ihn seit seiner Studentenzeit und seit seiner
Vermählung mit der Tochter eines eifrigen Mitgliedes des
Görreskreises warme Beziehungen verbanden. Seiner Liebe zur
alten Heimat ist er auch hier treu geblieben, seine wissen-
schaftliche Tätigkeit wandte sich aber je länger je mehr der
Geschichte der neuen Heimat zu. Schon in Donaueschingen
hatte er im Auftrage der Direktion der Monumenta Germaniae
Historica eine der schwierigsten Aufgaben der Gesellschaft über-
nommen, die Herausgabe der schwäbischen Nekrologien. In
München erschien ein neuer Band, der die bayerischen Diözesen
Brixen, Freising und Regensburg umfaßte, ein monumentales
Werk hingebender und entsagungsvoller Forscherarbeit. Als
Mitglied unserer Akademie förderte er durch eigene Mitarbeit
den Fortgang der Monumenta Boica. Daneben galten seine
Studien und Forschungen der älteren Geschichte Münchens,
dem reichen Urkundenbestande des Klosters Benediktbeuern,
der Geschichte der bayerischen Landesarchive, der Herausgabe
der archivalischen Zeitschrift. Alles das mit der Vielseitigkeit
seiner historischen Kenntnisse und Interessen, mit der Zähig-
keit eines nie ermüdenden Sammeleifers, mit der sicheren Be-
herrschung der kritischen Methode, mit der Einfachheit einer
aller Phrase abholden Darstellung, eines Spiegelbildes seines
äußeren und inneren Wesens.
Beim Eintritt in den bayerischen Staatsdienst winkte ihm
Nekrologe 161
das hohe Ziel, auch die Verwaltung der bayerischen Archive,
die einen der kostbarsten Schätze des bayerischen Staates bergen,
mit seinem wissenschaftlichen Geiste zu erfüllen. Die Ordnung
der Archivbenützung vom Jahre 1899 atmet etwas von diesem
Geiste. Die geplante Neuorganisation der bayerischen Landes-
archive sollte er nicht mehr erleben, ebensowenig als es ihm
vergönnt war, sein wissenschaftliches Lebenswerk mit einem
Unternehmen abschließend zu krönen, dessen Plan ihn viele
Jahre beschäftigte, mit einer Rechtsgeschichte der süddeutschen
Lande, die seine alte und seine neue Heimat, Schwaben und
Bayern, umfassen sollte. Doeberl.
Am 11. August 1915 starb im 76. Lebensjahre das aus-
wärtige Mitglied der historischen Klasse, Herr Heinrich Brunner,
K. Preuß. Wirkl. Geheimer Rat und Professor des deutschen
Rechts an der Universität zu Berlin.
Unter den mancherlei Verdiensten dieses hervorragenden
Juristen sind es die um die rechtsgeschichtliche Forschung,
um deren willen unsere Akademie Wert darauf legte, ihn unter
ihre Mitglieder zählen zu dürfen. Brunner war ein Meister
konstruktiver Jurisprudenz; sein scharfes logisches Denken, sein
geschultes Unterscheidungsvermögen hat mehr als ein Stück
der praktischen Wissenschaft vom heutigen Recht literarisch
gefördert, und ungezählte juristische Praktiker, die zu den
Füßen dieses Lehrers gesessen, sind ihm zeitlebens für starke
Anregung in ihrem Berufe dankbar geblieben. Aber haupt-
sächlich war er doch Rechtshistoriker. Es war mehr Zu-^
fällen zu verdanken, wenn er in die sogenannte Rechtsdogmatik
hineingeführt wurde; das Arbeitsfeld seiner Wahl war von An-
fang an und blieb bis zuletzt die Rechtsgeschichte. Für ihn,
den warmblütigen Deutschösterreicher, die Rechtsgeschichte des
deutschen Volkes!
Mit Begeisterung hat er sich in seiner Jugend dieses
Wissensgebietes bemächtigt. Sie fesselte die Geduld in ihm,
womit er keinen der vielverschlungenen Seitenwege scheute,
Jahrbuch 1916. 11
162 Nekrologe
um es zu erweitern und zu bereichern. Damit hängt ein
Charakterzugseiner wissenschaftlichen Persönlichkeit zusammen,
wodurch er sich von den meisten seiner germanistischen Fach-
genossen unterschied, die Weite seines Gesichtskreises. Gleich
in seinen Anfängen, als er, der Schüler Theodor Sickels, von
fränkischen Forschungen ausging, ließ er sich auf die Tochter-
rechte des fränkischen Rechts, das altfranzösische und das anglo-
normannische, führen, die damals in Deutschland als Arbeits-
gebiete vereinzelter Spezialisten galten und denen dafür die
andern Germanisten um so sorgfältiger aus dem Weg gingen.
Er hat sich mindestens mit gleicher Gründlichkeit wie jene
Spezialisten und außerdem mit sehr viel strengerer Kritik auf
die fränkischen Tochterrechte geworfen. Ohne sie hätte er seine
einflußreichsten Arbeiten gar nicht zustande bringen können.
Aber niemals hat er sich dazu verleiten lassen, als Spezialist
in ihnen aufzugehen. Immer wieder hat er den Weg zurück-
gefunden zu der Hauptaufgabe auf dem deutschen Boden, die
er sich einmal gestellt hatte. So behielt er auch immer einen
offenen Blick für die von andern gepflegten Studien in den
Quellenkreisen der nordgermanischen Rechte, schon von den
siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts an, als die sonst
führenden Geister in der deutschen Juristenwelt für alle ein-
schlägigen Forschungen nur ein bald spöttisches, bald mit-
leidiges Lächeln hatten. Keiner verwertete bereitwilliger wie
er, keiner mit verlässigerem Gefühl für das jeweils Zutreffende
die Ergebnisse der skandin avistischen Forschungen für seine
deutschrechtlichen Arbeiten. Um es zu können, muß er die
altskandinavischen Sprachen verstanden haben. Niemals jedoch
gelüstete es ihn, den Schein eigenen fachmännischen Betriebs
jener Studien zu erwecken. Auch auf dem deutschrechtlichen
Forschungsgebiet vermied er es, sehr im Gegensatz zu den
meisten seiner germanistischen Zeitgenossen, beim Recht eines
bestimmten Stammes oder Landes stehen zu bleiben. Es kam
ihm stets, — auch beim Durcharbeiten von Einzelproblemen, —
darauf an, ein umfassendes Bild des gesamtdeutschen Zustandes
zu gewinnen, ohne doch die Besonderheiten von dessen parti-
Nekrologe 163
kularen Vertretern zu vernachlässigen. So lag der verglei-
chende Rechtshistoriker in seinem großzügigen Wesen.
Freilich halten sich in ihm das synthetische und das
analytische Talent auch jenes Gleichgewicht, das die Grund-
bedingung jedes gedeihlichen komparativen Forschens ist. Für
ihn gibt es keine gewaltsame Kombination etwa um einer ver-
blüjBFenden These willen. Immer ehrlich gegen sich selbst ver-
langt er von sich vor allem Rechenschaft über die Festigkeit
der Unterlagen, auf die er seine Schlüsse baut. Daher auch
die klassische Ruhe, die seinen schriftstellerischen Vortrag so
erquicklich macht.
Echter Historiker aber ist Brunner, indem er es nicht
dabei bewenden läßt, die rechtlichen Erscheinungen der Ver-
gangenheit zu beschreiben, sondern indem er auch darauf aus-
geht, sie durch ihre Ursachen zu erklären. Und sein offener
Blick findet diese ebenso und oft noch mehr außerhalb der
Rechtszustände wie in deren innerem Zusammenhang. Darum
ist seine Aufmerksamkeit allem Geschichtlichen zugewandt, ins-
besondere den Staatsbegebenheiten, dem Wirtschaftsleben, den
militärischen Verhältnissen, den religiösen Bewegungen, Wenn
er dabei niemals seine rechtswissenschaftliche Aufgabe aus dem
Auge verliert, das Nichtjuristische ihm stets nur Mittel zum
Zweck bleibt, so hat er doch durch seine beständigen Aus-
blicke darauf die jedem Historiker unerläßliche Fähigkeit in
sich groß gezogen, sich in den Charakter der Zeiten zu ver-
setzen. Es kommt ihm nicht in den Sinn, die frühgermanischen
Zustände mit denen eines Naturvolkes zu verwechseln, und
ebensowenig, den vergangenen Geschlechtern moderne Vor-
stellungen unterzuschieben.
Ein so einsichtiger, redlicher und strenger Forscher scheut
auch die mühseligste Kleinarbeit nicht. Brunner sammelt immer
das ganze ihm zugängliche Material. Nie begnügt er sich mit
dem Verwerten von Vorarbeiten, in deren Kenntnis ihn doch
Keiner übertrifft. Das ganze erforderliche Rüstzeug bringt er
mit. In umfassender Kunde und eingehender Kritik der Quellen,^
in Diplomatik und Paläographie ist er von Anfang an geschult.
XI*
164 Nekrologe
In germanischen und älteren romanischen Sprachen zeigt er
sich bewandert. Von linguistischer Methode besitzt er eine so
klare Vorstellung, um zu wissen, daß etymologische oder lexi-
kalische Argumente kein Spielzeug sind, dessen sich der Rechts-
historiker nach Belieben bedienen darf. Gerade darum ging
er mit Freude darauf ein, als ihm erstmals der Plan vorge-
tragen wurde, den gesamten Wortschatz der deutschen Rechts-
sprache durch fachmännische Hände sammeln zu lassen. Er
war es, der die Anregung an die Berliner Akademie weiter
gab und sie dazu bestimmte, die Mittel für ein deutsches Rechts-
wörterbuch bereit zu stellen, und er hat die dafür eingesetzte
Kommission bis zu seinem Tode geleitet.
Es kann hier nicht daran gedacht werden, die Entdeckungen
aufzuzählen, die wir Brunner verdanken, oder auch nur die
Titel aller Abhandlungen und Bücher zu nennen, die er ge-
schrieben hat. Auch außerhalb juristischer Kreise weiß man,
daß in die ersten Jahre seines Aufstiegs ein Buch über die
Entstehung der Schwurgerichte fällt, das ihm einen Weltruf
verschafft hat. Es krönte eben jene Arbeiten über das frän-
kische und dessen Tochterrechte, von denen früher die Rede
war und deren Nebenfrüchte in verschiedenen kleineren Studien
vorliegen. Noch mehr vielleicht als unter Juristen ist unter
den Historikern sein Buch über die Rechtsgeschichte der römi-
schen und germanischen Urkunde bekannt, das neben man-
cherlei vorbereitenden Abhandlungen, nicht nur eine Gruppe
von Rechtsinstituten ans Licht gezogen, sondern auch den Ver-
fasser in die vorderste Reihe der Diplomatiker gestellt hat.
Allen Geisteswissenschaftern bekannt ist das Werk seiner zweiten
Lebenshälfte, seine deutsche Rechtsgeschichte. In diesem Werk
sollten „die seit einem halben Jahrhundert [nämlich seit Karl
Friedrich Eichhorn] durch Spezialuntersuchungen gewonnenen
Ergebnisse unter Dach und Fach gebracht* und dem Bedürf-
nis nach einer „umfassenden nicht an den Rahmen eines kurzen
Lehrbuches gebundenen Darstellung der deutschen Rechts-
geschichte" abgeholfen werden. Brunner nahm den gewal-
tigen Plan in seiner gewohnten Art. Er gibt nicht bloß eine
Nekrologe 165
künstlerisch gerundete Zusammenfassung der bis dahin errun-
genen entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnisse auf dem Ge-
biet der kontinentaldeutschen Rechte. Er geht vielmehr allen
Problemen noch einmal selbständig nach. Beinahe auf jeder
Seite suchte er über sie unmittelbar aus den Quellen ins Reine
zu kommen. Ein solches, selbst bei gedrängter Fassung viel-
bändiges Unternehmen hätte eine längere Zeit als die seines
Lebens beansprucht, auch w^enn er es in früheren Jahren be-
gonnen hätte und auch wenn er nicht schon bald nach dem
Erscheinen des zweiten Bandes genötigt gewesen wäre, eine
durchgreifend erneute Auflage des ersten zu bearbeiten. So
steht, wie unser unvergeßlicher Brinz sagen würde, auch dieser
Dom bis jetzt unvollendet. Die Rechtsgeschichte ist nicht über
den zweiten Band, der noch nicht einmal den Stoff der soge-
nannten fränkischen Zeit vollständig erschöpft, hinaus gediehen.
Zahlreiche Nebenarbeiten, die sämtlich in den Dienst des großen
Werkes gestellt und hauptsächlich in den Sitzungsberichten
der Berliner Akademie und in der Zeitschrift für Rechtsge-
schichte veröffentlicht sind, sowie eine Gesamtskizze, seine in
6 Auflagen erschienenen , Grundzüge der deutschen Rechts-
geschichte" lassen ahnen, welchen Gewinn die Wissenschaft
von einer Weiterführung seines Hauptwerkes zu erwarten ge-
habt hätte.
Brunners rechtshistorisches Wirken war indes nichts weniger
als rein literarisch. Wenn auch kein glänzender Dozent hat
er doch im persönlichen Verkehr viele jüngere Kräfte zum
Nacheifern angeregt. Schüler nicht nur aus deutschen sondern
auch aus manchen fremden Ländern haben auf fortgeschrit-
tenen Stufen ihrer eigenen Entwicklung ihn aufgesucht. So
sind viele tüchtige Erstlingsarbeiten unter seiner Aufsicht ent-
standen, darunter solche von Gelehrten, die jetzt selbst schon
eines angesehenen Namens sich erfreuen. Seines Anteils am
Zustandekommen des deutschen Rechtswörterbuches, der sich
keineswegs auf die kommissarischen Geschäfte beschränkte, ist
schon gedacht worden. Ganz ähnlich hat er als Leiter der
Leges- Abteilung der Monumenta Germaniae gewirkt, zwar ohne
166 Nekrologe
jemals selbst einen Text herauszugeben, doch als Meister in
der Kritik der Texte.
An äußerer Anerkennung hat es seinen Verdiensten nie-
mals gefehlt. Frühzeitig waren Hochschulen ersten Ranges
darauf bedacht, ihn für sich zu gewinnen. Viele gelehrte Ge-
sellschaften nahmen ihn unter ihre Mitglieder auf. Die höch-
sten staatlichen Auszeichnungen, die nur Geistesarbeitern gelten
wollen, sind ihm zuteil geworden. Der schlichte, sachliche
Mann hat in solchen Ehren niemals ein Ziel seiner Laufbahn,
sondern höchstens, wenn es dessen für ihn noch bedurft hätte,
den Antrieb dazu erblickt, seiner Lebensaufgabe bis zum Ende
zu dienen. v. Amira.
Auch Alfred Dove, geboren zu Berlin am 4. April 1844,
gestorben zu Freiburg i. Br. am 21. Januar 1916 als auswär-
tiges Mitglied unserer Klasse, ist Jahre lang deren ordentliches
Mitglied gewesen: von 1893 — 97, als er in München die Zeit
seiner vielleicht reichsten und genußreichsten Entfaltung ver-
brachte. C, A. Cornelius' freie Weitherzigkeit hat den zum
Journalisten gewordenen Professor damals in die gelehrte Körper-
schaft eingeführt, Dove hat zu ihr geredet und blieb Mitglied
ihrer historischen Kommission. Er selber nannte sich freilich
einen sehr unakademischen Menschen und war es auch; und
doch trug er in sich allein eine ganze Akademie: das anschei-
nend Widerstrebendste traf sich in Doves Seele und Leben.
Er hatte Verständnis für alles Geistige, woher immer es wehte;
er war ungewöhnlich reich und ungewöhnlicher Gegensätze voll.
Der Sohn und der Biograph des berühmten Physikers und
Meteorologen, hatte er als Naturforscher begonnen und hielt
diese Bande lebenslang fest, auch nachdem er, noch als Stu-
dent, zur Geschichte übergegangen war. Er lernte als Histo-
riker bei Häußer, dem politischen Kämpfer, bei Jaffe, dem
Philologen, und bei Ranke, dem Meister aller Meister. Er wurde
Historiker und Publizist zugleich; er war ja Student in den
deutschen Kampfesjahren von 1862 ab; der Schüler Häußers
Nekrologe 167
wurde 1870 Redakteur, scliuf sich seine eigene Wochenschrift
Im Neuen Reich, und kehrte 1891 nach 17 jähriger Pause zur
Journalistik zurück als Herausgeber der Wissenschaftlichen
Beilage zur Allgemeinen Zeitung und zeitweilig der Zeitung
selbst. Der Drang zum Wirken ließ ihm also nicht Ruhe,
und doch war er keineswegs Politiker von Temperament. Als
Historiker war er vielmehr ganz streng rankisch: der Mann
der reinen Gerechtigkeit und der reinen Betrachtung, der über
den Dingen stand; er war weitschauend und wahrhaft gelehrt,
und doch mehr Genießer der Geschichte als eigentlicher Ge-
lehrter. Er war von 1874 ab in Breslau, von 1884 ab in
Bonn Professor und kehrte 1897 von der Zeitung an die Uni-
versität zurück: als Freiburger, Emeritus und Badischer Ge-
heimer Rat ist er gestorben. Er war ein feiner Lehrer, man
sagt: für die Masse ein allzu feiner; vielleicht ein besserer
Erzieher noch, so hat man ihn einmal gefeiert, für Professoren
als für Studenten. Sein Leben hat den beweglichen Skeptiker
zum Mitglied und Haupt gelehrter Gesellscbaften gemacht: er
leitete sie sicher, mit lächelnder Liebenswürdigkeit, äußerlich
über alle Gegensätze erhaben, im Innersten gütig und zart, in
seiner Form manchmal von stachlichem und gefürchtetem Sar-
kasmus. So war er auch als geistige Persönlichkeit: sprühend,
funkelnd, fast blendend mit einem unablässig wechselnden Lichte
— und dennoch in der Tiefe seines Wesens der Träger eines
ganz bestimmten Ideals, einer bestimmten, zäh, ernsthaft und
ehrfürchtig, ja abweisend und kriegerisch festgehaltenen, gei-
stigen Kultur.
Er hat keine großen Bücher geschrieben; verdienstvolle
Forschungen wohl; die große Geschichtschreibung geriet ihm
etwas zu essayistisch, er warf sein Buch über Friedrich den
Großen (1883), kaum angefangen, weg und überließ das Erbe
dem stärkeren Reinhold Koser. Aber er schrieb geistige
Biographien: ein feines lebensvolles Buch über Alexander v. Hum-
boldts Spätzeit (1872) und andere, kürzere Naturforscherbio-
graphien. Auch Großherzog Friedrich von Baden mit seinem
nur halb politischen Grundzuge lockte und belohnte den Zeit-
168 Nekrologe
genossen und den Geist in ihm. Vor allem Leopold Ranke
wurde sein Held: den größten unserer Geschichtschreiber hat
dieser feinste seiner Schüler wundervoll durchdrungen und ge-
spiegelt, seine Rankeschriften sind klassisch. Und daneben
seine übrigen Aufsätze: er hat sie, ganz Dovisch, als „Aus-
gewählte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts", mit
einer Widmung an Paul Heyse, 1898 in einem starken Bande
zusammengefaßt, dem man dringend eine Nachlese wünscht.
Es ist eines der reizvollsten Bücher unserer Literatur; es ent-
hält sein Mustergültiges und Bleibendes; wie seine Rankeschriften
nicht eigentlich stark, ein wenig zersplittert auch hier, aber
von eigenstem Werte, Da sind Reden und Aufsätze von vollem
wissenschaftlichem Gehalte, biographische Skizzen und Tages-
artikel, kritische Gänge und Streitaufsätze zur Geschichte und
Literatur. Alles wohlgegründet, fein, durchdacht und durch-
gearbeitet, scharf, dabei ganz Form: ganz Geist, Grazie und
Witz. Es sind kleine Kunstwerke von beinah raffiniertem Reize,
höchst eigen, und doch nicht verletzend preziös. Wo das Herz
ihm schlug, sind auch die Töne voller und wärmer: der Patriot
und Publizist blickt dann hindurch. Aber der Kern ist An-
mut — hinreißend wie in seiner Unterhaltung, eine geschliffene
natürliche Anmut, wie sie der Deutsche so selten besitzt. Das
alte geistige Berlin mag da wohl zum Ausdruck kommen, ein
wenig leichtflüssiges schlesischesBlut als Vatererbe, andere fremd-
artigere Beisätze vielleicht zudem ; und die Widersprüche seines
Wesens beleben das Bild. Alfred Doves geistige Art bietet
der geschichtlichen Einordnung seiner Erscheinung ein Problem,
das die Mühe lohnt; er freilich würde sich solche Einordnung
verbitten. Das nachfolgende Historikergeschlecht ordnete und
dachte, reflektierte und klassifizierte ihm ohnehin viel zu viel;
es war ihm teils zu grob und teils zu fein. Er wollte die Dinge
unbefangener betreiben, er blieb Er und hatte keine Lust, die
Nachkommenden auch noch zu verstehen. Er gehörte zur
Generation Paul Hejses, der ja auch Altberliner war und
halber Süddeutscher wurde wie Dove. Er trug vielerlei in
sich: einen Abglanz Aufklärung — nicht von ungefähr waren
Nekrologe 1 "9
die beiden zweiten Friedriche, der Hohenstaufe und der Hohen-
zoller, seine Helden; einen stärkeren Zug von Klassik und von
Romantik dazu, von Naturwissenschaft und von Politik über-
dies. Er versenkte sich in alle diese Strömungen, er wurde
Herausgeber aus Liebe, für Goethe, für Ranke und außerdem
für Bismarck; AI. v. Humboldt habe ich schon genannt. Es
war ein ästhetisch-humanistischer Trieb in ihm, ein Drang zur
Harmonie, zur Einheit bei all seiner spielenden Vielheit, und
diese so zusammengeflossene Kultur von 1860 und 70 trug er
in sich und stellte er in sich dar mit entzückender Feinheit,
aber eben auch mit einer ablehnenden Geschlossenheit gegen
alles Neue, die sich wehrte durch Witz. Er war der Schöpfer
kleiner Kunstwerke und selber ein Kunstwerk: als solches, als
eine Kraft von seltener Anregung hat er seine näheren Um-
gebungen überall durchleuchtet und auf das zeitgenössische
Geistesleben wahrscheinlich mannigfach eingewirkt. Wie er
war und wirkte, dem wird vielleicht die Nachwelt nachspüren:
er war voll Lebens und wird, so denke ich, anregungsreich und
Fragen aufrufend weiterleben in der Geschichte des Geistes.^)
E. Marcks,
Am 15. Juli 1915 starb zu Antwerpen Dp. IVIax Rooses,
seit 1899 korrespondierendes Mitglied unserer Akademie. Ge-
boren am 10. Februar 1839 in Antwerpen hatte er frühzeitig
die Leitung des Museum Plantin Moretus daselbst übernommen,
das durch seine Ordnungstätigkeit und Forschungen zu seiner
jetzigen kunstgeschichtlichen Bedeutsamkeit erwuchs. Seine
umfassenden und gründlichen Publikationen verschafften ihm
auch die Mitgliedschaft der Akademien von Brüssel und Ant-
werpen, wie eine eingehende Würdigung seiner Verdienste in
J. van de Vennes Mannen van Beteckenis in onze dagen, Haar-
lem 1893. Wir können von seinen zahlreichen Werken nur
die umfänglicheren und epochemachendsten hervorheben. So
^) Vgl. Reden am Grabe Alf. Doves, Freiburger Akad. Mitteilungen
1915—6, 10. (H. Finke, Eb. Gothein.) Ein Aufsatz Fr. Meineckes in der
Historischen Zeitschrift steht zu erwarten.
170 Nekrologe
das preisgekrönte Buch: Geschiedenis der Antwerpsche Schilder-
school, s'Gravenhage 1878, drei Jahre später zu München in
deutscher Übersetzung erschienen. Dann die sieben Bände
der Levenschets, Gent 1873—1885, und das fünfbändige Werk
L'oeuvre de P. P. Rubens, Antwerpen 1886 — 1892. Seine
Tätigkeit hielt auch bis ins Greisenalter an, wie das inhalt-
reiche und durch erschöpfende, meist monographistische Litera-
turnachweise und durch nahezu 700 Illustrationen nach Haupt-
stücken aller Kunstzweige höchst brauchbare Handbuch be-
weist, das unter dem Titel: Flandre, Histoire generale de Tart
1813 in. Paris, dann verdientermaßen in deutscher, englischer,
spanischer und italienischer Sprache erschienen ist. Rooses'
Name wird mit der kunstgeschichtlichen Forschung der Nieder-
lande, speziell Belgiens, dauernd verknüpft bleiben.
V. Reber.
Von ihren korrespondierenden Mitgliedern verlor die histo-
rische Klasse am 15. August 1915 Bernhard von Slmson, den
75 jährigen Emeritus der Freiburger philosophischen Fakultät,
persönlichen Schüler Rankes und Giesebrechts, sachlichen Schüler
vor allem von Waitz, einen vielverdienten Forscher der strengen
mittelalterlichen philologisch-historischen Richtung, einen ern-
sten, zurückhaltenden und wahrhaftigen Mann. Seine wich-
tigsten Arbeiten sind nicht ohne Zusammenhang mit München:
seine Jahrbücher Ludwigs des Frommen und Karls des Großen,
die er der Historischen Kommission, sein Abschluß von Fried-
richs I. Geschichte in Giesebrechts , Kaiserzeit *, den er der Pietät
für den verstorbenen Lehrer seiner Jugend dargebracht hat.^)
1) Vgl. A. Dove in der Historischen Zeitschrift 115, 469 ff.
171
Öffentliclie Sitzung
der K. Akademie der Wissenschaften
am 15. November 1916.
Die Sitzung eröffnete der Präsident der K. Akademie der
Wissenschaften Herr Crusius mit folgender Ansprache:
Königliche Hoheit!
Exzellenzen!
Verehrte Anwesende!
Unsre Einladung zum heutigen Tage mußte Seiner Majestät
dem König auf seine Fahrt an die Ostfront nachgesandt werden.
Aber sie wurde überholt durch die Botschaft von dem Helden-
tode Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Heinrich. Mit
Seiner Majestät und dem Königlichen Hause, als deren Ver-
treter wir S. K. Hoheit den Prinzen Alfons unter uns zu
sehn die Ehre haben, gedenken wir des jungen Fürsten in
aufrichtiger Trauer. Ich darf wohl sagen: er stand auch uns
nahe, der Führer des Leibregiments, jetzt vor Allem, durch
die Erlebnisse und Bekenntnisse unsrer Söhne und Schüler,
seiner Untergebenen, die ihm in Begeisterung und Dankbarkeit
zugetan waren. Sein Bild bleibt uns, bleibt der kommenden
deutschen Jugend, als Vorbild: pflichttreu und tatkräftig, vor-
nehm und schlicht, mit der Herzensgüte des Starken. Der
christliche Ritter.
Als ich vor einem Jahre an dieser Stelle stand, lebten
wir wohl alle der Hoffnung, daß der W^iederkehr des Tages
172 öffentliche Sitzung am 15. November
das Zeichen des Friedens leuchten werde. Und immer noch
hält unser Volk Wache am Eisendamm!
Ich sprach damals zum Thema scientia oder philosophii
militans.
Die Arbeit der Wissenschaft für den Krieg, die Anpassung
der Wissenschaft, auch der wissenschaftlichen Persönlichkeit,
an den Krieg, an die Zwecke der militärischen Maßnahmen,
vollzog und vollzieht sich weiter. Die Veröffentlichungen der
Kaiser-W'ilhelms- Gesellschaft, der Akademien und Institute,
des deutschen Museums, eigne Beobachtungen und Erlebnisse
könnten reichen Stoff darbieten, um den Faden weiter zu
spinnen.
Aber heute möchte ich den Blick auf die andre Seite
der Medaille lenken, auf der geschrieben steht: militia philo-
sophans.
Sie wissen wie die Feldgrauen und ihre Führer in unsrem
Sinne draußen tätig sind, wie mit den deutschen Heeren die
deutsche Kulturarbeit vorrückt. Auch in diesem engern Kreise
bewährt sich das, wie ich schon im vorigen Frühjahr andeuten
konnte: Inter arma florent Musae. Unsre Kollegen, unsre
Mitarbeiter und Schüler im Feld leisten uns Tag für Tag
wertvolle Dienste. Reiches Material strömt nach wie vor aus
den Schützengräben in die Sammlungen für den bayrischen
Dialekt, die Soldatensprache, die Soldatenlieder. Ein Mit-
arbeiter des Thesaurus, der seit dem Kriegsbeginn als Front-
offizier bei der Infanterie tätig ist, fand auch im Unterstand
Muße und Spannkraft, seine wissenschaftlichen Beobachtungen
fortzusetzen. Bei der Eröffnung und dem Ausbau der bis zu
zehn Meter tiefen Schachte und Stollen, die der Stellungskrieg
erheischt, entdeckt das wissenschaftlich gebildete Auge geolo-
gische, paläontologische, vorgeschichtliche Schätze, die auch
unter dem Donner feindlicher Geschütze für die Wissenschaft
gehoben und geborgen werden.
Vor allem ist es die geologisch -paläontologische Staats-
sammlung, deren Vorstand, Herr Rothpletz, diesmal über wert-
volle Forschungen von den Kriegsschauplätzen berichten konnte.
n
I
Ansprache des Präsidenten 17o
So schickte aus der Kreide von Arras Herr Leutnant
Dr. Garnier (1. Bayer, Res.-Inf.-Rgt.) eine Anzahl von großen,
zu Schaustücken sehr geeigneten Gesteinsproben und Fossilien.
Von Herrn cand. geol. Leutnant Abel (1. Bayer. Inf.-Rgt.)
erhielten wir eine Serie hübscher Pflanzenreste aus dem nord-
französischen Steinkohlengebirge und Herr Major 0. Roesch
(Bayer. Res.-Inf.-Rgt Nr. 8) beschenkte uns mit einem 50 cm
im Durchmesser aufweisenden verkieselten Stammfragment eines
Laubholzes aus den ältesten Tertiärschichten von Berny en
Santerre bei Peronne.
Vom serbischen Kriegsschauplatz glückte es Herrn cand.
geol. Leutnant Weckert (3. Jäger-Rgt., seit dem Sturm auf
Thiaumont vermißt) aus dem Morawa-Tal und der Gegend
von Istip verschiedene krystalline Gesteine und Eruptivgesteine
— die einzigen bis jetzt von dort in unserer Sammlung ver-
tretenen Stücke — uns zukommen zu lassen.
Einen interessanten, einzigartigen Saurieroberarm aus dem
Ob. Muschelkalk der Nord-Vogesen erhielten wir kürzlich
durch den Kriegsgeologen Herrn Vizefeldwebel Dr. E, Kraus.
Eine ganze Reihe reichhaltiger Zuwendungen kamen uns
aber aus dem Jura der Gegend von Verdun zu. So war vor
allem der Gustos unsrer Sammlung, Herr Privatdozent Dr. E.
Dacque, welcher seit Ende des Jahres 1915 in der Gegend
von Mars la Tour, im Woewre und bei St. Mihiel als Feld-
geologe tätig ist, bemüht, durch systematische Aufsammlungen
namentlich von Gesteinsproben, Lücken in unsrer Sammlung
zu füllen; im gleichen Sinne bedachte uns, auch aus dem
nämlichen Gebiet, der Feldgeologe Dr. Lebling, während
uns der Zugführer-Stellvertreter cand. geol. Gißer (vom Bayer.
Lazarett-Trupp 4) mit hübschen Versteinerungen aus der Ge-
gend von Gonflans beschenkte. Die Gegend Vilosnes an der
Maas bis Damvillers mit dem Ormont-Wald, im Norden von
Verdun, in welcher die jüngsten Schichten des Jura aufge-
schlossen sind, wurde von den Herrn Leutnant Dr. Wecker
(Res.-Fuß-Art.-Rgt. Nr. 13) und Herrn Leutnant F. Sturm
(Res.-Fuß-Art.-Rgt. Nr. 18) nach Fossilien und Gesteinsproben
174 Öffentliche Sitzung am 15. November
gründlich durchsucht, unter denen uns eine geschlossene Profil-
serie vom Ormont - Wald, durch Herrn Sturm gesammelt,
sehr wertvoll ist, da sie uns den Anschluß an die Aufsamm-
lungen Dr. Dacques bietet.
Bei weitem die umfangreichste und gleichzeitig ganz be-
sonders schöne Sammlung aus dem Jura des altberühmten Fund-
platzes von St. Mihiel wurde uns durch S. K. Hoheit den Prinzen
Franz von Bayern, Kommandeur der 4. Bayer. Inf.-Division
zuteil. Es sind persönliche Aufsammlungen S. K. Hoheit. Sie
enthalten eine nahezu vollständige Fauna des dortigen, an Ver-
steinerungen so überaus reichen Diceras- Kalkes, Diese sind
zu vergleichenden Studien mit den Diceras -Kalken unseres
fränkischen Jura von hohem wissenschaftlichen Wert und
bergen eine Reihe äußerst seltener Versteinerungen, unter
denen merkwürdige, von dort bis jetzt kaum bekannte, nun
aber in zahlreichen schönen Exemplaren aufgefundene Krabben-
reste (Prosoponiden, Maskenkrebse) besonders genannnt zu
werden verdienen.
All diesen Spendern, insbesondere aber S. K. Hoheit dem
Prinzen Franz von Bayern, sei an dieser Stelle der herzlichste
Dank ausgesprochen.
Auch andre Sammlungen haben wertvollen Zuwachs zu
verzeichnen, vor allem unser Münzkabinett, durch eine Schen-
kung ganz köstlicher, künstlerisch trefflicher Stücke. Doch
•wie viele unter den Anwesenden mögen diesem Schatz in
seinem Dornröschenschloß je genaht sein!
Im Leben der Akademie herrschte eine stärkere Bewegung
als in manchen Friedensjahren. Eifrig wurden organisatorische
Fragen verhandelt und seit Menschengedenken zum erstenmal
trat eine Vollversammlung aller Mitglieder (auch der außer-
ordentlichen) zusammen, um Mitteilungen von allgemeiner,
über die Klassen hinausreichender Bedeutung entgegenzu-
nehmen.
Ernster als je sprach zu uns in dieser schweren Zeit die
Ansprache des Präsidenten 175
Sorge um die uns anvertrauten wissenschaftlichen und künst-
lerischen Besitztümer, um ihre Unterbringung und Sicherung.
Wir wissen, daß nach dem Friedensschluß der Staat vor
allem für das zu sorgen hat, was, im buchstäblichen Sinne,
not tut. Es wird heißen: primum vivere, deinde philosophari.
Aber es sind wirklich brennende Bedürfnisse, um deren
Befriedigung sich die Vorstände unsrer Sammlungen bemühen.
Vielleicht darf schon jetzt der HojBFnung Ausdruck gegeben
werden, daß die freiwillige und private Hilfe den Leistungen
des Staats in noch größerem Umfang, wie bisher, ergänzend
zur Seite tritt, wie das so erfolgreich in Berlin geschehn ist
bei der Gründung des Kaiser Wilhelm-Instituts, und zuletzt
bei der Erwerbung der beiden herrlichen Kunstwerke, der
thronenden Griechengöttin und des neuen Tizian, um einen
Preis, der uns den Bau eines ethnographischen Museums er-
möglichen würde. Das soll nicht etwa Bemängelung dieses
Schrittes sein; es war bedeutsam genug, daß Deutschland so
mitten im Kriege seine Stellung als europäische Kulturmacht
festlegte und sich auch auf diesem Gebiet gegen seine Rivalen
behauptete.
Das bedeutsamste Ereignis war für uns der Arbeitsbeginn
in der Samsonstiftung, die mit sehr erheblichen Mitteln
die Erforschung der Tatsachen und Ziele des sittlichen
Lebens zu fördern bestimmt ist.
Die Kommission, aus Mitgliedern aller Klassen gebildet,
ist zusammengetreten und hat sich in fruchtbarem Gedanken-
austausch über die nächsten Aufgaben geeinigt; auch hier sei
wieder der Name des Unvergeßlichen genannt, der das Richt-
fest nicht mehr mitfeiern konnte: Karl Theodor von Heigel.
Es wird doch wohl eine Epoche in der Geschichte unsrer
Akademie bedeuten, daß sich hier Vertreter der Naturwissen-
schaften und der Geisteswissenschaften zu gemeinsamer sach-
licher Beratung einer geraeinsamen großen Aufgabe zusammen-
fanden.
176 ÖflFentliche Sitzung am 15. November
Gestern ging der zweihundertjährige Gedenktag eint
Königs im Reiche der Gedanken still ins Land.
Gottfried Wilhelm Leibnitz kann man feiern als G<
lehrten und Denker, als Diplomaten und Politiker, als guter
Deutschen und guten Europäer. Wir Akademiker verehrei
in ihm vor allem den Wiederbeleber des Gedankens der Aka-
demie und der akademischen Arbeitsorganisation.
Leibnitz, die mächtigste Arbeitskraft seit Aristoteles, war
ein universaler Geist, mehr als das, ein uorao universale, aber
zugleich, auf historischem und mathematischen Gebiet, durch
erfolgreiche Einzelarbeit als Spezialist heimisch.
Die Einsicht, man kann sagen: das Erlebnis, daß der Ein-
zelne die grundlegende Einzelarbeit nicht auf allen Gebieten
lernen und leisten kann, führt zu der Forderung der Arbeits-
organisation in den Akademien. Die Samsonstiftung
und andre, schon in der Luft schwebende Zukunftspläne, lassen
uns einmal wieder die Zusammengehörigkeit der Klassen
und Disziplinen im Sinne Leibnitzens stärker empfinden, als es
sonst bei der Tagesarbeit zu geschehn pjflegt.
Die Samsonstiftung sucht ihre Sache teils durch Preis-
aufgaben zu fördern, teils durch Unterstützung bestimmter, in
bewährter Hand liegender Arbeiten.
Als Preisaufgaben wurden gewählt:
Die Ehe im alten Griechenland.
Es gibt noch keine umfassende Darstellung der Ehe im
alten Griechenland, die über die Zusammenhäufung antiqua-
rischen Materials hinausginge und sich auch nur auf den Stand-
punkt des für seine Zeit verdienstvollen Buches von A. Roß-
bach über die römische Ehe hinaufarbeitete.
Der Stoff ist ungemein reich und fruchtbar, da die recht-
liche, religiöse, sittliche Auffassung nach Landschaften und Zeiten
stark variiert. Diese Variationstypen sind herauszuarbeiten,
Gesichtspunkte. Die rechtliche Seite der Ehe: Ehe in
Familien Verfassung und Staatsordnung; Ehebegründung und
Ansprache des Präsidenten 177
Eheform (Monogamie, Polygamie, Pellikat, Frage der Poly-
andrie); Eheerschwerung; Heiratszwang; Scheidung; Recht der
Kinder; Ehe in den Bevölkerungsschichten minderen Rechts;
Sklavenehe; Epigamie. — Die religiöse Seite der Ehe: Ehe-
verbote und Ehezwang im Kult. — Die sittliche Auffassung
der Ehe: Die eheliche Treue nach Recht und Sitte; die For-
derungen der Philosophen {ya/uixä jiaQayyeXjuara). — Die tat-
sächlichen Zustände nach Gerichtsreden , Inschriften und an-
dern historischen Dokumenten.
Nicht gewünscht wird, daß die hellenistischen, insbe-
sondere alexandrinisch- ägyptischen Verhältnisse schon jetzt
bearbeitet werden.
Der Vorstand der Samson- Stiftung setzt als Preis für
eine in jeder Hinsicht genügende Lösung der Aufgabe 4000
(viertausend) Mark und die Veröffentlichung der Arbeit
auf Kosten der Stiftung aus. Es ist zulässig, daß sich zu
einer solchen Lösung mehrere Arbeitskräfte verbinden. Sollten
nur teilweise genügende Arbeiten eingehen, so behält sich der
Vorstand das Recht vor, auch nur einen entsprechenden Teil
des Preises zuzuerkennen.
Als Termin, bis zu welchem die Preisbewerbung einge-
langt sein muß, wird der 31. Dezember 1920 festgesetzt.
Nur druckfertige Reinschriften in deutscher Sprache sind zur
Preisbewerbung zugelassen. Sie sind ohne Nennung der Ver-
fasser, aber mit Kennwort bezeichnet bei der K. bayer. Aka-
demie der Wissenschaften (München, Neuhauserstraße 51) ein-
zureichen.
Mit dem Griechentum beginnt Europa: dieser ältesten
Kraftquelle, deren Wirkungen noch heute überall zu spüren
sind, geht die erste Preisaufgabe nach.
Mit dem Weltkrieg — fast hatte es den Anschein, als
ob mit dem Weltkrieg Europa endete, das in seiner Gesin-
nung doch wesentlich durch das geistige Erbgut vom Altertum
her zusammengehalten wurde.
Jahrbuch 1916. 12
178 öffentliche Sitzung am 15. November
Die zweite Preisaufgabe stellt sich an diesen Endpunkt,
wagt sich mitten in den Streit des Tages, den Krieg der
Waffen und der Seelen. Sie verlangt eine Untersuchung über:
Die ethischen Gefühle und Vorstellungen bei den
europäischen Völkiärn während des Weltkrieges.
Der gegenwärtige Weltkrieg bietet vielfach Anlaß zu rein
wissenschaftlich wertvollen Beobachtungen, insbesondere auf
dem Gebiete der Massenpsychologie und der Ethik. Diese
Beobachtungen zu sammeln, zu beschreiben und zu analysieren,
solang sie noch frisch sind, liegt im Interesse der ethischen
Wissenschaft. Von solchen Arbeiten würden wesentliche Bei-
träge zur Lösung der Frage nach der Relativität der Moral-
gesetze und in Verbindung damit auch nach ihrer Entstehung
zu erwarten sein.
Unter den Einzelfragen, die zu beantworten sein werden,
sollen nur beispielsweise die folgenden hervorgehoben sein.
Welche Mittel haben die kriegführenden Völker zum Be-
kämpfen ihrer Feinde für erlaubt erachtet? Welche Kriegs-
ziele haben sie sich gesetzt und aus welchen Motiven? Wie
glaubten sie sich gegen Kriegsgefangene verhalten zu sollen?
— wie gegen die Neutralen? — wie gegen die eigenen An-
gehörigen? Wozu fühlten sie sich insbesondere verpflichtet
gegen ihre kriegsbeschädigten Soldaten, gegen deren Familien,
gegen die Hinterbliebenen von Gefallenen? Wie verhielten
sich die Neutralen bei ihrer Beurteilung von Kriegführenden?
Inwieweit glaubten die einen oder anderen, unter dem Deck-
mantel der Neutralität Kriegführende unterstützen zu dürfen?
Inwieweit ist in der Volkswirtschaft der Eigennutz hinter den
Gemeinsinn zurückgetreten? In welchem Verhältnis stehen
die Phänomene, die man unter den angegebenen oder unter
verwandten Gesichtspunkten feststellen kann, zu dem, was vor
dem Krieg für erlaubt oder für verwerflich galt? Wenn sich
in dieser Hinsicht Veränderungen zeigen , wie sind daran die
verschiedenen Schichten des nämlichen Volkes beteiligt? Welche
Ansprache des Präsidenten 17 J
Ursachen vermögen sie zu erklären? Unter welchen Einflüssen
sind insbesondre die Massen dabei gestanden?
Bei allen Untersuchungen über derartige Fragen ist mög-
lichst genaue Analyse der beobachteten Erscheinungen zu
fordern auf Grund eines möglichst breiten Quellenmaterials.
Zu diesem Zweck werden die belangreichen Äußerungen der
offiziellen, der Tages- und der Gelegenheitsliteratur zu sam-
meln und zu klassifizieren, es wird, wo irgend möglich, auch
der Geheimliteratur nachzugehen, auch die ebenso bezeich-
nende wie einflußreiche Illustration zu berücksichtigen sein.
Die Beschaifung dieses Materials wird keine allzugroßen
Schwierigkeiten machen, da verschiedene gut dotierte öffent-
liche Sammlungen, wie z. B. in München, in Berlin, in Ham-
burg schon seit dem Beginn des Krieges alles Erreichbare
aus den verschiedenen Ländern aufgespeichert haben. Gerade
solche Aufgaben wie die vorliegende sind notwendig, wenn
diese Sammlungsbestände nicht totes Kapital bleiben sollen.
Der Vorstand der Samson- Stiftung betont, daß ihm nur
eine allseitige und gründliche Bearbeitung des Themas ge-
nügen wird. Alles Dilettantische wird er ablehnen ebenso
wie jede Arbeit, die nicht politische Nebenrücksichten aus-
schließt. Gegen eine Vereinigung mehrerer Arbeitskräfte zu
gemeinschaftlicher Lösung der Aufgabe wird er keinen Ein-
wand erheben.
Als Preis für eine in jeder Hinsicht genügende Lösung
der Aufgabe, sei es, daß sie von einem Einzelnen herrührt
oder durch die Zusammenarbeit von Mehreren erzielt ist, setzt
der Vorstand 6000 (sechstausend) Mark aus den Stiftungs-
mitteln sowie die Veröffentlichung der Arbeit auf Kosten
der Stiftung aus. Sollten nur teilweise genügende Arbeiten
eingehen, so behält sich der Vorstand vor, einen entsprechenden
Teil des Preises zuzuerkennen.
Der Termin, bis zu welchem die Preisbewerbung einge-
langt sein muß, wird auf den Ablauf des fünften Jahres
nach dem letzten Friedensschluß festgesetzt. Nur druckfertige
Reinschriften in deutscher Sprache sind zur Preisbewerbung
X2*
180 öffentliche Sitzung am 15. November
zugelassen. Sie sind ohne Nennung der Verfasser, aber mit
Kennworten bezeichnet bei der K. bayer. Akademie der Wissen-
schaften (München, Neuhauserstraße 51) einzureichen.
Das sittliche Leben der Menschen läßt keine Experimente
zu. Daher muß, im Sinne der Stiftung, ein möglichst reicher
empirischer Stoff gesammelt und verarbeitet werden. Neben
der Psychologie, der Geschichte, der Philologie hat hier die
Ethnologie eine Hauptarbeit zu leisten. Wir hoffen bald über
Pläne auch in dieser Richtung Mitteilungen machen zu können.
Eine Reihe von sonstigen Zuwendungen aus der Samson-
Stiftung kommen naturwissenschaftlichen, insbesondere biolo-
gischen Arbeiten zugute, und zwar:
2000 Jl an Geheimen Hofrat Dr. Otto Frank für Unter-
suchungen über tonische Erregungen des Zentralnervensystems,
1000 Jl an den Botaniker Karl Ortlepp in Gotha für
Untersuchungen über die Beeinflußbarkeit der Füllung von
Tulpen und deren Vererbung,
500 JC an Geheimen Hofrat Dr. Rücke rt für Unter-
suchungen am nervus sympathicus des Sterlet,
3000 JC an Geheimrat Dr. v. Gruber zu den von ihm
angeregten Tierversuchen zur Erzeugung von Mutationen.
Auf den ersten Blick mag es auffällig erscheinen, daß
die Samson- Stiftung, die der Ethik dienen will, nicht nur
Untersuchungen über das Nervensystem, sondern auch Ver-
suche auf dem Gebiet der Tier- und Blumenzucht unterstützt.
Aber die Darlegungen der Herren v. Göbel und v. Gruber
gehen von dem Gedanken aus, daß die Frage der Vererbung
eine Fundamentalfrage ist für das sittliche Leben. Der größte
ethische Segen, der dem Menschen mitgegeben werden kann,
ist die Erziehung vor der Geburt, wie das Schlagwort heißt:
Eugenik und Eupädie. Schon in Arbeiten, die aus dem
Münchner psychologisch - philosophischen Seminar hervorge-
gangen sind, werden die Fragen der Vererbung, der Bela-
Ansprache des Präsidenten 181
stung und Entlastung an die berühmten Versuche des Augu-
stinerabtes Mendel über Blumenzucht und an Arbeiten Hert-
wigs angeknüpft.^) Hier, bei dem Tier und der Pflanze, ist
auch das Experiment möglich und wird die Voraussetzungen
erkennen lassen, unter denen die Träger des sittlichen Lebens,
die menschlichen Individuen, sich heranbilden.
Wie ein bedeutsames Gutachten (v. Gruber) ausführt, ist
das moderne Leben mit seinen wissenschaftlich - technischen
Hilfsmitteln und seinen ethischen Anforderungen der auslesen-
den Macht der Natur so erfolgreich in den Arm gefallen, daß
die Erhaltung und Vermehrung der Minderwertigen, der
„Minusvarianten", Bedenken für das Gesamtwohl des Volkes
erwecken könnte. Das Gutachten leitet daraus eine Pflicht
ab und eine Aufgabe: die Pflicht auch innerhalb der mensch-
lichen Gesellschaften bewußte Zuchtwahl zu treiben und die
Aufgabe „die Bedingungen für die Variation zu studieren,
um sie, wenn möglich, in einem für die Gesamtheit nützlichen
Sinne beherrschen zu lernen".
Nach dem Willen des Stifters soll der Vorsitzende der
Kommission für die Samson -Stiftung ein Vertreter der biolo-
gischen Naturwissenschaften sein.
So klingt auch von hier aus der moderne, und doch ur-
alte biologische Imperativ in die kommende Zeit, in diese
schwere Zeit, wo es gilt, die Kräfte unsres Volkes zu er-
neuen und zu erhöhen.
Man kann diesen Imperativ etwa in die Worte zusammen-
fassen: was sittlich sein will, hat zunächst den Gesetzen des
Lebens, des aufsteigenden Lebens, zu dienen.
In diesem Sinn mögen wohl einmal unsre theoretischen
Arbeiten ein praktisches Scherflein beisteuern zu dem Kriegs-
schatz im Kampf für die deutsche Zukunft.
^) Genannt sei Dr. Carl Rath, Über die Vererbung von Dispo-
sitionen zum Verbrechen. Münchener Studien zur Psychologie und
Philosophie, 2. Heft. Stuttgart 1914.
182 Öffentliche Sitzung am 15. November
Die Klassensekretäre verkündeten folgende in der allge-
meinen Sitzung am 15. Juli 1916 vollzogenen und von Seiner
Majestät dem König bestätigten Wahlen:
Philosophisch - philologische Klasse :
a) als ordentliche Mitglieder:
1. Dr. Friedrich Wilhelm Freiherr von Bissing, ord. Pro-
fessor der Ägyptologie und orientalischen Altertums-
kunde an der Universität München,
2. Dr. Erich Petzet, Bibliothekar an der Hof- und Staats-
bibliothek in München,
3. Dr. Karl Voßler, ord. Professor der romanischen Philo-
logie an der Universität München,
b) als korrespondierendes nun außerordentliches
Mitglied:
Dr. Erich Becher, ord. Professor der Philosophie, jetzt an
der Universität München,
c) als korrespondierende Mitglieder:
1. Dr. Joseph Seemüller, K. K. Hofrat, emerit. Professor
der deutschen Sprache und Literatur an der Univer-
sität Wien,
2. Dr. Hugo Blümner, ord. Professor der klassischen Philo-
logie an der Universität Zürich,
3. Dr. Ignaz Goldziher, K. K. Hofrat, ord. Professor der ara-
bischen Sprache und Literatur an der Universität Budapest.
Mathematisch -physikalische Klasse:
a) als ordentliches Mitglied:
Dr. Richard Willstätter, Geh. Hofrat, ord. Professor der
Physik an der Universität München,
b) als außerordentliche Mitglieder:
1. Dr. Robert Emden, außerord. Professor der Physik und
Meteorologie an der Technischen Hochschule München,
Wahlen 183
2. Dr. Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach, außerord.
Professor der Geologie und Paläontologie an der Uni-
versität München,
3. Dr. Heinrich Wieland, außerord. Professor der Chemie
an der Universität München,
c) zu korrespondierenden Mitgliedern:
1. Dr. Max von Frey, ord. Professor der Physiologie an
der Universität Würzburg,
2. Dr. Emanuel Kayser, Geh. Rat, ord. Professor der Geo-
logie und Paläontologie an der Universität Marburg,
3. Dr. Georg Klebs, Geh. Rat, ord. Professor der Botanik
an der Universität Heidelberg.
Historische Klasse:
a) als ordentliches Mitglied:
Dr. Georg Leidinger, Oberbibliothekar an der Hof- und
Staatsbibliothek in München,
b) als korrespondierende Mitglieder:
1. Dr. Heinrich Friedjung, Privatgelehrter in Wien,
2. Dr. Eberhard Gothein, Großh. Bad. Geheimrat und ord.
Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität
Heidelberg,
3. Dr. Otto Hirschfeld, Geh. Regierungsrat und ord. Pro-
fessor der alten Geschichte an der Universität Berlin.
Sodann hielt das ordentliche Mitglied der mathematisch-
physikalischen Klasse, Geheimer Hofrat Dr. S. Finsterwalder,
einen Vortrag über
„Alte und neue Hilfsmittel der Landesvermessung".
184 Nachtragsbewilligungen
Aus dem Etatsposten „Besondere wissenschaftlicKe Publikationer
wurden im Laufe des Jahres 1916 bewilligt:
1. von der philosophisch-philologischen Klasse:
für die Drucklegung von Külpes Vorlesungen über
Erkenntnistheorie 500 JL
für das Schwäbische Wörterbuch an Prof. Dr. Her-
mann von Fischer in Tübingen für die Jahre
1915 und 1916 je 300 J^ = 600 Jt
für die Herausgabe der mittelalterlichen Bibliotheks-
kataloge 1000 Jt
2. von der^mathematisch-physikalischen Klasse:
als Druckunterstützung für die Abhandlung Dr. Buch-
ners über „Vergleichende Eistudien" .... 1200 Ji
3. von der historischen Klasse:
zur Bearbeitung der „Monumenta Boica" .... 1000 Ji
zur Herausgabe der Arbeit des Direktors Dr. Hugo
Graf über den Speierer Dom 1100 Ji^
Außerdem wurden 1000 Ji Prof. Dr. Wilhelm Prandtl
zur Untersuchung seltener Erden aus der Koenigs-Stiftung zum
Adolf von Baeyer-Jubiläum zugewiesen.
185
Personalstand.
(Ende 1916.)
Protektor:
SEINE MAJESTÄT DER KONIG.
Verwaltung. (
Präsident:
Dr. Otto Crusius, Großh. Bad. Geh. Hofrat, o. Univ. - Professor für
klassische Philologie, geb. 20. Dez. 1857 zu Hannover (o. 1905,
a. 0. 1903), Widenmayerstr. 10/111.
Sekretär der philosophisch-philologischen Klasse:
Dr. Ernst Kuhn, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für arische Philologie,
geb. 7. Febr. 1846 zu Berlin (o. 1883, a. o. 1878), Heßstr. 2/II.
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse:
Dr. Karl Ritter v. Goebel, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des K. Botanischen Gartens und des Pflanzenphysiologischen
Instituts, geb. 8. März 1855 zu Billigheim, Baden (o. 1892), Menzinger-
straße 15 (Botan. Garten).
Sekretär der historischen Klasse:
Dr. Erich Marcks, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Geschichte, geb.
17. Nov. 1861 zu Magdeburg (o. 1913, korr. 1898), Mauerkircherstr. 41.
Syndikus:
Dr. Karl Mayr, Honorarprofessor für Geschichte an der Universität, geb.
28. März 1864 zu Krumbach (a. o. 1909), Römerstr. 26/0.
186 Personalstand
Bibliothek:
Bibliothekar: Dr. Adolf Hilsenb eck, Bibliothekar der K. Hof- und Staats-
bibliothek.
Kanzlei:
Kanzleisekretär: Adolf Reichel.
Diener: — —
Kassen Verwaltung :
Kassier: Hans Dehn er.
Kassesekretär: Leonhard Meier.
Haus:
Hausverwalter: Joseph Ennichl.
Hausdiener und Heizer: Peter Hufnagl.
Pförtner und Hilfsheizer: Anton Schwald.
Buchhändler der Akademie:
G. Franzscher Verlag (Kgl. u. Herzogl. Bayer. Hofbuchhändler J. Roth),
Ottostr. 3 a.
187
Ehrenmitglieder.
1892 Ihre Königliche Hoheit Prinzessin The res e von Bayern.
1911 Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern.
Ordentliche und ausserordentliche Mitglieder.
Philosophisch - philologische Klasse.
Ordentliche Mitglieder
(nach dem Jahre der Wahl und nach dem Stande Ende 1916).
Dr. Ernst Kuhn (o. 1883, a. o. 1878), s, Klassensekretär S. 185.
Dr. Nikolaus Weck lein, K. Geh. Hofrat, Gymnasialrektor a. D., geb.
19. Februar 1843 zu Gänheim (o. 1887, a. o. 1872), Possartstr. 12/0.
Dr. Hermann Paul, K. Geh. Rat, o. Professor fär deutsche Philologie,
geb. 7. Aug. 1846 zu Salbke bei Magdeburg (o. 1893, ausw. 1892),
Kaulbachstr. 62a/II.
Dr. Iwan Ritter v. Müller, K. Geh. Rat, o. Univ. -Professor für klassische
Philologie und Pädagogik, geb. 20. Mai 1830 zu Wunsiedel (o. 1894,
a. 0. 1893, korr. 1876), Siegfriedstr. 21/1.
Dr. Georg F. Graf v. Hertling, Exz., Staatsrat i. o. D., Staatsminister
des Kgl. Hauses und des Äußern, lebenslänglicher Reichsrat, geb.
31. Aug. 1843 zu Darmstadt (o. 1899, a. o. 1896), Promenadeplatz 22.
Dr. Karl v. Amira, o. Univ. -Professor für deutsche Rechtsgeschichte
deutsches bürgerliches Recht, Handelsrecht und Staatsrecht, geh
8. Februar 1848 zu Aschaffenburg (o. 1901), Möhlstr. 37.
Dr. Otto Crusius (o. 1905, a. o. 1903), s. Präsident S. 185.
Dr. Franz Muncker, Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für neuere insbe-
sondere deutsche Literaturgeschichte, geb. 4. Dez. 1855 zu Bayreuth
(o. 1906, a. 0. 1901), Liebigstr. 28/lV.
Dr. Paul Wolters, o. Univ.-Professor für Archäologie, geb. 1. Sept. 1858
zu Bonn (o. 1908, korr. 1903), Tengstr. 20/1 r., vom 1. März an Viktor
Scheffelstr. 16/n.
Dr. Friedrich Vollmer, o. Univ.-Professor für klassische Philologie, geb.
14. Nov. 1867 zu Fingscheidt (o. 1908, a. o. 1906), Mauerkircher-
straße 26/III.
188 Personalstand
Dr. Wilhelm Streitberg, o. Univ.-Professor für indogermanische Sprach-
wissenschaft, geb. 23. Februar 1864 zu Rüdesheim a. Rh. (o. 1911,
a. o. 1909), Isabellastr. 31/11.
Dr. Clemens Baeumker, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Philosophie,
geb. 16. Sept. 1858 zu Paderborn (o. 1913, a. o. 1912, korr. 1909), Franz
Josephstr. 30/1.
Dr. August Heisenberg, o. Univ.-Professor für mittel- und neugriechische
Philologie, geb. 13. Novbr. 1869 zu Osnabrück (o. 1913, a. o. 1911).
Hohenzollernstr. IIO/III.
Dr. Erich Berneker, o. Univ.-Professor für slavische Philologie, geb.
3. Febr. 1874 zu Königsberg in Preußen (o. 1913, a. o. 1911), Mauer-
kircherstraße 16/11.
Dr. Friedrich Wilhelm Frhr. v. Bissing, o. Univ.-Professor für Ägyp-
tologie und orientalische Altertumskunde, geb. 22. April 1873 zu
Potsdam (o. 1916, a. o. 1909), Georgenstr. 10 — 12.
Dr. Erich Petzet, Bibliothekar an der K. Hof- und Staatsbibliothek,
geb. 3. Mai 1870 zu Breslau (o. 1916, a. o. 1910), Clemensstr. 38/III.
Dr. Karl Vossler, o. Univ.-Professor für romanische Philologie, geb.
6. Sept. 1872 zu Hohenheim bei Stuttgart (o. 1916, a. o. 1912), Leo-
poldstr. 87/11.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Lucian Scherman, o. Univ.-Professor für Völkerkunde Asiens mit
besonderer Berücksichtigung des indischen Kulturkreises, Direktor
des K. Ethnographischen Museums, geb. 10. Okt. 1864 zu Posen
(1912), Herzogstr. 8/II.
Dr. Joseph Schick, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für englische
Philologie, geb. 21. Dez. 1859 zu Rißtissen (1913), Ainmillerstr. 4/II.
Dr. Albert Rehm, o. Univ.-Professor für klassische Philologie und Päda-
gogik, geb. 15. August 1871 zu Augsburg (1914), Montsalvatstr. 12.
Dr. Erich Becher, o. Univ.-Professor für Philosophie, geb. 1. Sept. 1882
zu Remscheid (1916), Schaekstr. 4/0 r.
Mathematisch-physikalische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Adolf Ritter v. Baeyer, Exz., K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Chemie, Direktor a. D. des Chemischen Laboratoriums des Staates,
geb. 31. Okt. 1835 zu Berlin (o. 1877, a. o. 1875, korr. 1870), Georgen-
straße 4/0.
Dr. Ludwig Radlkofer, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des Botanischen Museums, geb. 19. Dez. 1829 zu München
(o. 1882, a. 0. 1876), Sonnenstr. 7/1.
Personalstand 189
Dr. Paul Heinrich Ritter v. Groth, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Mineralogie, Direktor der Mineralogischen Sammlung des Staates,
geb. 23. Juni 1843 zu Magdeburg (o. 1885, a. o. 1883, korr. 1881),
Kaulbachstr. 62/0.
Dr. Hugo Ritter v. Seeliger, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Astro-
nomie, Direktor der K. Sternwarte, geb. 23. Sept. 1849 zu Biala,
Österreich (o. 1887, a. o. 1883), Sternwartstr. 15.
Dr. Richard Ritter v. Hertwig, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Zoologie und vergleichende Anatomie, Direktor der Zoologischen
Sammlung, geb. 23. Sept. 1850 zu Friedberg (o. 1889, a. o. 1885),
Schackstr. 2/III.
Dr. Aurel Voss, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathematik,
geb. 7. Dez. 1845 zu Altona (o. 1889, a. o. 1886), Habsburgerstr. l/II.
Dr. Walther Ritter v. Dyck, K. Geh. Rat, o. Professor für Mathematik
an der Techn. Hochschule, geb. 6. Dez. 1856 zu München (o. 1892,
a. 0. 1890), Hildegardstr. 5/111.
Dr. Karl Ritter v. Goebel (o. 1892), s. Klassensekretär S. 185.
Dr. Ferdinand Lindemann, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Mathe-»
matik, geb. 12. April 1852 in Hannover (o. 1895, a. o. 1894), Kol-
bergerstr. 11/IIr.
Dr. Alfred Pringsheim, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathe-
matik, geb. 2. Sept. 1850 zu Ohlau, Schlesien (o. 1898, a. o. 1894),
Arcisstr. 12.
Dr. Wilhelm Konrad Röntgen, Exz., K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor
für Experimentalphysik, Direktor der Physikalisch -metronomischen
Sammlung, geb. 27. März 1845 zu Lennep (o. 1900, korr. 1896), Äußere
Prinzregentenstr. l/I.
Dr. Johannes Rückert, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Anatomie,
insbesondere deskriptive und topographische Anatomie, Direktor der
Anatomischen Sammlung, geb. 28. Dez. 1854 zu Koburg (o. 1901,
a. 0. 1893), Nußbaumstr. 12/1.
Dr. Karl Ritter v. Linde, K. Geh. Rat, Honorarprofessor für angewandte
Thermodynamik an der Techn. Hochschule, geb. 11. Juni 1842 zu
Berndorf (o. 1901, a. o. 1896), Heilmannstr. 17.
Dr. Sebastian Finsterwalder, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mathe-
matik an der Techn. Hochschule, geb. 4. Okt. 1862 zu Rosenheim
(o. 1903, a. 0. 1899), Flüggenstr. 4.
Dr. August Rothpletz, o. Univ.-Professor für Geologie und Paläonto-
logie, Direktor der Geologischen und Paläontologischen Sammlung,
geb. 25. April 1853 zu Neustadt a. H. (o. 1904, ai o. 1899), Giselastr. 6/1.
Dr. Siegmund Günther, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Erdkunde an
der Techn. Hochschule, geb. 6. Februar 1848 zu Nürnberg (o. 1905,
a. o. 1900), Nikolaistr. l/H.
190 Personalstand
Dr. August Föppl, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mechanik an der
Techn. Hochschule, geb. 25. .lanuar 1854 zu Großumstadt, Hessen
(o. 1909, a. 0. 1903), Lachnerstr. 22.
Dr. Erwin Voit, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Physiologie und
Diätetik, geb. 16. Dez. 1852 zu München (o. 1909, a. o. 1903), Bauer-
straße 28/111.
Dr. u. Dr. Ing. h. c. Ludwig Burmester, K. Geh. Hofrat, o. Professor
für darstellende Geometrie und Kinematik an der Techn. Hoch-
schule, geb. 5. Mai 1840 zu Othmarschen (o. 1909, ^ o. 1905), Kaul-
bachstr. 83/n.
Dl-. Ai-nold Sommerfeld, o. Univ.-Professor für theoretische Physik,
Direktor des Instituts für theoretische PJiysik, geb. 5. Dez. 1868 zu
Königsberg i. Pr. (o. 1910, a. o. 1903), Leopoldstr. 87/ni.
Dr. Max Ritter v. Grub er, K. Geh. Rat und Obermedizinalrat, o. Univ.-
Professor für Hygiene und Bakteriologie, geb. 6. Juli 1853 zu Wien
(o. 1910, a. 0. 1909), Prinzenstr. 10.
Dr. Siegfried Mollier, o. Univ.-Professor für Anatomie, insbesondere
für Histologie und Entwicklungsgeschichte, Konservator der Anato-
mischen Sammlung, geb. 19. Juli 1866 zu Triest (o. 1911, a. o. 1908),
Vilshofenerstr. 10.
Dr. Erich v. Drygalski, o. Univ.-Professor für Geographie, geb. 9. Febr.
1865 zu Königsberg i. Pr. (o. 1912, a. o. 1909), Gaußstr. 6.
Dr. Otto Frank, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Physiologie,
Direktor des Physiologischen Instituts, geb. 21. Juni 1865 zu Groß-
urastadt, Hessen (o. 1912, a. o. 1909), Haydnstr. 5/II.
Dr. Max Schmidt, Dipl. -Ing. h. c, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Geo-
däsie und Topographie an der Techn. Hochschule, geb. 17. März
1850 zu Tambach (o. 1913, a. o. 1911), Franz Josephstr. 13/III.
Dr. Richard Willstätter, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Chemie,
Direktor des Chemischen Laboratoriums des Staates, geb. 13. Aug.
1872 zu Karlsruhe (o. 1915, korr. 1914), Arcisstr. 1.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Robert Emden, a. o. Professor für Physik und. Meteorologie an der
Techn. Hochschule, geb. 4. Mävz 1862 zu St. Gallen (1916), Habs-
burgerstr. 4/0.
Dr. Ernst Frhr. Stromer v. Reichenbach, a. o. Univ.-Professor für
Paläontologie und Geologie, geb. 12. Juni 1871 zu Nürnberg (1916),
Schönfeldstr. 26/III.
Dr. Heinrich Wieland, a. o. Univ.-Professor für Chemie, geb. 4. Juni
1877 zu Porzheim (1916), Romanstr, 18/1.
Personaktand 1"1
Historische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Johann Friedrich, o. Univ. -Professor für Geschichte, geb. 5. Mai
1836 zu Poxdorf, 0fr. (o. 1880, a. o. 1869), von der Tannstr. 17/11.
Dr. Sigmund Ritter v. Riezler, K. Geh. Rat, o. Univ. -Professor für
bayer. Landesgeschichte, geb. 2. Mai 1843 zu München (o. 1888,
a. 0. 1877), K. Maximilianeum.
Dr. Franz Ritter v. Reber, K. Geh. Rat, o. Professor für Kunstgeschichte
an der Technischen Hochschule a. D., K. Zentral gemäldegalerie-
direktor a. D., Honorarprofessor an der Universität, geb. 10. Nov.
1834 zu Cham, Opf. (o. 1890, a^ o. 1887), Kaulbachstr. 31/0 1.
Dr. Hermann Ritter v. Grauert, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Geschichte, geb. 7. Sept. 1850 zu Pritzwalk i. d. Ostpriegnitz (o. 1899,
a.o. 1898), Tengstr. 35/n.
Dr. Lujo Brentano, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Nationalökonomie,
Finanz Wissenschaft und Wirtschaftsgeschichte, geb. 18. Dez. 1844 zu
AschafFenburg (1901), Mandlstr. 5/0.
Dr. Hans Prutz, K. Preuß. Geh. Reg. -Rat, emerit. Univ.-Professor für
Geschichte, geb. 20. Mai 1843 zu Jena (1902), Reitmorstr. 52/nL
Dr. Heinrich Wölfflin, K. Preuß. Geh. Reg.-Rat, o. Univ.-Professor für
Kunstgeschichte, geb. 21. Juni 1864 zu Winterthur (1912), Widen-
mayerstraße 26/ni.
Dr. Adolf Sandberger, o. Univ.-Professor für Musikwissenschaft, geb.
19. Dez. 1864 zu Würzburg (o. 1912, a. o. 1902), Prinzregentenstr. 48/1.
Dr. Erich Marcks (o. 1913, korr. 1898), s. Klassensekretär S. 185.
Dr. Leopold W enger, o. Univ.-Professor für römisches und deutsches
bürgerliches Recht, geb. 4. September 1874 zu Obervellach in Kärnten
(o. 1914, a. 0. 1912), Germaniastr. 5/0.
Dr. Michael Doeberl, K. Ministerialrat, Honorarprofessor an der Uni-
versität, geb. 15. Januar 1861 zu Waldsassen (o. 1915, a. o. 1903),
Schönfeldstr. 6/111.
Dr. Robert Davidsohn, geb. 26i April 1853 zu Danzig, K. Preuß.
Professor (o. 1915, korr. 1909), Maximiliansplatz 5.
Dr. Ulrich Wilcken, o. Univ.-Professor für alte Geschichte, geb. 18. Dez
1862 zu Stettin (1915), Liebigstr. 28/11.
Dr. Georg Leidinge r, Oberbibliothekar an der K. Hof- und Staats-
bibliothek, geb. 30. Dez. 1870 zu Ansbach (o. 1916, a. o. 1909), Lotz-
beckstr. 6/1.
192 Personalstand
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Ludwig Quidde, K. Preuß. Professor, geb. 23. März 1858 zu Bremen
(1892), Gedonstr. 4/1.
Dr. Karl Mayr, (1909), s. Verwaltung S. 185.
Dr. Georg Hab ich, Direktor des K. Münzkabinetts, Honorarprofessor
an der Universität, geb. 24. Juni 1868 zu Darrastadt (1910), Schön-
feldstr. 20/11.
Dr. Georg Hager, K. Generalkonservator der Kunstdenkmale und Alter-
tümer Bayerns, geb. 20. Okt. 1863 zu Nürnberg (1911), Kocbstr. 18/11.
Dr. Theodor Bitterauf, Professor der Geschichte an der Kriegsakademie,
a. 0. Professor an der Universität, geb. 7. Okt. 1877 zu Nürnberg
(1914), Kaiserplatz 9/1 r. (z. Zt. beim auswärtigen Amt in Berlin
verwendet).
Personalstand
193
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder
nach den drei Klassen (bzw. Sektionen derselben), in alpha-
betischer Ordnung.
Die Zahl vor dem Namen bezeichnet das Jahr der Wahl in die Akademie.
1890 Delbrück Berthold in Jena
1897 Hirth Friedrich in New-York
1891 Jagic Yatroslav v. in Wien
1884 Imhoof- Blumer Friedrich
in Winterthur
1874 Kern Heinrich in Utrecht
Philosophisch - philologische Klasse.
Auswärtige Mitglieder:
1877 Meyer Wilhelm in Göttingen
1879 Nöldeke Theodor in Straß-
burg i. E.
1890 Stumpf Karl in Berlin
1888 Wiramer Ludwig in Kopen-
hagen.
Korrespondierende Mitglieder:
1912 Behaghel Otto in Gießen 1880
1908 Bezold Karl in Heidelberg 1888
1916 Blümner Hugo in Zürich 1900
1907 Boll Franz in Heidelberg 1916
1904 Braune Wilhelm in Heidel- 1906
berg
1895 Brugmann Karl in Leipzig 1899
1911 Bulle Heinrich in Würzburg 1913
1879 Comparetti Domenico in
Florenz 1910
1910 Cumont Franz in Brüssel 1911
1898 Diels Hermann in Berlin 1912
1896 Er man Adolf in Berlin 1909
1901 Evans Arthur J. in Oxford 1905
1913 Fischer Hermann v. in Tu- 1907
hingen 1909
Jahrbuch 1916.
Foucart Paul in Paris
Geiger Wilhelm in Erlangen
Götz Georg in Jena
Goldziher Ignaz in Budapest
Grenfell Bernard P. in Ox-
ford.
Grünwedel Albert in Berlin
Heiberg Ludwig in Kopen-
hagen
Hillebrand Alfred in Breslau
Hirzel Rudolf in Jena
Hülsen Christian in Florenz
Hunt Arthur in Oxford
H u s s e r 1 Edmund inGöttingen
Jacob Georg in Kiel
Jacobi Hermann in Bonn
13
194
Personalstand
1902 Jirecek Joseph Konstantin in 1906
Wien
1886 Jolly Julius in Würzburg 1897
1915 Karabacek Josef, Ritter v, 1916
in Wien 1889
1910 Kenyon Frederick George in 1895
London
1909 Kluge Friedrich in Freiburg 1913
im Breisgau. 1886
1907 Lambros Spyridion P. in
Athen 1895
1903 Len el Otto in Freiburg i. Br. 1904
1908 Liebermann Felix in
Berlin 1893
1892 Luchs August in Erlangen 1904
1903 Mitteis Ludwig in Leipzig
1905 Noreen Adolf in Upsala 1905
1904 Oraont Henri in Paris 1900
1915 Robert Karl in Halle 1908
1914 Sauer August in Prag
Schlumberger Gustav in
Pai'is
Schuchardt Hugo in Graz
Seemüller Joseph in Wien
Sievers Eduard in Leipzig
So der wall Knut Fredrik in
Lund
Stähl in Otto in Erlangen
Steinmeyer Elias v. in Er-
langen
Sweet Henry in Oxford
Thomsen Vilhelm in Kopen-
hagen
Vitelli Girolamo in Florenz
Wilamowitz-Moellen-
dorff Ulrich v. in Berlin
Windisch Ernst in Leipzig
Wundt Wilhelm in Leipzig
Z i e 1 i n s k i Thaddäus in St. Pe-
tersburg.
II. Mathmatisch- physikalische Klasse.
Astronomie und Geodäsie.
Korrespondierende Mitglieder:
1911 BauschingerJuliusinStraß- 1896 Hei mertF.Robertin Potsdam
bürg i. E.
1897 Bruns Ernst Heinr. in Leipzig
1892 Förster Wilhelm in Berlin
1908 H i 11 George William in West-
Nyak.
1912 Struve Hermann in Berlin.
Mathematik.
Korrespondierende Mitglieder:
1882 Brill Alexander in Tübingen
1899 Darboux Gaston in Paris
1903 Hilbert David in Göttingen
1879 Klein Felix in Göttingen
1880 KönigsbergerLeoinHeidel-
berg
1912 Mittag-Leffler Gustav in
Stockholm
1895 Neumann Karl in Leipzig
1887 Noether Max in Erlangen
1912 Schwarz Hermann Amandus
in Berlin
1910 Zeuthen Hieronymus in Ko-
penhagen.
Personalstand !"«>
Physik.
Korrespondierende Mitglieder:
1910 Hann Julius in Wien 1911 Rutherford Ernst in Man-
1895 Loren tz H. A. in Haarlera ehester
1912 N ernst Walter in Berlin 1907 Thomson Joseph John in
1911 Planck Max in Berlin Cambridge (England)
1873 Quincke Georg Hermann in 1909 Voigt Woldemar in Göt-
Heidelberg tingen
1890 Rayleigh John William Lord 1905 W ar bürg Emil in Charlotten -
in London
bürg
1888 Recknagel Georg in Augs- ^g^^ ^^^^^ Wilhelm in Würzburg,
bürg
Chemie.
Auswärtiges Mitglied:
1910 Hof mann Karl in Charlottenburg.
Korrespondierende Mitglieder:
1910 Ciamician Giacomo in Bo- 1878 Grabe Karl in Frankfurt a.M.
logna 1909 Haller Albin in Paris
1888 Claisen Rainer Ludwig in 1910 Paternö di SessaEmanuele
Godesberg a. Rh. in Rom
1907 Curtius Theodor in Heide!- 1911 Perkin William Henry in Ox-
berg ford
1880 Fischer Emil in Berlin 1901 Thiele Johannes in Straß-
1884 Fischer Otto in Erlangen bürg i. E.
Physiologie.
Korrespondierende Mitglieder:
1912 Exner Siegmund in Wien 1911 Kries Johannes v. in Frei-
1916 Frey Max v. in Würzburg bürg i. Br.
1885 Hensen Viktor in Kiel 1913 Langley John Newport in
1901 Hering Ewald in Leipzig Cambridge (England).
(emerit.) 1914 Rubner Max in Berlin.
Zoologie und Anatomie.
Auswärtiges Mitglied :
1870 Häckel Ernst in Jena.
Korrespondierende Mitglieder:
1900 Bütschli Otto in Heidelberg 1903 Fürbringer Max in Heide)-
X906 Froriep Aug. v. in Tübingen berg
n*
196
Personalstand
1897 Hertwig Oskar in Berlin
1906 Rabl Karl in Leipzig
1899 Retzius Gustav in Stock-
holm
1911 Roux Wilhelm in Halle
1896 Schulze Franz Eilhard in
Berlin
1896 Waldeyer- Hartz Wilhelm
V. in Berlin
1910 Wilson Edmond Beecher in
New- York.
Botanik.
Korrespondierende Mitglieder:
1909 Bower Frederick Orpen in
Glasgow
1902 Eng 1er Adolf Gustav Heinr.
in Berlin
1913 Haberlandt Gottlieb in
Berlin
1916 Klebs Georg in Heidelberg
1908 Na waschin Sergius in Kiew
1880 Pfeffer Wilhelm in Leipzig
1909 Prain David in Kew
1880 Seh wendener Simon in
Berlin
1906 Stahl Ernst in Jena
1900 Vries Hugo de, in Amsterdam
1893 Warming Eugen in Kopen-
hagen
1914 Wettstein Richard, Ritter
von Westersheim in Wien
Mineralogie, Geologie und Paläontologie.
Korrespondierende Mi
1898 Barrois Charles in Lille 1899
1913 Becke Friedrich J. K. in
Wien 1916
1902 Br0gger Waldemar Chri 1910
stofer in Christiania
1891 Capellini Giovanni in Bo- 1912
logna
1896 Fedorow Eugraf v., in St. 1910
Petersburg
1910 Fl et eher Lazarus in London 1910
1895 Geikie Sir Archibald in
London 1870
1907 Gilbert Karl Grove in Wash-
ington 1912
tglieder:
Karpin skij Alexander in St.
Petersburg
Kays er Georg in Marburg
Miers Henry Alexander in
London
Nathorst Alfred Gabriel in
Stockholm
Osborn Henry Fairfield in
New- York
Scott Dukinfield Henry in
London
Tschermak Gustay v. in
Wien
Willis Bailey in Chicago.
Erdkunde.
Korrespondierende Mitglieder:
1909 Partsch Joseph in Leipzig 1882 Schweinfurth Gg. in Berlin
1909 Penck Albrecht in Berlin
1911 Wiechert Emil in Göttingen.
Personalstand
197
III. Historische Klasse.
Auswärtiges Mitglied:
1870 Ritter Moriz in Bonn.
Korrespondierende l\1itglieder:
1904 Below Georg v. in Freiburg
i. Er.
1910 Bernheim Ernst in Greifs-
wald
1881 Bezold Friedrich v. in Bonn
1891 Bode Wilhelm v. in Berlin
1887 Br esslau Harry in Straßburg
i. E.
1895 Bücher Karl in Leipzig
1898 Chuquet Arthur in Paris
1892 Cipolla Carlo Graf in Turin
1904 D'Avenel Georges Vicomte
in Paris
1882 Dehio Georg Gottfried in
Straßburg i. E.
1890 Duchesne Louis in Rom
1903 Fester Richard in Halle a. S.
1909 FinkeHeinr. inFreiburgi.Br.
1901 Fournier Paul in Grenoble
1916 Friedjung Heinrich in Wien
1903 Gierke Otto v. in Berlin
1904 Goetz Walter in Leipzig.
1916 Gothein Eberhard in Heidel-
berg
1897 Harnack C. G. Adolf v. in
Berlin
1902 Hauck Albert in Leipzig
1914 Hintze Otto in Berlin
1916 Hirschfeld Otto in Berlin
1888 Kaufmann Georg in Breslau
1902 Knapp Georg Friedrich in
Straßburg i. E.
1890 Lenz Max in Hamburg
1906 Luschin Arnold, Ritter von
Ebengreuth in Graz
1912 Mahaffy John P. in Dublin
1911 Meinecke Friedrich in Berlin
1895 Meyer Eduard in Berlin.
1890 Meyer v. Knonau Gerold
in Zürich
1904 Monaci Ernesto in Rom
1888 Müller Karl Ferd. Friedr. v.
in Tübingen
1898 OberhummerEugen inWien
1908 Ottenthai Emil v. in Wien
1902 Pais Ettore in Rom
1912 Pirenne Henri in Gent
1909 Redlich Oswald in Wien
1908 Schäfer Dietrich in Berlin
1913 Schanz Georg v. in Würz-
burg
1895 Schmoller Gustav v. in
Berlin
1912 Schulte Alois in Bonn
1875 So hm Rudolf in Leipzig
1906 Strzygowski Joseph in Graz
1913 Tangl Michael in Berlin
1914 Troeltsch Ernst in Berlin
1884 Ulmann Heinrich in Darm-
stadt
1911 Valois Noel in Paris
1908 Venturi Adolfo in Rom
1871 Villari Pasquale in Florenz
1903 Vischer Robert in Wien
1908 Vogüe Charles Jean Melchior
Marquis de in Paris
1891 Winter Gustav in Wien.
198
Personalstand
Besondere Kommissionen
bei der K. Akademie der Wissenschaften.
i. Kommission für die Herausgabe der Monumenta Boica.
Mitglieder
auf unbestimmte Zeit gewählt:
Marcks, Vorsitzender Riezler v. Grauert v.
Doeberl Leidinger
Petz Dr. Johann, K. Geh. Reichsarchivrat, Redakteur und Schriftführer
Hilfsarbeiter: Dr. Steinberger Ludwig, Privatdozent
Dr. Bastian Franz.
2. Historische Kommission.
I. Ordentliche IVlitglieder:
Ritter Moriz, Bonn, Vorsitzender
1898 (a. 0. 1883)
Riezler Sigmund v., München,
Sekretär (bis 1. I. 1917) 1887
(a. 0. 1883)
Bezold Friedrich v., Bonn 1892
(a. 0. 1883)
Meyer v. Knonau Gerold, Zürich
1894
Lenz Max, Hamburg 1894
Friedrich Johann, München 1898
Grau e rt Hermann v., München 1901
Winter Gustav, Wien 1901
Hauck Albert, Leipzig 1903
B e 1 0 w Georg v., Freiburg i. Br. 1903
Quidde Ludwig, München 1907
(a. 0. 1887)
Redlich Oswald, Wien 1908
Goetz Walter, Leipzig
1913 (a. 0. 1911)
Brandenburg Erich, Leipzig 1913
(a. 0. 1911)
Marcks Erich, München 1914, Se-
kretär vom 1. I. 1917 ab
Beckmann Gustav, Erlangen 1914
(a. 0. 1903)
Meinecke Friedrich, Berlin 1916
Schulte Alois, Bonn 1916.
11. Ausserordentliche Mitglieder:
Herre Hermann, München 1903 Leidinger Georg, München 1916
Mayr Karl, München 1911 Müller Karl Alexander v. 1916.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in München :
Bauckner Arthur.
3. Kommission für die Savigny-Stiftung
(auf unbestimmte Zeit gewählt).
Amira v., Vorsitzender Brentano
Grauert v. Wenger
Personalstand 199
4. Kuratorium für die Liebig-Stiftung.
Crusius, Vorsitzender S oxhl et Dr. Franz v., Schriftführer
Goebel v., Vertreter des Vor- Radlkofer Ludwig
sitzenden Brentano, Lujo
Lieb ig Hans Frhr. v., Privatdozent für Chemie in Gießen, als Vertreter
der Familie.
Ferner die gegenwärtigen Inhaber der goldenen Liebig-Medaille:
Settegast Dr. H., Geh. Regierungsrat, Professor in Berlin
Kellner Dr. 0., Geh. Hofrat, Professor in Möckern
Frank Dr. Adolf, Geh. Hofrat, Professor in Charlottenburg
Rubner Dr. Max, Geh. Medizinalrat, Professor in Berlin
Kraus Dr. Karl, Geh. Hofrat, Professor an der Techn. Hochschule in München
König Dr. Joseph, Geh. Regierungsrat, Professor in Münster in Westf.
5. Kommission für den Zographos-Fonds
(auf je drei Jahre gewählt).
Wecklein Wolters
Crusius Heisenberg.
6. Kommission für die Münchener Bürger- und Cramer-Klett-Stiftung.
Crusius Seeliger v.
Goebel v. Hertwig v.
Baeyer v.
7. Kommission für die Thereianos-Stiftung
(auf je drei Jahre gewählt).
Kuhn, Vorsitzender Wolters
Crusius Heisenberg
Wecklein Wenger.
8. Kommission für die Hardy-Stiftung.
Crusius Scherman
Kuhn Wilcken.
Streitberg
9. Kommission für die Koenigsstiftung zum Adolf von Baeyer-
Jubiläum.
■ Crusius Goebel v.
Baeyer v. Willstätter.
200
Personalstand
10. Kommission für die Wilhelm Koenigs-Stiftung
für botanische und zoologische Forschungen und Forschungsreisen.
Crusius Hertwig v.
Goebel v.
II. Kommission für den Hitl'schen Fonds zur Förderung
der Medaillenkunst.
Crusius Otto
Hitl Georg, Privatier
Frauendorfer v.
Diez Julius, Professor
Habich Georg
Stadler Anton, Professor
Mayr-Graz Karl, Kunstmaler
Hahn Hermann, Professor.
12. Kommission für die Heinr. v. Brunck-Stiftung.
Crusius Goebel V.
Baeyer v, Willstätter.
13. K. B. Kommission für die internationale Erdmessung.
Mitglieder:
Crusius, Vorsitzender Finsterwalder
Seeliger v., Sekretär und Stell- Schmidt.
Vertreter des Vorsitzenden
Kustos: Dr. Ernst Zapp.
Technischer Offiziant:
14. Mitglieder der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae
historica
von der K. B. Akademie gewählt am 5. März 1875 und 9. Februar 1895
ohne Begrenzung der Funktionsdauer.
Riezler v.
Steinmeyer v., korr. Mitglied der historischen Klasse.
15. Kommission für die Herausgabe des Thesaurus linguae Latinae.
Vollmer, Vertreter der K. Akademie der Wissenschaften in München,
z. Z. Vorsitzender.
Thesaurus-Bureau:
Dittmann Dr. Georg, K. Preuß. Gymnasialoberlehrerin Urlaub, General-
redaktor
Jachmann Dr. Günther, Redaktor
Hey Dr. Oskar, K. Gyranasialprofessor in Urlaub, Sekretär
10 Assistenten.
Personalstand 201
16. Kommission für die Herausgabe einer Enzyklopädie
der mathematischen Wissenschaften.
Dyck Dr. Walter v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften, z. Z. Vorsitzender
Seeliger Dr. Hugo v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften.
17. Kommission für die Herausgabe der Bibliothekskataloge
des Mittelalters.
Grauert v. Vollmer Leidinger
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Lehmann Paul.
18. Kommission für das Corpus griechischer Urkunden.
Crusius Grauert v. Heisenberg
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Marc Paul.
19. Kommission für die Herausgabe von Wörterbüchern
der bayerischen Mundarten.
Kuhn, I.Vorsitzender Stroitberg, 2. Vorsitzender
Riezler v. Berneker
Amira v. Muncker.
Paul
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Mausser Otto, Privatdozent.
20. Kommission für die Samsonstiftung.
Grub er v., Vorsitzender Rück er t
Goebel V., stellvertr. Vorsitzender Mollier
Crusius Voit
Kuhn Amira v.
Marcks Riezler v.
Hertwig v.
21. Kommission für die Dapper-Saalfels-Stiftung.
Crusius Frank
Goebel v. Rückert
Hertwig v. Gruber v.
22. Kommission für Höhlenforschung in Bayern.
Crusius Mayr
Rothpletz Schlosser
Ha^er Birkner.
23. Vertreter der Akademie für das Ägyptische Wörterbuch.
Bissing Frhr. v.
202
Bericlite und Protokolle
akademischer Kommissionen.
Bericlit der Kommission für den Thesaurus linguae latinae
über die Zeit vom 1. April 1915 bis 31. März 1916.
1. Am 10. September 1915 ist Herr Paul Wendland,
als Nachfolger Fr. Leo's von der Göttinger Gesellschaft der
Wissenschaften in die Thesaurus- Kommission delegiert, ver-
storben. Er hat der Kommission nur etwa ein Jahr angehört.
An seine Stelle ist im November vorigen Jahres Herr Richard
Reitzenstein von der Gesellschaft abgeordnet worden.
2. Die Kommission hat, wie beschlossen, im Jahre 1915
keine Sitzung abgehalten und konnte, da die Geschäfte eine
Zusammenkunft nicht erforderten, auch für das Frühjahr 1916
von der Ostersitzung absehen.
3. Der Bestand des Bureaus konnte auch in diesem Jahre
noch nicht auf seine frühere Höhe gebracht werden; zwar
steht nur noch ein Assistent im Felde, aber die Fortdauer des
Krieges hat doch vielfache Störungen und Unsicherheiten in
den persönlichen Verhältnissen der Mitarbeiter veranlaßt und
geeigneten Ersatz für unsere Verluste beeinträchtigt. Unter
diesen Umständen versteht es sich, daß die Arbeitsleistung
gegen die früheren Jahre stark zurückgeblieben ist; hinzu kam
zum ersten Male während des Krieges auch eine Störung im
Kommissionsberichte 203
Gange des Druckes, die aber nacli Mitteilung der Firma B.
G. Teubner nach Ostern behoben sein wird.
4. Regierungen und Akademien haben wie bisher die zu-
gesagten Beiträge geleistet: die Kommission spricht dafür an
dieser Stelle ihren aufrichtigen Dank aus und verzeichnet mit
besonderer Genugtuung, daß die wissenschaftliche Gesellschaft
zu Straßburg ihren Beitrag auch für die Jahre 1916 — 1920
zugesichert hat.
Dank der Vermittlung des Herrn Brugmann wurde dem
Generalredaktor vom Kuratorium der Georg- Curtius- Stiftung
in Leipzig wie schon im Jahre 1902 wiederum ein Betrag von
800 Mark als Ehrengabe für besonders eifrige Mitarbeiter zur
Verfügung gestellt. Auch für diese willkommene Beihilfe
dankt die Kommission angelegentlichst.
5. Laut den Halbjahrberichten des Herrn Generalredaktors
sind im Arbeitsjahre 1. April 1915 — 1916 fertiggestellt worden
14 Bogen, Band V bis dissono, Band VI bis fidus, das Ono-
masticon bis Didius. Im Fahnensatz stehen aber noch weitere
etwa 6 Bogen, dazu ist ein großer Manuskriptvorrat vorhanden,
so daß mit Wiederbeginn des Druckes ein schnelles Vorwärts-
kommen in sicherer Aussicht steht.
6. Im Jahre 1915 betrugen
die Einnahmen . . M. 50601.35
die Ausgaben . . M. 50138.36
Überschuß M. 462.99
Unter den Ausgaben sind verrechnet M. 5500, die als
Rücklage den Sparfonds bilden.
Die als Reserve für den Abschluß des Unternehmens vom
Buchstaben P an bestimmte Wölfiflin - Stiftung betrug am
1. Januar 1916 M. 60859.87.
204
Kommissionsberichte
Übersicht über den Finanzplan für 1916.
Einnahmen:
Beiträge der Akademien und gelehrten Gesellschaften
(einschließlich der Sonderbeiträge von Berlin
und Wien) M. 31 000.
Beitrag der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg „ 600.
Giesecke-Stiftung 1916 „ 5 000.
Zinsen, rund . . . . . . . . . „ 150.
Honorar von Teubner für 40 Bogen (4 Onomastikon) . „ 6 064.
Stipendien und Beiträge anderer Staaten . . . , 4 700.
Summe
Ausgaben:
Gehälter
Laufende Ausgaben
Honorar (40 Bogen) ......
Verwaltung (inkl. Angestellten -Versicherung)
Exzerpte und Nachträge
Unvorhergesehenes ......
Sparfonds
Summe M. 47 200.
Voraussichtlicher Überschuß M. 314.
M. 47 514.—
M.. 31 000.
, 3 500.
, 3 200.
, 5 000.
, 1 000.
500.
, 3 000.
Berlin, Göttingen, Leipzig, München, Wien,
1. April 1916.
Diels. Hauler. Heinze. Lommatzsch.
Norden. Reitzenstein. Vollmer.
Kommissionsberichte 205
Bericht über den Fortgang der Arbeiten bei der Kom-
mission für die Herausgabe der mittelalterlichen Biblio-
thekskataloge Deutschlands und der Schweiz
in der Zeit vom Mai 1915 bis Mai 1916.
Auch in diesem Berichtsjahre konnte das Unternehmen
— freilich gehemmt und erschwert durch Mitarbeitermangel,
Druckunterbrechungen und andere Kriegsschwierigkeiten —
vorwärts gebracht werden.
Der Redaktor arbeitete im März und April 1916 an den
wenig benutzten mittelalterlichen Handschriften des K. B. Na-
tionalmuseums zu München und erschloß außer anders-
artigem bibliotheksgeschichtlichen Material ein Bücherverzeich-
nis der Pfarrkirche von Cadolzburg aus der Mitte des 15. Jahr-
hunderts. Im April 1916 konnte er dank der Unterstützung
des Herrn Kreisarchivars Sommerock und des Herrn Asses-
sors Dr. Mitterwieser im Kreisarchive zu Landshut ein
wichtiges, an Büchern reiches Nachlaßinventar des Kardinals
Grünwalder, Bischofs von Freising, aus dem Jahre 1453 und
viele bibliographische, bibliothekskundliche Notizen aus Rech-
nungsbüchern des Klosters Windberg, ans Tageslicht ziehen.
In der K. Hof- und Staatsbibliothek zu München ent-
deckte der rührige P. Pelster, S. J., einen uns neuen Katalog
der von Johannes und Hermann Sack 1439 den Franziskanern
zu München hinterlassenen Bücher.
Die Haupttätigkeit des Redaktors bildete nach wie vor
die Fortführung des Druckes unseres 1. Bandes. Bis auf
Vorwort, kleine Nachträge und das noch viel Mühe und ge-
206
Kommissionsberichte
räume Zeit erfordernde Register ist alles gesetzt. Bei den
Registervorbereitungen halfen eifrig die Herren cand, phil.,
dann Dr. phil. A. Mayer und cand. phil. W. v. Lutzau.
Endlich wurde auch der Stoff für die folgenden Bände
durch gelegentliche Funde und einzelne Nachforschungen
vermehrt.
München, im Mai 1916.
Der Redaktor:
Dr. Paul Lehmann.
Abrechnung für 1915.
Einnahmen.
Ausgaben.
Beitrag München
j, Berlin .
„ Göttingen
Leipzig .
Jt
4
.
2000
—
800
—
800
—
1000
—
re iyi4 4055
26
Summe
8655
26
Gehalt des Redaktors .
Honorare der Mitarbeiter
Reisekosten
Kleine Ausgaben (Bureau-
bedarf, Photographien
u. a.)
Portoausgaben ....
JH
^
4ÜU
933
—
66
20
91
85
31
85
Summe 3522 ^ 90
Abgleichung.
Einnahmen 8655,26 »4^
Ausgaben 3522.90 ,
Rest und Übergang auf das Jahr 1916 . 5132.36 Jt.
Kommiasionsberichte
207
Bericht des Sekretärs Geh. Rates v. Riezler über die
56. Vollversammlung der Historischen Kommission.
Im Vorjahre war wegen des Krieges von einer Vollver-
sammlung der Historischen Kommission abgesehen worden.
Heuer tagte eine solche vom 14. bis 16. Juni. Da der Vor-
stand der Kommission, Geheimer Regierungsrat Professor Moriz
Ritter in Bonn, am Erscheinen verhindert war, führte der
unterzeichnete Sekretär den Vorsitz.
Außer ihm hatten sich von den ordentlichen Mitgliedern
eingefunden: Professor Beckmann aus Erlangen, Geh. Hof rat
Professor von Below aus Freiburg i. B., Geh. Hofrat Professor
Brandenburg aus Leipzig, Geh. Hofrat Professor Walter Götz
aus Leipzig, Magnifizenz Geh. Hofrat, Professor v. Grauert
aus München, z. Z. Rektor der Universität, Geh. Rat Professor
Hauck aus Leipzig, Geh. Rat Professor Marcks aus München,
Professor Meyer von Knonau aus Zürich, Professor Quidde
aus München, Hofrat Professor Redlich aus Wien.
Von außerordentlichen Mitgliedern war zugegen: Professor
Hermann Herre aus München.
An der Teilnahme an den Sitzungen waren außer dem
Vorstande verhindert: Geh. Reg.-Rat Professor v. Bezold
aus Bonn, Professor Friedrich aus München, Geh. Reg.-Rat
Professor Max Lenz aus Hamburg, Professor, Syndikus der
Akademie der Wissenschaften Karl Mayr aus München, Hof-
rat Winter, Sektionschef und Direktor des K. u. K. Haus-,
Hof- und Staatsarchivs a. D. aus Wien.
Die Kommission hat seit ihrer letzten Tagung schwere
Verluste erlitten. Durch den Tod wurden ihr entrissen: am
208 Kommissionsberichte
25. August 1914 der Generaldirektor der K. Preuß. Staats-
archive und Generaldirektor der Zentralkommission für Heraus-
gabe der Mon. Germ, hist., Exzellenz Reinliold Kos er aus
Charlottenburg, am 24. Dezember 1914 der Geh. Rat, Reichs-
archivdirektor a. D. Ludwig v. Rockinger aus München, am
23. März 1915 der Präsident der K. Akademie der Wissen-
schaften, Geheimrat Professor Karl Theodor v. Heigel, Ex-
zellenz, aus München, der in den Jahren 1898 bis 1908 als
Sekretär der Kommission tätig gewesen war, und am 19. Januar
1916 Geh. Rat Professor Alfred Dove in Freiburg i. B. Der
Vorsitzende widmete ihnen Worte des Dankes und ehrenden An-
denkens, ebensowie einem früheren (1906 — 1908) verdienten
Mitarbeiter der Kommission, dem Breslauer Professor Georg
Friedrich Preuß, vordem Privatdozent in München, der am
27. Oktober 1914 im Kampfe gegen Rußland einer schweren
Verwundung erlag.
Seit der letzten Vollversammlung sind erschienen:
Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen
Geschichte, N. F. Abt. Chroniken, 3. Band: Veit Arnpeck,
Sämtliche Chroniken, herausgegeben von Oberbibliothekar
Georg Leidinger, 1915.
Vom II. Bande der Briefe und Akten zur Geschichte des
30 jährigen Krieges (Januar bis Juni 1625, bearbeitet von
Dr. Endres) ist der vierte Teil teils gedruckt, teils druck-
fertig gemacht.
Von den deutschen Städtechroniken liegen 9 Bogen Ein-
leitung und 23 Bogen Text der ersten Chronik des Augs-
burger Ratsdieners Paul Hektor Mair (1547 — 1565), bearbeitet
von Professor Friedrich Roth in München, gedruckt vor.
Seit Ausbruch des Weltkrieges stehen die Arbeiten der
Kommission unter seinem Zeichen. Der größere Teil der Mit-
arbeiter befindet sich im Heeresdienste oder sonst in Kriegs-
verwendung. Bei anderen hat ein unter den jetzigen Ver-
hältnissen natürlicher Zug die Arbeitspläne von den Aufgaben
der Kommission auf historisch-politische Fragen von aktuellem
Kommissionsberichte 209
Interesse abgelenkt. Handschriften aus dem Auslande werden
nicht verschickt. In den Druckereien herrscht Mangel an ge-
eigneten Setzern. In mehreren Abteilungen mußten daher die
Arbeiten für die Unternehmungen der Kommission gänzlich
eingestellt werden, in anderen erfuhren sie wenigstens empfind-
liche Störungen, von allen Hemmungen unberührt blieb nur
der kleinere Teil.
Von den Abteilungsleitern stehen- im Heeresdienste und
standen längere Zeit im Felde: Professor Brandenburg und
Professor Götz; von den Mitarbeitern: Oberlehrer Dr. Bäsecke
aus Braunschweig; Dr. Bastian in München (seit 1915, bisher
im Garnisonsdienst); Dr. Endres in München (bis Ende Sep-
tember 1915); Dr. Hösl, Kreisarchivassessor in Bamberg;
Dr. Kühn (seit August 1915) von Leipzig; Privatdozent
Dr. Häpke von Berlin; Privatdozent Dr. Theodor Mayer
von Wien; Kustos Dr. Reicke (Nürnberg); Stadtschulin-
spektor Dr. Reim an n in Berlin (seit kurzem mit der Zucker-
versorgung Grois-Berlins betraut); Professor Fedor Schneider
in Frankfurt a. M. (seit August 1915); Privatdozent Dr. Stolz
aus Innsbruck (mit der Besatzung von Przemysl in russischer
Kriegsgefangenschaft); Professor Vigener von Freiburg i. B.
Dr. Wirz aus Bern,
Im Dienste des militärischen Bekleidungsamtes betätigt
sich Dr. Bauckner, im Dienste des Roten Kreuzes Dr. Karl
Alexander v. Müller. Professor Bitterauf ist seit 1. März
1916 nach Berlin zur Zentralstelle des Auswärtigen Amtes
für den Auslandsdienst abkommandiert.
Zu den wenigen Unternehmungen, die durch den Krieg
keine Störung erfuhren, zählt die Geschichte der Wissen-
schaften. Hier hat Privatdozent Dr. Würschmidt in Er-
langen an der Geschichte der Physik seit 1790 gearbeitet,
wobei es sich als unmöglich erwies, die Leistungen der nicht-
deutschen Physiker zu übergehen. Er hat den ersten Haupt-
teil des Buches, der die Zeit von 1790 (Entdeckung der gal-
vanischen Elektrizität) bis 1842 (Entdeckung des Satzes von
der Erhaltung der Energie) umfaßt, mit Geheimrat Eilhard
Jahrbuch 1916. 14
210
Lommissions beriet
Wiedemann in Erlangen durchberaten und im wesentlichen
fertiggestellt, auch schon mit Vorarbeiten für die folgende
Periode begonnen.
Für die unter Leitung v. Bezolds stehenden Humani-
stenbriefe konnte Privatdozent Dr. Erich König in München
im Augsburger Stadtarchive und in der dortigen Stadtbiblio-
thek, sowie in den Stadtarchiven von Memmingen und Nörd-
lingen einige weitere noch ungedruckte Briefe Konrad Peu-
tingers, ferner auch einige an entlegener Stelle gedruckte
Stücke ermitteln. Außerdem hat er das Material für Sach-
kommentar und Einleitung weiter vervollständigt. Von den
erforderlichen Archivreisen nach Innsbruck und Wien mußte
abgesehen werden. Die Korrespondenz Pirkheimers zu för-
dern waren Dr. Reicke und Dr. Reimann durch ihre mili-
tärischen Verpflichtungen verhindert.
Für die Abteilung Chroniken der N. F. der Quellen
und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Ge-
schichte hat Oberbibliothekar Leidinger die Ausgabe der
Werke des bayerischen Chronisten Veit Arnpeck in einem
Bande von 1014 Seiten fertiggestellt. Er hat sich auch bereit
erklärt, die Quellen zur Geschichte des Landshuter Erb-
folgekriegs zu bearbeiten, mit deren Ausgabe diese Ab-
teilung voraussichtlich abgeschlossen werden wird. In der Ab-
teilung Urkunden hat Professor Bitterauf in München für
die Traditionen des H'ochstiftes Passau von den ca. 126
Nummern des ältesten Kodex 90 nahezu druckfertig gestellt.
Der Vollendung legte seine Berufung nach Berlin ein Hindernis
in den Weg. Domvikar Heu wieser in Passau, der die Bear-
beitung des domkapitlischen Kodex übernahm, hat diese eben-
falls dem Abschlüsse nahe gebracht. Die Bearbeitung der Tra-
ditionen des Hochstiftes Regensburg wurde von Dr. Jo-
seph Widemann in München in der Hauptsache vollendet.
Diese sollen nur soweit veröffentlicht werden, als sie als Bis-
tumstraditionen angesprochen werden können, d. h. solange
das Kloster St. Emmeram Sitz des Bischofs war. In dieser
Begrenzung reichen sie von der zweiten Hälfte des 8. Jahr-
Kom missionsbeiichte 211
hunderts bis ca. 902 (worauf erst nach langer Pause ungefähr
mit dem Jahre 975 die Klostertraditionen von St. Emmeram
beginnen), sind weit weniger umfangreich als die Passauer
Traditionen und sollen sich an diese, wenn der Band nicht
zu stark wird, als zweiter Halbband anschließen.
Von den unter der Leitung v. Belows stehenden Chro-
niken der deutschen Städte wird die Ausgabe der ersten
Augsburger Chronik des Augsburger Ratsdieners Paul Hektor
Mair von 1547 — 1565, bearbeitet von Professor Friedrich
Roth in München, voraussichtlich noch in diesem Jahre zum
Abschluß kommen. Die übrigen Arbeiten haben, meist infolge
militärischer Verpflichtungen der Mitarbeiter, fast ganz geruht.
Für die Jahrbücher des deutschen Reichs wurde Frln.
Dr. Mathilde Uhlirz in Graz, die Tochter des 1914 ver-
storbenen Professors Karl Uhlirz, mit der Bearbeitung der
Jahrbücher Ottos III. betraut, für welche ihr Vater das
Material schon vollständig gesammelt und geordnet, auch die
Exkurse bis in die Einzelheiten genau vorbereitet hatte.
Mit der Fortsetzung der Jahrbücher Friedrichs I. war,
soweit ihn nicht seine militärische Einberufung und gesteigerte
Anforderungen seiner akademischen Lehrtätigkeit hinderten,
Professor Fedor Schneider in Frankfurt a. M. beschäftigt.
Es war ihm immerhin möglich, die Vorarbeiten zum 2. Bande
nicht unwesentlich zu fördern. Professor Hampe in Heidel-
berg war durch Arbeiten über die Geschichte Belgiens ver-
hindert, sich den Jahrbüchern K. Friedrichs IL zu widmen.
Für die Darstellungen der deutschen Reichsge-
schichte im ausgehenden Mittelalter vermochte Professor
P. Schweizer in Zürich die Geschichte K. Adolfs von
Nassau erheblich zu fördern, während Professor Vi gen er
in Freiburg i. B. im Felde steht und sich mit seiner Aufgabe,
Reichsgeschichte unter Karl IV., nicht beschäftigen konnte.
In der älteren Reihe der Reichstagsakten konnte das
Register für den 13. Band noch nicht fertiggestellt werden,
da der am 1. Juli 1914 unter Leitung Professor Beckmanns
in Erlangen damit betraute Dr. Zellfelder zu Beginn des
14*
212 Korainissionsbericlite
Krieges in den Sanitätsdienst trat, auch sein Nachfolger
Dr. Peter Meyer, der die Arbeit am 1. Februar 1915 über-
nahm, nach einem Jahre aus dem Dienste der Kommission
ausschied. Professor Beckmann wird die zweite Hälfte dieses
Bandes zunächst ohne Register, Titelblatt und Vorwort aus-
geben. Am 14. Bande, der das Jahr 1439 umfassen soll, ist
weiter gearbeitet worden. Professor Herre in München hat
sich unbehindert der Vollendung des 16. Bandes (Wormser
Kurfürstentag vom Mai, Frankfurter Reichstag vom November
1441, Königskrönung Friedrichs III., Frankfurter Reichstag
vom Sommer 1442) gewidmet, der binnen kurzem druckreif
vorliegen wird. Für die unter Leitung Professor Quiddes
zu bearbeitenden Supplemente konnte Dr. Bauckner wegen
militärischer Obliegenheiten nur in geringem Maße tätig sein.
Für die unter der Leitung Professor Brandenburgs in
Leipzig stehende jüngere Reihe der Reichstagsakten hat
Dr. Kühn bis zu seiner Heereseinberufung die Arbeit an seinem
Bande, der die Jahre 1527 — 29 umfassen soll, gefördert.
Dr. Volk war fast die ganze Zeit über imstande, seine Ar-
beiten fortzusetzen, wenn ihn auch Familienverhältnisse zwan-
gen, ihren Umfang etwas einzuschränken.
Für die Briefe und Akten zur Geschichte des
30jährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Ein-
flusses der Witteisbacher konnte der Druck des von Professor
Karl Mayr in München bearbeiteten ersten Bandes der N. F.
1. Abt. (1618, 1619) nicht fortgeführt werden. Für die 2. Ab-
teilung war Dr. Karl Alexander v. Müller in München infolge
seiner Kriegsverwendung an jeder Arbeit verhindert, auch
Dr. Fritz Endres konnte nach seiner Entlassung aus dem
Heeresdienste infolge seiner sehr geschwächten Augen nur in
geringem Maße für die Drucklegung des zweiten Bandes tätig
sein. Geh. Hofrat Götz, der Leiter der Abteilung, ist bereit,
die Arbeiten für die Drucklegung dieses Bandes selbst zu
übernehmen.
Über die publizistischen Schriften zur Reichsge-
schichte (mit Ausschluß der rein kirchlichen) in der ersten
Kommissionsberichte 216
Hälfte des 15. Jahrhunderts berichtete Professor Beckmann
in Erlangen. Er und Professor Beer in Wien haben an
den von ihnen übernommenen Traktaten weitergearbeitet und
mehrere derselben nähern sich der Vollendung. Ein von Pro-
fessor Dürrwächter in Bamberg aufgefundener Traktat soll
in die Sammlung aufgenommen werden.
Die Arbeiten für die Zolltarife zu fördern, war nach
dem Berichte des Leiters des wirtschaftsgeschichtlichen Unter-
nehmens V, Below nur Professor Bächtold in Basel imstande.
Die Sammlung der Handlungsbücher ist durch die Be-
mühungen Professor Strieders in Leipzig, besonders durch
archivalische Arbeiten in Augsburg und Nürnberg, in erheb-
lichem Maße weitergediehen. Da die Gesellschaft für frän-
kische Geschichte bereits 1907 mit ihrer Absicht hervorge-
treten ist, eine Herausgabe der Quelle zur Nürnberger Handels-
geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts zu veranstalten, also
die Priorität für sich hat, wird eine Verständigung mit dieser
Gesellschaft über die Abgrenzung der Arbeiten und äußere Ein-
heitlichkeit der beiderseitigen Publikationen gesucht werden.
Für die Handlungsbücher, wie für die Reichstagsakten und
die Briefe und Akten wurden Forschungsreisen nach Belgien
in Aussicht genommen, die wo möglich noch während des
Krieges ausgeführt werden sollen.
Von dem Vorstande der Kommission war brieflich die
auch durch Geh. Hofrat Götz übermittelte Anregung aus-
gegangen, daß aus Anlaß der großen Zeit ein neues Unter-
nehmen zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts ins
Auge gefaßt werden möge. Ein Ausschuß, bestehend aus den
Herren Brandenburg, Lenz, Marcks, Ritter, soll im
Sinne dieser Anregung beraten. Er soll das Recht der Zuwahl
haben und wurde ermächtigt, im Namen der Kommission in
Verhandlungen mit den amtlichen Stellen einzutreten.
214 Kommissionsberichte
Vierter Bericht der Kommission für die Herausgabe
von Wörterbüchern bayerischer Mundarten.
Die Arbeitslage ist eine ähnliche wie die des Berichts-
jahres 1915. Der Verkehr mit den Sammlern wurde in der
ersten Hälfte des Berichtsjahres lebhafter als im Vorjahr. In
der zweiten Hälfte war ein deutliches Abschwellen zu bemerken,
aller Wahrscheinlichkeit nach veranlaßt nicht nur durch neuer-
liche Einberufungen, sondern wohl ebensosehr durch die ge-
steigerte Arbeit der daheim Verbliebenen, besonders der in der
Landwirtschaft Tätigen. Alles in allem genommen haben uns
aber gerade die Kriegsjahre gezeigt, wie außerordentlich volks-
tümlich das Wörterbuchunternehmen der Akademie geworden
ist und wie sehr der an sich rein wissenschaftliche Gedanke
der Schaffung großer Wörterbücher bayerischer Mundarten von
dem heimatlichen Sinn der Bevölkerung verstanden und ge-
hegt wird. Denjenigen Sammlern, die uns auch im abgelau-
fenen Jahre 1916 durch die Beantwortung von Fragebogen,
durch Einsendung des verschiedenartigsten, frei gesammelten
Materials, durch rege Unterstützung der auf den Krieg bezüg-
lichen Sondersammlungen der Wörterbuchkommission (s. S. 219),
durch anregende Korrespondenz unterstützt haben, die in schwer-
ster Zeit vom heimischen Herd wie vom Schützengraben und
vom Kriegsschauplatz überhaupt aus sammelnd und Anfragen
stellend an die Wörterbücher der Akademie gedacht haben,
müssen wir und noch eine spätere Zeit besonderen Dank sagen.
Ein prächtiges Zeugnis dessen, wie sehr das Unternehmen der
Wörterbuchkommission vom Interesse und von der Liebe weitester
Volkskreise getragen wird, mag, um nur wenige Beispiele aus
vielen zu geben, jene Reihe von Bauern sein, die trotz allem
sich noch die Muße zur Erledigung von Fragebogen abrang,
besonders aber jener Bauernknecht — es ist der gefallene
Kommissionsberichte 215
Georg Störzer aus Haimhausen bei Dachau — , der die vielen
Monate, die er im Felde stand, ständig an die Möglichkeit
der Wiederaufnahme seiner Arbeiten für uns dachte. Es ver-
ging kein Monat, ohne daß sich der Gefallene, der 22 Frage-
bogen in ungemein gründlicher Weise, geradezu mit philo-
logischem Geschick beantwortete und uns auch sonst durch
Beischaffung von Material förderte, in oft rührender Weise
nach dem Fortgang der Wörterbucharbeiten erkundigt hat.
So blieb denn die Arbeitsverbindung zwischen den Samm-
lern und der Kommission auch in diesem Jahre aufrecht. Von
denjenigen aber, die notgedrungen die Arbeit für uns ruhen
lassen mußten, wissen wir sowohl aus ihren früheren Beiträgen,
wie aus brieflichen Äußerungen, daß sie in dem Augenblicke
wieder zur Stelle sein werden, der ihnen das irgendwie ermög-
licht, namentlich wenn der Friede bessere Tage ins Land ge-
bracht hat. Und so möchten wir denn alle Freunde der
Mundartenaufnahme Bayerns auch an dieser Stelle bitten, der
Sache treu zu bleiben, die sie in den Jahren des Bestehens
der Wörterbuchkommission zu der ihrigen gemacht haben.
So wie es gelungen ist, die Arbeitsverbindung mit den
Sammlern aufrechtzuerhalten und, die Kriegslage ausnützend,
zwei große Sondersammlungen zu veranstalten, so gelang es
auch die Arbeiten der Kanzlei im vollen Umfange fortzuführen.
Die persönlichen Verhältnisse in der Kanzlei blieben die näm-
lichen wie im Vorjahre.
1. Bayerisch-österreichisches Wörterbuch.
Die im letzten Jahresbericht erwähnten Arbeiten wur-
den weitergeführt. So kamen neben den Hochzeitsfragebogen
(Nr. 7 — 11), für deren ersten auch Synonymenlisten angefer-
tigt wurden, vor allem die landwirtschaftlichen Fragebogen
(Nr. 14 — 19) zur Registrierung. Auch dem durch die Beant-
wort..ng des Fragebogens 4 (Kopf) angefallenen Material konnte
in der technischen Registrierung wie in der wissenschaftlichen
Bearbeitung besonderes Augenmerk geschenkt werden. Die
für das Vorjahr erwähnten Untersuchungen zur Lautlehre
316 Kommissionsberichte
der bayerischen Mundarten, sowie zur Abgrenzung d
schiedenen Dialektgebiete gegeneinander konnten fortgesetzt und
verfeinert sowie über das altbayerische und oberpfälzische Ge-
biet hinaus auch auf das ostfränkische und das rheinpfälzische
ausgedehnt werden (s. auch unten S. 218 u. ff.). Ebenso konnte
das Verzeichnis der mundartlichen und volkskundlichen Literatur
Bayerns durch manche neu hinzugekommene Nummer ver-
größert werden. Durch die Annahme der von Hofrat See-
mOllee in Wien und Professor Lessiak in Prag, als Vertretern
der österreichischen Schwesterkommission, ausgearbeiteten Vor-
schläge zur Wiedergabe der mundartlichen Laute im schrift-
sprachlichen Stichwort zu Ende des Berichtsjahres ist es mög-
lich geworden, künftighin die Wortzettel im großen Umfang
mit den schriftsprachlichen Stichworten zu versehen,
unter denen sie im gedruckten Wörterbuch behandelt werden
sollen. Die Zahl der in der Kanzlei vorhandenen Wortzettel,
die sich wiederum sehr erheblich vermehrt hat, soll im näch-
sten Jahre genau bekanntgegeben werden, wenn auf ihnen allen
das schriftsprachliche Lemma eingetragen ist.
An die Abfassung neuer Fragebogen wurde sowohl in'
München wie bei der österreichischen Schwesterkommission
gedacht. Hofrat Seemüller in Wien sammelte Material für
einen Fragebogen, der die mundartlichen Ausdrücke für die
Begriffe „gehen" und , stehen" behandeln soll; Dr. Mausser
richtete sein Augenmerk auf das Material verschiedener Standes-
sprachen, vor allem auf den Wortschatz der Schusterei. An
die Zusammenfassung dieses und anderen Materials zu Frage-
bogen konnte aber infolge der Einberufung aller österreichi-
schen, für die Wörterbuchkommission tätigen Gelehrten nicht
herangegangen werden. Es ist aber Aussicht vorhanden, daß
im kommenden Jahre die Abfassung weiterer Fragebogen wieder
wie früher vor sich gehen kann.
Wir dürfen auch heuer wie im Vorjahre in Anbetracht
des Umstandes, daß ein großer Teil der Sammler einberufen
und durch den Krieg von der Tätigkeit für die Kommission
abgehalten ist, von einem vollständigen Verzeichnis der Sammler
Kommissionsberichte -^ 1 •
absehen. Einigen aber, die sich im Berichtsjahre durch be-
sonders gründliche Beantwortung von Fragebogen oder durch
besonders sorgsame sonstige Sammelarbeit ausgezeichnet haben,
muß der Dank, der allen Einsendern von Stoif gebührt, auch
öffentlich erstattet w^erden. In diesem Sinne nennen wir fol-
gende Sammler, welche alle bis jetzt ausgegebenen 41 Frage-
bogen in vorbildlicher Weise beantwortet haben:
Konrektor Dr. Ammer, München; Landtagsabgeordneter Ükono-
mierat Bauernfeind, Naabdemenreuth; Archivar Bertele, Lauingen;
Schweizer Bock, Hofhegnenberg; Pfarrer Brand, Erlach; Seminardirek-
tor Durmayer, Bamberg; Bahn Verwalter Eichbauer, Ludwigshafen;
Steuerverwaltersgattin Ertl, Hengersberg; Steuerverwalter Ollinger,
Riedenburg a. Altm.; Gustav Pappenberger, Schwabmünchen; Frau
M. Scheicher, Traunstein; Oberlehrer Schlereth, Geisenfeld; Fräu-
lein M.Schnepf, Traunstein; Pfarrer Sehn irle, Pfaffenberg; Postadjunkt
Schosser, Hengersberg; Oberstlandesgerichtsrat Vierling, München.
Außerdem müssen genannt vperden: Ökonom Brandl, Maximilian;
Bauer Brandmair, Derching; Zollinspektor Fasold, München (sandte
auch eine Menge Zeitungsausschnitte); Seminarlehrer Gschwend, Eich-
stätt; Bergmann Hauptmann , Hohenpeissenborg; Lehrerin Linda Heigl,
München; Kaufmann Heimerl, München; Hauptmann Heindl, Mün-
chen-Passau; Redakteur Herold, München; Gutsbesitzer Hien, Mitter-
harthausen; Pfarrer Hornauer, Weihmichl; Lehrer Kleindinst, Me-
ring; Förster Kulzer, Beratzhausen ; Seminarlehrer Lang, Eichstätt;
Expositus Dr. Markstaller, Rosenberg (Opf.); Kaufmann Matthes, Arz-
berg; Major Miller, Ingolstadt; Expositus Ritzer, Haidmühle (30 außer-
ordentlich gründliche Beantwortungen); Gymnasialassistent Dr. Schmid,
Ettal; Professor Dr. Seh m ög er, München (auch Freigesammeltes); Real-
lehrer Schwarz, München; Lehrer Schwarzer, Neukircben (Opf.)
(12 Fragebogen aus dem Feld beantwortet^; Bernhard Stark, München;
Rudolf Stark, Augsburg (von beiden namentlich viele Flur- und Haus-
namen); Kirchenmaler Vogt, Beilngries; Fräulein Therese Vogt, Beiln-
gries (auch viel freigesammeltes Material: Wörter, Sagen usf.); Thomas
Wild, München und Bauernsohn Windshuber, Kölling.
Auf dem Felde der Ehre fiel Georg Störzek, Haimhausen
(s. S. 215), sowie Lehrer Schmutzleb, Horbach, und Abiturient
Otto Papst, Germering. Außerdem verloren wir durch den
Tod Gastwirt Klimmeb, Engelsberg, und Kaminkehrermeister
Kulzer, Tittling (Beantworter vieler Fragebogen, ausgezeichnet
durch Gi'ündlichkeit und gute Beobachtung).
218 Kominissionsberichte
Die Handbibliothek der Kommission wurde wie im Vor-
jahre durch Zuwendungen von Landgerichtsrat Ebner als Vor-1
stand des Historischen Vereins Straubing, Schriftsteller Hörner,^
Kommerzienrat Schmederer in München bedacht.
2. Rheinpfälzisches Wörterbuch.
Auch im Berichtsjahr ist es nur wenigen Sammlern mög-
lich geworden, für das Wörterbuch tätig zu sein. Der Grund
ist für die Rheinpfalz noch mehr als für das rechtsrheinischel
Bayern der Krieg. Eine vortreffliche Beantwortung des ersten
Fragebogens hat Kaufmann Johann Heumos in Geinsheim ge-
liefert. Wir erhielten von ihm auch eine größere Menge frei-
gesammelten Materials, sowie wertvolle Hinweise auf mund-
artliche Literatur und ein Segenbuch zur Abschrift. Herr
Fritz Heeger in Würzburg bereicherte unsere Bibliothek durch
Zuweisung von Schriften seines Vaters Georg Heeger und vor
allem durch die Schenkung seines literarischen Nachlasses ger-
manistischer Natur. Es handelt sich um durchaus wertvolles
Material zum Wortschatz, zu den Mundartgrenzen und zum
Lautstand des Rheinpfälzischen. Die Arbeiten für die Mundart-
aufnahme der Rheinpfalz werden immer mit Nutzen auch an
diese Nachlaßarbeiten Heegers anknüpfen. An Stelle Heegers
gewann die Kommission Konrektor Dr. Philipp Keiper in Regens-
burg, einen geborenen Rheinpfälzer und auf dem germanisti-
schen Gebiete der pfälzischen Heimatforschung wohlbewährten
Autor, zur Hauptmitarbeit. Konrektor Keiper sammelte im
Berichtsjahr Material zu einem die Flüche des Rheinpfälzers
behandelnden Fragebogen und begann die Verzettelung der
Werke von Daniel Kühn.
3. Ostfränkisches Wörterbuch.
Unter besonderer Beihilfe von Regierungsrat, Bezirksamt-
mann a. D. Reubold in München und mit liebenswürdiger Unter-
stützung von Professor Dr. Oskar Brenner in Würzburg konnte
durch Dr. Mausser die Belehrung für die Sammler des ost-
fränkischen Wortschatzes druckfertig gestaltet werden. Re-
Komiuissionsberichte ^19
gierungsrat Reubold hat ferner eine Musterbeantwortung des
ersten Fragebogens in zwei ostfränkischen Mundarten geliefert.
Es konnten außerdem von der Kanzlei drei Fragebogen, die
den auf die Begriffe Kopf, Gesicht, Wange, Mpnd, Zahn,
Zunge, Lippe und menschliches Haar bezüglichen Wortschatz
behandeln, abgefaßt werden. Sie werden bei günstigerer Zeit
als Nr. 1, 4, 6 der Fragebogen des Ostfränkischen Wörter-
buches gedruckt werden. Die Verzettelung des Leygeberschen
Idiotikons von Forchheim wurde fortgesetzt. Dasselbe gilt von
den Arbeiten zur Feststellung der p'pf-Linie in Unterfranken.
Im Oktober sah Dr. Mausser in Marburg einige Karten des
Sprachatlasses von Wenker ein, um die von ihm und der Mün-
chener Kanzlei gefundene Abgrenzung für die diphthongische
Vertretung von mhd. uo und ö im Ostfränkischen mit der von
Wenkeb festgesetzten zu vergleichen (s. im übrigen S. 216).
Eine Anzahl von fränkischen Sammlern hat uns auch in diesem
Jahre mit kleineren Beiträgen erfreut. Lehrer Graber in Weil-
bach (Ufr.) sandte eine ziemlich umfängliche Beschreibung der
Mundart von Weilbach mit Umgebung, B.-A. Miltenberg.
4. Sondersammlungen der Wörterbuchkommission
aus Anlaß des Krieges.
Sie beziehen sich auf die Sammlung des soldatischen
Wortschatzes und die Sammlung des Soldatenliedes bayeri-
scher Truppen. Der erste Anstoß zu diesen Sondersammlungen
wurde schon im August 1914 durch einen Aufruf gegeben
(s. die Jahresberichte für 1914 und 1915). Im Berichtsjahr
wurde, zum Teil im Anschlüsse an die Vorschläge und Ideen
des Professors Dr. John Meier in Freiburg i. B. als Vorsitzen-
den des Verbandes Deutscher Vereine für Volkskunde, be-
schlossen, die Sammlung auf diesen Sondergebieten zu syste-
matisieren. Das geschah einerseits dadurch, daß die Wörter-
buchkommission den vom Verband Deutscher Vereine für
Volkskunde ausgearbeiteten Fragebogen zur Sammlung des
heutigen Soldatenliedes, dessen zweite Fassung zwischen dem
Verband und der Kommission vereinbart wurde, übernahm und
/
220 Kommissionsberichte
an die im Feld stehenden Sammler verschickte, anderseits da-i
durch, daß zwischen den Kommissionen in München und Wiei
im Mai ein Aufruf zur Sammlung der Soldatensprache untei
besonderer Berücksichtigung ihrer mundartlichen Elemente ver-'
einbart wurde. Die Wöiterbuchkommission versandte die Auf-
rufe zur Sammlung des Soldatenliedes und der Soldatensprache
an die Sammler des ganzen Landes, so daß alle drei Wörter-
bücher, das Bayerisch -österreichische, das Ostfränkische und
das Rheinpfälzische, an dem Erfolg der Sammlung teilhaben.
Das rechtfertigt ihre Besprechung unter einem besonderen
Punkt. Der Aufruf zur Sammlung der Soldatensprache wurde
auch in mancherlei norddeutsche, besonders Berliner und Leip-
ziger Zeitungen übernommen, wofür die Kommission den Re-
daktionen zu Dank verbunden ist. Es erfolgten auch mancherlei
Meldungen zur Teilnahme an der Sammlung der Soldaten-
sprache aus nichtbayerischen, besonders norddeutschen Truppen-
körpern. Die Kommission berücksichtigte diese Anmeldungen
gerne, denn durch die Teilnahme nichtbayerischer Heeresange-
höriger mußte wertvolles Vergleichsmaterial hereinkommen.
Das spezifisch Bayerische, Fränkische oder Rheinpfälzische in
der Soldatensprache mußte sich vom Sächsischen, Hessischen,
Berlinischen usf. mehr abheben, überdies trat auch das allen
deutschen Kontingenten im Wortschatz Gemeinsame auf diese
Weise viel schärfer und bestimmter hervor, als wenn die Samm-
lung nur auf Bayern beschränkt geblieben wäre. Der außer-
ordentliche Erfolg der Sammlung der Soldatensprache hat ge-
zeigt, daß das von der Kommission eingeschlagene Verfahren
richtig war; es hat außerdem gezeigt, daß die Öffentlichkeit
eine Sammlung wie die begonnene geradezu erwartet hat. Die
allgemeine Wortkunde und die mundartliche Lexikographie
wird durch die Sammlung, die seit Juli an die 5000 Zettel
ergeben hat, in gleicher Weise gefördert. Ebenso erfolgreich
war der Aufruf zur Sammlung des Soldatenliedes. Die
Wirkung liegt in häufig geradezu zu kleinen Abhandlungen
gediehenen, ausnahmslos sorgsamen Berichten vor, die nicht
selten auch mit Notenbeispielen versehen sind. Außer dem
Kommissionsbericlite ^'^l
volkskundlichen Grund war es ein sprachenwissenschaftlicher,
der uns diese Sammlung veranstalten ließ. Denn dadurch, daß
wir das heutige Soldatenlied in seiner Verteilung auf Regi-
menter und kleinere Einheiten kennen lernen, von denen wir
zumeist wissen, aus welchen Gegenden und damit Mundart-
gebieten sie rekrutiert sind, bringen wir auch einen Teil jener
Texte in Erfahrung, durch deren Mittel die allgemeine Schrift-
sprache auf die Dialekte einwirkt. Außerdem ist ein Teil —
wenn auch der kleinere — des strophischen Soldatenliedes in
Mundart abgefaßt. Daneben laufen noch soldatische Vierzeiler
in Mundart, von denen vor allem altbayerische in unsere Samm-
lung eingereiht werden konnten. Professor John Meier konnte
einen Teil der Soldatenliedsammlung der Wörterbuchkommis-
sion für sein Buch über das Soldatenlied im Felde (Straß-
burg 1916, Trübners Philologische Bibliothek) benützen. Das
Buch von Dr. Mausser über die gegenwärtige Soldatensprache,
das in nächster Zeit in der erwähnten Philologischen Biblio-
thek erscheint, ist, soweit es sich um mitgeteilte Wörter han-
delt, auf Grund der Sammlungen der W^örterbuchkommission
gearbeitet.
Die Wörterbuchkommission schuldet allen denen, welche
durch Beiträge — häufig recht umfangreicher Natur — die
beiden Sammlungen unterstützt haben, großen Dank, der den
Einsendern auch an dieser Stelle ausgesprochen werden soll.
Wir glauben die Namen derer, die sich um die Sammlungen
besonders verdient gemacht haben, aufführen zu müssen. Wir
nennen für die Sammlung der Soldatensprache die Herren:*)
Otto Behr; Adam Bienlein; Ltn. Bleibinhaus; M.Büttner
(bei der Pressestelle Ost 11); Vzfw. Dr. Julius Cahn; Gg. Connemann;
Uoifz. Fr. England; Ltn. Fritz Ehrlicher; Dr. Friedrich Fick; Ltn.
Dr. Alois Früchtl; Ltn. Dr. Gartenhof; H. Gleißner; Johann Heu-
mos; H. Hiller; Uoffz. Hufnagel; Ltn. Eug. Hüner (auf dem Felde
der Ehre gefallen); Uoffz. Huth; Reg.-Baumeister Kissenberth; Uoffz.
*) Bei Mannschaften ist nur der Name gesetzt; Gefr. = Gefreiter,
Uoffz. = Unteroffizier, Vzfw. = Vizefeldwebel, Vzwachtm. = Vizewacht-
meister, Feldw. = Feldwebel, Offz.-Stellvertr. = Offiziers -Stellvertreter,
Feldw.-Ltn. ~ Feldwebel-Leutnant, Ltn. = Leutnant,Obltn. = Oberleutnant.
222
Kommissionsbericbte
Kreiner (vermißt); Ltn. Max Kunz; Vizewachtm. K. Leibrock; Dl
W. Liebenthal; L. Lindl; M. Märten; Vzfw. ür. Marzell; Uofiz'
Rud. Meißner; Major Miller (steuerte vor allem auch Entwurfamaterial
für militärische Fragebogen in höchst dankenswerter Weisa bei); Feld-
webel L. Müller; Konrad Ott; Hans Peters; Ltn. Ludwig Richter
(außerordentlich zahlreiche Materialien aus sächsischen Verbänden); Ltn.
Dr. Rubenbauer; Gg. Schoßer; Uoffz. Dr. Fr. Solleder: Rudolf
Stark; Gefr. Trog; Ltn. Dr. Übe; R. Ulbricht; Vzfw. Wustmann
(vorzügliches Material aus sächsischen Verbänden); Arno Zeiske; Vzfw.
Wilh, Zentner.
Für die Sammlung des Soldatenliedes führen wir aufj
Karl Albrecht; H. Assel; Assistenzarzt Dr. K. Bachlechner;
Aug. Barth (außerordentlich gründliche Berichte); A. Bauer; Uoffz.
Bauiß; H. Beckert; 0. Behr; Uoffz. H. Bernhard; Obermusikmeister
Bernklau; A. Bienlein; Ltn. Bleibinhaus; Uoffz. A. Burgmaier;
I. Desing; Feldw.-Ltn. L. Dischinger; Vzfw. F. Ehrlicher; Vzfw.
E. Endres; Uoffz. K. Englert; Vzfw. M. Feldhäuser; Uoffz. J. Fell-
ner; Obltn. Dr. Fr. Fick; Uoffz. K.Frank; Uoffz. H. Fritzsche; Ltn.
Dr. Gartenhof; Oberstabsarzt Dr. Gengier; M. George; K. u. K. Ka-
dett Otto Gerstl;lK. Gippe; H. Gleißner; H. Göbel; Uoffz. Herm.
Graf; Phil. Graff; Ltn. Aug. Gräßmann; G. Gunst; 0. Haider;
Ltn. Hammrich; F. Häusler; Konservator Dr. H. Heerwagen; K.
Held; Phil. Henn; Gefr. Hereth; Job. Heumos; X. Hien; G. Hild;
A. Hiller; Uoffz. L, Hofherr; Uoffz. J. Hufnagel; Ltn. E. Hüner
(s. oben); Vzfw. Janker; Uoffz. G. Jena; Uoffz. Jos. Job st; Feldw,
Jung; Uoffz. M. Kammerer; Ltn. Keiper; Vzfw. R. Keller; Uoffz.
Kelz; Uoffz. Kieffer; Uoffz. A. Klein; Uoffz. H. Koch; H. Krapp-
mann; Uoffz. Fr. Kreiner (s. oben); Vzfw. Kreuter; L. Kreuzer;
L. Lamm; Obltn. Lang; Uoffz. Lautenschlager; Uoffz. Karl Leh-
meier; E. Leibrock; Uoffz. J. Lindenberger; Th. Lippert; Major
Ed. Lösch; Uoffz. Luthner; Ltn. Machbert; Jos. März; Fr. March-
felder; Dr. E. Mayr; Ltn. Mehl; A. Müller; Feldw. L. Müller; Ltn.
Neckermann (auf dem Felde der Ehre gefallen); Uoffz. Fr. Niesner;
Vzfw. Obergaßner; Uoffz. A. Östreicher; M. Pfaller; Vzfw. Prand-
stätter; F. Pregler; Uoffz. A. Prell; Seb. Pröll; Uoffz. L. Rehn;
J. M. Reichart; Hauptmann Reg.-Rat R. Reubold; Uoffz. H. Rhein-
heimer; Uoffz. H. Rimmele; Ltn. Dr. H. Rubenbauer; Phil. Sauer-
heber; A. L. Seidinger; Ltn. Jos. Silbig; Dr. Fr. Solleder (wie
Dr. Rubenbauer und andere um beide Sammlungen sehr verdient); Feldw.-
Ltn. H. Scheuerecker; H. Schließleder; Feldwebel Schnebel; A.
Schnirle; J. Schön; Ltn, W. Schön; K. Schwarzer; L. Schwarz-
mann; Uoffz. L. Schwing; E. Steiner; Offz.-Stellvertr. A. Stock-
mann; G. Störzer (s S. 215); Uoffz. Thanner; M. Vitzthum; Feldw.-
Kommissionsberichte 223
Ltn. Waffen sclimidt; UofFz. Waldhier; Ltn. F. Walz (gefallen
auf dem Felde der Ehre); Ltn. E. Weber; Garnisonverwaltungsinspektor
J. Weber; Uoffz. Weidinger; Vzfw. E. Weis; W. Wiesinger;
Arno Zeiske; Vzfw. W. Zentner; Max Jos. Zink,
Von Zivilisten sind zu nennen: Archivar Bertele, Lauingen; Frau
M. Ertl, Hengersberg; Zollinspektor Fasold, München; Jos. Sefehlner,
Obernzell; Frau Auguste Ufer, Landau (Pfalz).
Dezember 1916.
Die Wörterbuchkommission
der K. B, Akademie der Wissenschaften:
Dr. Ernst Kuhn,
Vorsitzender.
Dr. Otto Maußer,
wissenschaftlicher Hilfsarbeiter.
224 Kommissionsberichte
Bericht über die Höhlenforschung in Bayern
im Jahre 1916.
In der Sitzung der akademischen Kommission für Höhlen-
forschung vom 4. Dezember 1915 wurde beschlossen:
1. die Höhlenkarte Gümbels möglichst zu ergänzen und
2. durch Probegrabungen festzustellen, in welchen Höhlen
Reste des vorgeschichth'chen Menschen sich finden.
Da für die eigentliche fränkische Schweiz bei der Natur-
historischen Gesellschaft in Nürnberg schon Vorarbeiten in
dieser Hinsicht vorliegen sollen, wurden die Höhlengebiete
außerhalb derselben in Angriff genommen.
Professor Birkner begann mit Dr. Schneid-Bayreuth mit
den Untersuchungen der Höhlen in den Tälern des oberen
Weismains, der Aufseß und Wiesent, über die zum Teil schon
Pfarrer Engelhardt von Königsfeld Ende der sechziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts Mitteilung gemacht hat. . Gümbel
verzeichnete in dieser Gegend eine Anzahl von Höhlen. Es
ist nicht immer möglich festzustellen, welche von den vor-
handenen Höhlen Engelhardt und Gümbel gemeint haben.
Abgesehen vom Philippenloch bei der Weihersmühle sind
alle angegebenen Höhlungen mehr oder minder große Löcher
im Felsen meist ohne Erdschichten, nur mit wenig Verwitte-
rungsschutt bedeckt. Die Probegrabung im Philippenloch er-
gab wenig mittelalterliche und prähistorische Scherben (ältere
Bronzezeit, Hallstattzeit?); diluviale Reste von Mensch und
Tier fehlen vollständig. Das gleiche gilt von der Höhle im
Berg und von dem „Gäulstall" bei Wattendorf.
Im oberen Aufseßtale sind diejenigen Stellen, welche als
Wohnstätten in Frage kommen, von Pfarrer Engelhardt schon
Kommissionsberichte 22 o
untersucht worden, ein Teil der von ihm als „Urwohnungen"
bezeichneten Höhlungen in Telsen sind sicher keine Wohnungen,
z. B. die „Urwohnung bei Voitmannsdorf mit Opferstein". Die
Probegrabungen haben bestätigt, daß im Dolomitsand, der die
mehr humösen, oberflächlichen Schichten unterlagert und von
Engelhardt „gelber Mergel" genannt wurde, in der Tat keine
Tier- und Kulturreste sich finden. Das gleiche gilt für die
Höhlen im oberen Wiesenttal. Der Hang vor der Grotte
„Kühkerk" bei Loch im Wiesenttal ist mit prähistorischen
Scherben übersät, die aller Wahrscheinlichkeit von einer prä-
historischen Siedlung auf dem Plateau über der Kühkerk her-
rühren. Die Grotte selbst scheint nicht bewohnt gewesen
zu sein.
In der Umgebung von Krögelstein, welche landschaftlich
an die Felsenpartien des Vezeretales in der Dordogne erinnert,
befinden sich Höhlungen und überhängende Felsen. Zum Teil
enthalten sie keine Bodenschichten oder wenn solche vorhanden
sind, wie in der „Kühkerk", nördlich von Krögelstein, dann
fehlen Spuren des vorgeschichtlichen Menschen und der da-
maligen Tierwelt.
Die Höhlen bei Sanspareil, die Gümbel aufzählte, liegen
im Park des Schlosses. Sie wurden nicht aufgesucht, da sie
vermutlich im Laufe der Zeit künstlich verändert worden sind.
Das Klingelloch bei Schirradorf ist eine unterirdische, ur-
sprünglich nur durch eine Öfi'nung in der Decke zugängliche
Höhle, die dem Menschen nicht als Wohnung gedient haben
kann.
Da in keiner der untersuchten Höhlen des oberen Weis-
main-, Aufseß- und Wiesentgebietes Reste des diluvialen Men-
schen und diluvialer Tiere gefunden werden konnten, liegt die
Vermutung nahe, daß während des Quartär in jenen Gegenden
die Höhlenbildung noch nicht erfolgt war, denn wenn die
Höhlungen vorhanden gewesen wären, müßten wenigstens Tier-
reste dort vorhanden sein.
Ein weiteres Höhlengebiet, das im vergangenen Jahre
eingehender untersucht worden ist, liegt im Bezirksamt Sulz-
Jahrbuch 1916. 15
226. Kommission sbericlite
bach. Sowohl südlich als westlich von Sulzbach sind in den
anstehenden Felsenpartien zahh-eiche Höhlen.
Seit längerer Zeit ist die Osterhöhle in der Hainsburj
bekannt, in welcher Scherben und Menschenknochen gefunden
wurden. Eine Untersuchung derselben ergab die Wahrschein-
lichkeit, daß die Höhle in dem Zustand, wie sie sich jetzt
befindet, nur durch einen schmalen, niederen Einschlupf zu-
gänglich, nicht vom Menschen als Wohnstätte benützt worden
ist. Die Scherben, Tier- und Menschenreste dürften vielmehr
vom prähistorischen Menschen der Hallstatt- und Latenezeit,
der vor der Höhle und in der nächsten Umgebung lebte,
durch einen in die Höhle führenden Spalt geworfen worden
sein. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich dann der Spalt
mehr und mehr verschlossen, so daß er heute vollständig ver-
schwunden ist. Wenn der diluviale Mensch hier gelebt hätte,
würden seine Reste unter der mächtigen Steinschicht zu ver-
muten sein, welche die jetzige Terrasse vor der Höhle bildet.
Probegrabungen ergaben aber keine Spuren.
Die Scherben und Knochen im Peterloch bei Woppental
sind durch die dolinenförmige Öffnung hinabgeworfen worden.
Von Wohnstätten oder Bestattungen kann hier keine Rede sein.
Es wurden östlich von der Osterhöhle noch die Fritzen-
berghöhle untersucht, die weder Reste des eiszeitlichen noch
nacheiszeitlichen vorgeschichtlichen Menschen aufwies.
Das gleiche gilt von der Geiskirche und der Hirtenweber-
höhle bei Neukirchen. Das Osterloch im Osterberg ist eine
unterirdische Höhle, in welche die gelegentlich gefundenen
prähistorischen Scherben von außen hineingelangten. Das
weithin sichtbare Franzosenloch ist eine Felsenaushöhlung,
ursprünglich ohne Bodenschichten.
Gümbel gibt für die Umgebung eine Reihe von Höhlen
an, die sich heute nicht mehr feststellen lassen. Sein „Hohlen-
stein n. von Neukirchen" ist vielleicht die Appelhöhle bei
Steinbach, möglicherweise ist aber auch das Franzosenloch
oder eine unterirdische Höhle im Südwesthang des Hartenfels
oder die Hirtenweberhöhle gemeint. Ein Pumperloch gibt er
P
Kommissionsberichte 227
bei Schönberg ö. von Amberg an, in der näheren Umgebung
gibt es aber kein Schönberg, sondern nur ein Schönlind bei
Neukirchen, in dessen Nähe auch unterirdische Löcher sich
finden sollen.
In keiner bisher untersuchten Höhle im Bezirksamt Sulz-
bach fanden sich diluviale Reste, ja in den meisten fehlen
sogar jüngere vorgeschichtliche und mittelalterliche Funde.
Die Höhlen dürften somit sehr jung sein.
Ein reiches Höhlengebiet befindet sich im Lauterachtal
und den anschließenden Tälern. Es wurde vor allem die
Höhle in den Pfaffenhängen bei Adertshausen untersucht, wo
vor Jahren schon von Nürnberger Herren gegraben worden
ist. Es fanden sich nur Schichten mit vorgeschichtlichen Re-
sten von der jüngeren Steinzeit bis zur Latenezeit, diluviale
Tier- und Menschenspuren fehlen. Die Höhlen und Grotten
im Angerberg und Geisberg bei Ransbach, im Scharfenberg
bei UrsensoUen im Aichabirk und bei Lauterach im Lauter-
achtal, die Höhle im Eichelberg bei Utzenhofen, eine Höhle
zwischen Bernla und Freischweibach, die Osterhöhle bei Bärn-
hof, verschiedene Höhlen bei Natterzhofen , z. B. die Helm-
stube u. a., wurden in die Karte 1 : 50000 eingetragen. Eine
interessante Felsen partie mit Grotten und überhängenden Felsen
liegt am Kalvarienberg zwischen Dettenbach und Wolfsfeld.
Rentamtmann Fraunholz von Kastl hat versprochen, dort durch
Probegrabungen festzustellen, ob menschliche Wohnschichten
vorhanden sind.
Besonders interessant sind die Höhlen in der Umgebung
von Velburg. Durch Professor Dr. M. Schlosser sind in ver-
schiedenen derselben vorgeschichtliche Kulturreste und dilu-
viale Tierreste festgestellt worden, vor allem in Höhlen im
Schloßberg, bei St. Wolfgang in der König Otto -Höhle, in
der Gaisberghöhle, ferner in der Kittenseer-, Breiten winner-
und Lutzmannsteiner -Höhle. Leider sind durch Grabungen
des Apothekers Wirsching von Velburg und des Höhlenwarts
Federl von St. Colomann die Schichtverhältnisse in den meisten
Höhlen und Grotten stark gestört worden. Durch die beiden
/
228 Kommissionsberichte
kamen Gegenstände aus den Höhlen in verschiedene Samm-
lungen, deren Echtheit stark bezweifelt worden ist. Jetzt,
nach deren Tod, ist Gelegenheit gegeben, die tatsächlichen Ver-
hältnisse klarzulegen. Es sind in den Höhlen, wo sie gegraben
haben, noch ungestörte Schichten vorhanden. Vor allem scheint
aber in zwei Grotten im Rattenberg, auf die der Förster von
Lutzmannstein aufmerksam machte, noch nicht gegraben worden
zu sein, so daß man hier einwandfreien Aufschluß über die vor-
geschichtliche Besiedlung erwarten darf. Die Lutzmannsteiner
Höhle erinnert ganz an das Schulerloch bei Kelheim, so daß
nicht ausgeschlossen ist, daß auch hier wie dort paläolithische
Schichten in der Tiefe unter den Sinterdecken sich finden. In
der Breitenwinner- Höhle dürften ebenfalls unter dem Stein-
schutt noch ungestörte Wohnschichten vorhanden sein.
Von dem im Jahre 1916 untersuchten Höhlengebiete zeigte
die Umgebung von Velburg allein Reste von diluvialen Tieren,
hier dürften bei eingehender Untersuchung vielleicht auch Reste
des diluvialen Menschen zum Vorschein kommen.
Adresse 229
Adresse
an Herrn Adolf Engler
zum fünfzigjährigen Doktor -Jubiläum
am 16. August 1916.
Hochgeehrter Herr Kollege!
Die Königlich Bayerische Akademie der Wissenschaften
bringt Ihnen zur Feier des fünfzigjährigen Doktor -Jubiläums
ihre besten Glückwünsche dar.
Sie freut sich, bei diesem Anlasse mit Ihnen der hervor-
ragenden wissenschaftlichen und organisatorischen Erfolge sich
zu erinnern, welche Sie durch rastlose Tätigkeit seit der Er-
werbung des Doktorgrades erreicht haben.
Schon in Ihren ersten Arbeiten haben Sie die Neigung
zu Untersuchungen auf dem Gebiete der systematischen Botanik
und Ihre Befähigung für die Überwindung der ihm eigenen
Schwierigkeiten — Ihren systematischen Takt — an den Tag
gelegt, und Sie sind dieser Richtung treu geblieben.
Gerne haben Sie mit dem Beginne Ihrer Lehrtätigkeit
in München dem anregenden Wunsche des Begründers der
„Flora Brasiliensis", von Martins, entsprochen und die Be-
arbeitung mehrerer Familien für dieses großartigste all unserer
Florenwerke übernommen.
Die dabei gewonnenen Eindrücke haben Sie zugleich ver-
anlaßt, für gewisse dieser Familien eine ihren Gesamtbestand
erfassende kritische Sichtung durchzuführen und unter Be-
rücksichtigung entwicklungsgeschichtlicher, anatomischer und
pflanzengeographischer Verhältnisse sie einer Neuordnung inner-
halb schärfer gezogener, gesicherter Grenzen zu unterziehen.
2d0 Adresse
Diese kritische Tätigkeit dehnten Sie angesichts der ge-
wonnenen Erfolge alsbald auf das gesamte Gewächsreich aus,
das Sie unter Verbesserung an zahlreichen Stellen in eine
neue Ordnung zu bringen versuchten und für das Sie unter
Gewinnung zahlreicher Mitarbeiter, die Ihr Eifer selbst wieder
aneiferte, eine auf die sämtlichen Gattungen des Gewächsreiches
ausgedehnte Darstellung in dem Glanzwerke der „Natürlichen
Pflanzenfamilien" zu schaffen wußten. Im Jahre 1887 be-
gonnen, umfaßt dasselbe mit den bis auf den heutigen Tag
reichenden Nachträgen volle 22 Bände und hat alle früheren
derartigen Werke weit überholt.
Zugleich schufen Sie für die neu belebte Tätigkeit auf
systematischem Gebiete ein besonderes Organ in Ihren „Bota-
nischen Jahrbüchern für Systematik, Pflanzengeschichte und
Pflanzengeographie", welches seit dem Jahre 1880 die statt-
liche Reihe von 54 Bänden erreicht hat, mit zahlreichen Bei-
trägen aus der eigenen Hand.
Es fügt sich dem, abgesehen von einer Reihe akademischer
Abhandlungen, die Sammelarbeit an über „Die Pflanzenwelt
Deutsch -Ostafrikas" (1895), die Herausgabe von „Monogra-
graphien afrikanischer Pflanzen - Familien und -Gattungen",
von deren acht Teilen (1898 — 1904) vier Sie selbst zum Ver-
fasser haben, und die mit Drude bewerkstelligte Begründung
einer , Sammlung pflanzengeographischer Monographien", von
deren in den Jahren 1896 — 1915 erschienenen dreizehn Bänden
vier über „Die Pflanzenwelt Afrikas" Ihr eigenstes noch in
Fortsetzung befindliches Werk sind, reich an gediegenen Be-
obachtungen, reich an Eröffnung neuer Einblicke.
Doch nicht genug damit, faßten Sie in unermüdlichem
Eifer für die bis dahin schon glänzend verfolgte Richtung
den mit allgemeiner Bewunderung aufgenommenen Plan einer
Bearbeitung der sämtlichen Pflanzenarten — eines „Regni vege-
tabilis conspectus" unter dem Titel „Das Pflanzenreich" — ,
um einem mit der Ausbreitung unserer Kenntnisse von der
Pflanzenwelt des ganzen Erdkreises immer dringender gewor-
denen Begehren nach einer umfassenden Darstellung derselben
Adresse 231
Befriediguiiff zu verschaifen. Es ist erfreulich, das im Jahre
1900 begonnene Werk in bestem Fortgange zu sehen und
auch hier wieder wichtigen Beiträgen aus Ihrer Meisterhand
zu begegnen.
Und zu all dem kommt Ihre Tätigkeit als Lehrer — in
München, in Kiel, in Breslau und in Berlin — und als Be-
gründer eines neuen botanischen Gartens und Museums, eines
botanischen Zentrums im Herzen Deutschlands, das mit den
älteren anderer Länder sich vollauf messen kann, und dem
Sie in vorgerückten Jahren noch durch weite Reisen nach
den Tropenländern Asiens und Afrikas wertvollen Gewinn zu-
zuführen verstanden haben.
Möge Ihnen — das ist der Wunsch der Königlichen
Akademie — eine so erfolgreiche Tätigkeit noch viele Jahre
hindurch gegönnt sein, so daß Sie, von Gewinn zu Gewinn
fortschreitend, wie Solon von Sich sagen können:
„rrjQdoxo) d''aiei JioXkd didaoxojuevog."
München, den 16. August 1916.
Der Präsident
Crusius.
Der Sekretär der math.-phys. Klasse
V. Goebel.
232 Samsonstiftung
Nachtrag,
Geschäftsordnung für die Samsonstiftung.
Beraten und beschlossen in der Sitzung des Vorstandes
am 25. Juli 1916.
§ 1.
Der Vorsitzende des Vorstandes und sein Stellvertreter
werden in der ordentlichen Sitzung (§ 2^") für das nächste
Geschäftsjahr gewählt.
Über die Wahl entscheidet die Mehrheit der erschienenen
Mitglieder.
Wird es von einem der erschienenen Mitglieder beantragt,
so findet zum Zweck der Wahl geheime (schriftliche) Abstim
mung statt.
§ 2.
Seine Beschlüsse faßt der Vorstand der Regel nach in
Sitzungen nach vorgängiger Beratung. Abstimmung durch
Umlaufschreiben des Vorsitzenden ist nur zulässig, wenn kein
Mitglied Widerspruch dagegen erhebt.
Die Sitzungen werden vom Vorsitzenden berufen und
geleitet.
Jährlich findet spätestens 14 Tage vor der öffentlichen
Frühjahrssitzung der Akademie die ordentliche Sitzung des
Vorstandes statt. Außerordentliche Sitzungen kann der Vor-
sitzende nach seinem Ermessen und muß er nach schriftlichem
Antrag eines Mitgliedes berufen.
Die Berufung erfolgt schriftlich durch Vermittelung des
Syndikus und unter Beobachtung einer fünftägigen Einladungs-
\
I
Samsonstiftung 23ö
frist. Dabei sind die Gegenstände der Beschlußnahme anzu-
geben. Über einen Gegenstand, der nicht bei der Berufung
bezeichnet ist, kann nur beschlossen werden, wenn keines der
erschienenen Mitglieder widerspricht.
Beschlüsse in Sitzungen werden mit Stimmenmehrheit der
Erschienenen, Beschlüsse durch Umlaufschreiben mit Stimmen-
mehrheit sämtlicher Mitglieder gefaßt. Bei Stimmengleichheit
in einer Sitzung gibt die Stimme des Vorsitzenden den Aus-
schlag. Stellt sich dagegen bei Abstimmung durch Umlauf-
schreiben Stimmengleichheit heraus, so ist der Gegenstand in
eine Sitzung zu verweisen.
Durch den Vorsitzenden werden die Beschlüsse zur Aus-
führung gebracht.
Um Führung eines Protokolles über die Verhandlungen
in Sitzungen ist der Syndikus zu ersuchen. Es wird vom
Vorsitzenden unterzeichnet,
§ 3.
Sollte ein Vorstandsmitglied am Erscheinen oder an der
Stimmabgabe unabweislich verhindert sein, so hat der Vor-
sitzende die Klasse desselben zum Aufstellen eines Ersatz-
mannes einzuladen.
§ 4.
Unter Beobachtung von § 5 der Satzung beschließt der
Vorstand über die Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten
aus den Stiftungsmitteln des laufenden Geschäftsjahres. Zu
diesem Zweck kann er auch für die Lösung bestimmter von
ihm gestellter Aufgaben Preise aussetzen.
Anträge auf Beschlüsse der vorbezeichneten Art sind
spätestens im Januar beim Vorsitzenden schriftlich einzu-
reichen.
Der Vorsitzende stellt sie alsdann den Klassen der Aka-
demie zu, damit diese in den Februarsitzungen sich dazu
äußern können.
Die in Abs. 1 bezeichneten Beschlüsse werden in der
ordentlichen Sitzung (§ 2"^) gefaßt. Ihre Schlußredaktion
234 Samsonstiftung
wird durch die Antragsteller besorgt und durch den Vor-
sitzenden dem Präsidenten der Akademie zur Bekanntgabe in
der nächsten öffentlichen Akademiesitzung und im Jahrbuch
der Akademie zugefertigt.
§ 5.
Preisbewerbungen werden nur zugelassen, wenn die sie
begründenden literarischen Arbeiten in deutscher Sprache und
in druckfertiger Reinschrift eingereicht werden.
Über eine eingereichte Preisschrift erholt der Vorstand,
bevor er über die Erteilung des Preises beschließt, das schrift-
liche Gutachten eines oder mehrerer Mitglieder der Akademie,
gegebenenfalls auch von Gelehrten, die nicht der Akademie
angehören.
Für die Gutachten ist ein angemessenes Honorar auszu-
werfen.
Die Ergebnisse der Preisbewerbungen werden in der
nächsten öffentlichen Akademiesitzung und im Jahrbuch der
Akademie bekanntgemacht.
§ 6-
Wird zum Zweck von Forschungen ein Gelehrter aus den
Stiftungsmitteln unterstützt, so fordert der Vorsitzende einen
Jahres- und einen Schlußbericht über die Ergebnisse seiner
Arbeiten ein und veranlaßt, wenn es ihm zweckmäßig er-
scheint, dessen Veröffentlichung.
Der Haushaltsvoranschlag der Stiftung wird für jedes Ge-
schäftsjahr in der ordentlichen Sitzung (§ 2^") festgestellt.
Der Vorsitzende beschafft die hiezu erforderlichen Unterlagen
durch Vermittlung des Syndikus.
§ 8-
Jedes Mitglied des Vorstandes erhält ein gedrucktes Exem-
plar der Stiftungssatzung und der Geschäftsordnung.
I
I
Mittag-Lefflerstiftung 235
§ 9.
Die gegenwärtige Geschäftsordnung tritt am 1. Januar
1917 in Kraft. Bis dahin beschließt der Vorstand von Fall
zu Fall unter Anwendung von § 2\ ", ''^~"^".
Zu Änderungen der Geschäftsordnung ist die Zustimmung
von vier Mitgliedern aus der zweiten und von drei Mitgliedern
aus der ersten und dritten Klasse der Akademie erforderlich.
Mit Testament vom 16. März 1916 hat das korrespon-
dierende Mitglied der K. B. Akademie der Wissenschaften, der
Mathematiker G. Mittag-Leffler in Stockholm und seine
Gattin Signe Mittag-Leffler, die nach seinem Tod in
Wirksamkeit tretende
Mathematische Stiftung der Ehegatten
Mittag-Leffler
begründet. Sie hat die Aufgabe innerhalb der vier nordischen
Länder die Stellung der reinen Mathematik aufrecht zu er-
halten und auszubauen.
Drude beendet 25. Januar 1917.
^
JAHRBUCH
DER
KÖNIGLICH BAYERISCHEN
AKADEMIE der WISSENSCHAFTEN
1917
MÜNCHEN
VERLAG DER K. B. AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
IN KOMMISSION DES G. FRANZ'SCHEN VERLAGS (J. ROTH)
1917
/.
/
n
Die Satzung und Geschäftsordnung der Akademie sowie die
Satzungen ihrer Kommissionen und Stiftungen sind im Jahrbuch
1917 nicht enthalten. Sie sollen fortan nur in größeren Zwischen-
räumen wieder abgedruckt werden. Der letzte Abdruck ist im
Jahrbuch 1916 zu finden.
Akademische Buefadruckerei Ton F. Straub in München.
INHALT.
/-
Seite
Öffentliche Sitzung am 14. März 1917
Ansprache des Präsidenten
1
Bewilligungen aus Stiftungen
4
u. 128
Preisaufgaben
8
Nekrologe ....
.
15
Leskien August
von
Streitberg .
15
Meyer Wilhelm
»
Vollmer
20
Ohlensehlager Fi-iedrich .
1»
Hager .
23
Darboux Gaston
^
Voss .
26
Helmert Friedrich Robert
,
Schmidt
53
Mach Ernst
1"
Sommerfeld
58
Ranke Johannes
j,
Rückert
67
Wiesner Julius Ritter von
^
V. Goebel .
77
Leroy-Beaulieu Anatole
y
Marcks
80
Schröder Richard
^
V. Amira
80
Allgemeine Sitzung am 18. Juli 1917:
Neuwahlen
. ' 87
Personalstand :
Verwaltung 89
Ehrenmitglieder, ordentliche und außerordentliche Mitglieder 91
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder ... 97
Besondere Kommissionen 101
Berichte und Protokolle der akademischen Kommissionen:
Thesaurus linguae latinae 106
Mittelalterliche Bibliothekskataloge 108
Historische Kommission 110
Wörterbuch-Kommission 114
Bericht über die Höhlenforschung in Bayern im Jahre 1917 121
Glückwunschschreiben . . . . .124
Nachtrag . 128
Öffentliclie Sitzung
zur Feier des 158. Stiftungstages
am 14. März 1917.
Die Sitzung eröffnete der Präsident der K. Akademie der
Wissenschaften Herr Crusius mit folgender Ansprache:
Ew. Majestät!
Königliche Hoheit!
Verehrte Anwesende!
Vor wenigen Wochen tagte in diesen Räumen die Kriegs-
versammlung unseres „Deutschen Museums". Seine Majestät
der König führte den Vorsitz. Der Mann, um den jetzt ganz
Deutschland trauert, weilte unter uns. Graf Zeppelin hat hier
— so müssen wir jetzt sagen — dem deutschen Volk seinen
letzten Willen kundgegeben, in jener schlichten rührenden
Ansprache, die ihn selbst wie im Spiegel zeigte.
Wir sind Seiner Majestät, unserm Schirmherrn, von Herzen
dankbar, daß er in dieser bewegten Zeit auch an der schlichten
Feier teilzunehmen geruht, mit der wir heute unser 158. Stif-
tungsfest begehn. Es ist ein fast unerschöpflicher, dem Tag
und dem Ort besonders angemessener Stoff, den der Festredner
zu behandeln gedenkt, das engere und das weitere Vaterland,
Bayern und Deutschland, im neunzehnten Jahrhundert.
Ich glaube im Sinne der Anwesenden zu handeln, wenn
ich auch diesmal der Versuchung widerstehe, ihre Zeit mit
Erörterungen aus meiner Sonderwissenschaft in Anspruch zu
nehmen, so lockend es gerade heute wäre, etwa die Herkunft
Jabrbach 1917. 1
öflFentliclie Sitzung am 14. März
und Geschichte des Begriffes Europa oder den Bedeutungs-
wechsel des Wortes Barbar zu beleuchten.
Ich beschränke mich auf einige Mitteilungen über Zu-'
Wendungen und Erfolge, Arbeiten und Pläne der Akademie
und der mit ihr verbundenen wissenschaftlichen Sammlungen.
Den erfreulichsten Zuwachs gewann das ethnographische
Museum, so sehr sein Betrieb auch im dritten Kriegsjahr durch
die Unterbindung des überseeischen Verkehrs zu leiden hatte.
Eine stattliche Anzahl von Belegstücken aus der Gegend
des Kaiserin Augusta- Flusses im deutschen Südseegebiet
sind das Ergebnis langwieriger Unterhandlungen, die das Ge-
neralkonservatorium mit dem Reichs-Kolonialamt geführt hatte
und die im vorigen Dezember in Berlin zum Abschluß kamen.
Wenn die gewonnenen Typen für uns auch nicht durchweg
etwas Neues bedeuten, da bayerische Schiffsoffiziere schon vor
Jahren in jenem Gebiete gesammelt und die Frucht ihrer Be-
mühungen dem Museum ihres Heimatlandes zugeführt hatten,
so stellen doch die Berliner Überweisungen eine höchst ansehn-
liche und erwünschte Bereicherung des Museums dar. Dem
Reichskolonialamt, seinem Leiter, Exz. Solf, seinen Beamten
und Beratern sei auch an dieser Stelle der Dank des Museums
wie des Generalkonservatoriums ausgesprochen.
Aus unsern ostafrikanischen Schutzgebieten stammt
ein sehr willkommener Zugang, den wir dem Missionskloster
der Benediktiner zu St. Ottilien verdanken. Der hochwürdigste
Herr Erzabt hat 80 Stücke dem ethnographischen Museum als
Geschenk übermittelt. Die unentgeltliche Überlassung wird
ausdrücklich damit begründet, daß Angehörige des Missions-
institutes bei ihren Studien im Münchner Museum Unterstüt-
zung und Förderung gefunden hatten.
Schon in der Novembersitzung wurde betont, wie nötig
es ist, daß in diesen schweren Zeiten der Gemeinsinn, die frei-
willige Leistung den Staat bei seinen Kulturaufgaben unter-
stützt. Nicht nur zum Kriegführen, auch zum Leiten von
Museen und wissenschaftlichen Unternehmungen gehört erstens
Geld, zweitens Geld, drittens Geld.
Änspraclie des Präsidenten 3
Erfreulicher Weise sind unsern Sammlungen gerade in den
letzten Monaten recht erhebliche Mittel durch Schenkung zu-
gewendet worden.
Mit einer solchen Stiftung, die für Gegenstände des ost-
asiatischen Kulturkreises verwendet werden sollte, konnten für
unser ethnographisches Museum ganz hervorragende Bronzen,
Keramiken und Textilien angekauft werden, deren erlesene
Feinheit die Bewunderung der freilich nur gezählten Personen
erweckt hat, für die diese prächtigen Neuerwerbungen aus
ihren Verließen hervorgeholt wurden.
An eine würdige Ausstellung und Aufstellung für die
Allgemeinheit kann ja leider bei den sattsam bekannten
baulichen Nöten unseres ethnographischen Museums nicht ge-
dacht werden. Der Betätigung des Bürgersinnes steht hier
ein ergiebiges Feld offen. Daneben mag festgestellt werden,
daß sich unter Führung Sr. Exz. des Herrn Staatsministers a. D.
V. Miltner ein Kreis von Männern zusammengefunden hat, der
sich die Förderung von Aufgaben des ethnographischen Mu-
seums als Ziel setzt.
Das wachsende Verständnis für die Aufgaben des bota-
nischen Gartens gab sich in einer sehr willkommenen Stiftung
von Münchner Bürgern kund. Aus ihrem Ertrag sollen solche
Reisen von Beamten unterstüzt werden, die ein Ergebnis für
die Weiterentwicklung des Gartens versprechen.
Eine weitere stattliche Schenkung setzt das pflanzen-
physiologische Institut in die Lage, seinen Apparat, namentlich
das Kryptogamenherbar , durch Ankauf wertvoller Pflauzen-
sammlungen zu bereichern.
Durch die der Akademie zur Verfügung stehenden Stif-
tungen und Fonds konnten wiederum zahlreiche wissenschaft-
liche Untersuchungen gefördert und mancherlei Anregungen
gegeben werden.^)
^) Die folgende Liste wurde der leichteren Übersicht halber bis
zum Schlüsse des Jahres 1917 weitergeführt.
1*
4: öfltentliclie Sitzung am 14. März
Es wurden bewilligt:
Aus dem Mannheimer Fonds:
3000 tM an die Akademie der Wissenschaften zur Be-
gründung eines Phonogrammarchivs; jHI
3000 JC an die Zoologische Sammlung des Staats zui^'
Ankauf einer paläarktischen Schmetterlingssammlung;
1800 Ji an die Paläontologische Sammlung zum Ankauf
der Glasschen Sammlung von Versteinerungen und zum Er-
werb von Versteinerungen aus Bayern;
1000 Jt an die K. Münzsammlung zum Erwerb griechi-
scher Münzen.
Aus dem Etatsposten „Besondere wissenschaftliche
Publikationen":
a) von der philosophisch-philologischen Klasse:
400 Jt an Professor Dr. John Meier in Freiburg i. Br.
zur Förderung einer Sammlung der Soldatensprache;
300 Jt an Professor Dr. Hermann v. Fischer in Tübingen
zur Herausgabe des Schwäbischen Wörterbuchs;
200 Jt an Geheimrat Dr. Karl Brugmann in Leipzig zui^.
Herausgabe des Indogermanischen Jahrbuchs; 1H
300 Jt an Professor Dr. Albert Rehm in München zur
Herausgabe der Zeitschrift »Philologus" ;
b) von der mathematisch-physikalischen Klasse:
400 Jt an den Konservator des K. Botanischen Museums
Dr. Hermann Roß zur Veröffentlichung seiner Arbeit über
die Gallen;
c) von der historischen Klasse:
1000 Jt für Unterstützung der Monumenta Boica.
Aus der Samson-Stiftung:
1000 Jt an den Gymnasialhilfslehrer Alfred Lebret in
Stuttgart für Untersuchung und Bearbeitung der mittelalter-
lichen lateinischen Moralflorilegien ;
Ansprache des Präsidenten o
1000 Ji an Dr. Eduard Berend in München für Vorbe-
reitung der Herausgabe der Briefe Jean Pauls;
1000 Ji an den Kustos des K. Museums für Völkerkunde
in München Dr. Adolf Dirr für seine Arbeit über die Rechts-
verhältnisse und Rechtsanschauungen der nordkaukasischen
Völker ;
5000 zM. an Geheimrat Max v. Grub er in München für die
von ihm beabsichtigten Tierversuche zur Erzeugung von Muta-
tionen ;
1000 Ji an den Geheimen Hofrat Dr. Otto Frank in
München zu seinen Untersuchungen über tonische Erregungen
des Zentralnervensystems.
Aus der Thereianos-Stiftung:
1000 jH an Professor Dr. Leopold Wenger in München
zur Herstellung eines Index zu den Novellen Justinians;
800 JI als Preis an Konstantin Kourouniötes in Athen
für seine Forschungen und Veröffentlichungen auf dem Gebiete
der griechischen Archäologie.
Aus der Hardy-Stiftung:
1000 JC an Professor Dr. Max Walleser in Heidelberg-
Rohrbach in Anerkennung seiner Verdienste um das Studium
der buddhistischen Philosophie und zur Unterstützung seiner
weiteren Arbeiten auf diesem Gebiete.
Aus dem Etatsposten für naturwissenschaftliche
Erforschung des Königreichs:
500 JI an den K. Reallehrer Adolf Reissinger in Kempten
zu Schlammessungen in AUgäuer Seen zwecks Feststellung des
seit der Eiszeit verstrichenen Zeitraums;
400 JC an die Ornithologische Gesellschaft in Bayern zur
Fortsetzung ihrer Forschungen über die Biologie der Vögel
in Bayern;
100 J^ an den Benefiziaten Alois Weber in München
zur Erforschung der bayerischen Molluskenfauna;
6 öffentliche Sitzung am 14. März
1000 Ji an die Bayer. Botanische Gesellschaft in München
zur planmäßigen Erforschung der Kryptogaraenflora Bayerns,
II. Rate;
600 Ji an den Konservator des K. Botanischen Museums
Dr. Hermann Roß zur Veröffentlichung seiner Arbeit über
die Gallen.
Aus der Münchner Bürger- und Cramer-Klett-
Stiftung:
2000 M an Professor Dr. Reinhard Dohrn in Zöncf
zur Fortführung und Veröffentlichung der Untersuchungen des
Dr. A. Naef über Cephalopoden ;
800 Jt an Dr. Rudolf Seeliger (z. Z. in Hannover) zur
Untersuchung der durchdringenden Strahlung;
230 Ji zur Einrichtung eines Episkops und einer Ver-
dunklungseinrichtung im Klassenzimmer der II. Klasse;
500 JI an die Geographische Gesellschaft in München zur
Bestreitung der Kosten einer Routenkarte der Forschungsreise^^.
Koch-Grünbergs im Quellgebiet des Orinoco; <IQ|
500 Ji für die Forschungen des neuerrichteten Kaiserl.
ottomanischen „Instituts für Meteorologie und Klimato-
logie" unter Leitung des Professors Obst in Konstantinopel;
700 Ji an Gymnasial -Professor Dr. Karl Reiser zur
Herausgabe einer geologischen Karte der Hindelanger und
Pfrontener Berge;
250 ,/^ an Professor Dr. Ferdinand Henrich in Erlangen
zu Untersuchungen der Quellen und Gesteine Bayerns auf ihre
Radioaktivität ;
1500 Ji an die Kgl. Sternwarte München als nachträg-
liche Bewilligung zu den Kosten der Teilnahme des Dr. August
Kühl an der Expedition zur Beobachtung der totalen Sonnen-
finsternis im August 1914;
1000 M an Dr. Karl Mieleitner zur Bearbeitung der
bayer. Mineralvorkommen und Lagerstätten;
1000 M als Rechenhilfe für die Arbeiten zur Beobachtung
veränderlicher Sterne durch die Remeis-Sternwarte in Bamberg.
I
Ansprache des Präsidenten 7
Aus der Wilhelm Koenigs-Stiftung zum Adolf
von Baeyer- Jubiläum:
600 Ji an Geh. Hofrat Professor Dr. Heinrich Kiliani in
Freiburg i. Br. zur Förderung seiner Digitalisstudien;
1000 Ji an Professor Dr. Wilhelm Prandtl in München
zur Fortführung seiner Untersuchungen über seltene Erden;
1000 JC an Professor Dr. Heinrich Wieland in München
zur Beschaffung von Apparaten und Materialien für seine Ar-
beiten auf dem Gebiete der Fermentforschung.
Aus der Wilhelm Koenigs-Stiftung zur Förderung
botanischer und zoologischer Forschungen:
2000 jH als erste Rate an den Kustos der zoologischen
Staatssammlung in München, Professor ' Lorenz Müller, für
eine Forschungs- und Sammelreise in Mazedonien.
Aus der Heinrich von Brunck-Stiftung:
500 M an Professor Dr. Heinrich Wieland in München
zur Beschaffung von Apparaten und Materialien für seine Ar-
beiten auf dem Gebiete der Fermentforschung;
200 M an L. Friedrich Boas, K. Akademielehrer in
W^eihenstephan, zur Fortführung seiner Arbeiten über Stärke-
bildung bei Schimmelpilzen.
Aus der Karl von Dapper-Saalfels-Stiftung:
500 Jt an Professor Dr. Thomas Pokorny in München
zur Fortsetzung der Erforschung der Enzyme.
Aus der Krönerschen Stiftung:
5000 M an Professor Dr. Ernst Rüdin in München zur
Fortsetzung seiner Forschungen über Vererbung beim Menschen.
8
Öflfentliche Sitzung am 14. März
Die große Medaille der Akademie der Wissenschaften
„Bene merenti"
wurde für besondere Verdienste um die wissenschaftlichen
Sammlungen des Staates im Jahre 1916/17 verliehen:
in Silber:
Herrn P. Hieronymus Wenzel in Pleystein,
, Dr. med. Hans Krauss in Ansbach,
, Heinrich Ritter v. Frauendorf er, K. Staatsminister
a. D., Exzellenz, in München;
in Bronze:
Herrn Alfred Dultz, Buchhändler in Pasing,
, Sigmund Hetz, Kaufmann in Würzburg.
nister
4
Preisaufgaben:
Die von der Kommission für denZographos-Fonds seiner-
zeit gestellten beiden Preisaufgaben setzen eine Benützung der
europäischen Bibliotheken und Museen voraus. Mit Rücksicht
auf die Zeitverhältnisse werden die Einlieferungstermine hinaus-
geschoben.
Der aus Mitgliedern aller drei Klassen zusammengesetzte
Vorstand der Samson-Stiftung hat aus den für das Jahr
1917 weiterhin zur Verfügung stehenden Mitteln auch zwei
Preisaufgaben gestellt und zwar:
Die moralische und gesellschaftliche Auffassung der
Ehe und außerehelicher Beziehungen im Mittelalter,
in der Zeit der Renaissance wie der Reformation in
Deutschland, Italien und Frankreich.
Für die Lösung der gestellten Aufgabe sind die Poesie wie
die erzählende Literatur der drei Länder, die zeitgenössischen
Geschichtsschreiber, die Predigten, die Schriften der Moralisten,
päpstliche Schreiben über Eheverhältnisse, Urkunden sowie die
epistolare Literatur (nebst den Briefmuster-Saramlungen), ferner
Ansprache des Präsidenten 9
biographisches Material, darunter auch manche Heiligenleben,
heranzuziehen. Die ehelichen Rechtsverhältnisse sollen nur inso-
ferne in Betracht kommen, als sich aus ihnen Schlüsse auf das
gestellte Thema ergeben. Die Stellung der unehelichen Kinder
(für Italien auch der Sklavinnenkinder) ist nur unter dem Ge-
sichtspunkt in die Bearbeitung einzubeziehen, daß durch sie
vielfach Licht auf die Beurteilung außerehelicher Geschlechts-
beziehungen fällt.
Übereinstimmung oder Abweichung der in den drei Ländern
herrschenden Auffassungen sollen dargelegt werden und es ist
der Wandel nachzuweisen, den die herrschenden Ansichten etwa
innerhalb des zu behandelnden Zeitabschnittes erfahren haben.
Nach Tunlichkeit ist den Ursachen solcher Wandlungen und
ihrem Zusammenhang mit der allgemeinen Veränderung des
geistigen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustandes nach-
zuforschen.
Die Beschränkung auf Deutschland, Italien, Frankreich
erfolgte einerseits um den ohnehin sehr umfangreichen Stoff
zu begrenzen, andererseits weil die moralischen und gesell-
schaftlichen Auffassungen der Ehe in diesen Kulturgebieten
ihre für das Abendland gültige Ausgestaltung erfahren haben.
Doch soll es den Bearbeitern durchaus unbenommen sein, zur
Erläuterung gelegentlich auch auf die Verhältnisse anderer
okzidentaler Länder Bezug zu nehmen.
Der Vorstand der Samsonstiftung betont, daß ihm nur
eine wissenschaftliche und gründliche Bearbeitung genügen
wird. Als Preis für die den gestellten Anforderungen in jeder
Hinsicht genügende Lösung der Aufgabe wird die Summe von
4000 Mark sowie die Veröffentlichung auf Kosten der Stiftung
ausgesetzt.
Gegen eine Vereinigung mehrerer zur Lösung der Aufgabe
wird kein Einwand erhoben.
Einlieferungstermin 1. Januar 1922.
lO öffentliche Sitzung am 14. März
»Die Verwendung des romanischen Futurums
als Ausdruck eines sittlichen Sollens."
Das Futurum, das die romanischen Sprachen aus Infinitiv
-f- habeo neu gebildet haben, wird unter anderem auch zum
Ausdruck von Befehlen, Verordnungen und Geboten verwendet
und kann, besonders in der Emphase, ein sittliches Sollen be-
zeichnen, z. B. tu ne tueras pas! ,du sollst nicht töten!", wo-
bei der Gebietende sich als ein Mächtiger fühlt oder aufspielt,
der das ganze Feld des Möglichen, Erlaubten und Verbotenen
beherrscht oder prophetisch übersieht. Die eigentliche Befehls-
form bleibt freilich der Imperativ bzw. Optativ. Nur unter
gewissen Bedingungen kann das Futurum, das als sprachliche
Denkform betrachtet eher deterministischen als voluntaristi-
schen Sinn hat, in seiner Verwendung als sprachliche Um-
gangsform die Funktionen des Imperativs bzw. Optativs über-
nehmen. Eben diese Bedingungen psychischer, grammatischer
und sozialer Art, unter denen das Futurum zum Ausdruck
eines sittlichen oder kategorischen Sollens geeignet und ver-
wendet wird, wären systematisch zu untersuchen und historisch
darzustellen.
Im systematischen Teile wäre durch vergleichendes Ver-
fahren die Grenze oder Tragfähigkeit des Futurums als sitt-
licher Befehlsform zu ermitteln, im historischen das Anwachsen
und Abnehmen dieses Gebrauchs aus dem Wandel der Zeiten
verständlich zu machen. Die historische Untersuchung könnte
sich auf das französische oder italienische oder spanische Kultur-
gebiet beschränken.
Als Preis für eine allen Anforderungen genügende Lösung
der Aufgabe wird die Summe von 2000 Mark ausgesetzt.
Einlieferungstermin 1. Januar 1919.
Sollten nur teilweise genügende Arbeiten eingehen, so be-
hält der Vorstand sich vor, auch nur einen entsprechenden Teil
des Preises zuzuerkennen.
Ansprache des Präsidenten 11
Nur druckfertige Reinschriften in deutscher Sprache werden
zur Bewerbung zugelassen. Sie sind ohne Nennung der Ver-
fasser, aber mit Kennworten bezeichnet, bei der K. Akademie
der Wissenschaften (München, Neuhauserstr. 51) einzureichen.
Angelegenheiten des Kartells deutscher Akademien.
Die Vorortgeschäfte des Kartells besorgte im Jahre 1917
die K. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen. Ein Kartell-
tag fand 1917 nicht statt.
Aus Anlaß gemeinsamer Arbeiten des Kartells wurden
folgende Beträge bewilligt:
2000 Jt für Herausgabe der mittelalterlichen Bibliotheks-
kataloge ;
1500 Jl zur Herausgabe der Septuaginta;
600 M als vierte Rate zur Fortsetzung von PoggendorfFs
Biographischem Handwörterbuch;
500 JH für die Teneriffa-Expedition.
Im Jahre 1918 geht die Geschäftsleitung an die K. Bayer.
Akademie der Wissenschaften über.
Wie alljährlich, so sind auch vorher wieder die griechischen
Namen Zographos und Thereianos genannt worden.
Das neue Griechenland hat zu keiner deutschen Stadt, zu
keinem deutschen Staat regere Beziehungen, als zu München
und Bayern. Das ist eine Erbschaft aus der Ära Ludwigs
des Ersten. Eine Erbschaft, deren Bedeutung man nach den Er-
fahrungen des Weltkrieges anders einschätzen wird, als vor 1914.
Als im vorigen Jahr ein griechisches Armeekorps deut-
schen Schutz und deutsche Gastfreundschaft suchte und fand,
tauchte der Gedanke auf, zunächst in der deutsch-griechischen
Gesellschaft,*) diese Gelegenheit für die neugriechischen For-
*) Ein vortrefflicher Kenner des neuen Griechenland, Professor L.
Bürchner, gab die ersten Anregungen.
12 öffentliche Sitzung am 14. Mäi-z
schungen auszunützen, die seit Jahrzehnten von unserer Aka-
demie eine besondere Förderung erfahren haben.
An eine Dienstreise nach Berlin schloß sich ein Besuch
des Griechenlagers in Görlitz, wo zur Zeit unser Kollege
Hauptmann Heisenberg im Dienste des preußischen Kriegs-
ministeriums tätig ist, mit dem Auftrag, den Verkehr zwischen
dem griechischen Offizierskorps und den deutschen Kommando-
stellen zu fordern.
Es handelt sich, kurz gesagt, darum, die verschiedenen
griechischen Dialekte, die nun in Schlesiens Bergen erklingen,
für die Forschung festzuhalten: festzuhalten durch ein zuver-
lässiges technisches Mittel, den Phonographen.
Die K. preuß. phonographische Kommission, die von un-
serm verehrten Mitgliede Carl Stumpf geleitet wird, ist er-
bötig mit uns zusammenzuarbeiten. Wir hatten Gelegenheit
uns in Berlin wie in dem Lager von Puchheim davon zu über-
zeugen, wie vortrefflich die neuen Apparate arbeiten. Der
Kustos unseres ethnographischen Museums, Dr. Dirr, leitet
dort die Aufnahme von Sprach- und Gesangsproben aus dem
Kaukasusgebiet.
Dankbar sei anerkannt, daß der Korpskommandant und
die Offiziere im Griechenlager zu Görlitz unsern Plänen mit
vollem Verständnis entgegenkommen. Sprachliche Fragen
finden ja in Griechenland eine fast leidenschaftliche Teil-
nahme; ein aktiver griechischer Offizier, Major Hepites, ist
selbst ein verdienter Sprachforscher und Lexikograph.
Auf Grund dieser Erfahrungen und Eindrücke wurde
dann in der ersten und dritten Klasse vor kurzem der Antrag
gestellt und angenommen, bei unserer Akademie ein phono-
graphisches Archiv zu errichten, wie es die Wiener Aka-
demie schon seit langen Jahren besitzt; zugleich wurde be-
schlossen, die zweite Klasse um Teilnahme und Mitarbeit zu
ersuchen.
Ein solches Organ würde vor allem auch einem vater-
ländischen Unternehmen dienen können, das innerhalb der
Ansprache des Präsidenteü 1"
Aufgaben der bayerischen Wörterbuchkommission liegt: der
Darstellung der im Königreich Bayern gesprochenen Dialekte.
Die Wörterbuchkommission hat ihre Forschungen
über die bayerische Soldatensprache mit bestem Erfolge fort-
gesetzt, vor allem durch Versendung musterhaft angelegter
Fragebogen an die stets arbeitsfreudigen feldgrauen Helfer.
Auch das Soldatenlied hat sie, im Einvernehmen mit andern
Organisationen (John Meier), in den Kreis ihrer Arbeit ge-
zogen ; Volkslieder und Bergschreie unserer engern Heimat wer-
den voraussichtlich folgen. Der Phonograph liefert diesen
Studien ein verläßliches, der Zeit trotzendes Beobachtungs-
material.
Ich komme zum Schluß.
Als vor bald drei Jahren der Krieg begann, gab es eine
kurze kritische Zeit, wo unsere friedliche Arbeit doch bis zu
einem gewissen Grade zu erstarren schien. Aber bald setzten
sich die Gletscher in Bewegung. Wer jetzt zurückblickt, ge-
winnt den Eindruck, daß sich gerade in den Kriegsjahren
Kräfte und Krafttendenzen geltend machten, die früher allzu-
sehr zurücktraten.
Die eine ist das Streben nach wissenschaftlicher Erfassung
des Gegenwärtigen und Lebendigen, auch innerhalb der
philologisch -geschichtlichen Sphäre. Es sei nur an die Auf-
gabe über die ethischen Gefühle und Vorstellungen während
des Weltkrieges erinnert.
Die andere richtet sich auf die gemeinsame Arbeit
aller Klassen, nicht nur der ersten und dritten. Es zeigen
sich immer mehr Fragen an unserm Horizont, an denen die
Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften in gleicher
Weise beteiligt sind.
Hier vor allem werden jene Reorganisationsarbeiten ein-
greifen, von denen schon in der Novembersitzung gesprochen
wurde. Es ist der Geist, der sich den Körper schafft. Möge
14
Öffentliche Sitzung am 14. März
bald die Friedenssonne scheinen, in der weiter ausschauende
Pläne reifen können!
Nach Verlesung der unten abgedruckten Nekrologe durch
die Klassensekretäre hielt sodann das o. Mitglied der historischen
Klasse, Ministerialrat und Universitätsprofessor Dr. Michael
Doeberl, die besonders erschienene Festrede
„Bayern und Deutschland im 19. Jahrhundert".
I
Die öffentliche Sitzung im November 1917 wurde mit
Allerhöchster Genehmigung nicht abgehalten.
15
Nekrologe.
Philosophisch - philologische Klasse.
Am 20. September 1916 starb zu Leipzig der ordentliche
Professor der slavischen Philologie an der Leipziger Univer-
sität August Leskien, der sich um die Begründung der heute
herrschenden sprachwissenschaftlichen Methode nicht geringere
Verdienste erworben hat, als um die Erforschung des Slavisch-
Litauischen.
Leskien wurde am 8. Juli 1840 zu Kiel geboren. Im
Jahre 1856 trat er, nach kaum halbjähriger Vorbereitung, in
die Tertia der Gelehrtenschule seiner Vaterstadt ein, wurde
jedoch schon im Herbst desselben Jahres nach Sekunda ver-
setzt. Ostern 1860 bezog er die Kieler, später die Leipziger
Universität, um klassische Philologie und Sprachwissenschaft
zu studieren; dem Gebiete der griechischen Grammatik haben
auch seine ersten Veröffentlichungen angehört. Nach seiner
Promotion zu Leipzig war er von 1864 — 1866 als Lehrer an
der altberühmten Thomasschule tätig, siedelte dann aber nach
Jena über, um unter August Schleichers Leitung seine sprach-
wissenschaftlichen Studien fortzusetzen. In deren Mittelpunkt
traten jetzt, wie bei einem Schüler Schleichers nicht anders
zu erwarten war, die baltisch-slavischen Sprachen. Das Ver-
hältnis des Lehrers zum Schüler nahm bald einen freundschaft-
lichen Charakter an und Schleicher war um den Freund und
Schüler mit wahrhaft väterlichem Wohlwollen besorgt.
Zu Ostern 1867 habilitierte sich Leskien an der Univer-
sität Göttingen für vergleichende Sprachwissenschaft, wurde
aber schon im Jahre 1869, nach Schleichers frühzeitigem Tod,
als außerordentlicher Professor nach Jena berufen. Ein Jahr
darauf, 1870, wurde ihm die neubegründete ao. Professur für
slavische Philologie an der Universität Leipzig übertragen,
1876 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Der Leip-
16 Nekrologe
ziger Hochschule ist er trotz wiederholter Berufungen bis zi
seinem Tode treu geblieben. Es war ihm noch vergönnt, ii
voller Rüstigkeit, kurz vor dem Ausbruch des Weltkriegs^
am 14. Juli 1914, das goldene Doktorjubiläum zu feiernj
Damals erschien, unter zahlreichen andern ölückwünschenden,
auch ein Abgesandter der Universität Moskau, deren Ehren^
mitglied Leskien seit Jahren war. Wenige Wochen später
und jener Abgesandte war der blinden Wut des Moskauer?
Pöbels zum Opfer gefallen.
Im Frühjahr 1915 erschütterte ein tückischer Influenza-
Anfall, dem eine schwere Lungenentzündung folgte, die Ge-
sundheit des Fünfundsiebzigjährigen in ihren Grundfesten. Noch
anderthalb Jahre rang seine widerstandsfähige Natur mit der
Krankheit, bis ihn in der Frühe des 20. Septembers ein sanfter
Tod erlöste. Noch während der Krankheit ist der Unermüd-
liche wissenschaftlich tätig gewesen, hat die Ausarbeitung der
schon lang geplanten serbischen Syntax gefordert und die
letzte Hand an die grammatische Einleitung seines litauischen
Lesebuchs gelegt.
Mit August Leskien ist ein Mann dahin gegangen, der
nach dem Worte von Sievers ein wahrhaft Großer war — als
Forscher und Lehrer wie als Mensch. An äußern Ehren und
Würden hat es ihm nicht gefehlt, aber seine schlichte Größe
bedurfte ihrer nicht.
In der machtvollen Persönlichkeit, der unumschränkten
Herrschaft über den Stoff, der kritischen Schärfe, der es nie an
ruhiger Sachlichkeit gebrach, der durchsichtigen Klarheit der
Darstellung liegt die unvergleichliche Bedeutung der Wirk-
samkeit Leskiens, beruht der bestimmende Einfluß, den er,
vorab in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, auf die Neu-
gestaltung der sprachwissenschaftlichen Methode ausgeübt hat.
Seine methodischen Grundsätze waren bereits zum lebendigen
Besitztum seiner Schüler und Freunde geworden, bevor er
sie 1876 in seiner von der Fürstlich Jablonowskischen Geselle
Schaft gekrönten Preisschrift über „Die Deklination im Slavisch-
Litauischen und Germanischen" öffentlich aussprach und in
Leskien 17
dieser Untersuchung zugleich ein glänzendes Beispiel ihrer
strengen Durchführung gab.
Lautgesetzliche Umbildung und Analogie erklären ihm
— von fremden Einflüssen abgesehn — jede Art sprachlicher
Entwicklung. Die Lautgesetze aber sind innerhalb derselben
Sprachgemeinschaft und desselben Zeitraums ausnahmslos, d. h.
sie erleiden keine andern als rein gesetzmäßige Störungen:
„Läßt man beliebige, zufallige, unter einander in keinen Zu-
sammenhang zu bringende Abweichungen zu, so erklärt man
im Grunde damit, daß das Objekt der Untersuchung, die Sprache,
der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zugänglich ist."
Diese methodischen Anschauungen waren nicht das Er-
gebnis rein theoretischer Erwägungen, sie waren dem sprachen-
gewaltigen Forscher aus der Vertrautheit mit zahlreichen leben-
den Sprachen erwachsen. Durch Wort und Beispiel hat er
stets auf die Bedeutung der lebenden Sprache hingewiesen, die
allein der unmittelbaren Beobachtung zugänglich ist und des-
halb den Maßstab für die Beurteilung der schriftlichen Über-
lieferung abgeben muß. Mit welcher Vorsicht diese schrift-
liche Überlieferung zu verwerten sei, hat er 1879 durch seine
einschneidende Kritik der altern litauischen Drucke dargetan,
und 1905 durch die tiefschürfenden Untersuchungen über h
und T> in den altbulgarischen Denkmälern aufs neue bestätigt.
Von gleicher Wichtigkeit für die indogermanische Gram-
matik wie für die Erkenntnis der Einzelsprachen sind Leskiens
Forschungen über die Auslautsgesetze des Slavischen, Germa-
nischen und Litauischen. Über seine Erklärung des slavischen
Auslauts ist man auch heute kaum hinausgekommen; seine
Fassung der germanischen Auslautsgesetze hat 20 Jahre lang
fast ungeteilten Beifall gefunden ; heute ist sie zugunsten einer
andern Erklärung aufgegeben. Diese aber wandelt ebenfalls
in Bahnen, die Leskien gewiesen hat. Man überträgt nämlich
die geniale Erklärung, die Leskien 1881 für die Quantitäts-
verhältnisse im Auslaut des Litauischen gegeben hat, aufs
Germanische: hier wie dort ist die Behandlung auslautender
Längen von der Art des Silbenakzents abhängig.
Jahrbuch 1917. 2
18 Nekrologö
Es ist kein Zufall, daß Leskien diese Einwirkung
Akzentart auf die Quantität der auslautenden Längen des Li-
tauischen entdeckt hat: war doch die Erforschung der litau-
ischen wie der slavischen Betonung sein eigenstes Gebiet.
Hier sind vor allem die beiden meisterhaften Untersuchungen
über Quantität und Betonung in den slavischen Sprachen zu
nennen, die 1885 und 1893 erschienen sind und ein helles
Licht auf die serbischen Betonungsverhältnisse geworfen haben.
Eine zusammenfassende Darstellung der gesamten serbischen
Akzentuation bildet den Glanzpunkt der 1914 erschienenen
serbokroatischen Grammatik.
Selbst die deutsche Mundartenforschung verdankt Leskien
eine Beobachtung von nicht geringer Tragweite: er hat er-
kannt, daß in der Sprache seiner Heimat der jüngere Schwund
einer Silbe zweigipflige Betonung der vorausgehenden Stamm-
silbe hervorruft.
Die lange Reihe der Einzeluntersuchungen auf slavischem,
litauischem und lettischem Sprachgebiet, die im Archiv für
slavische Philologie, in den Berichten der Sächsischen Gesell-
schaft der Wissenschaften und in den Indogermanischen For-
schungen erschienen sind, können hier nicht aufgezählt werden.
Von den selbständigen Veröffentlichungen ist vor allem das
Handbuch der altbulgarischen (altkirchenslavischen) Sprache zu
nennen. Die erste Auflage, die 1871 erschienen ist, legte
noch die Sprache des ostromirischen Evangeliums, also eines
russisch -kirchenslavischen Textes, zugrunde; seine endgültige
Form hat das Werk erst 1886 in der zweiten völlig neu be-
arbeiteten Auflage erhalten; hierdurch ist das Buch zum un-
erreichten Muster der auf sprachwissenschaftlicher Grundlage
aufgebauten beschreibenden Darstellung einer Einzelsprache
geworden. Eine wertvolle Ergänzung zu dem Handbuch bildet
die Grammatik der abg. (aksl.) Sprache, die 1909 als erster
Band der von Leskien und Berneker herausgegebenen Samm-
lung slavischer Lehr- und Handbücher erschienen ist. Als
Vorarbeit zu einer geplanten altbulgarischen Syntax, zu der
auch der Nachlaß manchen Beitrag enthält, sind die Unter-
tiGskien 19
suchung der Übersetzungskunst des Exarchen Johannes (Archiv
f. slav. Philologie, Bd. 25) und die beiden Abhandlungen zur
Kritik des altkirchenslavischen Codex Suprasliensis (1909 und
1910) zu betrachten. Sie bieten eine bis ins Einzelne gehende
Prüfung der Übertragung, um durch den Nachweis der Fehler
und Mißverständnisse des Übersetzers eine sichere Benutzung
der Texte für die Grammatik zu ermöglichen.
Unter den lebenden slavischen Sprachen galt Leskiens
Neigung vor allem dem Serbokroatischen. Er beherrschte die
Sprache so vollkommen, daß er, wie Bulic berichtet, auf seinen
Forschungsreisen überall für einen Eingeborenen gehalten
wurde. Von den zahlreichen Untersuchungen, die dieser
Sprache gewidmet sind, wurden vorhin in anderm Zusam-
menhang schon die Forschungen über den serbischen Akzent
genannt. Manchen Beitrag zur serbischen Sprach- und Lite-
raturgeschichte birgt auch der Nachlaß. Die Summe dessen,
was Leskien über das Serbische zu sagen hatte, bietet die
umfassende Grammatik der serbokroatischen Sprache, deren
erster Teil auf fast 600 Seiten Laut- und Akzentlehre, Stamm-
bildung und Formenlehre behandelt. Er ist 1914 erschienen.
Der zweite Teil war der Syntax vorbehalten. Man durfte
ihm mit um so größerer Spannung entgegensehn, als sich
Leskien in seinen Vorlesungen als Sjntaktiker ersten Ranges
erwiesen hatte. Schon waren die Vorarbeiten abgeschlossen,
größere Abschnitte ausgearbeitet, da hemmte die steigende
Körperschwäche die Fortsetzung der Arbeit. Es bleibt zu
wünschen, daß ein jüngerer Fachgenosse die fehlenden Teile
auf grund der reichen Sammlungen ausarbeiten möge.
Unter den klein ern Arbeiten der letzten Jahre sei der
Aufsatz „Über Dialektmischung in der serbischen Volkspoesie "
(1910) hervorgehoben, weil er berufen sein dürfte, auch das
Problem der homerischen Sprache aufzuhellen.
Mit den 1915 erschienenen Balkanmärchen aus Albanien,
Bulgarien, Serbien und Kroatien, deren Übersetzung den
Märchenton ausgezeichnet trifft, hat Leskien von diesem Lieb-
lingsgebiet seiner Forschung für immer Abschied genommen.
2*
2Ö Nekrologe
Nicht minder umfassend als auf dem Gebiete des Slavi-
schen war Leskiens Tätigkeit auf dem der baltischen Sprachen.
Vorab dem Litauischen war seine Forschung gewidmet. 1882
gab er in Gemeinschaft mit Brugmann Litauische Volkslieder
und Märchen heraus. Er selbst hat aus der Gegend von Wil-
kischken eine Anzahl Dainos zu dem Bande beigesteuert. Hier
sei gleich der schöne Beitrag „Zur Wanderung von Volks-
liedern" angereiht, obwohl er erst aus dem Jahre 1911 stammt;
er gibt einige Beispiele für die Umsetzung weißrussischer Volks-
lieder in die Form litauischer Volksdichtung. ^KH
Ungemein reiche, kritisch bearbeitete Sammlungen bieten
die beiden Werke über den Ablaut der Wurzelsilben (1884)
und die Bildung der Nomina im Litauischen (1891). Ein
litauisches Lesebuch mit ausführlicher grammatischer Einlei-
tung wurde noch im Frühjahr 1915 abgeschlossen; das Buch
wird nach dem Krieg erscheinen. Ebenso steht zu hoffen,
daß Leskiens große Sammlungen zu einem Wortschatz der
litauischen Schriftsprache, die Frucht jahrzehntelanger, aus-
gebreiteter Lektüre, dereinst von Freundeshand herausgegeben^,
werden. ^IH
Was sonst von dem reichen literarischen Nachlaß Leskiens
veröffentlicht werden kann , läßt sich erst später bestimmen ;
unsicher ist namentlich, ob die umfangreichen albanischen
Sammlungen so weit gediehen sind, daß an eine Herausgabe
gedacht werden kann. Wilhelm Streitberg.
Wilhelm Meyer (geb. 1. April 1845 zu Speyer), seit 1877
zuerst hiesiges, dann auswärtiges Mitglied unserer Akademie,
ist am 9. März 1917 zu Göttingen verstorben. Sein äußerer
Lebensgang ist sehr einförmig gewesen: von seiner Stelle als
Verwalter der Handschriften- Abteilung unserer Hof- und Staats-
bibliothek wurde er als Professor zunächst der klassischen
Philologie, dann der lateinischen Philologie des Mittelalters
nach Göttingen berufen: der Georgia Augusta ist er bis an
sein Ende treu geblieben.
Meyer 2 1
Meyer ist der älteste der drei hervorragenden Müncliener
Gelehrten, die das Pomerium der klassischen Philologie ins
Mittelalter vorgeschoben haben : wie für Karl Krumbacher und
Ludwig Traube sind auch für ihn die Schätze der Münchener
Staatsbibliothek der Ausgangspunkt geworden für das Streben,
Kunst und Leben einer lange mit ungebührlicher Verachtung
betrachteten Zeit mit nachschaffender Liebe zu pflegen. Mit
dem Jahre 1870 setzt seine ungemein reiche, nie abgerissene
wissenschaftliche Produktion ein : die Ausgaben der relationes
des Symmachus, des Horazscholiasten Porphyrio, der Spruch-
verse des Publilius Syrus und die sie vorbereitenden und be-
gleitenden Aufsätze, auch die Arbeit über den Roman des
ApoUonius von Tyrus (die erste in unseren Sitzungsberichten
von 1872) gehen aus von Münchener Handschriften und schließen
sich zum Teil an Arbeiten von W. Christ und E. Wölfflin an.
Von grundlegender Bedeutung sind noch heute die 1884 in
unseren Abhandlungen erschienenen Untersuchungen „Über die
Beobachtung des Wortakzentes in der altlateinischen Poesie",
in der die Entwicklung der Technik des altrömischen Bühnen-
verses aus den griechischen Vorbildern in unübertroffener Weise
klargelegt wird, und „Zur Geschichte des griechischen und
lateinischen Hexameters". Ebenso grundlegend für die Erkennt-
nis der Technik in römischer Prosa ist seine Forschung über die
Satzschlüsse geworden (Gott. Nachr. 1893). Inzwischen aber
hatte Meyer schon längst den für ihn entscheidenden Schritt
getan: die Arbeit über ,Radewins Gedicht über Theophilus
nebst Untersuchungen über die Arten der gereimten Hexa-
meter" in den Sitzungsberichten von 1873 zeigt ihn uns mitten
in der mittellateinischen Forschung, vor allem auf dem Gebiete
der Metrik dieser Zeit. Seitdem hat ihn dies Interesse nicht
mehr losgelassen: die „Untersuchungen über die lateinischen
Rythmen" (Ludus de Antichristo, Sitz.-Ber. 1882), „Anfang
und Ursprung der lateinischen und griechischen rythmischen
Dichtung" (Abh. 1885; teilweise nicht ohne starken Widerspruch
geblieben), die „Gesammelten Abhandlungen zur mittellatei-
nischen Rythmik", Berlin 1905, sind die Hauptzeugen uner-
22 Nekrologe
müdlichen Weitervordringens auf dem bis dahin fast ganz
vernachlässigten Gebiete. Er hat wirklich hier die Brücke
geschlagen vom Altertum zu den nationalen Poesien: das
Verständnis für die Kunst alter Dichtung gerade Deutsch-
lands erschlossen zu haben, war immer seine besondere Freude.
Unzählig sind seine Einzelbeiträge zur lateinischen Poesie des
Mittelalters: sie geben meist Erst- oder Neuveröffentlichungen
von Gedichten aus Handschriften, an die sich metrische und
literarhistorische Untersuchungen anschließen; mit persönlicher
Vorliebe behandelte er stets die Vaganten- und Studentenpoesie:
die „Fragmenta Burana" (Festschrift der Gott. gel. Ges. 1901),
die „Ärundel-Sammlung mittellateinischer Lieder' (Gott. Abh.
1908) seien als wichtigste Proben genannt. Daß Meyer ein
ausgezeichneter Handschriften-Kenner war, versteht sich fast
von selbst, obwohl seine Veröffentlichungen selten rein paläo-
graphische Dinge behandelten: die Kataloge der lateinischen
Handschriften von München und Göttingen, die er zum größten
Teile oder ganz verfaßt hat, sind vorbildliche Arbeiten und
haben den verschiedensten Forschungsgebieten aufs glücklichste
vorgearbeitet.
Wer die mittellateinische Philologie begründet habe, ob
W. Meyer, ob L. Traube, ist ein müßiger Streit: beide For-
scher sind ihre eigenen Wege gekommen und gegangen, und
philosophische Definitionen für durch Arbeitsteilung und be-
sondere Neigung gepflegte Forschungsgebiete schieben wir heute
als überflüssig und lästig beiseite. Und trotz der größten Ver-
schiedenheit der Naturen, Neigungen und Anschauungen haben
Meyer, Traube und als dritter der jüngere P. v. Winterfeld, so
gut es eben ging (der edle und reife Charakter Traubes wußte
immer auszugleichen), verträglich mit- und füreinander ge-
arbeitet, einig vor allem in der unerbittlichen Akribie bei der
Behandlung der Handschriften und ihrer Geschichte und in
der Erkenntnis, daß ihr Forschungsgebiet ein in der Geschichte
der menschlichen Kultur höchst wichtiges und bis dahin zu
unrecht stark vernachlässigtes Kapitel bilde.
W. Meyer war ein ganz eigenartiger, manchmal rech
^m
Meyer, Ohlenschlager 23
eigenwilliger, ja eigensinniger Kopf: er hatte das Recht dazu,
aber er litt auch selbst unter den Schattenseiten seiner Vor-
züge, zu denen Bescheidenheit und Mangel an jeder Art von
Eitelkeit gehörten. Vor allem empfand er bitter, daß es ihm
nicht gegeben Avar, auf weitere Kreise persönlich anregend zu
wirken; nur wenigen Schülern hat er sein Herz völlig zu öffnen
verstanden : im ganzen lebte er in der Stille seiner Familie der
Freude an seinen Handschriften, Büchern, Hunden und Rosen.
Die gelehrten Gesellschaften von München und Göttingen
haben mit ihm viel verloren: sie werden nicht so bald wieder
einen Forscher ihr eigen nennen, der so viele Schätze zu finden
und zu heben verstand wie W. Meyer. Friedrich Vollmer.
Am 14. Dezember 1916 starb der K. Oberstudienrat und
Gymnasialrektor a. D. Dr. Friedrich Ohlenschlager in München
im 77. Lebensjahre.
Der Name Ohlenschlagers ist mit dem Aufschwünge der
prähistorischen und provinzialrömischen Forschung in Bayern
für immer verknüpft. Als nach dem siegreichen deutsch-
französischen Kriege, ähnlich wie nach den Siegen über Na-
poleon, das Interesse an der Vor- und Frühgeschichte der
deutschen Lande in besonderem Maße wach wurde, war es für
Bayern ein Glück, daß in Ohlenschlager ein Mann zur Ver-
fügung stand, der den Blick auf das Ganze richtete. Mit seiner
ersten Anstellung als Studienlehrer am Gymnasium in Eichstätt
1869 mitten in ein denkmälerreiches Gebiet versetzt, folgte
Ohlenschlager dem inneren Triebe, die örtlichen Altertümer
zu erforschen. Aber schon bald strebte er über die Lokal-
forschung hinaus und wandte sich zusammenfassenden Arbeiten
zu. Das befähigte ihn, in der vielfach zersplitterten Lokal-
forschung die Führung zu übernehmen. Der Grundgedanke
Ohlenschlagers war, die Forschung vom Zufall und vom mehr
oder minder engen Gesichtskreis der Einzelnen unabhängig zu
machen, ihr eine systematische Unterlage für das ganze Land
zu geben. Er erkannte, daß vor allem ein Überblick über den
24 Nekrologe
bisherigen Stand des Geleisteten in den einzelnen Gegenden
und Orten not tue. Erst dann könne man weiter bauen. Mit
außerordentlichem Fleiße sammelte er das gedruckte und hand-
schriftliche Material über die vorgeschichtlichen und römischen
Funde und Bodendenkmäler in Bayern. Darin zeigt sich so
recht die Philologennatur. Wir staunen heute über den Mut,
mit dem der einzelne Mann an ein so gewaltiges Unternehmen
ging. Nur die Begeisterung für ein großes Ziel konnte ihm
die Kraft geben. Lediglich auf Mitarbeit von Geschichts-
freunden angewiesen, der Förderung aus öffentlichen Mitteln
entbehrend, brachte der Gelehrte seiner Wissenschaft auch be-
deutende materielle Opfer. Der äußere Ausdruck dieser mühe-
und entsagungsvollen Sammelarbeit ist die von der Münchener
Anthropologischen Gesellschaft in den Jahren 1879 — 1890
herausgegebene Prähistorische Karte Bayerns, 15 Blätter im
Maßstab 1 : 25000. Da Ohlenschlager schon 1875 auch ein
Verzeichnis der Fundorte von Bayern südlich der Donau mit
verhältnismäßig detaillierten Fundnotizen und mit Quellenan-
gaben veröffentlichte, bot er der weiteren Forschung wenigstens
für einen Teil des Landes ein sicheres Fundament. Die An-
regung, die von diesem Werke ausging, war groß. Nur wer
selbst die Freude und die feierliche Erregung über das Er-
scheinen eines neuen Blattes der Ohlenschlagerschen Karte mit
erlebte, kann die Tat und ihre Bedeutung für die damalige
Zeit richtig einschätzen. Wenn wir in der Karte und in den
erläuternden Fundnachrichten eine tiefer schürfende Verarbei-
tung des Materials in der Richtung der Periodenteilung und
eine kritischere Prüfung der älteren Angaben wünschen, so
findet die Nichterfüllung dieses Wunsches ihre Erklärung schon
darin, daß es wohl über die Kräfte eines nur über seine berufs-
freien Mußestunden verfügenden Privatmannes geht, all die
zahlreichen Reisen und Studien zu machen, die zur feineren
zeitlichen Bestimmung der in allen möglichen Sammlungen zer-
streuten Funde und zur selbständigen Untersuchung der vielen
Bodendenkmäler nötig wären. Ganz abgesehen davon war aber
auch zur Zeit, als Ohlenschlager die Sammlung des Karten-
Ohlenschlager 25
materials zum größten Teil erledigte, die archäologische Chrono-
logie noch nicht so weit entwickelt.
Auch sonst hatte Ohlenschlager den größten Erfolg da,
wo er in philologischer Sammelarbeit die bisherigen Leistungen
der Forschung absteckte, durch Zusammenfassung neue Resultate
erzielte oder klar und deutlich den Weg für künftige Arbeit
zeigte und wies. So ist noch heute nach mehr als 30 Jahren
seine Veröffentlichung: „Die römischen Truppen im rechts-
rheinischen Baiern" (1884) ein unentbehrliches Hilfsmittel. Und
seine in den Abhandlungen unserer Akademie erschienene Arbeit:
„Die römische Grenzmark in Baiern " (1887) hat wesentlich
dazu beigetragen, die Limesforschung in lebhafteren Gang zu
bringen. Es war selbstverständlich, daß, als das Reich auf
Andringen der Geschichtsfreunde die Limesforschung mit reichen
Mitteln in die Hand nahm, Ohlenschlager in die Reichs-Limes-
Kommission berufen wurde. Welche Freude muß ihn damals
beseelt haben ! Das jetzt dem Abschluß entgegengehende große
Monumental werk der Reichs-Limes-Kommission bewundern wir.
Die vorausgehende Einzelarbeit Ohlenschlagers am Limes aber
lieben wir, denn sie kam ausschließlich aus einem begeisterten
Herzen. Ohlenschlagers Abhandlung: „Die römische Grenz-
mark in Baiern " liest sich wie ein Stück Romantik. Seine
Erforschung des Limes war eine Tat des deutschen Idealismus.
Als Ohlenschlager als Schulmann 1909 in den Ruhestand
getreten war, hoffte er, noch manchen wissenschaftlichen Plan
ungestört fördern zu können. Mit Eifer arbeitete er an seinem
Werke: „Römische Überreste in Bayern", das mit Unterstützung
des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Institutes erschien.
Aber das statistische Werk blieb ein Torso. Mitten in der
Behandlung der Stadt Augsburg bricht der Text ab. Die Rö-
misch-germanische Kommission des Archäologischen Institutes
beabsichtigt wenigstens die Publikation des Abschnittes über
Augsburg zu Ende zu führen. Die Sammelarbeit des hoch-
verdienten Mannes wird hoffentlich in Zukunft noch ihre Früchte
tragen. Denn der literarische Nachlaß mit all den zahllosen
gesammelten Notizen und Karten ging durch hochherzige
26 Nekrologe
Schenkung der Familie in den Besitz des Generalkonservatoriu
der Kunstdenkmale und Altertümer Bayerns über. So wird di
große Mission Ohlenschlagers als Pfadfinder und Wegweiser
in der Lokalforschung auch über das Schicksal seiner Veröf
fentlichungen hinaus fortdauern und welterleben.
Georg Hager.
Mathematisch - physikalische Klasse.
Im dritten Sommer des furchtbaren Krieges, der die Völker
Europas zerfleischt und in ihren Grundfesten erschüttert, ist
der ausgezeichnete französische Mathematiker Darboux, der un-
serer Akademie seit 1899 angehörte, im Alter von 75 Jahren
gestorben. Seine Arbeiten sind auf das engste mit der Ent-
wicklung hervorragender Gebiete der Mathematik, namentlich
aber mit der Lehre von den Differentialgleichungen und den
Untersuchungen der Differentialgeometrie verknüpft. Eine
Darlegung seiner Bedeutung würde verlangen, wenigstens
seine Hauptwerke mit fortwährender Beziehung 9uf die Ar-
beiten seiner Zeitgenossen in Deutschland, England und Ita-
lien, die er stets mit der größten Aufmerksamkeit verfolgte,
zu analysieren. Aber dafür steht hier weder der erforderliche
Raum zu Gebote, noch würde eine solche Behandlung dem
Zweck dieser Mitteilungen entsprechen, die zunächst bestimmt
sind, auch weiteren Kreisen, als den ganz speziellen Fach-
genossen, eine Übersicht über die Leistungen des Verstorbenen
zu geben. Demgemäß beschränkt sich das Folgende darauf,
das, was Darboux einen hervorragenden Platz in der Ge-
schichte der Mathematik anweist, mehr in allgemeinen Um-
rissen hervorzuheben und nur gelegentlich auch Einzelheiten
zu berühren.
Jean Gaston Darboux ist am 14. August 1842 in der
durch ihre zahlreichen römischen Altertümer bekannten Stadt
Nimes im Departement Gard geboren. Er trat nach seiner
Erziehung an den Lyzeen zu Nimes und Montpellier 1861
Darboux 27
nach glänzend bestandenem Aufnahmeexamen in die Ecole
Normale zu Paris ein, aus der schon so viele treffliche Mathe-
matiker hervorgegangen sind. Schon 1872 finden wir den
ancien ^leve de l'Ecole Normale dort als Professor der Mathe-
matik am Lyc^e St. Louis-le-Grand und von 1867 — 1873 als
suppleant seines Lehrers, des bekannten Mathematikers Joseph
Bertrand am College de France. Nicht lange darauf wird
er mattre de Conferences ä l'Ecole Normale und professeur
suppldant de möcanique et de geometrie ä la Faculte des Sci-
ences. Im Jahre 1880 folgte er dem siebenundachtzigjährig
verstorbenen Michel Chasles als Professor der geometrie
superieure an der Sorbonne, deren Doyen er seit 1889 war.
1884 wurde er an Stelle von V. Puiseux zum Mitgliede der
Akademie zu Paris erwählt, deren beständiger Sekretär er seit
1890 war, und nahm so auch äußerlich eine hohe Stellung
ein als membre du bureau des longitudes, in welcher Eigen-
schaft er seine Wohnung im Palais Mazarin dieses Institutes
hatte. Viele Ehren und Amter wurden ihm zuteil; er war
Commandeur de la Legion d'honneur, president de section ä
l'Ecole pratique des hautes etudes, seit 1889 membre du Con-
seil superieur de l'Instruction publique etc.
1870 gründete er mit Houel und J. Tannery das Bul-
letin des Sciences math^matiques, von dem bis jetzt über
50 Bände erschienen sind, unter den glänzenden Auspizien
des aus Puiseux, Chasles, Bertrand, A. Serret bestehenden
Comites, mit der Absicht, eine mathematische Zeitschrift in
Frankreich zu schaffen, die sowohl Originalarbeiten als auch
gediegene Referate über die Literatur der Gegenwart enthalten
sollte. So entstand in dem Bulletin des zu Nimes geborenen
Darboux eine Fortsetzung der ersten eigentlich mathematischen
Zeitschrift in Frankreich, der Annalen von Gergonne, welche
von 1810 — 31 unter der Leitung des letzteren in Nimes er-
schienen. Gleich der erste Band enthielt denn auch die An-
zeige so hervorragender Schriften, wie Bertrands großer
Calcul differentiel , G. Salmons Lessons on modern higher
algebra, J. Plückers neue Geometrie des Raumes, Band I
28 Nekrologe
und II (herausgegeben von F. Klein), Imschenetzkys Ai
beiten über partielle Differentialgleichungen, H. Hankell
Untersuchung über die unendlich oft oszillierenden und un^
stetigen Funktionen, G. Zeuthens Theorie der Singularitätei
der Raumkurven, E. B. Christoffels allgemeine Theorie der
geodätischen Dreiecke, L. Cremonas Preliminari di una teoria
geometrica delle superficie.
Darboux war Geometer im eigentlichen Sinne des
Wortes. Er hat zwar sich nicht mit Untersuchungen über
synthetische Geometrie, die gerade zurzeit seiner Jugend in
Deutschland in hoher Blüte stand, beschäftigt (vielleicht ist
hier die Arbeit Sur une classe particuliere de surfaces reglees
(Bull. II, S. 301, 1871)^) auszunehmen, obwohl auch diese vor-
zugsweise analytisch gehalten ist). Selbst da, wo er sich an
der durch F. Klein hervorgerufenen Diskussion über den
Fundaraentalsatz der projektiven Geometrie beteiligt, ist der
Kern seiner Überlegung, der freilich auch eine geometrische
Deutung gegeben wird, analytisch durch den Satz bezeichnet:
Die Funktionalgleichung Cauchys <p{x) -\- <p(y)= (p{x-\-y),
die für jedes rationale x unmittelbar (p(x) = xq){l) liefert, ist
für jedes x gültig, falls nur (p{x) in einem beliebigen Inter-
valle nur positive und negative Werte von endlichem Betrage
besitzt.
Prinzipiell hat er immer die Richtung der Mon gesehen
Schule vertreten. So hoch er auch die Verdienste Chr. von
Staudts um die selbständige Begründung der projektiven
Geometrie und seine Konstruktion der imaginären Gebilde in
derselben schätzte, schien ihm doch die analytische Richtung,
die durch Poncelets Entdeckung der Kreispunkte, E. La-
guerres projektive Definition der Winkel mit Hilfe der Iso-
tropen oder Minimalgeraden (1853, Oeuvres de L. I, S. 1) Vor-
züge zu besitzen, die ihm die rein synthetische Forschung we-
niger sympathisch erscheinen ließen. Aber überall ist seine Ana-
lyse getragen von einer gewaltigen geometrischen Intuition, die
^) Bull, bedeutet Bulletin des sciences mathematiques.
barboux 29
es liebt, oft gerade an entscheidender Stelle die Rechnung durch
eine geometrische Bemerkung zu fördern, während er an an-
deren Stellen erst nachher zeigt, wie die Grundgedanken
seiner Analysis eigentlich nur eine andere Form einer geome-
trischen Idee bilden, die umgekehrt zu den ersteren hätte
leiten müssen. Und dies unvergleichliche Talent, in dem er
von keinem Mathematiker übertroffen ist, steigerte sich im
Laufe der Jahre immer mehr, ohne an Fruchtbarkeit einzu-
büssen.
In seinen ersten Arbeiten (von 1864 an) tritt noch eine
rein geometrische Richtung auf, so in der frühesten über die
Schnitte der Torusfläche, in der Konstruktion der Fläche
zweiter Ordnung durch neun gegebene Punkte, in der Ab-
bildung einer Fläche fünfter Ordnung auf die Ebene (1871),
die im Anschluß an die Abhandlungen von A. Clebsch über
die Abbildungen algebraischer Flächen (Math. Annalen I, 1868)
erschien.
Aber auch schon während dieser Zeit steckt er sich die
höchsten Ziele. Seine Arbeiten erstrecken sich über fast alle
Gebiete der Mathematik (Zahlentheorie und Wahrscheinlich-
keitsrechnung etwa ausgenommen): über Funktionentheorie,
Lehre von den Differentialgleichungen, Differentialgeometrie
der Kurven und Flächen, Kinematik und Mechanik, wenn
auch die infinitesimalen Eigenschaften der Flächen dasjenige
Gebiet bildeten, auf dem er vielleicht seine größten Erfolge
erreicht hat. Die Ideen, welche er hier überall entwickelt,
sind schon zum großen Teil in seiner Jugend, in den Jahren
1866 — 75 entstanden, während die völlige Ausführung ihn
unausgesetzt bis zu seinem Tode beschäftigte.
Es soll nun versucht werden, wenigstens einige der haupt-
sächlichsten Arbeiten, die aus seiner überaus großen Produk-
tivität entsprungen sind, zu besprechen.
Wenden wir uns zuerst zu denen funktionentheoretischen
Inhaltes. In dem Memoire sur les fonctions discontinues (Ann.
de l'Ecole Norm. (2), IV, S. 57, 1875) begründet Darboux
in Verfolgung der Rie mann sehen Untersuchung über den
30 i^ekrologö
Begriff des bestimmten Integrals den wichtigen Satz, daß für
jede zwischen den Grenzen a, h beschränkte Funktion f{x)
der Variabein X ein oberes und ein unteres Integral
existiert, indem er zeigt, daß die Summe
bei fortgesetzter Verkleinerung aller Intervalle, derart, daß sie
sämtlich gegen Null konvergieren, falls man für die /*(li) die
zu denselben gehörigen oberen Schranken der Funktion wählt,
nicht mehr zunehmen kann und wirklich einen völlig bestimmten
Grenzwert ergeben muß. An derselben Stelle wird auch die
gleichmäßige Konvergenz unendlicher Reihen behandelt,
die durch K. Weierstraß' Revision der Hauptsätze der Diffe-
rential- und Integralrechnung so wichtig geworden war; man
verdankt da Darboux das beinahe klassisch gewordene Bei-
spiel der Reihe
1
welche nicht gleichmäßig konvergiert und nun auch bei glied-
weiser Integration ein Resultat liefert, das vom Integral der
doch von o bis x stetigen Funktion selbst verschieden ist. Die
Arbeit enthält im Anschluß an Hankel's Untersuchungen auch
die Darstellung von Funktionen, die in jedem noch so kleinen
Intervalle keine Derivierte besitzen, unter anderem auch das
Beispiel der stetigen Funktion
„ sin w -|- 1 ! X
I
i
die für kein x eine Ableitung besitzt und viele andere wich-
tige Bemerkungen.
Auf die weiteren hierher gehörigen Arbeiten^) kann hier
nur hingewiesen werden, so auf die Ergänzungen zu Dirich-
let's großer Abhandlung über die Darstellung willkürlicher
Funktionen der Kugelfläche durch Reihen nach Integralen von
1) So z. B. die geometrisclie Studie über das Poisson sehe Integral,
das H. A. Schwarz so gründlich untersucht hätte, im Bulletin (2) IV,
S. 126, 1880.
t)arboux oi
Kugelfunktionen (sur les series, dont le terme g^neral dopend
de deux angles, J. v. Liouville (2) XIX, S. 1, 1874). Dagegen
sei noch erwähnt die Ausdehnung des ersten Mittelwert-
satzes der Integralrechnung auf die komplexen Funktionen
eines reellen Arguments und die Form des Restes der Tay-
lor sehen Reihe, die sich von der allgemeinen Cauchy-Schlö-
milch sehen Gestalt nur durch einen Faktor \X\ < 1 unter-
scheidet. Auch hier wird das Resultat, das Ch. Hermite mit
Vorliebe in seinem Cours d'analyse verwendet, aus dem geo-
metrischen Satze gewonnen, daß die gerade Linie der kürzeste
Weg zwischen zwei Punkten ist und zur Reihenentwicklung
vieler Ausdrücke verwandt (sur le developpement en series
des fonetions d'une seule variable, J. v. Liouville (2) III,
S. 291, 1876).
In der Note des Bulletin III, S. 307, 1872 macht Dar-
boux darauf aufmerksam, daß der Beweis von Cauchy für die
Existenz einer Wurzel der Gleichung n. Grades f{^) = X-{- i Y=o
mit Hilfe des Minimums von X^-j~ Y^ ßi^e Lücke habe, die
nur durch die Berufung auf die Stetigkeit dieses Ausdruckes
gehoben werden kann, die, wie Weierstraß gezeigt hatte,
gesichert sein muß, wenn die Funktion ihre untere Schranke
Null für einen Wert von 2 = x-\-iy erreichen soll.
Auch algebraische und invariantentheoretische Fragen
beschäftigten den jungen Darboux vielfach. Weierstraß
und L. Kronecker (Werke I, S. 163; II, S. 233) hatten 1868
in den Berliner Monatsberichten die Äquivalenz von Schaaren
quadratischer Formen und ihre kanonische Darstellung in
grundlegenden Arbeiten behandelt. Dieselben Fragen nimmt
Darboux 1874 in der Theorie algebrique des formes quadra-
tiques (J. v. Liouville (2) XIX, S. 347) in einer durch die An-
wendung geränderter Determinanten außerordentlich übersicht-
lich und elegant gewordenen Darstellung auf, welche zugleich
eine Vereinfachung der abstrakteren Behandlung durch Weier-
straß und Kronecker liefert.
Aus dem Umstände, daß Darboux mehrere Jahre hin-
durch Mechanik zu lehren hatte, ist eine ganze Reihe von
32 Nekrologe
Arbeiten hervorgegangen. Sie sind mit wenigen Ausnahmen
wie z. B. die an Poisson's Bestimmung der Elektrizität
Verteilung auf zwei leitenden Kugeln sich anschließende, kin
matischer Art oder beziehen sich auf allgemeine Begriff
der Mechanik. Von der letzteren Art sind die Arbeiten
Sur le choc des corps et sur le frottement dans le choc des
Corps, welche sich durch große Klarheit in den dabei zu Grunde
gelegten Hypothesen auszeichnen, ferner die Etüde g^ometri-
que sur les percussions et le choc du corps im Bulletin (2
IV, 1880.
In der Note über die Zusammensetzung der Kraft
in der Statik untersucht er das Minimum der zu einem rein
mathematischen Beweise des Parallelogramms der Kräfte er-
forderlichen Hypothesen. Setzt man voraus, daß die Resul-
tante von n Vectoren P^, P^ . . Pn a) eindeutig bestimmt
ist, b) ungeändert bleibt, wenn man irgend welche Gruppen
der P durch ihre Resultanten ersetzt, c) von der Lage gegen
das Koordinatensystem unabhängig ist, so ist dieselbe vermöge
der Parallelogrammregel durch
<p(P,), cp{P,) . . . <piK)
gegeben, mit (p(x) als einer willkürlichen Funktion. Aus der
weiteren Forderung, daß gleichgerichtete Vectoren sich ad-
dieren, (p{P-\-Q) = (p{P)-\-(p{Q), folgt nach den oben erwähnten
Voraussetzungen über die Funktion (p{x)^), daß (p{P) =^ Ä-P
sein muß.
Zwei andere Arbeiten, so schon in den Comptes Rendus
von 1876 und in dem Memoire sur l'equilibre astatique, be-
treffen Fragen, die bereits F. Minding und A. Möbius be-
handelt hatten, doch zeichnet sich auch hier die Darstellung
von Darboux, abgesehen von manchen neuen Einzelheiten,
durch Einheitlichkeit und Eleganz aus.
J. Bertrand hatte die Frage aufgeworfen, unter welchen
Umständen sich allein aus der angenommenen Tatsache, daß
die Planeten immer Kegelschnitte beschreiben, auf das An-
i) Siehe S. 28.
I
Darboux 33
Ziehungsgesetz schließen lasse. Unter Annahme einer Kräfte-
funktion bestimmt Darboux das Kraftgesetz, welches im
allgemeinen von der Entfernung r und dem Polarwinkel cp
abhängig sein kann, und das dazu gehörige System der Kegel-
schnitte. Unabhängig wird die Kraft von 99 nur für den Fall
des Newton sehen Gesetzes und dem der Proportionalität mit
der Entfernung (Comptes Rendus, Bd. 84, 1877).
Einen ausgesprochenen kinematischen Charakter tragen
die übrigen Arbeiten von Darboux. Wir erwähnen zuerst
die geistreiche Idee, die Theorie des ebenen Vierecks aus vier
gegebenen Seiten mit der einer Kurve dritter Ordnung und
so mit der Theorie der elliptischen Funktionen in Verbindung
zu setzen (1879) und die aus demselben Jahre stammenden
Recherches sur un Systeme articulä, die eine höchst elegante
Geradführung enthalten, sowie die schöne Arbeit Sur le dö-
placement d'une figure invariable (Ecole Norm. (3) VII, 1890),
in der eine Bewegung des starren Körpers ermittelt wird, bei
der alle Punkte desselben Ellipsen beschreiben und die merk-
würdigerweise die einzige durch das Gleiten des Körpers auf
einer Ebene herstellbare ist, bei der alle Punkte ebene Kurven
in nicht parallelen Ebenen beschreiben.
Wir schließen diese kinematischen Untersuchungen mit
der interessanten Arbeit Sur la sphöre de rayon nul et sur
la th^orie du deplacement d'une figure invariable im Bulletin
(2), XXIX, 1905. Hier wird die ganze Untersuchung auf die
Betrachtung des Minimalkegels li? -\- Y* -{- Z^ = 0 , dessen
Punkte durch
gegeben sind, zurückgeführt und abgesehen von manchen an-
deren interessanten Bemerkungen, wie z. B. der liniengeome-
trischen Identität, welche die algebraische Summe der drei
aus den Produkten der Gegenkanten eines in die Nullkugel
eingeschriebenen Tetraeders darstellt, soweit durchgeführt, daß
schließlich die Formeln für die orthogonalen Substitutionen
im i?g und die Zusammensetzung zweier Rotationen durch die
Jahrbuch 1917. 3
34 Nekrologe
Quaternionenformel von A. Cayley entstehen; wie man siehl
gibt diese Arbeit eine etwas andere Darstellung, als die von
F. Klein in seiner Theorie des Kreisels aus dem Jahre 1897,
S. 23 ff.
Die Theorie der Differentialgleichungen zu der wir
jetzt übergehen, verdankt Darboux fast in allen ihren Teilen
erhebliche Fortschritte. Wir betrachten zuerst die gewöhn-
lichen Differentialgleichungen. Eine der frühesten Arbeitet
ist hier die Lösung der elliptischen Differentialgleichung
(Ecole Norm. IV, S. 81, 1867). Zur Lösung derselben be-
stimmt er die Beziehung zwischen irgend zwei Integralen der
Gleichung
sie ergibt sich sogleich durch Vergleichung mit der aus dieser
durch Differentiation gewonnenen weit einfacher als durch
Lagranges berühmte Integration.
Betrachten wir jetzt zunächst die gewöhnlichen Diffe-
rentialgleichungen: Ist f{x,y,y') = Dn eine (algebraische) Diffe-
rentialgleichung erster Ordnung n. Grades, so können außer
dem allgemeinen Integral F{xyc) = o noch singulare Lö-
sungen auftreten, für die nach Lagrange ^ ^ = o ist.
ay
Daran knüpften sich die beiden Fragen : Wann ist eine Lösung
singulär in dem Sinne, daß sie durch keinen Wert der Kon-
stanten c aus dem allgemeinen Integral folgt, und warum
existiert die singulare Lösung nicht ,im allgemeinen", während
doch die Enveloppe eines Ausdruckes von der Form F{xyc) = o
gerade „im allgemeinen* vorhanden ist? Die erste läßt sich
in jedem einzelnen Falle sicher entscheiden und ist von ge-
ringerer Bedeutung; in der zweiten glaubte man ein Paradoxon
zu sehen, weil man nicht bedachte, daß die Lösung der all-
gemein gedachten D^ = o eine Form von weit speziellerem
Darboux 35 ,
Charakter ist, wie eine allgemeine Gleichung F{xyc) = o, welche
die Konstante c ebenfalls im n. Grade enthält. Aber Darboux
hat zuerst — so schon 1870 in Mitteilungen an die Pariser
Akademie — ausgesprochen , daß die allgemeine D« = o kein
singuläres Integral haben kann. Er zeigt weiter (Bull. IV,
df
S. 158, 1873), daß das durch Lagranges Regel aus -j—, = o
und f=o gebildete Eliminationsresultat, der sogenannte Dis-
criminantenort, im allgemeinen Falle keine Lösung, sondern
den Ort von Spitzen der Integralkurven liefert. Der
Beweis dafür wird nicht durch Reihenentwicklung, sondern
durch die dualistische Auffassung der DjJ, wie sie die Theorie
der Konnexe von Clebsch nahe gelegt hatte, geführt. Durch
jeden Punkt gehen n Integralkurven (System S), und jede
Gerade g, y = ax -\- C, wird von m Kurven S in den Schnitt-
punkten von g mit f(x, y,a) = o berührt. Bei der Umformung
von S durch Polarität entsteht das System S', in dem jede
Gerade n Kurven desselben berührt und dem wieder eine Dn
in Linienkoordinaten entspricht. Dem Zusammenfallen von
zweien dieser Berührpunkte entspricht, wie Darboux zeigt,
eine einfache Inflexion, die nun für die Kurven S eine
Spitze bedingt. Zugleich werden die Bedingungen angegeben,
unter denen man aus Lagranges Kriterium für die singulare
Lösung (Calcul des fonctions, Werke X, S. 203)
' dy' ' dx^ ^ dy
auf ihre Existenz schließen kann.*)
^) In der deutschen Bearbeitung des Lehrbuches von A. R. Forsyth
S. 4i wird bemerkt, daß Cayley zuerst die singulären Lösungen be-
handelt habe. Nach den obigen Angaben trifft das nicht zu. An der-
selben Stelle wird angegeben, daß Darboux das sogenannte Paradoxon
der singulären Lösungen noch nicht erkannt habe. Demgegenüber ver-
gleiche man seine bestimmten Aussagen im Bulletin, sowie insbesondere
in den Solutions singulieres S. 213 von 1883. Hiernach dürfte ihm die
Priorität zukommen. Nach P. Painleve (Enzyklopädie d. M. II, S. 213)
hat Cayley bereits im Phil. Magazine XXXII, S. 379, 1866, sich mit den
3*
oC Nekrologe
Eine weitere Arbeit (Bull. 2, II, 1878) knüpft an Jacl
Integration der Differentialgleichung*)
L M N
X y z
dx dy di
= 0
mit i, -M, N als homogenen linearen ganzen Funktionen von
iP, y, 3 an und erweitert sie im Sinne der Invariantentheorie
für den Fall, daß Z, M, N ganze homogene Funktionen
gleichen Grades sind. Hier wird namentlich die Frage nach
dem Auftreten von algebraischen Integralen und ihrer
Form beantwortet, die bei Jacobi unmittelbar aus der Be-
schaffenheit der Wurzeln einer kubischen Gleichung folgt.
Eine umfangreiche Abhandlung (J. v. Liouville 4, III,
S. 305), deren Anfänge schon aus dem Jahre 1876 stammen,
betrifft die Lösung von Differentialgleichungen der Form
aingulären Lösungen beschäftigt; diese Note enthält aber nichts darüber;
Cayley hat auch nicht bemerkt, daß das, was er 1873 in der populär
geschriebenen Note im Mess. of Math. (Coli. Papers VIII, S. 529) den
Discriminant-Locus nennt, im allgemeinen Spitzenort ist. Aber seine
gesperrt gedruckten Worte am Ende der Note ,1 do not recognise any
Singular Solution, which is not of the envelope species* haben wohl zum
richtigen Verständnis dieser Lösungen beigetragen. Eine Reihenentwick-
lung, welche zeigt, daß die singulare Lösung in jedem ihrer Punkte von
einer Integralkurve berührt wird, hat ^ß. Picard erst 1896 im Traite
d'analyse III, S. 44, gegeben, eine erschöpfende Theorie der Dn = v
findet sich in der großen Arbeit von M. Hamburger (J. f. Math.
CXII, S. 205).
Es mag hier indessen noch bemerkt werden, daß M. Cournot
(Theorie des fonctions II, S. 324 ff., 2. Ausgabe 1857) bereits an einem
speziellen Beispiele zeigt, wie der Discriminantenort sowohl zu Spitzen
der Integralkurven Veranlassung geben kann, als auch zu einer singu-
lären Lösung, während es sich bei Darboux um einen allgemeinen Satz
handelt. Das Auftreten von Spitzen ist übrigens — wenn man reelle
Verhältnisse betrachtet, bei denen zwei Wurzeln der Gleichung für y'
beim Durchgang durch den Discriminantenort von reellen zu imaginären
»im allgemeinen" übergehen — nicht so wunderbar.
1) Von Jacobi (Werke IV, S. 257, 1892) werden homogene Koor.
dinaten noch nicht benutzt.
I
Darboux 37
f{dx^ dx^ . . dxn) --=" 0,
d. h. einer in den dx homogenen Form f mit konstanten Ko-
effizienten, mit denen für die Fälle n=2, 3 sich schon Euler
und A. Serret beschäftigt hatten. Hier ermittelt Darboux
durch geschickte Verallgemeinerung des aus geometrischen
Gesichtspunkten für w = 2, 3 gelösten Problems die von Qua-
draturen freie Lösung. Damit finden zugleich andere Auf-
gaben ihre Beantwortung, so z. B. die explizite Konstruktion
von Kurven, die mit gleichen Bogenlängen für entsprechende
Punkte korrespondieren, ferner die Bestimmung aller Bewe-
gungen, die auf unendlich kleinen Rotationen beruhen, sowie
auch die allgemeine quadraturfreie Darstellung für zwei auf
einander abwickelbare Regelflächen etc.^)
Aber weit bedeutender sind Darboux' Arbeiten über
partielle Differentialgleichungen.
Cauchy hatte schon seit 1831 in den Comptes Rendus,
namentlich aber daselbst 1842 mit Hilfe seines calcul des
limites die Existenz der Lösungen von Systemen gewöhnlicher
und partieller Differentialgleichungen in der allgemeinsten
Weise erwiesen. Aber zu vollem Verständnis sind diese grund-
legenden Untersuchungen wohl erst seit 1856 gelangt, wo
Briot und Bouquet dieselben in vereinfachter Gestalt für
ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen gaben. Und
nun erkannte Darboux, daß der von ihnen betretene Weg
auch für partielle Differentialgleichungen mit beliebig vielen
Variabein sich beibehalten lasse und seine Darstellung (C. R.
LXXX, 1875) ist jedenfalls wegen ihrer Einfachheit sehr be-
merkenswert, wenn sie auch von S. v. Kowalewskis zu der-
selben Zeit (J. f. Math. 80, S. 1) erschienenen Arbeit an All-
gemeinheit übertroffen wird.
Doch weit wichtiger als diese formale Arbeit ist die Note
über die Auflösung partieller Differentialgleichungen, die er
^) Es seien liier noch die Darboux eigentümlichen Algorithmen
aus den Integralen linearer DiflFerentialgleichungen n. Ordnung und ihrer
Lagrangeschen Adjungierten, Le9on3 aur la th^orie generale des
surfaces II, S. 99 ff. erwähnt.
38 Nekrologe
im Band VII der Ecole Normale bereits 1870 veröffentlichte.
Der Grundgedanke dieser „Darbouxschen Methode" ist etwa
folgender. Nach Ampere und Cauchy läßt sich die Lösung
der D^ = 0 = f{x,y,e,p,q) durch Einführung einer Variabein
y„, derart, daß y Funktion von a;, i/^ wird, auf ein System ge-
wöhnlicher Differentialgleichungen, das der Charakteristiken der
D, = 0 zurückführen. Bei der Gleichung D^ = f{x,y,s,p,q,r,s,t)
= 0 erhält man — von besonderen Fällen abgesehen — aber
wie Darboux zeigt, zur Bestimmung der vier UnbekannteMJI
y,e,p,q nur drei von y^ unabhängige Differentialgleichungen,
und dies wiederholt sich auch dann, wenn man von den r, s, t
zu den höheren Derivisten übergeht, so daß ein prinzipieller
Unterschied zwischen den J), und i)„ stattfindet. Kann man
aber, wie bei den Mo n gescheu Gleichungen integrable Kom-
binationen dieses unvollständigen Systems gewöhnlicher Diffe-
rentialgleichungen finden, so gelingt die vollständige Inte-
gration (insbesondere dann, wenn zwei solche vorhanden sind).
Nun faßt Darboux den kühnen Gedanken, die analogen
Gleichungen, welche nur Ableitungen der Unbekannten nach x
enthalten, aufzusuchen, wenn man zu den höheren Differential-
quotienten von 0 übergeht, d. h. im Sinne des durch S. Lie
eingeführten Ausdruckes die höheren Flächenelemente ic, y, ^,
JP» 9'5 '*i s, t usw. an Stelle der bisher verwandten ic, y, m, p, q
einzuführen. Ergeben sich hier integrable Kombinationen,
so kann die Integration gelingen. Dabei treten aber neue
Differentialgleichungen auf, die mit der gegebenen Integrale
von besonderer Natur gemein haben müssen, deren weitere Be-
trachtung sich hier nicht beschreiben läßt. Darboux hat
schon 1870 im Prinzip seine Methode auf alle D„ = o aus-
gedehnt, aber nichts weiter über sie veröffentlicht. Von S. Lie
und M. L6vj und vielen anderen ist sie aber weiter ent-
wickelt, so daß z. B. E. Goursat einen großen Teil des Band II
seiner Equations ä d^rivees partielles du second ordre diesem
Gegenstande widmen konnte.
Wir kommen jetzt zu der Arbeit Sur le probleme de Pf äff
(Bull. 2, VI, S. 14 u. 49, 1882). Sie verfolgt denselben Zweck
Darboux 39
wie die von G. Frobenius (J. f. Math. LXXXII, S. 280, 1877)
erschienene, welche die Transformation der Differentialaus-
drücke von der Form
auf ihre kanonischen Formen vollständig erledigte. Aber die
geistreiche Art, in der Darboux mit Hilfe der bilinearen
Kovariante^)
ded — dSi
(die auch bei Frobenius auftritt) und des aus ihr folgenden
invarianten Systems von Differentialgleichungen fast ohne
jede Rechnung die Frage erledigt, ist von großem Interesse.
In dem zweiten Teile des Aufsatzes verwendet Darboux die-
selben Gesichtspunkte unter Zuziehung der oben (S. 31) er-
wähnten Arbeit über quadratische Formen, um die Hauptsätze
von Lies Theorie der Berührungstransformationen auf einem
neuen Wege zu entwickeln.
Dies war offenbar die Vorarbeit für die große 240 Seiten
umfassende Arbeit Sur les Solutions singuliöres des ^quations
ä derivees partielles du premier ordre, die 1883 im Band XXVII
der Mem. des Savants etrangers erschien und für den er den
grand prix der Akademie erhielt. Diese Monographie, welche
im Jahrbuch für die Fortschritte der Mathematik nicht ein-
mal erwähnt ist, enthält eine Fülle wichtiger und neuer Ge-
danken neben den allgemeinen seit Lagrange, Monge und
Cauchy bekannten Grundlagen. Wir rechnen dahin a) rein
geometrische Resultate, wie z. B. die Frage nach den durch
ein System von Kurven erzeugten Flächen, die entweder vom
*) Darboux' Arbeit ist wohl ganz unabhängig von Frobenius ent-
standen. Denn das Variationsprinzip, das zur bilinearen Kovariante
führt, kannte er sicher aus E. B. Christoffels Transformation der
homogenen Differentialausdrüeke zweiten Grades (J. f. Math. LXX, S. 46)
(oder auch aus R. Lipschitz' gleichzeitiger Abhandlung über denselben
Gegenstand) , welche für n = 2 die Frage nach der Isometrie von zwei
Flächen enthält. Dieser Fall ist übrigens von Darboux selbst in der
elegantesten Weise in den Le9on3 sur la theorie generale III, S. 223,
behandelt.
40 Nekrologe
Typus der Regelflächen oder der Developpabeln sind (S. 40),
b) die Verallgemeinerung der konjugierten Kurven Dupins
(S. 58), c) dann die elegante Darstellung der Mayer -LieschenaBB
Theorie der Berührungstransformationen unter Benutzung des«"
Variationsprinzipes (S. 80), d) die ganz allgemeine Darstellung
der Charakteristiken und der Methode Cauchys vermöge der
doppelten Symbole d und d, wobei auch die Einwürfe Bertrands
gegen die Allgemeingültigkeit des Verfahrens widerlegt werden
(S. 133), was A. Serret z. B. nur umständlich (Ecole Norm. 1,
III, S. 145) erreicht hatte, endlich die Bestimmung des Ver-
haltens der Charakteristiken und Integralflächen in Bezug auf
den Discrirainantenort.
Bezeichnet man mit Z, P, Q, U, V für die Gleichung
S/ /if 3/ ^f 3f
nx,y,^,p,q) = o die Ausdrücke ^' a^' ^' ^ + i' g^ '
df df
— 4- <7 — , so ergibt sich (S. 146 if.)> daß die Charakteristiken
in den Punkten des Discriminantenortes (wo P = Q = o, U
und V nicht Null sind) im allgemeinen Spitzen^) haben,
die charakteristische Developpable dagegen regulär ist (diesem
Falle steht dualistisch der andere U=V=o, V und Q nicht
Null, gegenüber). Im Zusammenhange damit werden dann
auch die Formen der Integralflächen in der Umgebung des
Discriminantenortes untersucht und zu diesen wichtigen Er-
gebnissen werden von S. 172 an noch die über das Verhalten
der Integralflächen in der Nähe der singulären Lösung, welche
im Z=o, P=Q=U=V=o sicher existiert, wo dann nach
allen Punkten der Tangentenebene Charakteristiken
ohne Singularität auslaufen (S. 152), untersucht und dies
auch für n unabhängige Variable durchgeführt.
Endlich sei noch hervorgehoben, daß der jetzige Begriff
des allgemeinen Integrals einer partiellen Differential-
*) Damit gab Darboux also die Verallgemeinerung seines oben
(S. 35) erwähnten Satzes über gewöhnliche Differentialgleichungen für
den Raum.
a
Darboux 41
gleichung ebenfalls von Darboux zuerst vertreten ist. Nach
A. Ampere muß dasselbe nur dieser und allen aus ihr durch
Differentiation folgenden Gleichungen genügen. Darboux ver-
langt aber mit Recht, daß dasselbe den aus Cauchys Exi-
stenzbeweisen folgenden Forderungen genüge, also z. B. das
allgemeine Integral einer D^ = o mit zwei unabhängigen Va-
riabein X, y durch einen willkürlichen Streifen gelegt werden
könne. Daß darin ein Unterschied liegt, der geradezu irrtüm-
liche Behauptungen veranlassen kann, bemerkt er in den
Le9ons sur la theorie generale II, S. 98, mit besonderem Nach-
drucke aber auf dem Mathematikerkongreß zu Rom (Bull. 2,
XXXII, S. 118 und 124).
Wir wenden uns nun endlich zu Darboux' Arbeiten in
der Flächentheorie, dem Gebiet, auf dem er wohl seine
größten Erfolge erreicht hat, müssen uns aber bei der Fülle
des Stoffes auf einige kurze Angaben beschränken.
Schon im Jahre 1864 (Comptes Rendus LIX, S. 240)
zeigt er, daß man auf jeder Fläche eine (imaginäre) Krüm-
mungslinie vermöge der Gleichung \ -\- p^ -\- q^ = o finden kann.
Zugleich erkennen wir aus der anschließenden Bestimmung
eines aus Cykliden gebildeten dreifachen Orthogonalsystems,
wie angelegentlich er sich schon damals mit diesen Systemen,
welche wir der Kürze halber als Lame-Systeme bezeichnen,
beschäftigte. Und nun folgt im Jahre 1866 (Ann. de l'Ecole
Norm. 1, in, Sur les surfaces orthogonales in der these de
doctorat) der berühmte Satz, daß die Flächen eines Lamä-
Systems einer partiellen Differentialgleichung dritter Ordnung
(notwendig und hinreichend) genügen müssen, den eine frühere
Bemerkung von 0. Bonnet (1862) doch eigentlich nur wahr-
scheinlich gemacht hatte (vgl. Darboux' eigene Angaben in
den Le9ons sur les systemes orthogonaux, S. 13). Er gewinnt
das Resultat auf dem einfachsten Wege, nämlich aus der In-
tegrabilitätsbedingung des Differentialausdruckes
Pdx^Qdy-\-Bdz,
aber die entscheidende Wendung führt er damals auf seine
42 Nekrologe
ümkehrung des Dupinschen Theorems zurück, nach der zi
zwei Flächenscharen, die sich rechtwinklig in Kurven schneid
den, welche für die eine Schar Krümmungslinien sind, immei
eine dritte Schar von Orthogonalflächen existiert.*)
Und schon in dem C. R. LXIX, 1869,*) in der Notiz
Sur une nouvelle särie des systemes orthogonaux algäbriques
gibt er den Satz, daß man aus jedem w-fachen Lame- System
w-Ä- fache solche Systeme herleiten kann. Auch hier beruht
das auf der Bemerkung, daß man durch Gauß' sphärische
Abbildung der Fläche eines dreifachen Systems auf die Kugel
ein Orthogonalnetz auf der letzteren erhält, eine geometrische
Konstruktion, die er dann in die Sprache der Analysis über-
setzt. Und die Theorie der elliptischen Koordinaten von Ja-
cobi (Werke, Supplementband S. 198, 1842/43) setzt ihn nun
in den Stand, in Verbindung mit seiner Methode der penta-
sphärischen Koordinaten, aus Cykliden, d. h. Flächen
4. Ordnung, die den imaginären Kreis zur Doppelkurve haben,
bestehende Lam^- Systeme aufzustellen. Die diesem speziellen
Gegenstande angehörenden Untersuchungen finden sich dann
vereinigt in dem (schon 1869 der Pariser Akademie vorgelegten)
umfangreichen Memoire Sur une classe de courbes et sur-
faces algebriques, das auch selbständig erschienen 1896
eine zweite Auflage erhielt. Aber neben den schönen Unter-
suchungen auf Grund des Imaginären, das durch S. Lies Ent-
deckung der Transformation der Liniengeometrie in eine Geo-
metrie der Kugeln Darboux' größtes Interesse erregt hatte,
findet sich hier 1872 auch schon die Entwicklung der von
Quadraturen freien Gleichungen der Minimalkurven, sowie die
in der elegantesten Weise mit Hilfe der Theorie der Diffe-
rentialparameter, welche E. Beltrami 1869 veröffentlicht
hatte, aufgestellte partielle Differentialgleichung, von der die
Bestimmung aller Flächen abhängt, die auf eine gegebene
^) In den Le90ns orthogonaux, S. 6, wird der Satz unter alleiniger
Benutzung der Integrabilitätsbedingung erhalten.
^) G. B. bedeutet Comptes Rendus.
Darboux 43
, abwickelbar* sind, für den allgemeinsten Fall des Längen-
elementes (Sur une classe remarquable, S. 17 und 181).^)
Durch das Problem der Lame-Systeme und der iso-
metrischen Deformation der Flächen sind nun hauptsäch-
lich die Aufgaben bezeichnet, denen Darboux von da an
seine ganze Kraft widmete.
Die partielle D^ = o der Lame- Systeme hatte er 1866
nicht selbst angegeben, weil sie bei direkter Ausrechnung
weitläufig war; wahrscheinlich hat er sie damals nur in einer
primitiven Form besessen. Es ist das Verdienst von A. Cayley,
dieselbe durch eine Untersuchung, in der sich eine infinitesi-
mal-geometrische Betrachtung mit großer algebraischer Kunst
verbindet, in Gestalt einer sechsreihigen Determinante L:?72
(vgl. den Zusatz 1873 in den CoUected Papers of Cayley VIII,
S. 292) ermittelt zu haben.»)
Diese Differentialgleichung entwickelt nun Darboux später
auf viel einfachere Weise, so z. B. im C. li. 76 und Ann. Ecole
Norm. 2 VII, in Gestalt einer sechsreihigen Funktionaldeter-
minante, fortwährend neue Anwendungen derselben hinzu-
fügend, so z. B. in der Arbeit Sur les systemes orthogonaux,
qui comprennent une famille des systemes du 2. degrö, C. R.
LXXXIV, S. 336, 1877, wo eine Lösung dieser Frage gegeben
wird, bei der die Flächen zweiten Grades als Parameter eine
^) Auf ganz anderem Wege U. Dini im Giornale di matematiche II,
S. 282, 1864.
2) Cayley sagt übrigens C. R LXXV, 1872 (Coli. Papers VIII,
S. 269): On sait, que q satisfait ä une equation ä diiFerences du 3. ordre,
et en suivant la route trac^e par Maurice Levy 1870 je suis parvenu
a trouver cette equation. In der Tat hat Lövy sich schon seit 1867
mit dem Probleme der Lameschen Systeme beschäftigt. In seiner Arbeit
(J. de rficole Polyt. cahier 43, S. 148, 1870) wird durch eine infinitesi-
male geometrische Konstruktion an zwei unendlich benachbarten Flächen
einer Schar der Satz gewonnen: ,Pour qu'une famille de surfaces puisse
faire partie d'un systememe orthogonal, il faut et il suffit, qu'elle
remplisse les conditions suivantes", deren sich eben Cayley bediente.
So groß aber auch die sonstigen Verdienste Levys sind, der sich vielfach
mit denselben Problemen wie Darboux beschäftigte, die Priorität bleibt
auch hier dem letzteren gewahrt.
44 Nekrologe
willkürliche Funktion von einer Yariabeln und dem Differential-
quotienten derselben enthalten,') z. B. Paraboloide von der Form
1 = 2x A- a log u
a-\-u a — u °
sind. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten beschäftigt ihn
wiederholt das Problem der sphärischen Abbildung, alle
Flächen zu finden, für die das sphärische Bild der Krümm ungs-
linien ein auf der Kugel gegebenes Orthogonalsystem ist.
In den C. R. 96, S. 366 wird dasselbe auf die Lösung der
Laplaceschen Differentialgleichung
dadß ~ yx dadß
wo X bekannt ist, zurückgeführt, und es zeigt wie sich aus
einer Lösung derselben eine unbegrenzte Zahl neuer finden läßt.
Bald nach 1880 nehmen die Untersuchungen von Darboux
eine etwas andere Richtung an. Die schöne Entdeckung des
italienischen Mathematikers L. Bianchi (Math. Annalen XVI,
S. 577, 1879) aus jeder Fläche konstanter negativer Krümmung
00 ^ neue von derselben Krümmung zu gewinnen, in dem man
den zweiten Brennmantel der aus den Tangenten eines Systems
paralleler, d. h. von einem unendlich fernen Punkte der Fläche
ausgehender geodätischer Linien gebildeten Kongruenz bestimmt
und die daran anschließende Bemerkung von S. Lie, daß man
auf diesem Wege Flächen konstanter negativer Krümmung
mit beliebig vielen Parametern durch Quadratur finden kann,
veranlaßte weitere Bemühungen um das bis dahin so spröde
Problem der Flächen konstanter Krümmung, welches durch
F. Klein's und E. Beltrami's Arbeiten über Nicht-Enklidische
Geometrie so viel Interesse erregten.
Andererseits hatte Darboux von 1882 — 1885 eine große
Vorlesung über Flächentheorie an der Sorbonne gehalten, mit
dem hauptsächlichen Zwecke, dabei neue Anwendungen für
I
I
M Merkwürdigerweise enthält das Resultat gerade das confocale
System der i\ nicht.
Darboux 45
die Integration partieller Differentialgleichungen zweiter Ord-
nung geben zu können. Damit beginnt denn nun das Stu-
dium der Deformation der Flächen; dem die weiteren
Arbeiten von Darboux zum großen Teil gewidmet sind. Eines
der hervorragendsten Resultate bringt bereits der dritte Band
der Le9ons sur la th^orie generale des surfaces, S. 362, näm-
lich die Bestimmung aller Flächen, welche zum Rotations-
paraboloid isometrisch sind. So elegant auch hier schon
die Darstellung geworden ist, hat doch Darboux später
(Bull. 2, XXIX, S. 109, 1905) sie noch einmal in vereinfachter
Gestalt behandelt, um die vollständige Flächengruppe zu er-
halten, welche reell auf den reellen Teil des Paraboloides
x^ -\- y^ = Akz
, abwickelbar" ist, während sich zugleich auch die zu den ima-
ginären Teilen dieser Fläche isometrischen Flächen ergeben.
Insbesondere findet er dabei auch zwei unicursale Flächen
12. Ordnung, 10. Klasse und veranlagte E. Estanave, dieselben
zu modellieren und ihre Herstellung eingehend zu erläutern
(Bull. a. a. 0. S. 246).
Doch wir haben damit dem Inhalt des vierbändigen großen
in den Jahren 1887 — 96 veröffentlichten Hauptwerkes von
Darboux, den Le^ons sur la theorie generale des sur-
faces bereits vorgegriffen. Diese Le9ons geben eine voll-
ständige Einsicht in den bis zu dieser Zeit erreichten Zustand
der Differentialgeometrie der Kurven und Flächen. Aber auch
da, wo Darboux bereits bekanntes mitteilt, weiß er immer
überraschende neue Wege zu gehen, so die Darstellung aus
einem Gusse gestaltend. Man weiß in der Tat nicht, was
man mehr bewundern soll, die außerordentliche Klarheit und
Schönheit der Exposition oder die Vielseitigkeit und Tragweite
der Methoden, durch die es gelingt, oft schwierige Fragen
wie spielend zu erledigen. Das Werk scheint, wie Julius
Weingarten, der um die Deformationslehre der Flächen so
hoch verdiente deutsche Mathematiker sagt, „bestimmt, auf
lange Zeit hinaus die Schritte der Geometer zu leiten".
46 Nekrologe
Der formalen Darstellung liegt ein kinematischer Gesichts-
punkt zu Grunde, der sich namentlich bei den Untersuchungen
des dritten und vierten Bandes über geodätische Linien und
das Rollen einer Fläche auf einer anderen als fruchtbar erwies,
durch den Darboux die Mängel, welche der Verwendung
eines willkürlichen kartesischen Koordinatensystems wegen
seines fehlenden Zusammenhangs mit dem zu betrachtenden
Objekte anhaften, zu beseitigen beabsichtigte. Doch mag hier
hervorgehoben werden, daß durch die Arbeiten des italieni-
schen Mathematikers E. Cesäro während derselben Zeit und
dessen 1896 erschienenen Lezioni di geometria intrinseca
(deutsch von G. Kowalewski, 1901) diese Frage eine viel-
leicht noch eingreifendere Umbildung erhalten hat.
Indessen dürfen wir es uns nicht versagen, einiges aus
dem reichen Inhalt der Le9ons hier anzuführen. Gleich im
ersten Bande befindet sich eine ausgezeichnet schöne Dar-
stellung der homogenen Punkt- und Ebenenkoordinaten in
der Theorie der konjugierten Kurven (insbesondere der Krüm-
mungslinien und der sich selbst konjugierten Haupttangenten-
oder asymptotischen Kurven) auf der Fläche in Verbindung
mit der Laplac eschen linearen D^ = o
dudv ' aw ' 3t; ' '
deren Betrachtung dem ganzen Werke ein so charakteristisches
Gepräge verleiht. Daran schließt sich das System der penta-
sphärischen Koordinaten und seine Verwendung zur Bestim-
mung dreifacher Orthogonalsysteme, insbesondere solcher, die
mit Darboux' Untersuchungen über Cykliden, über die bereits
S. 41 berichtet wurde, zusammenhängen, sowie die Liesche
Transformation des Linienraums in den von sämtlichen Kugeln
gebildeten, bei denen die Kurven der Haupttangenten in Krüm-
mungslinien übergehen, eine Entdeckung seines Freundes, der
Darboux einen besonders hohen Wert beilegte. Der übrige
Teil des ersten Buches ist hauptsächlich der Theorie der
Minimalflächen gewidmet, welche durch Lie's überraschend
4
Darboux 47
einfache Konstruktion derselben durch Translation einer Mi-
nimalkurve längs einer andern eine so großartige synthetische
und analytische Ausbildung erhalten hatte. Auch hier wird
man überall neues finden; so wird namentlich das Problem,
alle algebraischen Minimalflächen zu bestimmen, die einer
gegebenen algebraischen Developpabeln eingeschrieben
sind, allgemein gelöst, während Lie selbst dabei noch eine
partikuläre Lösung als bekannt vorauszusetzen sich genötigt
gesehen hatte.
Der zweite Band ist fast ganz der Theorie der schon
erwähnten hyperbolischen Dg = o gewidmet. Laplace hatte
bereits 1773 (Oeuvres, IX, S. 1) mit kühnem Vorstoß die Form
der Lösungen mit Hilfe der von ihm eingeführten Kaskaden-
methode und für die daran sich knüpfenden Hauptfragen nach
der Möglichkeit, durch endliche Ausdrücke die Lösungen zu
erhalten, die Grundzüge entwickelt. Aber Darboux blieb es
vorbehalten, diese Methode der Kaskaden durch die geometri-
sche Theorie der Kurvenkongruenzen völlig durchsichtig zu
machen, in den beiden Invarianten h und h der Gleichung,
deren Werte er mit großem Geschick durch alle Transfor-
mationen der Gleichung zu verfolgen versteht, die wesentlichen
Funktionen zu erkennen und so in den Fällen, wo überhaupt
endliche Lösungen möglich sind, also für eine der transfor-
mierten Gleichung eine Invariante verschwindet, in expliziter
Form diese Lösungen zu ermitteln. Sie geben nun zu mannig-
faltigen Anwendungen auf geometrische Probleme Veranlassung,
insbesondere für den Fall gleicher Invarianten.^)
Der dritte Band enthält zunächst in großartiger Voll-
ständigkeit die Theorie der geodätischen Linien und der Linien
konstanter geodätischer Krümmung, welche Darboux in Ab-
weichung von einem durch Gauß in den Disquisitiones einge-
führtem Ausdruck als geodätische Kreise bezeichnet. Es
') In diesem Buche hat Darboux die wichtigen Arbeiten seines
Schwiegervaters Th. Moutard über die Laplacesche 1)2 = 0, welche
1870 in den Wirren der Commune vernichtet und nur als kurze An-
zeigen in den C. R. vorhanden waren, der Vergessenheit entrissen.
48 Nekrologe
sei liier noch daran erinnert, daß er schon im Jahre 1870 in
den Annales de l'Ecole Normale VII, S. 175 auf weitere Ver-r:
allgemeinerungen des Begriffes der geodätischen Linien hin-
gewiesen hatte.
Dann wendet sich Darboux zu der Theorie der Flächen
konstanter negativer Krümmung, von denen schon oben
(S. 44) die Rede war. Hier werden die Transformationen von
Bianchi, Lie und die ganz unabhängig davon entstandene
des schwedischen Mathematikers A. V. Bäcklund im Zusam-
menhang mit A. Ribaucours Untersuchungen über cyklische
Systeme dargelegt, welche gestatten aus einer Fläche dieser
Art solche mit beliebig vielen Parametern zu erhalten. Be-
kanntlich handelt es sich bei der Bestimmung dieser Flächen
um die Integration der Gleichung
^ = sm 2 CO.
dadß
Aber indem Darboux an Stelle von Lies Transformation
die Gleichungen ansetzt
d{e-\-co)
I
da
= a sin ((9— co)
3(0— a>) 1 . „ , ,
o/? =-sin(04-ft>\
dp a
deren IntegratilitUtsbedingung wegen der voranstehenden er-
füllt ist und für S wieder dieselbe Gleichung wie für (o
liefert, wird seine Darstellung ganz besonders einfach. Er
kann sogar zeigen, daß falls man zwei Riccatische Gleichungen
vollständig integriert hat, die Fortsetzung der Bianchischen
Transformation, welche bei Lie noch beliebig viele Quadra-
turen erforderte, nur auf algebraische Rechnungen hinausläuft.
Der 1895/96 erschienene vierte Band betrifft zunächst
die infinitesimale Deformation der Flächen, d. h. die
Lösung der totalen Differentialgleichung
dx dx^ -\- dy dy^ -f- ^■^ <^f'^i = o
in der x, y, z gegebene Funktionen von zwei Parametern sind»
mit der Darboux sich ebenfalls schon 1872 beschäftigt hatte,
Darboux -iö
und die inzwischen (1886) durch J. Weingarten (J. f. Mathe-
matik C, S. 296) auf eine partielle D^=o bei Gelegenheit
einer anderen Frage reduziert war. Darboux entwickelt hier
nun seine eigene höchst elegante Lösung, die unter Verwendung
der Haupttangentenparameter sich wieder auf die der Laplace-
schen Gleichung mit gleichen Invarianten
/CJS
dadß
reduziert. Daran schließt sich das interessante Kapitel von
der merkwürdigen Gruppe der 12 Flächen und der Beweis,
daß mit der Lösung des metrischen Problems der infinitesi-
malen Deformation für eine gegebene Fläche zugleich die für
jede aus ihr durch KoUineation und Reziprozität erzeugte (so
auch noch für die von Darboux als „inversion composde" be-
zeichnete Transformation) geliefert ist. Im weiteren Verlaufe
wird das Gaußsche Deformationsproblem zu dem Abrollen
einer Fläche auf einer anderen in Beziehung gesetzt und
im Zusammenhang mit den Untersuchungen von A. Ribaucour
über cyklische Systeme zu einer neuen Bestimmung der auf
eine gegebene Fläche „abwickelbaren" Flächen verwendet.
Auch das Problem der sphärischen Abbildung wird wieder
aufgenommen, insbesondere in einem Falle explizit vollständig
gelöst. Endlich (S. 282) werden die dreifach konjugierten
Systeme, die Darboux schon als Verallgemeinerung der
Lame-Systeme in den Ann. Ecole Norm. 1878 betrachtet
hatte, bei denen jede Fläche von den beiden anderen nach
Kurven mit konjugierten Tangenten geschnitten wird, unter-
sucht, nebst vielen anderen Anwendungen, auf die hier nicht
eingegangen werden kann.
Nur ganz kurz können wir ebenfalls auf ein weiteres
Werk von Darboux eingehen, das schon zwei Jahre nach
der Vollendung der Le9ons erschien, die Le9ons sur les
systemes orthogonaux et les coordonnees curvilignes
(1898). Dasselbe enthält vorzugsweise die Verallgemeinerung
der Lame-Systeme für w- Variable nebst vielen neuen Unter-
Jahrbuch 1917. 4
50 i^ekrologe
I
suchungen über solche Systeme, die zugleich isotherm sind,
sowie die von L. Bianchi zuerst behandelten dreifachen Orth(
gonalsysteme, bei denen eine Schar aus Flächen konstantel
Krümmung besteht. Der zweite Band des Werkes, wahrscheinJ
lieh für noch allgemeinere Untersuchungen über Lame-Systemi
in nicht -euklidischen Räumen bestimmt, ist nicht mehr ei
schienen, statt dessen aber 1910 eine zweite Auflage des ersten*
für deren Inhalt auf das ausführliche Referat im Band 41 des
Jahrbuches über die Fortschritte der Mathematik hier ven
wiesen sein möge.
Während die Theorie der Flächen von konstanter negativer
Krümmung so große Fortschritte gemacht hatte, war die der
Flächen konstanter positiver Krümmung zeitweilig in den Hinter-
grund getreten. Da zeigte C. Guichard 1899, daß die „Bie-
gungsdeformationen" der Rotationsflächen zweiten Grades,
insbesondere des Rotationsellipsoides, des Rotationsparaboloides,
sowie auch des Paraboloides, von dem eine Erzeugende den
Imaginärkreis berührt, von der Ermittelung von Flächen kon-
stanter positiver Krümmung abhängig gemacht werden können.
Guichards Untersuchungen knüpfen ebenfalls an das Rollen
einer Rotations- jPg auf einer ihrer Biegungsflächen JB an. Das
Rollen ist auf zwei Arten möglich, je nachdem es auf der
einen oder anderen Seite von B geschieht. Bei jeder dieser
Lagen hat die F^ zwei Brennpunkte, bei der ersten Lage F^
und jFg, bei der zweiten, die zu diesen in Bezug auf die Be-
rührungsebene symmetrischen f^ und f^. Die vier Flächen (Fj),
(F^), (/",), {Q haben konstante mittlere Krümmung und
die Flächen, welche von den Mitten der kreuzweisen Verbin-
dungslinien F^f^, F^f^ beschrieben werden, konstante positive
Krümmung. Und der Schnittpunkt der Berührungsebene der
Flächen F^ und B mit der Axe der ersteren beschreibt dann
eine zweite Biegungsdeformation der F^ (C. R. C. XXVIII, 1899).
Durch diese Sätze richtete sich nun das Interesse auf die
Deformation der Flächen zweiten Grades, d. h. auf die
Möglichkeit, aus einer bekannten Biegungsdeformation der-
selben beliebig viele andere herzuleiten. Sie veranlaßten dann
DarbouX 5l
Bianclii, in ganz selbständiger Weise mittels seiner Aus-
bildung der Bäcklundschen Transformation systematisch die
Biegungsdeformation der Rotations - -Fg ^^ Zusammenhang mit
den Deformationen der Kugel zu behandeln. Den Guichard-
schen Untersuchungen gegenüber aber konnte Darboux zeigen
(Ann. Ecole Norm. 3, XVI, S. 465, 1899), daß seine in den
Le9ons entwickelte Methode der rollenden Bewegung nicht
allein die Ermittelung beliebig vieler solcher Deformationen
für die Rotations-2^2 leistet, sondern auch für die allgemeine
F^, die nur in einem Punkte den Imaginärkreis berührt. Und
so erstrecken sich seine Untersuchungen schließlich auf die
allgemeinste Fläche zweiten Grades, bei denen das Defor-
mationsproblem sich von gewissen isothermen Flächen als ab-
hängig erweist, deren Differentialgleichung noch schwieriger
zu behandeln ist, als die der Flächen konstanter Krümmung.
Als Sekretär der Pariser Akademie hat Darboux eine
ganze Reihe von Reden zum Gedächtnis der aus dem Leben
geschiedenen französischen Mathematiker M. Chasles, J. Ber-
trand, A. Serret, P. Serret, A. Mannheim, etc., auch über
seinen Freund S. Lie gehalten. Namentlich aber haben wir
noch zweier Vorträge allgemeinen Inhaltes zu gedenken,
die im Bulletin veröffentlicht sind. Der erste, Etüde sur le
developpement des m^thodes geometriques, „gelesen" am
24. September 1904 in St. Louis, beginnt mit der Schilderung
der Mongeschen Schule und deren Hauptträgern, Hachette,
Brianchon, Dupin, Malus, Poncelet, Chasles, von denen Pon-
celet wegen seiner im Zusammenhange mit Gergonne ent-
standenen Einführung der dualistischen Transformation und
den unbeschränkten Verwendung des Imaginären, das in
Monges Arbeiten doch nur gelegentlich aufgetreten, besonders
hervorgehoben wird. Mit hoher Anerkennung aber verbreitet
Darboux sich über die Verdienste der deutschen Mathematiker
J. Steiner, A. F. Möbius, J. Plücker, H. G. Graßmann,
Chr. von Staudt. Plücker, der Erfinder der Methode der
4*
ö2 Nekrologe
abgekürzten Bezeichnung und der homogenen Koordinaten,
durch welche die projektiven und reziproken Verwandschaften,
die Poncelet seinem Tratte des proprietes projectives zu Grunde
gelegt hatte, auch analytisch zu beherrschen vermögen, wäh-
rend Chasles und Steiner an Stelle der Analyse die Synthese
setzen wollten,*) die allerdings unter den Händen von Chasles
sowohl die Potentialtheorie als die der geodätischen Linien
der Flächen zweiten Grades zu beherrschen vermag, erscheint
ihm als der Begründer derjenigen Darstellungsform, welche
Darboux selbst zu der seinigen gemacht hatte. Seinem Ein-
flüsse schreibt er die großartige Entwicklung der Geometrie
zu, welche mit 0. Hesse beginnend, unter dem Zusammen-
wirken der Invariantentheorie Cayleys und Sylvesters ihren
Höhepunkt unter den Arbeiten von G. Salmon, S. Aron-
hold, A. Clebsch, P. Gordan, L. Cremona erreicht, wäh-
rend Plücker noch in seinen letzten Lebensjahren ein neues
Gebiet der mathematischen Analyse eröffnet, die Liniengeo-
metrie, durch welche das Dualitätsprinzip im Raum und über-
haupt die Verwendung mehrfacher Mannigfaltigkeiten zum wirk-
samsten Ausdruck gelangte. Auch von Staudts Bedeutung*)
wird gewürdigt in der Rede, von deren Inhalt wir einiges^)
mitgeteilt haben, um zu zeigen, mit wie weitem vorurteils-
freiem Blick Darboux (ganz anders wie sein Vorgänger
Chasles) auch namentlich die deutsche Mathematik anerkannte.
Die zweite Rede, Les origines des methodes et les problemes
de la geom^trie infinitesimale, welche Darboux am 7. April
1908 auf dem vierten Mathematiker- Kongreß zu Rom hielt
(Bull. 2, XXXII, 1908) trägt in ihrem zweiten Teil einen weit
persönlicheren Charakter. Es ist als ob der 66 jährige Dar-
boux sein eigenes ganzes Leben an der Hand der Differential-
*) Übrigens tritt auch bei Steiner in seinen Extremum- Arbeiten
die Absicht hervor, die Variationsprobleme synthetisch zu behandeln
und damit die antiken Methoden wieder aufzunehmen. .^Hl
2) Vgl. Seite 28. ^|
^) Der übrige Teil des Vortrages bezieht sich auf die Entwicklung
der Geometrie mit Hilfe der Analysis.
^ma
Darboux, Helmert 53
geometrie vorüberziehen sieht. Am Schlüsse der ersten Rede
zeichnet er aber schon das Ideal des Geometers, als dessen
glänzendes Beispiel er selbst zu betrachten ist, mit den Worten :
,Le mathematicien n'est nullement une machine ä deduire et
calculer. Ses travaux raettent en jeu toutes les facultes de
son esprit: la finesse, Fesprit d'invention, l'imagination lui
sont peut-etre plus näcessaires que Tordre et la rectitude de
son raisonnement". Aurel Voss,
Am 15. Juni verstarb zu Potsdam an den Folgen eines
Schlaganfalles in seinem 74. Lebensjahr der Geheime Ober-
regierungsrat Dr. phil. Dr. ing. h. c. Friedrich Robert Helmert,
o. Professor der höheren Geodäsie an der Universität Berlin,
Direktor des K. Preußischen Geodätischen Instituts und des
Zentralbureaus der Internationalen Erdmessung, Mitglied der
K. Akademie der Wissenschaften in Berlin und korrespondie-
rendes Mitglied der mathematisch -physikalischen Klasse der
K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München.
Er ist 1843 zu Freiberg in Sachsen geboren, besuchte
zunächst die Bürgerschule seiner Vaterstadt und die St. Anna-
realschule in Dresden, die er Ostern 1859 mit Hauptnote I
absolvierte.
Er widmete sich sodann dem Studium der Bauingenieur-
wissenschaften an der polytechnischen Schule in Dresden und
stand hier als Assistent unter dem anregenden Einfluß des
Professors der Geodäsie A. Nagel, der 1862 zum sächsischen
Kommissär für die von General Baeyer begründete mitteleuro*
päische Gradmessung ernannt worden war und später mit be-
wunderungswürdiger Genauigkeit die Triangulation I. Ordnung
des Königreichs Sachsen durchführte und bearbeitete.
Von 1866 bis 1868 besuchte Helmert die Universität
Leipzig und erwarb daselbst den akademischen Doktorgrad in
der philosophischen Fakultät auf Grund einer Abhandlung
„Studien über rationelle Vermessungen im Gebiete der höheren
Geodäsie", in welcher er insbesondere die günstigsten Bedin-
gungen dafür ermittelte, wie man die Form von Dreiecksnetzen
54 Nekrologe
am zweckmäßigsten gestalten müsse, um einen bestimmten Ge-
nauigkeitsgrad einer Triangulierung mit dem geringsten Arbeits-
aufwand zu erreichen. Zur Darstellung des mittleren Fehlers
einer Punktbestimmung benützte hiebei Helmert die Fehler-
ellipse, deren Theorie er aus dem Gaußschen Fehlergesetz ab-
leitete.
Vom Februar 1869 bis August 1870 war Helmert als
Observator an der Sternwarte in Hamburg tätig, wo er eine
im Jahre 1874 im Druck erschienene Arbeit über den Stern-
haufen im Sternbild des Sobieskischen Schildes ausführte.
Im Jahre 1870 wurde er als ordentlicher Lehrer der
Geodäsie an die neue, später in eine Hochschule umgewandelte,
polytechnische Schule in Aachen berufen, wo er seine zahl-
reichen aus Studierenden des Bauingenieurfaches bestehenden
Zuhörer in die Grundlehren der Vermessungskunde einzuführen
hatte. Hier machte er sich besonders durch neue Anwendungen
der Methode der kleinsten Quadrate auf die Lösung von Auf-
gaben der Meßkunde verdient und behandelte in seinen Vor-
lesungen die Hauptformen der Ausgleichungsrechnung für di-
rekte, vermittelnde und bedingte Beobachtungen, die er durch
Einführung des Begriffs der Äquivalenz erweiterte und in ihrer
Anwendung auf die Theorie der Triangulation durchsichtiger
gestaltete. Für die Eigenschaften der Fehlerellipse fand er
eine neue, die Auffassung erleichternde Darstellung und über-
gab bereits 1872 die wertvollen Ergebnisse seiner Unter-
suchungen der Öffentlichkeit in einem dem Bedürfnis des Un-
terrichts an den Technischen Hochschulen angepaßten und
heute noch viel benützten Lehrbuch „Die Ausgleichungs-
rechnung nach der Methode der kleinsten Quadrate mit An-
wendungen auf die Geodäsie und die Theorie der Meßinstru-
mente", das im Jahre 1907 eine erweiterte Neuauflage erfuhr.
Während seiner Lehrtätigkeit in Aachen veröffentlichte
Helmert eine große Zahl wissenschaftlicher Arbeiten und
Bücherbesprechungen aus dem Gebiete der Geodäsie, die in
den Zeitschriften für Vermessungswesen, für Mathematik und
Physik und in den Astronomischen Nachrichten erschienen.
I
Helmert 55
Die Jahre 1880 und 1884 brachten sodann die beiden
Teile seines Hauptwerkes „Die mathematischen und physika-
lischen Theorien der höheren Geodäsie", in welchen die mathe-
matisch-physikalischen Grundlagen der Landesvermessungs- und
Erdmessungsarbeiten dargestellt sind. Die Anwendung der
Potentialtheorie und die Bezugnahme auf die Resultate der
theoretischen Astronomie, welche in gleich fruchtbringender
Weise vorher in der Geodäsie nicht üblich war, stempeln dieses
Werk zu einer Leistung ersten Ranges, das in der neuen Geo-
däsie seinesgleichen bisher nicht gefunden hat.
Nach dem Tode General Baeyers 1885 wurde Helmert
vom 1. Januar 1886 an zum Leiter des K. Preußischen Geo-
dätischen Instituts in Berlin bestellt und am Ende dieses Jahres
durch Beschluß der in Berlin abgehaltenen VHL Generalkon-
ferenz der zur internationalen Erdmessung erweiterten Euro-
päischen Gradmessung zum Direktor des mit dem Geodätischen
Institut verbundenen Zentralbureaus dieses Unternehmens be-
rufen. Im gleichen Jahre war an der Universität Berlin eine
neue Professur für höhere Geodäsie errichtet worden, welche
Helmert übertragen wurde, der nunmehr von Aachen an
die Stätte seines neuen Wirkungskreises in Berlin über-
siedelte.
Der Berliner Erdmessungskonferenz im Jahre 1886 unter-
breitete Helmert einen allgemeinen Arbeitsplan für die Durch-
führung der künftigen Arbeiten des Zentralbureaus und ein
von ihm erdachtes vereinfachtes Verfahren zur numerischen
Berechnung der Lotabweichungen, welches er in einem der Kon-
ferenz gewidmeten I. Heft dargelegt hatte, das außer den all-
gemeinen Grundlagen auch die Ableitung der erforderlichen
Berechnungsformeln enthält.
Eine der ersten Sorgen des neuen Institutsleiters war die
Erbauung eines mit allen Erfordernissen ausgestatteten Dienst-
gebäudes auf dem Gelände des astrophysikalischen Observa-
toriums auf dem Telegraphenberge bei Potsdam. Dasselbe war
dazu bestimmt, der Ausführung aller theoretischen, rechnerischen
und experimentellen Untersuchungen zu dienen, welche die Er-
56 Nekrologe
forschung der Gestaltung des Erdkörpers und die geodätische'
Aufnahme des Landes fördern können. Das neue Instituts-
gebäude mit seinen den verschiedensten Beobachtungszwecken
dienenden inneren Einrichtungen war im Frühjahr 1892 so-
weit fertig gestellt, daß seine Arbeitsräume bezogen werden
konnten.
Eine Beschreibung seiner Entstehungsgeschichte und seiner
Einrichtung hat Helmert in einer 1890 erschienenen Sonder-
schrift veröffentlicht. Der beigegebene Atlas enthält auf
16 Tafeln Pläne, Grundriß- und Durchschnittszeichnungen
des Hauptgebäudes und der einzelnen Observatorien, die für
die Ausführung geodätisch-astronomischer Beobachtungen, für
die Vergleichung von Basisapparaten, für die Prüfung von
Pendelapparaten und zur Untersuchung aller für Erdmessungs-
zwecke erforderlichen Meßinstrumente gebraucht werden.
Eine Übersicht der im Institut von ihm selbst, sowie
durch die im Institut tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiter
und Hilfskräfte ausgeführten Arbeiten veröffentlichte Helmert
in einer fortlaufenden Reihe von Jahresberichten, welche auch
Angaben über die alljährlich erschienenen Druckschriften des
Instituts und des Zentralbureaus nebst dem Arbeitsplan füijS!
die Arbeiten des folgenden Jahres enthalten. ■^'
In den letzten Jahren umfaßten diese Arbeiten besonders
die Berechnungen für das europäische Lotabweichungssystem,
die Zusammenstellung und Auswertung der Beobachtungen des
internationalen Breitendienstes, welcher eine fortgesetzte Ver-
folgung der Veränderungen in der Lage des Erdpoles bezweckt,
die Sammlung und weitere Bearbeitung des auf den Schwere-
stationen aller Erdteile gewonnenen Beobachtungsmaterials,
deren Anzahl auf dem Festland allein gegenwärtig bereits 3000
überschreitet, sowie die Beobachtungen zur Bestimmung der
Bewegung des Lotes unter dem Einfluß von Mond und Sonne.
Helmert hat das Geodätische Institut nicht nur auf seiner
früheren wissenschaftlichen Höhe erhalten, sondern es zu neuer
Blüte gebracht und auch das Zentralbureau zum wissenschaft-
lichen Mittelpunkt der ganzen internationalen Erdmessung er-
Helmert 57
hoben. Unter seiner persönlichen Leitung sind neue Beob-
achtungs- und Berechnungsmethoden ausgearbeitet worden, die
in allen an der internationalen Erdmessung beteiligten Staaten
Anwendung und Anerkennung gefunden haben. In der An-
wendung dieser Methoden ist eine große Anzahl fremdlän-
discher Beobachter im Institut ausgebildet worden, die für
kürzere oder längere Zeit nach Potsdam entsendet worden
waren, um sich die Arbeitsmethoden des Instituts anzueignen
und dieselben bei den geodätischen Arbeiten ihrer Heimat-
länder anzuwenden.
Im Jahre 1896 erfolgte die Wahl Helmerts zum korre-
spondierenden Mitglied der mathematisch-physikalischen Klasse
der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München;
im Januar 1900 seine Ernennung zum Mitglied der Berliner
Akademie. Seitdem veröffentlichte er in den Sitzungsberichten
dieser Akademie eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Ab-
handlungen, die sich auf das Studium der Geoidfiäche mit
Rücksicht auf Lotabweichung und Lotkrümmung, auf die
Größe der Schwerkraft und den Verlauf der Schwerestörungen
auf Stationen im Innern des Festlandes, an den Meeresküsten
und auf den Ozeanen beziehen, ferner auf die Reduktion der
Schweremessungen auf ein gemeinsames Niveau, auf den Gleich-
gewichtszustand der Erdkruste und auf die Massenverteilung
im Erdkörper. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen hat
Helmert zusammengefaßt in einer im Jahre 1910 in Band VI
Heft 2 der Enzyklopädie der Mathematischen Wissenschaften
veröffentlichten Abhandlung „Die Schwerkraft und die Massen-
verteilung der Erde".
Im Jahre 1902 wurde ihm der Titel Dr. ing. ehrenhalber
von der Technischen Hochschule in Aachen verliehen ; im Jahre
1912 erhielt er die große goldene Medaille für Wissenschaft;
auch war er Mitglied des Zentraldirektoriums des Vermessungs-
wesens im preußischen Staat und des Kuratoriums der Physi-
kalisch-Technischen Reichsanstalt.
Durch die überaus wichtigen Ergebnisse seiner tiefgrün-
digen Forschungen auf dem Gebiet der Geodäsie und Geo-
58 Nekrologe
physik hat Helmert wie kein Anderer vor ihm die Wissen-
schaft bereichert und sich dadurch unvergängliche Verdienste
erworben, ja man kann sagen, daß er unter den Geodäten
seiner Zeit unstreitig die erste Stelle einnimmt. Sein Andenken
wird insbesondere bei allen jenen, die das Glück hatten, ihm
auch persönlich näher zu treten und seine große Selbstlosig'
keit, Bescheidenheit und aufopfernde Gefälligkeit aus eigener
Erfahrung kennen zu lernen, für immer in der besten Er-
innerung stehen. Max Schmidt.
I
Am 19. Februar 1916 starb Ernst Mach in Haar bei
München, wohin er 1913 aus Familienrücksichten überge-
siedelt war, im Hause seines Sohnes. Im Jahre 1898 hatte
ihn ein Schlaganfall getroffen und eine rechtsseitige Lähmung
zurückgelassen. Obwohl seine Geisteskraft ungeschwächt ge-
blieben war und er bis zu seinem Tode an den Neuauflagen
seiner Werke arbeiten, auch die Gedanken anderer verfolgen
konnte, sah er sich schon 1901 veranlaßt, auf seine Lehr-
kanzel in Wien zu verzichten. Er war Mitglied des öster-
reichischen Herrenhauses und übte sein Mandat trotz seines
gelähmten Zustandes aus.
Unserer Akademie gehört Mach seit 1890 als korrespon-
dierendes Mitglied an. Nach dem Rücktritt von Jolly im Jahre
1884 bestand sogar die Hoffnung, ihn München noch enger
zu verbinden. Er wurde an erster Stelle für die Münchener
Physik-Professur vorgeschlagen und hatte den Ruf bereits an-
genommen. Mach war damals Professor an der Universität
Prag und Vertrauensmann seiner deutschen Volksgenossen,
insbesondere bei den Verhandlungen über die Zweiteilung der
Universität in eine deutsche und eine tschechische Anstalt.
Dieser Umstand veranlaßte den Gewissenhaften, seine Zusage
nach München schweren Herzens zurückzunehmen und auf
dem national-gefährdeten Posten auszuharren.
Mach ist geboren am 18. Februar 1838 zu Turns in
Mähren. Sein Vater, ein wissenschaftlicher Kopf von akade-
mischer Bildung, kaufte, nachdem er die Gelehrtenlaufbahn
Mach 59
aufgegeben hatte, ein Bauerngut in der Nähe von Wien. Hier
und in Wien verlebte Mach seine Jugend bis zum 26. Lebens-
jahre, zunächst von seinem Vater unterrichtet, dann auf einem
Wiener Gymnasium. Gegen die alten Sprachen hatte er eine
entschiedene Abneigung. „In mathematischen und natur-
wissenschaftlichen Fragen war ich, obgleich ich nie einen
eigentlichen Unterricht genossen hatte, meinen Mitschülern
in fast unglaublicher Weise überlegen. In philosophischen
Dingen hingegen, in Beurteilung sozialer Verhältnisse usw.
erschien ich äußerst unreif und kindisch. Abgesehen von
meinen geringen Anlagen in dieser Richtung erklärt sich dies
einigermaßen durch den Umstand, daß ich erst im 15. Lebens-
jahr mit Altersgenossen und Mitschülern in Verkehr trat."
(Aus einem in den Akten der Wiener Akademie aufbewahrten
Lebensabriß.) Die Meinung, daß er nicht zum Philosophen
geboren sei, findet sich in seinen späteren Werken wieder.
„Ich bin gar kein Philosoph", sagt er in der Einleitung zu
„Erkenntnis und Irrtum", „ich bin Naturforscher". „Ich
kann durchaus nicht auf den Namen eines Physiologen, noch
weniger auf den eines Philosophen Anspruch machen." „Einen
über die konventionellen Fachgrenzen ausblickenden Physiker"
nennt er sich in der „Analyse der Empfindungen". Und doch
sind seine physiologischen Arbeiten nicht weniger geschätzt
wie seine physikalischen; und seinen Weltruhm verdankt er
vor allem seinen „lediglich mit dem lebhaften Wunsche nach
Selbstbelehrung unternommenen" philosophischen Forschungen.
Daß übrigens seine Begabung für Philosophie nicht so gering
gewesen, wie er uns glauben machen möchte, geht am Ende
auch aus dem tiefen Eindruck hervor, den ihm nach eigener
Angabe Kants Prolegomena hinterlassen haben, als er sie,
noch ein 15 jähriger Knabe, in der Bibliothek seines Vaters
vorfand.
In seiner Wiener Studienzeit förderten ihn besonders die
Vorlesungen des Optikers Petzval und des Physiologen Brücke.
Er habilitierte sich 1861 für Physik in Wien, wurde 1864 in
Graz, 1867 in Prag Professor. Im Jahre 1895 folgte er einem
60 Nekrologe
Rufe an die Wiener Universität, wo für ihn eine Lehrkanzel'
für Philosophie, insbesondere für Geschichte und Theorie der
induktiven Forschung geschaffen wurde.
Die frühesten seiner physikalischen Arbeiten betreffen das
Dopplersche Prinzip in der Akustik und der allgemeinen Wellen-
lehre. Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man die allgemeine
Anerkennung dieses fundamentalen Prinzips und seine strenge
Formulierung auf Mach zurückführt. Seine Auffassung des
Dopplerschen Prinzipes hatte er zu verteidigen gegen seinen
Lehrer Petzval, der an Stelle der Beeinflussung der Wellen-
länge durch Bewegung ein Prinzip von der Konstanz der
Schwingungszahl aufstellen wollte. Der Gegenstand lag dem
besonderen Geiste der Machschen Naturauffassung: handelt es
sich doch dabei um eine allgemeine Anschauung, die sich auf
den verschiedensten Gebieten des Naturgeschehens durchführen
läßt, unabhängig von den speziellen theoretischen Bildern, die
man sich von dem Mechanismus des Wellenvorganges machen
mag. Auch die Anwendung des Dopplerschen Prinzips auf
die Astrophysik bespricht er, wenn auch etwas skeptisch be-
züglich des praktischen Erfolges, und nimmt gegenüber Lamont,
der die Frage früher untersucht hatte, die deutlichere Ein-
sicht für sich in Anspruch.
Der Wellenlehre sind auch die „optisch-akustischen Ver-
suche" (Prag 1873) gewidmet und mehrere seiner bekannten
Demonstrationsapparate. In den optisch-akustischen Versuchen
wird das Prinzip der Stroboskopie mannigfach variiert, durch
Beleuchtung mit einem intermittierenden Funken und Benut-
zung der Helmholtzschen Unterbrechungs- Stimmgabel. Hier
tritt bereits die pädagogische Richtung Machs, die der Ver-
anschaulichung und Verbreitung der physikalischen Erkenntnis
galt, zu Tage, neben seinem Interesse an der Experimentier-
kunst und an der Erforschung neuer Zusammenhänge. Für
sein pädagogisches Interesse sprechen auch einige vorzügliche
Lehrbücher für den physikalischen Elementarunterricht an
Mittelschulen und seine gesammelten populär-wissenschaftlichen
Vorlesungen: „Über die Cortischen Fasern des Ohres, Erklä-
I
Mack 61
tutig der Harmonie, wozu hat der Mensch zwei Augen? Die
Symmetrie, Grundbegriffe der Elektrostatik, Umbildung und
Anpassung im physikalischen Denken, relativer Bildungswert
der philologischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts-
facher etc."
Den größten Erfolg auf physikalischem Gebiete aber er-
zielte der Experimentator und der Theoretiker Mach durch
seine photographischen Aufnahmen fliegender Geschosse (um
1887). Er ging dabei aus von dem Studium der Explosions-
wellen bei Sprengstoffen und der Messung der aufserordent-
lichen Reaktionsgeschwindigkeit derselben. Eine sinnreiche
Anwendung der Schlierenmethode und der intermittierenden
Funkenbeleuchtung führte dann zur photographischen Ent-
hüllung der Wellen Vorgänge, die ein mit Überschallgeschwin-
digkeit forteilendes Geschoß umgeben, der Bug- und Kiel-
wellen und der Wirbel auf der Rückseite des Geschosses.
Mach hat hierbei mit verschiedenen Fachgenossen zusammen
gearbeitet, mit Salcher, Weltrubsky, Tumrlicz und besonders
mit seinem Sohne L. Mach. Die hervorragend lehrreichen
und reizvollen Bilder, die er gewonnen, bilden auch heute
noch die Grundlage für das Verständnis der Ballistik. Jeder
Artillerist kennt sie (oder sollte sie kennen). Auf den Zu-
sammenhang mit den Schiffswellen weist Mach selbst hin,
ebenso auf das Problem, den Geschoßwiderstand aus der Energie
der von dem Geschoß zerstreuten Wellenbewegung rationell
zu berechnen, statt ihn empirisch anzunähern. Neben dem
glänzenden Experimentator kommt bei diesen Untersuchungen
der eigenartige Theoretiker zu Worte. Wir sprechen heute
von dem „Machschen Phänomen", dem „Machschen Winkel"
bei allen Vorgängen, in denen eine Störung den von ihr er-
zeugten Wirkungen vorauseilt, in der Aerodynamik, in der
Hydrodynamik bei begrenzter Tiefe des Wassers, der Technik
der Turbinendüsen, auch in der Elektrodynamik, wenigstens
solange wir an das starre Elektron und die Möglichkeit seiner
Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit glaubten. Die Ein-
fachheit und Eindringlichkeit der Machschen Überlegung wird
Nekrologe
uns bei der Behandlung all dieser Probleme immer wieder
lebendig; sie erinnert an die Treffsicherheit, mit der Fresnel
seine Vorstellungen über bie Wellenausbreitung bildete. Auch
hier, wie beim Dopplerschen Prinzip, erkennen wir den Mach-
schen Geist der Naturbetrachtung: eine fundamentale An-
schauung, auf die verschiedensten Erscheinungsgebiete zu über-
tragen, unabhängig von speziellen theoretischen Vorstellungen.
Eine ganz hervorragende Stellung nimmt neben dem Ex-
perimentator, dem Pädagogen und dem Theoretiker der Histo-
riker Mach ein: „Die Mechanik in ihrer Entwickelung" ist
vorbildlich für die Geschichtschreibung der exakten Wissen-
schaften. Wer liest nicht mit Genuß diese zugleich psycho-
logisch liebevolle und wissenschaftlich kritische W^ürdigung
der mechanischen Denker? Wie viel lehrreicher und dem
großen Gegenstande angemessener ist nicht die sachliche Kritik,
die Mach an Newton, seinen Bewegungsgesetzen und seiner
Raum- und Zeitanschauung übt, als der Versuch William
Thomsons (in seiner Natural Philosophy), Newtons Grund-
legung der Mechanik als logisch einwandfrei und unübertreff-
lich darzustellen!
In der Mechanik lesen wir, ebenso wie in früheren
Schriften Machs („Die Geschichte und die Wurzel des Satzes
der Erhaltung der Arbeit" 1871, „Die Gestalten der Flüssig-
keit" 1872) von dem ökonomischen Werte der Wissenschaft.
Als allgemeiner, wenn auch nicht höchster und ausschließ-
licher Gesichtspunkt kann Machs These auch von den Geg-
nern seines erkenntnistheoretischen Systems angenommen wer-
den. Unbeschadet dessen wird man natürlich mit Mach
verschiedener Meinung sein in der Bewertung der einzelnen
physikalischen Theorien nach ihrer größeren oder geringeren
ökonomischen Kraft. Mach sieht die Atomhypothese als ge-
künstelt und provisorisch an; sie sei zur Darstellung einer
Reihe von Tatsachen immerhin geeignet, aber es sei ihr Er-
satz durch eine natürlichere Anschauung anzustreben. Im
Gegensatz hierzu erklären wir heutzutage, im Rückblick auf
die Entwickelung der Radioaktivität, der Röntgenoskopie und
I
Mack ßä
Spektroskopie, die Atomtheorie für die ökonoraiscliste Hypo-
these der Naturwissenschaft und sprechen das von Mach be-
vorzugte Prinzip der Kontinuität als künstlich und provisorisch
an, dazu bestimmt, im fortschreitenden Atomismus aufgelöst
zu werden. Es ist eigenartig zu sehen, wie sich, in ihrer Ab-
neigung gegen den Atomismus wie in ihrer Vorliebe für eine
rein phänomenologische Wiedergabe der Naturbeobachtungen,
Mach und Göthe über ein Jahrhundert hinweg die Hand
reichen. Der letzte Grund ist bei beiden wohl derselbe: die
Ehrfurcht vor der Natur und die Scheu, ihr durch menschliche
Zutaten zu nahe zu treten.
Die Mechanik ist in sieben Auflagen erschienen. Außer
ihr haben wir aus seiner Feder: „Mitteilungen zur Geschichte
der Akustik" 1892 und das umfassende Werk „Die Prinzipien
der Wärmelehre, historisch -kritisch entwickelt" 1896. Auf
die Herausgabe eines nachgelassenen Werkes „Historische Stu-
dien der Optik" dürfen wir wohl in Bälde hoffen.
Von dem Historiker gehen wir nun zu dem Physiologen
Mach über, trotz seiner Verwahrung gegen diesen Namen.
Der Physiologe Mach ist dabei untrennbar von dem Psycho-
logen. Hier sind zuvörderst seine Versuche über Kontrast-
empfindungen, Verschmelzung von Gesichtseindrücken, über
Melodik und Harmonik hervorzuheben, die er zur Aufstellung
einer psychologischen Theorie der Gesichts- und Tonempfin-
dungen benutzt hat. Die Betonung der psychischen Seite der
Probleme führt ihn auf beiden Gebieten zu einem Gegensatz
mit Helmholtz. Es liegt in der Natur dieses schwierigen
Grenzgebietes, daß Mach hier mehr die Fragen angeregt als
entschieden hat, zumal da er sich auf Selbstbeobachtung be-
schränken und auf objektive Messungen verzichten mußte.
Von besonderer Bedeutung für die Beurteilung photo-
graphischer Halbschattenbilder (Mondfinsternis - Aufnahmen
Seeligers, sog. Beugungsstreifen bei Röntgenaufnahmen) wur-
den insbesondere Machs Feststellungen über subjektive Hellig-
keiten und Farben bei örtlich wechselnder objektiver Hellig-
keit oder Färbung. Als letztes Ziel dürfte Mach hierbei vor-
Nekrologe
geschwebt sein, aus derartigen ,, optischen Täuschungen* die
psychologischen Gesetze zu erkennen, denen sie unterliegen. gH
Die wesentlichste positive Leistung Machs auf dem Ge- ■
biete der Physiologie besteht wohl in der Erweiterung unserer
Kenntnis von den Bewegungsempfindungen. Hier hat ihn die
Selbstbeobachtung zu wichtigen physiologischen Ergebnissen
geführt. ,Ein Zufall führte mich, so erzählt Mach, auf das
Studium der Bewegungsempfindungen. Ich beobachtete die
Schiefstellung der Häuser und Bäume beim Durchfahren einer
Eisenbahnkurve. Sie ließ sich leicht erklären, wenn man eine
direkte Empfindung der resultierenden Massenbeschleunigung
annahm." Damit war der Anfang gemacht zu unserer jetzigen
Anschauung über die Funktion der Bogengänge und der La-
byrinthbläschen im Zusammenhang mit der Funktion der
Nerven-End- Apparate , die wie kaum eine andere Auffassung
auf dem Gebiet der Empfindungen fest begründet ist. Mach
hat an dieser Begründung erfolgreich mitgeschafi'en.
Auch die Theorie der physiologischen Registrier -Instru-
mente hat Mach in origineller Weise bearbeitet und gefördert.
Wir kommen nun zu derjenigen Seite dieser vielgestaltigen
wissenschaftlichen Persönlichkeit, von der die breiteste, wenn
auch vielleicht nicht die tiefste Wirkung ausgegangen ist, zu
dem Erkenntnistheoretiker Mach. Wir hörten bereits, wie
seltsam gering er selbst seine philosophische Begabung ein-
schätzte. Einem Gegner seines Standpunktes erwiderte er (in
«Erkenntnis und Irrtum"), daß es überhaupt keine Machsche
Philosophie gebe, die man bekämpfen könne. Seine Aufgabe
sei es nur gewesen, abgestandene Philosopheme zu beseitigen
und einer vorurteilslosen Fragestellung die Bahn freizumachen.
Nichtsdestoweniger gibt es eine ausgesprochene zusammen-
hängende Weltanschauung, die Machs Stempel trägt, unter
seinem Namen Schule gemacht hat und die wir wohl die Mach-
sche Philosophie nennen dürfen. Die Hauptquellen dieses Sy-
stems sind die beiden öfters genannten Werke: „Die Analyse
der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen und
II
I
Mach 65
Psychischen" 1885 und „Erkenntnis und Irrtum, Skizzen zur
Psychologie der Forschung* 1905,
Am Grunde seines Systems liegen biologische Erwägungen.
Es ist ihm ausgemacht, daß das Geistesleben mit Erinnerung
und Voraussicht, daß Erkenntnistrieb, Wissenschaft und Moral
Mittel zur Erleichterung des Kampfes ums Dasein sind. Durch
diese Auffassung werden ihm aber die geistigen Güter nicht
entwertet. Ihm sind Menschenliebe und Toleranz natürliche
Folgen seines Standpunktes.
Machs Lehre ist außerordentlich schlicht, fast nüchtern.
In ihrer Darstellung knüpft er oft an kleine psychische Erleb-
nisse, an Traumbilder, an Fehlschlüsse an. Die Wissenschaft
ist ihm eine Verknüpfung von Sinnesempfindungen, die Theorie
nur eine mehr oder minder ökonomische Anleitung zu solchen
Verknüpfungen. Die Frage nach der Realität einer Theorie
weist er ab. Real vorhanden sind nur die Empfindungen.
Auch das Ich und die Umwelt sind Empfindungskomplexe, von
gleicher aber nicht von höherer Realität wie diese. „Theorien
sind wie dürre Blätter, welche abfallen, wenn sie den Orga-
nismus der Wissenschaft eine Zeitlang in Atem gehalten haben."
Ist diese Lehre gesund und fruchtbar? Man kann es bezweifeln
und hoffen, daß sie überwunden wird. Dazu aber mußte sie
erst ausgesprochen werden und zwar mit solcher intellektueller
Reinheit und Eindringlichkeit, wie Mach es getan hat.
In einem Punkte war Mach nahe daran, von seinem im
wesentlichen negierenden Denken aus zu einem positiven Ge-
dankenfortschritt von eminenter Fruchtbarkeit zu gelangen,
nämlich in seiner Ansicht von Raum und Zeit. Er kämpft
gegen die scholastische Vorstellung eines absoluten Raumes
und einer absoluten Zeit, wie sie sich in naiver Form bei
Newton vorfindet. „Zeit und Raum sind in physikalischer
Hinsicht besondere Abhängigkeiten der physikalischen Ele-
mente von einander." Solche Worte muten uns heute wie
ein Programm für die Relativität von Raum und Zeit an und
zwar für die allgemeine, nicht die elementare Relativität. Um
dieses Programm auszufüllen, dazu reichte allerdings das etwas
Jahrbuch 1917. 5
66 Nekrologe
blasse Okonomieprinzip nicht aus, sondern dazu gehörte der
kühnere, über das unmittelbar gegebene Beobachtungs- und
Empfindungsmaterial hinausfliegende Geist eines Einstein. il
Der Widerspruch des produktiven und konstruktiven Natur-
forschers wird sich besonders gegen Machs Auffassung der
Naturgesetze richten. In der physikalischen Literatur hat
dieser Widerspruch vor nicht langer Zeit zu einer ziemlich
heftigen Auseinandersetzung zwischen Planck und Mach ge-
führt, heftiger, als man es bei der persönlich uninteressierten
Wissenschaftlichkeit beider Forscher hätte erwarten können.
Die Naturgesetze sind nach Mach „Einschränkungen, die wir
unter Anleitung der Erfahrung unserer Erwartung vorschreiben".
Das klingt verzweifelt kritisch und kühl. An anderen Stellen
sind ihm die Naturgesetze die fornielmäßige Darstellung der
Erscheinungen, in sich widerspruchsfrei und umfassend, aber
bloße funktionale Abhängigkeiten und als solche der kausalen
Färbung beraubt.
Der tastende Naturforscher, der auf dunkeln Wege
nach einem geahnten Ziele strebt, braucht einen helleren'
Leitstern, als die Machsche Lehre. Naturgesetze von so un-
bestimmter und formalistischer Art wären kaum der Mühsal
und Aufregung des Forschens wert. Es ist aber dem Philo-
sophen Mach Ernst mit dieser Art Naturgesetze (der Physiker
Mach hat sich in jüngeren Jahren wohl nicht an sie gehalten).
„Die absolute Exaktheit, die vollkommen genaue eindeutige
Bestimmung der Folgen einer Voraussetzung besteht nicht in ■
der sinnlichen Wirklichkeit, sondern nur in der Theorie". laflj
Übereinstimmung mit dieser vorsichtig negierenden Auffassung
der Naturgesetze steht Machs Hinneigung zur Energetik, jener
vorübergehenden Abkehr von zuversichtlicher Hypothesenbil-
dung und Beschränkung auf die Energiebilanz der Ereignisse.
unsere Bedenken gegen die Machsche Lehre gründen sich
aber nicht nur auf deren Eignung für den Fortschritt der
Wissenschaft, sondern auch auf das Gesamtbild, das uns die
Betrachtung der Natur und ihrer Gesetzmässigkeit aufdrängt.
Kann diese Gesetzmässigkeit eine Illusion oder eine wirtschaft-
n
I
Mach, Ranke 67
lieh zweckdienliche Schöpfung des Beobachters sein? Konnte
Mach aus seinem physikalischen und physiologischen Lebens-
werk diesen Eindruck in sein allgemeines Denken übernehmen?
Wir möchten meinen, daß hier der Psychologe den Ausschlag
gegeben hat, gegenüber dem Physiker und Physiologen. Mach
spricht des öfteren von dem intellektuellen Unbehagen, das
ihm Begriffe bereiteten, die sich nur für einen Teil der Wissen-
schaft brauchbar zeigten. Indem er das Physische und Psy-
chische zu umfassen suchte, mußte er die physikalischen Werte
auf ein bescheidenes Niveau herabdrücken. Vielleicht wollte
er so für eine zukünftige Naturwissenschaft des Psychischen
Raum gewinnen. Arnold Sommerfeld.
Am 20. Juli 1916 starb, wenige Wochen vor Vollendung
seines 80. Lebensjahres, das ordentliche Mitglied der mathe-
matisch-physikalischen Klasse, Dr. med. et phil. Johannes Ranke,
ord. Professor für Anthropologie und allgemeine Naturge-
schichte an der Münchener Universität.
Johannes Ranke, geb. am 23. August 1836 zu Thurnau
bei Bayreuth, entstammt einer Gelehrtenfamilie. Sein Vater,
dem Beruf nach Theologe, war ein tüchtiger Sprachforscher,
sein Onkel war der Historiker Leopold von Ranke und
sein Großvater mütterlicherseits der bekannte Naturphilosoph
Schellingscher Richtung, Gotthilf Heinrich von Schubert,
Ordinarius für Naturgeschichte und Konservator der zoologi-
schen Staatssammlung in München. Dieser geist- und phan-
tasiereiche Gelehrte hat auf den Werdegang des jungen Ranke
bestimmenden Einfluß ausgeübt, er hat die Liebe zur Natur
in ihm wachgerufen und das Interesse für die Naturkunde.
So wandte sich Ranke, nachdem er das Gymnasium in Ans-
bach absolviert hatte, im Herbst 1855 dem Studium der Me-
dizin und der Naturwissenschaften zu. Er studierte zunächst
in München, dann in Tübingen und Berlin und erwarb, nach
'München zurückgekehrt, im Jahre 1861 die Approbation als
Arzt und den medizinischen Doktorgrad. Durch die Inaugural-
Dissertation Ȇber positive Schwankung des Nerven-
6*
68 Nekrologe
Stroms beim Tetanisieren" (1862), eine Arbeit, die in
Berlin unter duBois-Reymond in Angriii* genommen wurde,
führte er sich in die Physiologie ein, um dieser Disziplin
l'/a Dezennien hindurch treu zu bleiben.
Seine Ausbildung als Physiologe genoß er bei den damals
führenden Männern dieses Faches. Er arbeitete unter Claude
Bernard in Paris, dann nochmals bei du Bois-Reymond in
Berlin und trat schließlich, als Assistent in das Münchener
Physiologische Institut aufgenommen, in die Schule von Bi-
schoff und Carl Voit,
Im Jahre 1863 habilitierte er sich an der Münchener
medizinischen Fakultät als Privatdozent für Physiologie auf
Grund einer Schrift über den „Galvanischen Leitungs-
widerstand des lebenden Muskels".
Aus der physiologischen Periode von Rankes Leben
stammt eine größere Anzahl weiterer Publikationen, die teils
an die Arbeitsrichtung du Bois-Reymonds, teils au diejenige
der Münchener physiologischen Schule anknüpfen. Unter ihnen
sind mehrere von bleibendem Wert, so vor allem die „Unter-
suchung über die chemischen Bedingungen der Er-
müdung" (1863), in welcher die wichtige Tatsache festge-
stellt wurde, daß die Ermüdung des Muskels durch die An-
wesenheit chemischer Zersetzungsprodukte in demselben bedingt
ist. Ferner die Arbeit über den „Tetanus" (Leipzig 1865)
und die über „Die Blutverteilung und den Thätigkeits-
wechsel der Organe" (Leipzig 1871). Seine Abhandlung
über die „Ernährung des Menschen" (München 1876) ist
zwar durch spätere Forschungen überholt worden, aber zur
Zeit ihres Erscheinens war sie die erste Arbeit, welche die
Resultate der Untersuchungen von Pettenkofer und Voit
vom Hunde auf den Menschen übertrug, und damit, wie Carl
Voit selbst urteilte, „erst weiteren Kreisen ein Verständnis«!
für den Wert dieser Studien eröffnete". Im Jahre 1868 gal^H
Ranke ein Lehrbuch, „Grundzüge der Physiologie", heraus,
das in geschickter und klarer Form den Stand des damaligen
J
Ranke 69
physiologisch en Wissens darstellt. Es hat bis 1879 vier Auf-
lagen erlebt, ein Beweis für seine Brauchbarkeit.
Nach dem Ableben von Professor Beraz, Schuberts
Nachfolger, wurde Ranke 18G9 unter Ernennung zum Extra-
ordinarius an der philosophischen Fakultät der Unterricht in
der allgemeinen Naturgeschichte, mit dem auch eine
Vorlesung über Anthropologie verbunden war, übertragen.
Damit war ihm der lang gehegte Wunsch erfüllt worden, die
Lehrtätigkeit seines Großvaters auf modern naturwissenschaft-
licher Grundlage fortführen zu dürfen. Die neue Aufgabe
traf ihn nicht unvorbereitet. Hatte er doch schon als Dozent
der Physiologie nebenbei Vorlesungen über Anthropologie und
über Naturgeschichte und zwar mit Erfolg abgehalten.
Der Wechsel seiner äußeren Stellung bedeutete für Ranke
keinen Abbruch seiner Beziehungen zur Physiologie. Wie er
als Dozent seiner Vorlesung über medizinische Physik bis in
sein höheres Alter treu blieb, so arbeitete er auch wissen-
schaftlich vorerst auf physiologischem Gebiet weiter. Erst das
Jahr 1876 ward ihm zum Wendepunkt in seiner Forschungs-
richtung, von hier ab widmete er sich ausschlieiälich der An-
thropologie. Er begann seine neue Tätigkeit sogleich mit
der Leitung mehrerer Zeitschriften: von 1876 an gab er mit
N. Rüdinger die „Beiträge zur Anthropologie und Ur-
geschichte Bayerns" heraus, 1878 übernahm er die Redak-
tion des von Ecker und Lindenschmidt begründeten „Ar-
chivs für Anthropologie" und des „Korrespondenzblattes
der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft**.
Es folgt nun eine lange Reihe wissenschaftlicher Unter-
suchungen, ganz überwiegend aus dem Bereich der soma-
tischen Anthropologie, von denen hier nur die wichtigsten
kurz besprochen werden können. Sein Ansehen als Anthro-
pologe begründete Ranke mit seiner umfangreichen Arbeit
„Beiträge zur physischen Anthropologie der Bayern*
(München 1883). Es lagen nur einige wenige Bearbeitungen
des Körper-, insbesondere des Schädelbaues deutscher Volks-
stämme vor, nämlich von R. Virchow über die Friesen, von
70 Nekrologe
J
Ecker, Rütimeyer und His über die Alemannen und von
Holder Ober die Schwaben in Württemberg, als Ranke seine
Untersuchung der bayerischen Stämme unternahm. Er konnte
sich dabei, namentlich für die Altbayern, auf eine viel reich-
haltigere Unterlage stützen als seine Vorgänger, auf ein
Material, das zudem den Vorzug großer Reinheit besaß. Es
entstammte den kirchlichen Beinhäusern bayerischer Land-
gemeinden, die damals noch ungehobene Schätze für den An-
thropologen bargen. Die Untersuchung ergab, daß die Alt-
bayern sich durch eine große Schädelcapazität auszeichnen,
wie sie sonst nur noch bei der nächstverwandten niederöster-
reichischen Bevölkerung bekannt war. Als weiteres Merkmal
fand sich eine hochgradige Brachycephalie , die gegen das
bayerische Hochgebirge zunimmt. Für ganz Bayern ließen
sich drei Ausstrahlungszenten der Brachycephalie feststellen;
außer der Bevölkerung des bayerisch -tirolischen Hochgebirges
eines in der fränkisch-slawischen Einwohnerschaft Oberfrankens
und ein drittes, westliches, das von Schwaben ausgeht. Mit
diesen konkurriert ein Ausstrahlungszentrum für dolicho-meso-
cephale Schädelformen in der westlichen Maingegend. Unter
Mitberücksichtigung des Gesichtsschädels ergaben sich für
Bayern zwei Haupttypen der Gesamtform des Kopfes, schmal-
gesichtige Kurzköpfe und breitgesichtige Langköpfe. Eine
Vergleichung mit den übrigen Erfahrungen der Kraniologie
führt Ranke zu dem Schluß, daß die arischen Stämme zur-
zeit ihrer Einwanderung in Europa ein gleichmäßigeres körper-
liches Gepräge getragen haben, als heute, nachdem sie seit
langer Zeit ihre jetzigen Wohnsitze inne haben. Die Ursache
der eingetretenen Differenzierung ist nach ihm nicht sowohl
in den Völkermischungen, die selbstverständlich nicht ohne
Einfluß waren, zu suchen, als vielmehr in der geographischen
Lage der Wohnsitze, d. h. dem Klima und sonstigen Einflüssen
der Umgebung. Man sieht wie Ranke an die physische An-
thropologie nicht vom einseitigen Standpunkte des messenden
Kraniologen herantritt, sondern dank seiner physiologischen
Schulung mit dem weiten Blick des Biologen. Er führte die
i
Ranke 7 1
menschliche Rassenbildung schon damals auf ein Erklärungs-
prinzip zurück, welches heute von einem Teil der modernen
Vererbungstheoretiker für die Ableitung der Lokalvarietäten
(Elementarrassen) der Tiere angewandt wird.
Eine wertvolle Ergänzung fand diese Bearbeitung der
Schädel der heutigen Bevölkerung Bayerns durch eine Unter-
suchung (1897) „Frühmittelalterliche Schädel und Ge-
beine aus Lindau" und „Schädel von Regensburg aus
der Zeit der Römerherrschaft". Es ergab sich hierbei die
Tatsache, daß in Südbayern die kraniologischen Verhältnisse
trotz aller Völkerverschiebungen heute noch die gleichen sind,
wie vor der Völkerwanderungsperiode. „Die Kopfform haftet
an der geographischen Provinz, sie ist bodenständig", offenbar
infolge der Einflüsse der Umgebung.
Den gleichen Standpunkt vertrat Ranke später 1908 in
einem Aufsatz „Zur Rassenfrage**: Dolicho- und Brachy-
cephalie werden primär durch den Wohnort bedingt.
Auch seine Messungen „der Körpergröße der baye-
rischen Militärpflichtigen" ließen den mächtigen Einfluß
der äußeren Umgebung auf das Körper Wachstum erkennen.
Rankes Standpunkt, daß die Rassenbildung des Menschen
durch äußere Einwirkungen bedingt ist, steht in innerem Zu-
sammenhang mit seiner Annahme einer einheitlichen Abstam-
mung des Menschen, die er unter anderem in einer Arbeit
„Über die individuellen Variationen im Schädelbau
des Menschen" (1897) vertritt. Er kommt hier zu dem Er-
gebnis, daß die typischen Formen des Menschengeschlechts,
speziell ihre ethnisch verschiedenen Schädelformen, durch indi-
viduelle Variabilität einer gemeinschaftlichen Stammform ent-
standen seien.
Als IL Teil seiner „Beiträge zur physischen Anthro-
pologie der Bayern" veröffentlichte Ranke (1892) eine
Studie über „Einige gesetzmäßige Beziehungen zwischen
Schädelgrund, Gehirn und Gesichtsschädel". Er ver-
suchte sich hier an dem alten, ungemein komplizierten Problem
der formgestaltenden Ursachen des Schädelbaues, indem er an
72 Nekrologe
3
Virchows grundlegende Untersuchungen über den Einfluß
der Schädelbasis und der Gehirnentwicklung auf den Gesichts-
schädel anknüpft. Die Nachfolger Virchows waren in ihren
Bemühungen, dessen Resultate zu kontrollieren und weiter
auszubauen, wenig erfolgreich gewesen, es konnte durch
Messungen kein Paralellismus zwischen dem Sattelwinkel der
Schädelbasis und dem Gesichtsschädelbau nachgewiesen werden.
Da nahm Ranke die Frage mit verbesserten kraniometrischen
Methoden in Angriff und dehnte seine Untersuchungen auf
Affenschädel, auf menschliche Embryonen verschiedener Ent-
wicklungsstadien und auf Neugeborene aus. Er kam zu dem
Schluß, daß das Endziel der individuellen normalen Entwick-
lung des menschlichen Schädels ist: Prognathie verbunden
mit Steilstellung des Clivus der Schädelbasis. Die Prognathie
ist also eine typisch menschliche Bildung. Die Mehrzahl der
Einzelindividuen bleibt auf einer mehr kindlichen Formbildung
stehen mit relativ geringer Neigung des Clivus und mit Hyper-
orthognathie oder Orthognathie. Hierin steht die weibliche
Körperbildung der kindlichen im allgemeinen näher als die
männliche.
In einem „Zur Anthropologie der Halswirbelsäule"
(1895) betitelten Aufsatz dehnt Ranke seine Untersuchungen
auf die Verbindung des Kopfes mit der Wirbelsäure aus. Die
durch die mächtige Entwicklung des Gehirns bedingte Knickung
der Schädelbasis beim Menschen verlegt die zur Verbindung
mit der Wirbelsäule dienenden Gelenkfortsätze des Hinterhaupt-
beins nach unten, wie es die aufrechte Körperhaltung verlangt,
während diese Gelenkverbindung bei den Tieren einschließlich
der anthropoiden Affen nach hinten gerichtet ist. So erscheint
der aufrechte Gang des Menschen mechanisch in letzter Instanz
durch die starke Entwicklung des Gehirns bedingt. Wenn
dieser Gedankengang auch schon den älteren Anthropologen
nicht fremd war, so wird er doch bei Ranke durch neues
Beobachtungsmaterial gestützt. h
Durch das Studium der fertigen Formen des Schädels
wurde Ranke zur Untersuchung der Embryonalentwicklung
II
i
Ranke »3
desselben geführt. In seiner wertvollen Arbeit „Die über-
zähligen Hautknochen des menschlichen Schädel-
daches" (1899) werden zunächst bestimmte Varietäten an
den Deckknochen des Schädeldaches wie die Sutura parietalis,
das offenbleibende Foramen parietale und der Incaknochen
des Hinterhauptbeins in seinen verschiedenen Abstufungen
beim erwachsenen Menschen und bei den anthropoiden Affen
eingehend dargestellt und sodann entwicklungsgeschichtlich
erklärt. Für das Parietale gelang ihm der Nachweis einer
Entstehung aus zwei elementaren Bestandteilen, eines oberen
und unteren Scheitelbeins, die im Verlaufe der späteren Ent-
wicklung verschmelzen. Ebenso konnte er die vielumstrittene
komplizierte Entwicklung der Hinterhauptsschuppe klären. In
die Bildung derselben gehen abgesehen von der knorpelig
präformierten Unterschuppe die Ossifikationszentren von 4 Paar
Hautknochen ein. Diese nur in embryonaler Zeit auftretenden
, Elementarknochen " des menschliche»! Schädeldaches homolo-
gisiert er mit Skelettstücken, die bei niederen Wirbeltieren
besonders bei Knorpelganoiden und Stegocephalen dauernd
ihre Selbständigkeit bewahren.
Diese Untersuchungen hat er 14 Jahre später („Über
das Interparietale und die Verknöcherung des Schädel-
daches bei Affen" 1913) wieder aufgenommen und durch
Bearbeitung der Hautknochen des Schädeldaches von Affen
und Affenembryonen ergänzt. Seine frühere Publikation über
den Gegenstand hatte zu zahlreichen Nachuntersuchungen an-
geregt, und seine Resultate waren von vergleichend anatomi-
scher Seite im Sinne der Deszendenztheorie verwertet worden.
Hiegegen legt er nun Verwahrung ein, indem er darauf hin-
weist, daß die Entwicklungslehre ein Fortschreiten vom Ein-
fachen zum Komplizierteren postuliere, während seine eigenen
Ergebnisse der morphologischen Umgestaltung des Schädel-
daches doch im Gegenteil eine Vereinfachung bei den höher
stehenden Wirbeltieren ergeben hätten. Meines Erachtens
dürfte dieser Gedankengang unseres Autors sich kaum allge-
meiner Zustimmung erfreuen, denn die Entwicklungslehre
74 Nekrologe
liefert alltäglich Beispiele dafür, daß die zunehmende Diffe-
renzierung im Körperbau der systematisch höher stehenden
Formen auch mit Vereinfachungen und Rückbildungen ein-
zelner Organe einhergehen kann, je nach den Erfordernissen
der Funktion.
Auf dem Grenzgebiet der somatischen Anthropologie
und der Ethnographie bewegen sich zwei Arbeiten „Über
altperuanische Schädel von Ancon und Pachacamäc"
(1900 und 1909). Es stand Ranke für diese Untersuchungen
ein wertvolles Material zur Verfügung, das von dem Ehren-
mitglied unserer Akademie Prinzessin Therese von Bayern
an Ort und Stelle nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten ge-
sammelt worden war. Dazu kam später noch eine beträcht-
liche Anzahl von Schädeln und einige Mumienköpfe von den
gleichen Fundplätzen, welche der dem ethnographischen Museum
des bayerischen Staates einverleibten reichen Gaffron'schen
Sammlung peruanischer Altertümer entstammen. An diesen
Schädeln, welche die bekannten künstlichen Verunstaltungen
in allen Abstufungen aufwiesen, ließ sich feststellen, daß die
Deformation nicht, wie man bis dahin geglaubt hatte, eine
beabsichtigte, durch Anwendung einer Kopfpresse verursachte
ist, sondern die einfache Wirkung einer an der „Wiege" des
Neugeborenen angebrachten harten Kopfschutzvorrichtung und
damit verbundenen Schutzwicklung. Es handelt sich daher
hier um die gleiche Erscheinung, wie in manchen Gegenden
Europas, in denen bekanntlich dauernde Verunstaltungen des
Schädels durch die Lagerung des leicht formbaren Köpfchens
des Neugeborenen auf harte Unterlagen und durch den Binden-
druck der Kinderhäubchen hervorgerufen werden.
Aus der Fülle der kleineren Publikationen Rankes ent-
fallen noch in das Gebiet der somatischen Anthropologie eine
Untersuchung über das Rückenmark (1896), in welcher dar-
gelegt wird, daß das Gewichtsverhältnis dieses Organs zu dem
des Gehirns ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen
Tier und Mensch abgibt, ferner die Aufsätze „Zur Kran iologie
Tirols« (1880), „Über den Zwischenkiefer" (1901), „Über
I
Ranke 75
Verbrechergehirne" (1904), ,Die Anthropologie des
Schulterblattes" (1904), „Über normale Schwimmhaut-
bildung und über besondere Bildungen am harten
Gaumen beim Menschen" (1893), „Über das Mongolen-
auge bei deutschen Kindern", Über höhere und niedere
Stellung der Ohren am Kopfe des Menschen" u. a.
Auch die prähistorische Forschung hat der unermüd-
lich tätige Mann in sein Arbeitsgebiet einbezogen. Durch Zu-
sammenstellung der in den bayerischen Museen aufbewahrten
Steinwaffen und Steininstrumente hat er das Vorkommen des
neolithischen Menschen in Bayern erwiesen. Er untersuchte
die Funde aus Höhlenwohnungen der jüngeren Steinzeit in
der fränkischen Schweiz und der Oberpfalz (Steinbachhöhle)
und förderte die Höhlenforschung in Bayern noch in seinen
letzten Lebensjahren dadurch, daß er eine eigene Kommission
für dieselbe bei unserer Akademie der Wissenschaften ins
Leben rief und deren Vorsitz übernahm.
Fast selbstverständlich erscheint es, daß ein so vielseitiger
Forscher wie Ranke das Verlangen trug, die Ergebnisse seiner
eigenen Arbeit mit dem anthropologischen Wissen seiner Zeit
in lehrbuchmäßiger Darstellung zusammenzufassen. Für die
damalige Zeit war dies kein leichtes Unternehmen. Die An-
thropologie war eine junge Wissenschaft, deren Ziele noch
nicht abgesteckt waren, so wenig wie ihre Grenzen gegen Nach-
bardisziplinen, Ethnologie, Paläontologie, prähistorische Kultur-
geschichte u. a. Noch hatte sich niemand an die Aufgabe ge-
wagt und ein Vorbild geliefert. Ranke gelang der Wurf in
seinem zweibändigen Werke „Der Mensch" (Leipzig 1886)
überraschend gut. Er hat hier gezeigt, daß man eine Wissen-
schaft, ohne ihrem Inhalt Abbruch zu tun, gemeinfaßlich und
interessant darstellen kann. In dem ersten Band wird die
Entwicklungsgeschichte, die Anatomie und die Physiologie des
Menschen behandelt. Hier spricht der ehemalige Physiologe
und Mediziner Ranke zu uns, doch eröffnet er immer, wo es
am Platze ist, schon anthropologische Perspektiven. Der zweite
Band ist ausschließlich der Anthropologie gewidmet, dem Körper-
76 Nekrologe
bau der beute lebenden Rassen und des prähistorischen Men-
schen unter Berücksichtigung primitiver Kulturformen. Das
Buch wurde von der Fachkritik überaus freundlich aufgenommen,
von dem sein Urteil streng abwägenden Virchow ward es mit
geradezu enthusiastischen Worten begrülät. In Laienkreisen
fand es weite Verbreitung, erlebte bis 1912 drei Auflagen und
mehrere Übersetzungen in fremde Sprachen und machte den
Namen seines Verfassers weltbekannt.
Auch in seinem engeren Vaterlande Bayern fand Ranke
die verdiente Anerkennung. Im Jahre 1886 wurde in der
philosophischen Fakultät der Münchener Universität für ihn
ein Ordinariat für Anthropologie geschaffen, das erste
und für lange Zeit einzige in Deutschland. 1893 erfolgte seine
Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissen-
schaften, deren „Kommission für die Erforschung der
Urgeschichte Bayerns" er seit 1901 präsidierte.
Wer Rankes Stellung in seiner Wissenschaft richtig be-
werten will, muß davon ausgehen, daß er jener Richtung von
Naturforschern angehörte, die um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts, noch in Kampfesstellung gegen die kaum überwundene
Naturphilosophie begriffen, die nüchterne Beobachtung und
das Sammeln verbürgter Tatsachen auf ihre Fahne schrieben.
Einer der namhaftesten Vertreter derselben war RudolfVir-
chow, der sich in späterer Lebenszeit mehr und mehr der
Anthropologie zuwandte und deren geistige Führei'schaft über-
nahm. Ranke stand Virchow nicht nur persönlich sondern
auch in seinem wissenschaftlichen Glaubensbekenntnis nahe.
Er war wie dieser von vornherein ein Gegner des Darwi-
nismus und verhielt sich auch der Deszendenztheorie
gegenüber entschieden ablehnend. Diese Stellungnahme war
von der streng kirchlichen Richtung, welcher er angehörte,
gewiß nicht unbeeinflußt, aber sie entsprang doch ebenso sehr
seiner Abneigung gegen die Auswüchse phylogenetischer Spe-
kulationen, welche aus der Saat der jungen Entwicklungslehre
damals nur allzu üppig in die Halme schössen. In ihnen sah.
er einen Rückfall in die alte Naturphilosophie. Er mochte
I
Ranke, Wiesner 77
darin nicht unrecht haben, aber in ihrem Kern war die neue
Bewej^ung gesund und daseinsberechtigt. Hat sie doch durch
ihre befruchtenden Gedanken den Impuls zu einem ungeahnten
Aufschwung der morphologischen Wissenschaften gegeben. Da
konnte auch die Anthropologie, die jüngste von diesen Dis-
ziplinen, die sich zur selbständigen Wissenschaft durchgerungen
hatte, ihre Pforten der stammesgeschichtlichen Forschung auf
die Dauer nicht verschließen. An der Spitze der Jung- Anthro-
pologen stand der gemäläigte und streng kritische Schwalbe
und der ungestümere, phantasievolle Klaatsch. Dem letzteren
trat Ranke auf der denkwürdigen Anthropologenversammlung
in Lindau 1899 mit Schärfe und Geschick entgegen, indem er
dessen Ausführungen in das Gebiet luftiger Spekulationen ver-
wies. Der Gegensatz blieb unausgeglichen und mußte es seiner
Natur nach bleiben.
Richtungen und Theorien sind das Wechselnde in der Ge-
schichte einer Wissenschaft, das Bleibende ist das stetig wach-
sende Gebäude der Tatsachen. Zu diesem aber hat Johannes
Ranke als echter Forscher manch wertvollen Baustein beige-
tragen. Der Name Ranke wird in der Anthropologie, als
der eines Mitbegründers dieser Wissenschaft, fortleben wie das
Bild des gütigen und liebenswerten Menschen in der Erinne-
rung seiner Freunde und Schüler. Johannes Rückert.
Am 12. Oktober 1916 starb in Wien das korrespondierende
Mitglied der mathematisch -naturwissenschaftlichen Klasse Julius
Ritter von Wiesner.
Wiesner wurde am 20. Januar 1838 zu Tschechen in Mähren
geboren. Er studierte in Wien Naturwissenschaften, habilitierte
sich 1861 am „polytechnischen Institute" (der späteren tech-
nischen Hochschule) in Wien für Pflanzenphysiologie, wurde
an dieser Anstalt 1868 außerordentlicher Professor, 1870 ordent-
licher Professor an der forstlichen Lehranstalt in Mariabrunn
und 1873 ordentlicher Professor der Anatomie und Physiologie
der Pflanzen an der Universität in Wien. Von dieser Stellung
78 ^Bfflr Nekrologe
trat er entsprechend den österreichischen Bestimmungen über
die Altersgrenze 1909 zurück.
Es sei im Anschluß an diese kurze Skizze seines äußeren
Lebens zunächst hervorgehoben, daß Wiesner zu den erfolg-
reichsten Hochschullehrern auf dem Gebiete der Botanik ge-
hörte. Der glänzende Aufschwung, welchen die allgemeine
Botanik in Osterreich genommen hat, ist in erster Linie ihm
zu verdanken. Er verstand es, eine große Anzahl begabter
Studierender für die Botanik zu gewinnen und an fast allen
österreichischen Hochschulen wirken jetzt seine Schüler.
Zu diesem Erfolge trugen wesentlich bei die Errichtung
eines vortrefflichen pflanzenphysiologischen Instituts und Wies-
ners liebenswürdige, vielseitig gebildete Persönlichkeit.
Seine Lehrbegabung spricht sich auch aus in der Ab-
fassung eines weit verbreiteten Lehrbuchs, seiner „Elemente
der wissenschaftlichen Botanik", das in mehreren Auflagen
erschien.
Eine ganz außergewöhnliche, nie rastende Arbeitskraft be-
fähigte ihn zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit von fast bei-
spiellosem Umfang und von größter Mannigfaltigkeit der be-
handelten Fragen. In dem Nekrolog seines Schülers und Nach-
folgers H. Molisch*) sind nicht weniger als 231 Veröffent-
lichungen aufgeführt — einige darunter stellen umfangreiche
Werke dar und in den Jahren zwischen 1854 und 1916 ist
nur 1856 ohne eine Arbeit Wiesners, während z. B. in das
Jahr 1892 11 Veröffentlichungen fallen!
Seine wissenschaftliche Tätigkeit bewegte sich auf zwei
Hauptgebieten, dem der Pflanzenphysiologie und dem der tech-
nischen Botanik, ohne sich etwa auf diese zu beschränken.
Seine pflanzenphysiologischen Untersuchungen umfassen
namentlich die Frage nach der Wirkung des Lichtes auf die
Pflanzen, Transpiration und Zusammenhang zwischen Lage und
Ausbildung des Pflanzenkörpers.
*) H. Molisch, Julius von Wiesner, Ber. der deutschen botanischen
Gesellschaft Bd. XXXIV- (1916).
Wiesner •»'
Am meisten beschäftigt hat ihn wohl das Gebiet der Licht-
wirkung. Wir verdanken ihm wertvolle Untersuchungen über
den Heliotropismus und namentlich über den „Lichtgenuß".
Er ermittelte durch exakte Messungen den Gang der chemi-
schen Lichtintensität, das Verhältnis der Stärke des direkten
Sonnenlichtes zum diffusen Lichte, die den Pflanzen an ihren
natürlichen Standorten zu Gebote stehende Lichtmenge und
die Einwirkung des Lichtes auf die gesamte Pflanzengestal-
tung. Diese Fragen verfolgte er namentlich auch auf wissen-
schaftlichen Forschungsreisen in Java, in Nordamerika und im
arktischen Gebiete.
Aber er fand Zeit auch zahlreiche andere pflanzenphysio-
logische Fragen in Angriff zu nehmen und zu fördern, die im
Einzelnen hier aufzuzählen nicht möglich ist.
Die technische Botanik verdankt ihm ein viel benutztes
und hochgeschätztes in drei Auflagen erschienenes Werk „Die
Rohstoffe des Pflanzenreiches". Namentlich war er auch eine
Autorität auf dem Gebiete der mikroskopischen Untersuchung
des Papiers, die ihn zu kulturhistorisch interessanten Ergeb-
nissen führte.
Daß ein Forscher von so vielseitiger Begabung sich auch
allgemein biologischen und philosophischen Problemen zuwandte,
ist nicht überraschend.
In dieses Gebiet gehören sein Werk „Über die Elementar-
struktur und das Wachstum der lebenden Substanz" — das
auf mancherlei Widerspruch gestoßen ist — und namentlich
sein letztes, kurz vor seinem Tode erschienenes Buch „Er-
schaffung, Entstehung, Entwicklung und über die Grenzen der
Berechtigung des Entwicklungsgedankens". Er nimmt darin
Stellung zu dem Entwicklungsproblem überhaupt und läßt seine
Weltauffassung erkennen. Trägt dieses Buch auch — wie
das fast selbstverständlich ist — die Züge eines Altersw^erkes
an sich, so ist es doch ein schöner Abschluß der unermüd-
lichen, reichen und nach den höchsten Zielen strebenden Lebens-
arbeit Wiesners. Karl v. Goebel.
80 Nekrologe
Historische Klasse.
Im Dezember 1916 starb Anatole Leroy-Beaulieu (geb. 1842),
korrespondierendes Mitglied der historischen Klasse, Membre
de rinstitut, Jahrzehnte hindurch Professor für neuere Ge-
schichte und Orient an der Ecole libre des sciences politiques
in Paris, deren Direktor er 1906 geworden ist: der Verfasser
einer stattlichen Anzahl historisch -publizistischer Werke, vor
allem aber des berühmten Buches über Rußland, l'Empire des
Tsars et les Russes (3 Bände 1881). Auf Grund dieser aus
den literarischen Quellen und persönlichster Kenntnis ge-
schöpften Darstellung, die mit Umsicht, Gewissenhaftigkeit
und Unbefangenheit die Gegenwart im Zusammenhange der
Vergangenlieit begreife, hat C. A. Cornelius 1891 die Wahl
dieses , Universalhistorikers" zum Mitgliede unserer Akademie
beantragt. Erich Marcks.
Am 4. Januar gegenwärtigen Jahres starb zu Heidelberg
der Groläh. Badische Geheime Rat und Professor des deutschen
Rechts Richard Schröder. Er gehörte unserer Körperschaft seit
1892 als korrespondierendes Mitglied an. Aber in mittelbare
Beziehungen zu ihr war er schon um drei Jahrzehnte früher
getreten, damals als das Unternehmen der Weistümersammlung
Jakob Grimms an die Historische Kommission übergegangen
war. In der Vorrede zum IV. Teil, den 1862 noch Jakob
Grimm selbst abschloß, gedenkt dieser der Beihilfe des Dr. Ri-
chard Schröder, der ihm neben Rudolf Hildebrand „in Aus-
wahl und Korrektur" an die Hand gegangen sei. Nach dem
1863 eingetretenen Tode des Gründers jenes bedeutenden
Quellenwerks wurde Richard Schröder mit dessen Weiter-
und Ausbau betraut. So war aus der Abendröte der germa-
nistischen Heroenzeit noch ein letzter Strahl auf seine wissen-
schaftliche Entwicklung gefallen. Er wußte diesen Glücksfall
zu würdigen und sich selbst seiner würdig zu betätigen. Er
ist der übernommenen Aufgabe treu geblieben und hat sie
mit ungewöhnlicher Umsicht und Gewissenhaftigkeit und unter
Schröder öl
Aufwand entsagungsvollen Fleißes gelöst. Zeugnis davon geben
insbesondere die vielen Nachträge und Berichtigungen und
der 1878 erschienene Schlußband mit seinen umfangreichen,
tief ins einzelne gehenden Registern, die jedem Benutzer der
abgedruckten Texte die schwerste Arbeit abnehmen.
Schon in der Art, wie er sich dieser Saramelarbeit wid-
mete, äußerten sich die Charakterzüge, die in Schröders Ge-
lehrtenleben immer wiederkehren: die naive Zuversicht, womit
er an weitschichtige literarische Unternehmungen herantritt,
und die ernste Beharrlichkeit, womit er die einmal gefaßten
Vorsätze bis ans Ende verfolgt; aber auch die Arbeitskraft,
die ihn schier unverwüstlich bis ins hohe Alter hinein be-
gleitet hat.
Denn während des ersten Jahrzehnts seiner Beschäftigung
mit den Weistümern galten seine vornehmsten Leistungen dem
großen Werk, dem er fortan sein hohes Ansehen in der wissen-
schaftlichen Welt verdankte, seiner „Geschichte des ehelichen
Güteriechts in Deutschland". Kühn genug war der Plan dazu
gewesen, dem der junge Doktor seit seiner Berliner Preis-
schrift und Dissertation „De dote secundum leges gentium
Germanicarum" (1861) nachgegangen war. Bis in die letzten
Winkel hinein partikularrechtlich und buntscheckig fanden
sich die Vermögensverhältnisse der Ehegatten geordnet, im
Mittelalter einem Labyrinth, wie Schröder treffend sagt, ver-
gleichbar, zu dem aber der Ariadnefaden erst noch entdeckt
werden mußte. Wohl gab es einige gute Vorarbeiten. Doch
Ordnung und Übersicht in den ganzen ungeheueren Stoff zu
bringen, schien ein verzweifeltes Unterfangen. Hatte doch
eben damals ein sachkundiger Gelehrter eine Geschichte des
ehelichen Güterrechts von ganz Deutschland für unmöglich
erklärt. Schröder aber hat mit den vier Bänden, die er
1863 — 1874 erscheinen ließ, in der Hauptsache sein Ziel er-
reicht. Man kann bedauern, daß der Verfasser die ohnehin
trockenen Phänomene allzu statistisch behandelt, zu wenig als
Historiker auf das Ursächliche eingeht, und man mag viel-
leicht wünschen, er hätte seinen Gesichtskreis, nachdem er
Jahrbuch 1917. 6
82 Nekrologe
doch das angelsächsische Recht hereingezogen, auch den ger-
manischen Norden wenigstens streifen lassen; manches Problem
wäre ihm dann wohl deutlicher, manche Erkenntnis zugänff-
licher geworden. Aber dasjenige, worauf es vor allem ankam,
„in die wie keine andern verworrenen und verwickelten Güter-
rechtsverhältnisse der Ehegatten in Deutschland Licht und
Klarheit zu bringen", d. h. die gegensätzlichen sie beherr-
schenden Gedankensysteme, wie sie in den verschiedenen Zeit-
altern auftraten, auseinander zu legen, ihre räumliche Ver-
breitung zu bestimmen und ihre Spielarten aufzuzeigen, das
ist ihm gelungen. Alles dies auf der Grundlage einer unge-
mein ausgebreiteten und durchweg selbständigen Quellenfor-
schung, von der aus er erst zur Literatur Stellung genommen
hat. In dieser Methode war er ja einst in Göttingen von
Georg Waitz geschult worden.
Doch war er kein gewöhnlicher Waitz-Schüler. Die Eigen-
art in ihm ist vielmehr erst durch die beiden lang neben
einander hergehenden Arbeiten an den Weistümern und an
der Geschichte des ehelichen Güterrechts großgezogen worden.
Von den Weistümern stammte seine Neigung und sein Ver-
ständnis für alles Anschauliche, Sinnige, Bodenständige und
Altertümliche im Rechtsleben, für das Terminologische, das
Poetische, das Charakteristische und Humoristische in seiner
Ausdrucksweise. Manches dazu mag er freilich von der Berliner
Universität mitgebracht haben, wo er — mit „musterhaftem
Fleiß und schönstem Erfolg" — über Gotisch und mittelhoch-
deutsche Dichter bei Hans Ferdinand Massmann und Moritz
Haupt Vorlesungen gehört hatte. Die Geschichte des ehe-
lichen Güterrechts aber verlangte — dringender beinahe als
irgend ein anderes Stück deutscher Rechtsgeschichte — nach
dem nüchternen Juristen. Hier reichte kein bloßes Beschreiben
aus, kein bloßes Verzeichnen einzelner Rechtsvorschriften oder
rechtlicher Vorkommnisse, sondern nur begrifflicher Aufbau
der Institute auf Grund deutlich formulierter Prinzipien, die
auf induktivem Weg gefunden werden mußten. Wenn Schröder
diese Aufgabe in wahrhaft vorbildlicher Weise erfüllte, so
Schröder 83
kam das nicht bloß daher, daß er in juristischen Traditionen
aufgewachsen und eifriger Hörer eines Friedrich Ludwig
V. Keller, eines Gustav Homeyer, eines Rudolf Gneist, eines
August Wilhelm Heffter gewesen war und noch weniger von
seiner Anhänglichkeit an Georg Beseler, für den der an-
gehende Germanist sich doch wohl hauptsächlich wegen seiner
vaterländischen Denkweise begeistert hatte. Man sieht viel-
mehr mit jedem Band, zu dem sein Geschichtswerk fortschritt,
ebenso wie in kleineren Nebenarbeiten, zu denen er in den-
selben Jahren immer noch Zeit fand, wie der Jurist in ihm
die Oberhand über den Altertumsfreund gewinnt. Und wenn
er vor jener rechtsgeschichtlichen Romantik bewahrt blieb, in
die man damals leicht verfallen konnte, so mochte er es dem
zwingend juristischen Gegenstand danken, der ihn festhielt.
Der Schöpfung Schröders aber verdanken es seine Fachgenossen
vornehmlich, wenn rechtsgeschichtliche Forschungen auch in
den Kreisen derjenigen schätzenswert blieben, welche Rechts-
geschichte weniger zu lesen als zu machen lieben. Darum
auch war er der gegebene Mann, um den deutschen Juristen-
tag und die Kommission, die den ersten Entwurf zum Bürger-
lichen Gesetzbuch aufstellte, mit Gutachten und einem Ent-
wurf über eheliches Güterrecht zu unterstützen.
Auch sonst hat die praktische Jurisprudenz noch mehr-
fach die Mitarbeit von Richard Schröder beansprucht. Aber
sein Herz gehörte nun einmal der Rechtsgeschichte, Die Ab-
handlungen, die er in Zeitschriften veröffentlichte, sind fast
sämtlich historisch. Und seit den achtziger Jahren standen
beinahe alle seine Arbeiten nur noch im Dienste seines zweiten
großen Geschichtswerks, worin die Eigenschaften des Juristen
und des Historikers mehr als früher mit einander verbunden
und gegen einander ausgeglichen erscheinen, des , Lehrbuchs
der deutschen Rechtsgeschichte". Gewiß hat er dieses Buch
nach einem ganz andern Verfahren zustand gebracht und zu-
stand bringen müssen als seinerzeit die Güterrechtsgeschichte.
Hier galt es ja nicht jedes einzelne Kapitel vollständig neu
und unmittelbar aus den Quellen herauszuholen, sondern die
6*
84 Nekrologe
Ergebnisse einer ungeheueren Literatur zu sichten und zu
einem Gesamtbild zu ordnen. Die darin liegenden Schwierig-
keiten hat seine Ausdauer, seine Urteils- und Gestaltungskraft
scheinbar spielend überwunden. Mit allen einschlägigen frem-
den Leistungen, die er mit beinahe bibliographischer Voll-
ständigkeit verzeichnet, hat ihn eine beneidenswerte Aufnahms-
fähigkeit vertraut gemacht. Überall aber, wo er von den
Forschungen Anderer ausgehen muß, wahrt er sich das Recht
der Kritik, die ihm seine genaue Kenntnis des Materials er-
möglicht. Reichen dazu die Fußnoten nicht aus, so geht er
einzelnen Fragen in Spezialstudien nach. Und wie oft ver-
mag er doch auch das von Vorgängern Gebotene zu ergänzen!
Die aber vor und neben ihm das Gleiche unternommen, sie
alle übertrifft er an Fülle der dargestellten Gegenstände wie
an Klarheit der Darstellung selbst. Von der Mitte der acht-
ziger Jahre an bis zu seinem Lebensende stand dieses Buch
im Mittelpunkt seiner literarischen Fürsorge. Fünf Auflagen
sind fertig geworden; die sechste hatte er unter den Händen,
als der Tod dem Achtundsiebzigjährigen die Feder entwand.
Mit jeder Auflage nimmt die Einläßlichkeit und Reichhaltig-
keit zu. Aus dem Lehrbuch wird mehr und mehr ein Hand-
buch. Und mit jeder Auflage wird es auch besser. Jede
neue Errungenschaft der Forschung findet ihren Platz. Er
verwertet die Versuche einer neuen Rechtsarchäologie, der er
selbst in ein Paar kleineren Schriften näher tritt. Frei von
jeder Rechthaberei zeigt er sich stets bereit, liebgewonnene
Meinungen aufzugeben, sobald ihm die Gründe dafür nicht
mehr auszureichen scheinen. Das gehört zu den Grundzügen
seines wissenschaftlichen Charakters. Ist doch schon gleich
die Gesamtanlage des Buches ein Zeugnis seiner Selbstüber-
windung! Noch 1876 hatte er in scharfem Gegensatz zur
synchronistischen Methode die systematische für „die allein
durchführbare" erklärt, und wenn er in dieser Prinzipienfrage
hätte unbelehrbar sein wollen, so hätte er sich auf Vorgänger
und Mitstrebende berufen können. Wie sah man sich aber
überrascht, als schon bei seinem ersten Erscheinen dem Lehr-
Schröder 85
buch die synchronistische Darstellungsform zugrunde lag! Der
Verfasser hatte eben umgelernt. Er hatte sich darein ge-
funden, daß Rechtsgeschichte nicht bloß Jurisprudenz, sondern
auch Geschichte sein muß.
Unermüdlich wie immer hielt er auch neben dem Lehr-
buch noch andere Eisen im Feuer. Er übernahm als Mitglied
der badischen historischen Kommission die Leitung der Her-
ausgabe der oberrheinischen Stadtrechte und die von 1895 bis
1898 erschienenen sind noch von ihm selbst überaus umsichtig
bearbeitet. Seinen alten terminologischen Neigungen getreu
beteiligte er sich als Mitglied der von der Berliner Akademie
eingesetzten Kommission zur Herausgabe eines deutschen Rechts-
wörterbuches von 1896 an mit hingebendem Eifer an den Vor-
arbeiten für dieses nationale Unternehmen. Seiner vorgerückten
Jahre ungeachtet nahm er sogar die Mühen des Schri-ftleiters
auf sich, gründete das Wörterbucharchiv zu Heidelberg, und
unter seiner Obhut konnten noch das riesige Verzeichnis der
ausgezogenen Quellen und das erste Heft des Textes erscheinen.
Nicht Vielgeschäftigkeit war es, was ihn antrieb, sich
nach so verschiedenen Richtungen zu betätigen. Nichts lag
seiner bescheidenen Natur ferner, als sich jemals wichtig zu
machen. Es war die aufrichtige Freude an den Sachen, für
die ihn seine vielseitige Bildung eignete, die Begeisterungs-
fähigkeit, die ihm seine frohgemute Sinnesart bis ins hohe
Alter frisch erhielt, dieselbe unerschütterliche Sinnesart, die
ihm auch über so manche Widerwärtigkeiten, wie sie das
Leben bringt, hinweggeholfen hat. So hat er selbst in seinen
letzten Jahren noch etwas Jugendliches behalten, trotzdem
schon längst Unfälle und Krankheiten seinen Körper ge-
schwächt hatten und seine Augen mehr und mehr den Dienst
versagten. Kein Wunder, daß er alle Eigenschaften besaß,
die einen zum akademischen Lehrer machen können. Als
solcher war er beliebt und gesucht. Vor Heidelberg waren
Bonn, Würzburg, Straßburg, Göttingen Stätten seines Wirkens
gewesen. Wie ernst er seinen Lehrberuf nahm, beweist die
vielgebrauchte Urkundensammlung zur Geschichte des deut-
86 Nekrologe
sehen Privatrechts, die er in usum scholarum veranstaltet hat.
Dem Lehrstuhl zu entsagen wäre für ihn kein leichterer Ent-
schluß gewesen, als sich von seinen Manuskripten zu trennen.
Er schien nicht daran zu glauben, daß auch für ihn der
Feierabend kommen könnte. Unter den gewaltigen Ein-
drücken des Weltkrieges schien er vielmehr innerlich neu
belebt. Er pries sein Alter, da es ihm beschieden war, zum
zweitenmal einen Aufschwung des deutschen Volkes mit an-
zusehen. Karl V. Amira.
Wahlen 87
In der allgemeinen Sitzung am 18. Juli 1917 wurden
folgende Wahlen vollzogen und von Seiner Majestät dem König
bestätigt :
Philosophisch - philologische Klasse :
a) als außerordentliche Mitglieder:
1. Dr. Karl Borinski, a. o. Professor für neuere Literatur-
geschichte an der Universität München,
2. Dr. Paul Lehmann, Privatdozent nun a.o. Professor für
lateinische Philologie des Mittelalters an der Universität
München,
b) als korrespondierendes nun außerordentliches
Mitglied :
Dr. Carl von Kraus, Geh. Hofrat, ord. Professor der
älteren deutschen Sprache und Literatur an der Uni-
versität Wien, nun ord. Professor der deutschen Philo-
logie an der Universität München,
c) als korrespondierende Mitglieder:
1. Dr. Georg Wissowa, Geh. Regierungsrat, ord. Professor
der klassischen Philologie an der Universität Halle,
2. Dr. Benno Erdmann, Geh. Regierungsrat, ord. Professor
der Philosophie an der Universität Berlin,
3. Dr. Heinrich Rickert, Geh. Hof rat, ord. Professor der
Philosophie an^der Universität Heildelberg.
Mathematisch - physikalische Klasse:
a) als ordentliches Mitglied?
Dr. Emanuel Kayser, ord. Professor der Geologie und
Paläontologie an der Universität Marburg, nun im Ruhe-
stand in München, bisher korrespondierendes MitglietJ,
88 Wahlen
b) als außerordentliche Mitglieder:
1. Dr. Heinrich Lieb mann, ord. Professor der Mathematik
an der Technischen Hochschule München,
2. Dr. Jonathan Zenneck, ord. Professor der Experimental-
physik an der Technischen Hochschule München,
c) als korrespondierendes Mitglied:
Dr. Fritz Haber, Geh. Regierungsrat, Direktor des Kaiser ■
Wilhelm - Instituts für physikalische Chemie und ord.
Honorarprofessor an der Universität Berlin.
Historische Klasse:
a) als außerordentliches Mitglied:
Dr. Walther Lotz, Geh. Hofrat, ord. Professor der Finanz-
wissenschaft, Statistik und Nationalökonomie an der
Universität München,
b) als korrespondierende Mitglieder:
1. Dr. Moriz Wlassak, K. K. Hofrat, ord. Professor des
römischen Rechts an der Universität Wien,
2. Dr. Ulrich Stutz, Geh. Justizrat, ord. Professor des deut-
schen und Kirchenrechts an der Universität Berlin.
89
Personalstand.
(Ende 1917.)
Protektor:
SEINE MAJESTÄT DER KONIG.
Verwaltung.
Präsident:
Dr. Otto Cru8iu8, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für klassische Philo-
logie, geb. 20. Dez. 1857 zu Hannover (o. 1905, a. o. 1903), Widen-
mayerstraße lO/III.
Sekretär der philosophisch-philologischen Klasse:
Dr. Ernst Kuhn, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für arische Philologie,
geb. 7. Febr. 1846 zu Berlin (o. 1883, a. o. 1878), Heßstr. 2/II.
Sekretär der mathematisch-physikalischen Klasse:
Dr. Karl Ritter v. Goebel, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des K. Botanischen Gartens und des Pflanzenphysiologischen
Instituts, geb. 8. März 1855 zu Billigheim, Baden (o. 1892), Menzinger-
straße 15 (Botan. Garten).
Sekretär der historischen Klasse:
Dr. Erich Marcks, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Geschichte, geb.
17. Nov. 1861 zu Magdeburg (o. 1913, korr. 1898), Mauerkircherstr. 41.
Syndikus :
Dr. Karl Alexander v. Müller, Honorarprofessor für Geschichte an der
Universität, geb. 20. Dez. 1882 zu München, Glückstr. 12/III.
90 PersonaLstand
Bibliothek:
Bibliothekar: Dr. Adolf Hilsenbeck, Bibliothekar der K. Hof- und Staats-
bibliothek.
Kanzlei:
Kanzleisekretär: Adolf Reichel.
Diener: — —
Kassen Verwaltung:
Kassier: Hans Dehn er.
Kassesekretär: Leonhard Meier.
' Hilfsarbeiterin : Emilie E n n i c h 1.
Haus:
Hausverwalter: Joseph Ennichl.
Hausdiener und Heizer: Peter Hufnagl.
Pförtner und Hilfsheizer: Anton Schwald.
Buchhändler der Akademie:
G. Franzscher Verlag (Kgl. u. Herzogl. Bayer. Hofbuchhändler J. Roth),
Ottostr. 3 a.
91
Ehrenmitglieder.
1892 Ihre Königliche Hoheit Prinzessin The res e von Bayern.
1911 Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern.
Ordentliche und ausserordentliche Mitglieder.
Philosophisch -philologische Klasse.
Ordentliche Mitglieder
(nach dem Jahre der Wahl und nach dem Stande Ende 1917).
Dr. Ernst Kuhn (o. 1883, a. o. 1878), s. Klassensekretär S. 89.
Dr. Nikolaus Wecklein, K. Geh. Hofrat, Gymnasialrektor a. D., geb.
19. Februar 1843 zu Gänheim (o. 1887, a. o. 1872), Possartstr. 12/0.
Dr. Hermann Paul, K. Geh. Rat, o. Professor für deutsche Philologie,
geb. 7. Aug. 1846 zu Salbke bei Magdeburg (o. 1893,>U8W. 1892),
Kaulbachstr. 62a/ll.
Dr. Karl v. Amira, o. Univ. -Professor für deutsche Rechtsgeschichte,
deutsches bürgerliches Recht, Handelsrecht und Staatsrecht', geb.
8. Februar 1848 zu Aschaffenburg (o. 1901), Möhlstr. 37.
Dr. Otto Crusius (o. 1905, a. o. 1903), s. Präsident S. 89.
Dr. Franz Muncker, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für neuere insbe-
sondere deutsche Literaturgeschichte, geb. 4. Dez. 1855 zu Bayreuth
(o. 1906, a. 0. 1901), Liebigstr. 28/IV.
Dr. Paul Wolters, o. Univ.-Professor für Archäologie, geb. 1. Sept. 1858
zu Bonn (o. 1908, korr. 1903), Viktor Scheffelstr. 16/11.
Dr. Friedrich Vollmer, o. Univ.-Professor für klassische Philologie, geb.
14. Nov. 1867 zu Fingscheidt (o. 1908, a. o. 1906), Mauerkircher-
straße 26/ni.
Dr. Wilhelm Streitberg, o. Univ.-Professor für indogermanische Sprach-
wissenschaft, geb. 23. Februar 1864 zu Rüdesheim a. Rh. (o. 1911.
a. o. 1909), Isabellastr. 31/11.
Dr. Clemens Baeumker,K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Philosophie,
geb. 16. Sept. 1853 zu Paderborn (o. 1913, a. o. 1912, korr. 1909), Franz
Josephstr. 30/1.
92 Personalstand
Dr. August Heisenberg, o. Univ.-Professor für mittel- und neugriechischej
Philologie, geb. 13. Novbr. 1869 zu Osnabrück (o. 1913, a. o. 1911),f
Hohenzollernstr. 1 lO/III.
Dr. Erich Berneker, o. Univ.-Professor für slavische Philologie, geb.
3. Febr. 1874 zu Königsberg in Preußen (o. 1913, a. o. 1911), Mauer-
kircherstraße 16/11.
Dr. Friedrich "Wilhelm Frhr. v. Bissing, o. Univ.-Professor für Ägyp-
tologie und orientalische Altertumskunde, geb. 22. April 1873 zu
Potsdam (o. 1916, a. o. 1909), Georgenstr. 10.
Dr. Erich Petzet, Bibliothekar an der K. Hof- und Staatsbibliothek,
geb. 3. Mai 1870 zu Breslau (o. 1916, a. o. 1910), Clemensstr. 38/III.
Dr. Karl Vossler, o. Univ.-Professor für romanische Philologie, geb.
6. Sept. 1872 zu Hohenheim bei Stuttgart (o. 1916, a. o. 1912), Leo-
poldstr. 87/11.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Lucian Scher man, o. Univ.-Professor für Völkerkunde Asiens mit
besonderer Berücksichtigung des indischen Kulturkreises, Direktor
des K. Museums für Völkerkunde, geb. 10. Okt. 1864 zu Posen
(1912), Herzogstr. 8/11.
Dr. Joseph Schick, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für englische
Philologie, geb. 21. Dez. 1859 zu Rißtissen (1913), Ainmillerstr. 4/II.
Dr. Albert Rehm, o. Univ.-Professor für klassische Philologie und Päda-
gogik, geb. 15. August 1871 zu Augsburg (1914), Montsalvatstr. 12.
Dr. Erich Becher, o. Univ.-Professor für Philosophie, geb. 1. Sept. 1882
zu Remscheid (1916), Schackstr. 4/0 r.
Dr. Carl v. Kraus, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für deutsche Philo-
logie, geb. 20. April 1868 zu Wien (1917), Liebigstr. 28/11.
Dr. Karl Borinski, a. o. Univ.-Professor für neuere Literaturgeschichte,
geb. 11. Juni 1861 zu Kattowitz, Oberschlesien (1917), Römerstr. 26/1 1.
Dr. Paul Lehmann, a. o. Univ.-Professor für lateinische Philologie des
Mittelalters, geb. 13. Juli 1884 zu Braunschweig (1917), Trautenwolf-
straße 6/IV.
Mathematisch-physikalische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Ludwig Radlkofer, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Botanik,
Direktor des Botanischen Museums, geb. 19. Dez. 1829 zu München
(o. 1882, a. 0. 1875), Sonnenstr. 7/1.
Dr. Paul Heinrich Ritter v. Groth, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Mineralogie, Direktor der Mineralogischen Sammlung des Staates,
geb. 23. Juni 1843 zu Magdeburg (o. 1885, a. o. 1883, korr. 1881),
Kaulbachstr. 62/0.
Personalstand 93
Dr. Hugo Ritter v. Seeliger, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Astro-
nomie, Direktor der K. Sternwarte, geb. 23. Sept. 1849 zu Biala,
Österreich (o. 1887, a. o. 1883), Sternwartstr. 16.
Dr. Richard Ritter v. Hertwig, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für
Zoologie und vergleichende Anatomie, Direktor der Zoologischen
Sammlung, geb. 23. Sept. 1850 zu Friedberg (o. 1889, a. o. 1885),
Schackstr. 2/III.
Dr. Aurel Voss, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathematik,
geb. 7. Dez. 1845 zu Altona (o. 1889, a. o. 188fi), Habsburgerstr. l/II.
Dr. Walther Ritter v. Dyck, K. Geh. Rat, o. Professor für Mathematik
an der Techn. Hochschule, geb. 6. Dez. 1856 zu München (o. 1892,
a. 0. 1890), Hildegardstr. 5/III.
Dr. Karl Ritter v. Goebel (o. 1892), s. Klassen sekretär S. 89.
Dr. Ferdinand Lindemann, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Mathe-
matik, geb. 12. April 1852 in Hannover (o. 1895, a. o. 1894), Kol-
bergerstr. Il/Hr.
Dr. Alfred Pringsheim, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Mathe-
matik, geb. 2. Sept. 1850 zu Ohlau, Schlesien (o. 1898, a. o. 1894),
Arcisstr. 12.
Dr. Wilhelm Konrad Röntgen, Exz., K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor
für Experimentalphysik, Direktor der Physikalisch - metronomischen
Sammlung, geb. 27. Mcärz 1845 zu Lennep (o. 1900, korr. 1896), Äußere
Prinzregentenstr. l/I.
Dr. Johannes Rückert, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Anatomie,
insbesondere deskriptive und topographische Anatomie, Direktor der
Anatomischen Sammlung, geb. 28. Dez. 1854 zu Koburg (o. 1901,
a. 0. 1893), Nußbaumstr. 12/1.
Dr. Karl Ritter v. Linde, K. Geh. Rat, Honorarprofessor für angewandte
Thermodynamik an der Techn. Hochschule, geb. 11. Juni 1842 zu
Berndorf (o. 1901, a. o. 1896), Heilmannstr. 17.
Dr. Sebastian Finsterwalder, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mathe-
matik an der Techn. Hochschule, geb. 4. Okt. 1862 zu Rosenheim
(o. 1903, a. 0. 1899), Flüggenstr. 4.
Dr. August Rothpletz, o. Univ.-Professor für Geologie und Paläonto-
logie, Direktor der Geologischen und Paläontologischen Sammlung,
geb. 25. April 1853 zu Neustadt a. H. (o. 1904, a. o. 1899), Giselastr. 6/1.
Dr. Siegmund Günther, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Erdkunde an
der Techn. Hochschule, geb. 6. Februar 1848 zu Nürnberg (o. 1905,
a. 0. 1900), Nikolaistr. l/II.
Dr. August Föppl, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Mechanik an der
Techn. Hochschule, geb. 25. Januar 1854 zu Großumstadt, Hessen
(o. 1909, a. 0. 1903), Lachnerstr. 22.
94 Personalstand
Dr. Erwin Voit, K. Geh. Hofrat, o. Univ. -Professor für Physiologie
Diätetik, geb. 16. Dez. 1852 zu München (o. 1909, a. o. 1903), Bauer-
straße 28 HI.
Dr. u. Dr. Ing. h. c. Ludwig Burmester, K. Geh. Hofrat, o. Professor
für darstellende Geometrie und Kinematik an der Techn. Hoch-
schule, geb. 5. Mai 1840 zu Othmarschen (o. 1909, a. o. 1905), Kaul-
bachstr. 83/11.
Dr. Arnold Sommerfeld, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für theore-
tische Physik, Direktor des Instituts für theoretische Physik, geb.
5. Dez. 1868 zu Königsberg i. Pr. (o. 1910, a. o. 1908), Leopold-
straße 87/111.
Dr. Max Ritter v. Gruber, K. Geh Rat und Obermedizinalrat, o. Univ.-
Professor für Hygiene und Bakteriologie, geb. 6. Juli 1853 zu Wien
(o. 1910, a. 0. 1909), Prinzenstr. 10.
Dr. Siegfried Mollier, o. Univ.-Professor für Anatomie, insbesondere
für Histologie und Entwicklungsgeschichte, Konservator der Anato-
mischen Sammlung, geb. 19. Juli 18G6 zu Triest (o. 1911, a. o. 1908),
Vilshofenerstr. 10.
Dr. Erich v. Drygalski, o. Univ.-Professor für Geographie, geb. 9. Febi*
1865 zu Königsberg i. Pr. (o. 1912, a. o. 1909), Gaußstr. 6.
Dr. Otto Frank, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Physiologie,
Direktor des Physiologischen Instituts, geb. 21. Juni 1865 zu Groß-
urastadt, Hessen (o. 1912, a. o. 19*9), Haydnstr. 5/II.
Dr. u. Dipl.-Ing. h. c. Max Schmidt, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Geo-
däsie und Topographie an der Techn. Hochschule, geb. 17. März
1850 zu Tambach (o. 1913, a. o. 1911), Franz Josephstr. 13/111.
Dr. Richard Willstätte r, K. Geh. Hofrat, o. Professor für Chemie,
Direktor des Chemischen Laboratoriums des Staates, geb. 13. Aug.
1872 zu Karlsruhe (o. 1915, korr. 1914), Arcisstr. 1.
Dr. Emanuel Kayser, K. Preuß. Geh. Reg.-Rat, emerit. Univ.-Professor für
Geologie und Paläontologie, geb. 26. März 1845 zu Königsberg i. Pr.
(o. 1917, korr. 1916), Giselastr. 29/1.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Robert Emden, a. o. Professor für Physik und Meteorologie an der
Techn. Hochschule, geb. 4. März 1862 zu St. Gallen (1916), Habs-
burgerstr. 4/0.
Dr. Ernst Frhr. Stromer v. Reichenbach, a. o. Univ.-Professor für
Paläontologie und Geologie, geb. 12. Juni 1871 zu Nürnberg (1916),
Schönfeldstr. 26/111.
Dr. Heinrich Wieland, o. Professor für Clieraie an der Technischen Hoch-
schule, geb. 4. Juni 1877 zu Pforzheim (1916), Romanstr. 18/1.
i
Personalstand 95
Dr. Heinrich Liebmann, o. Professor für Mathematik an der Technischen
Hochschule, geb. 22. Oktober 1874 zu Straßburg i. E. (1917), Krum-
bacherstraöe 6/o.
Dr. Jonathan Zenneck, o. Professor für Experimentalphysik an der Tech-
nischen Hochschule, geb. 15. April 1871 zu Ruppertshofen (Württem-
berg) (1917), Gedonstr. 6/III.
Historische Klasse.
Ordentliche Mitglieder:
Dr. Sigmund Ritter v. Riezler, K. Geh. Rat, emerit. Univ. -Professor
für bayer. Landesgeschichte, geb. 2. Mai 1843 zu München (o. 1888,
a. 0. 1877), K. Maximilianeum.
Dr. Franz Ritter v. Reber, K. Geh. Rat, emerit. Professor für Kunst-
geschichte an der Technischen Hochschule, K. Zentralgemäldegalerie-
direktor a. D., Honorarprofessor an der Universität, geb. 10. Nov.
1834 zu Cham, Opf. (o. 1890, a. o. 1887), Kaulbachstr. 31/0 1.
Dr. Hermann Ritter v. Grauert, K. Geh. Rat, o. Univ.- Professor für
Geschichte, geb. 7. Sept. 1850 zu Pritzwalk i. d. Ostpriegnitz (o. 1899,
a. o. 1898), Tengstr. 35/11.
Dr. Lujo Brentano, K. Geh. Rat, o. Univ.-Professor für Nationalökonomie,
- Finanz Wissenschaft und Wirtschaftsgeschichte, geb. 18. Dez. 1844 zu
Aschaffenburg (1901), Mandlstr. 5/0.
Dr. Hans Prutz, K. Preuß. Geh. Reg.- Rat, emerit. Univ.-Professor für
Geschichte, geb. 20. Mai 1843 zu Jena (1902), Reitmorstr. 52/111.
Dr. Heinrich Wölfflin, K. Preuß. Geh. Reg.-Rat, o. Univ.-Professor für
Kunstgeschichte, geb. 21, Juni 1864 zu Winterthur (1912), Widen-
mayerstraße 26/III.
Dr. Adolf Sandberger, o. Univ.-Professor für Musikwissenschaft, geb.
19. Dez. 1864 zu Würzburg (o. 1912, a. o. 1902), Prinzregentenstr. 48/1.
Dr. Erich Marcks (o. 1913, korr. 1898), s. Klassensekretär S. 89.
Dr. Leopold Wenger, o. Univ.-Professor für römisches und deutsches
bürgerliches Recht, geb. 4. September 1874 zu Obervellach in Kärnten
(o. 1914, a. 0. 1912), Kaulbachstr. 12 G.G.
Dr. Michael Doeberl, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für bayer. Landes-
geschichte, geb. 15. Januar 1861 zu Waldsassen (o. 1915, a. o. 1903),
Schönfeldstr. 6/111.
Dr. Robert Davidsohn, geb. 26. April 1853 zu Danzig, K. Preuß.
Professor (o. 1915, korr. 1909), Prinz Ludwigstr. 9 (Pension Zierhut).
96
Personalstand
Dr. Georg Leidinger, Oberbibliothekar an der K. Hof- und Staats-
bibliothek, geb. 30. Dez. 1870 zu Ansbach (o. 1916, a. o. 1909), Lotz-
beckstr. 6/1.
Ausserordentliche Mitglieder:
Dr. Ludwig Quidde, K. Preuß. Professor, geb. 23. März 1858 zu Bremen
(1892), Gedonstr. 4/1. ||
Dr. Georg Habich, Direktor des K. Münzkabinetts, Honorarprofessor ■"
an der Universität, geb. 24. Juni 1868 zu Darmstadt (1910), Schön-
feldstr. 20/11.
Dr. Georg Hager, K. Generalkonservator der Kunstdenkmale und Alter-
tümer Bayerns, geb. 20. Okt. 1863 zu Nürnberg (1911), Kochstr. 18/11.
Dr. Theodor Bitterauf, Professor für Geschichte an der K. Kriegs-
akademie, Honorarprofessor an der Universität, geb. 7. Okt. 1877 zu
Nürnberg (1914), Viktoriastr. 9/111.
Dr. Walther Lotz, K. Geh. Hofrat, o. Univ.-Professor für Finanzwissen-
schaft, Statistik und Nationalökonomie, geb. 21. März 1865 zu Gera
(1917), Mandlstr. 5/11.
t^ersonalstand
97
Auswärtige und korrespondierende Mitglieder
nach den drei Klassen (bzw. Sektionen derselben), in alpha-
betischer Ordnung.
Die Zahl vor dem Namen bezeichnet das Jahr der Wahl in die Akademie.
Die auswärtigen Mitglieder sind mit * bezeichnet.
Abgeschlossen am 25. Januar 1918.
I. Philosophisch -philologische Klasse.
1912 Behaghel Otto, Gießen
1908 Bezold Carl, Heidelberg
1916 Blümner Hugo, Zürich
1907 BoU Franz, Heidelberg
1904 Braune Wilhelm, Heidel-
berg
1895 Brugmann Karl, Leipzig
1911 Bulle Heinrich, Würzburg
1879 Comparetti Domenico,
Florenz
1910 Cumont Franz, Rom
*1890 Delbrück Berthold, Jena
1898 Diels Hermann, Berlin
1917 Erdmann Benno, Berlin
1896 Er man Adolf, Berlin
1901 Evans Arthur J., Oxford
1913 Fischer Hermann v., Tü-
bingen
1880 Foucart Paul, Paris
1888 Geiger Wilhelm, Erlangen
1900 Götz Georg, Jena
1916 Goldziher Ignaz, Budapest
1906 Grenfell Bernard P., Ox-
ford
Jahrbuch 1917.
1899 Grünwedel Albert, Berlin
1913 Heiberg Ludwig, Kopen-
hagen
*1899 Hertling Georg, Graf v.,
Berlin
1910 Hillebrand Alfred, Breslau
*1897 Hirth Friedrich, New- York
1912 HülsenChristian,Heidelberg
1909 Hunt Arthur, Oxford
1905 H u s s e r 1 Edmyud, Göttingen
*1884 Imhoof-Blumer Friedrich,
Winterthur
1907 Jacob Georg, Kiel
1909 Jacobi Hermann, Bonn
*1891 Jagic Yatroslav v., Wien
1886 Jolly Julius, Würzburg
1915 Karabacek Josef, Ritter v.,
Wien
1910 Kenyon Frederick George,
London
1909 Kluge Friedrich, Freiburg
im Breisgau
1907Lampros Spyridion P.,
Athen
7
9Ö
Person alstand
1903
1908
1892
1903
^879
1905
1904
1917
1915
1914
1906
1897
1916
1889
1895
Lenel Otto, Freiburg i. Br. 1913
Liebermann Felix, Berlin 1886
Luchs August, Erlangen
Mitteis Ludwig, Leipzig * 1890
Nöldeke Theodor, Straß- 1895
bürg i. E. 1904
Noreen Adolf, Upsala
Omont Henri, Paris 1893
Rick er t Heinrich, Heidel- 1904
berg
Robert Carl, Halle *1888
Sauer August, Prag
Schlumberger Gustave, 1905
Paris 1917
Schuchardt Hugo, Graz 1900
Seemüller Joseph, Wien 1908
Sievers Eduard, Leipzig
Söderwall Knut Fredrik,
Lund
Stähl in Otto, Erlangen
Steinmeyer Elias v.. Er-
langen
Stumpf Carl, Berlin
Sweet Henry, Oxford
Thomsen Vilhelra, Kopen-
hagen
Vitelli Girolamo, Florenz
Wilamowitz-Moellen-
dorff Ulrich v., Berlin
W immer Ludvig, Kopen-
hagen
Windisch Ernst, Leipzig
Wissowa Georg, Halle a. S.
Wundt Wilhelm, Leipzig
Zielinski Thaddäus, St. Pe-
tersburg.
II. Mathematisch -physikalische Klasse.
Astronomie und Geodäsie.
1911 Bauschinger Julius, Straß-
burg i. E.
1897 Bruns Ernst Heinr., Leipzig
1892 Förster Wilhelm, Berlin
1912 Struve Hermann, Berlin
1882 Brill Alexander, Tübingen
1903 Hilbert David, Göttingen
1879 Klein Felix, Göttingen
1880 Königsberger Leo, Heidel
berg
1912 Mittag -Leffler Gustav,
Stockholm
Mathematik.
1895 Neu mann Karl, Leipzig
1887 Noether Max, Erlangen
1912 Schwarz Hermann Aman-
dus, Berlin
1910 Zeuthen Hieronymus, Ko-
penhagen.
Physik.
1910 Hann Julius, Wien
1895 Lorentz Hendrik Antoon,
Haarlem
1912 N ernst Walter, Berlin
1911 Planck Max, Berlin
1873 Quincke Georg Hermann,
Heidelberg
1890 Rayleigh, Lord John Wil-
liam Strutt, London
1888 Reck nag el Georg, Augsburg
Personalstand
dd
1911 Rutherford Ernest, Man-
chester
1907 Thomson, Sir Joseph John,
Cambridge (England)
1 909 Voigt Woldemar, Göttingen
1905 War bürg Emil, Charlotten-
burg
1907 Wien Wilhelm, Würzburg.
Chemie.
1910 Ciamician Giacomo, Bo- 1909 Haller Albin, Paris
logna
1888 Claisen Rainer Ludwig,
Godesberg a. Rh.
1907 Curtius Theodor, Heidel-
berg
1880 Fischer Emil, Berlin
1884 Fischer Otto, Erlangen
1878 GraebeKarl, Frankfurta.M.
1917 Haber Fritz, Berlin
*1910 Hofmann Karl, Charlotten-
burg
1910 Paternö di Sessa Ema-
nuele, Rom
1911 Perkin William Henry, Ox-
ford
1901 Thiele Johannes, Straß-
burg i. E.
Physiologie.
1912 Einer Siegmund, Wien
1916 Frey Max v., Würzburg
1885 Hensen Viktor, Kiel
1901 Hering Ewald, Leipzig
1911 Kri es Johannes, v. Freiburg
i. Br.
1913 Langley John Newport,
Cambridge (England)
1914 Rubner Max, Berlin.
Zoologie und Anatomie.
1900 Bütschli Otto, Heidelberg 1896 Schulze Franz Eilhard,
1903 Fürbringer Max, Heidel- Berlin
berg 1896 Waldeyer- Hartz Wil-
*1870 Häckel Ernst, Jena heim v,, Berlin
1897 Hertwig Oskar, Berlin 1910 Wilson Edmond Beecher,
1899 Retzius Gustav, Stockholm New- York.
1911 Roux Wilhelm, Halle
Botanik.
1909 Bower Frederick Orpen,
Glasgow
1902 Eng 1er Adolf Gustav Hein-
rich, Berlin
1913 HaberlandtGottlieb.Berlin
1916 Klebs Georg, Heidelberg
1908 Nawaschin Sergius, Kiew
1880 Pfeffer Wilhelm, Leipzig
1909 Prain David, Kew
1880 Schwendener Simon,
Berlin
1906 Stahl Ernst, Jena
1900 Vries Hugo de, Lunteren
(Holland)
1893 Warming Eugen, Kopen-
hagen
1914 Wettstein Richard, Ritter
von Westersheim, Wien
7*
löö
Personalstand
Mineralogie, Geologie und Paläontologie.
1899
1898 Barrois Charles, Lille
1913 Becke Friedrich J. K., Wien
1902 Br0gger Waldemar Chri- 1910
stofer, Christiania
1891 Capellini Giovanni, Bo- 1912
logna
1896 Fedorow Eugraf v., St. Fe- 1910
tersburg
1910 Fletcher Lazarus, London 1910
1895 Geikie, Sir Archibald,
London 1870
1907 Gilbert Karl Grove, Wash- 1912
ington
Erdkunde.
1909 Part seh Joseph, Leipzig 1882
1909 Penck Albrecht, Berlin 1911
Karpinskij Alexander, St.
Petersburg
Miers Henry Alexander,
London
Nathorst Alfred Gabriel,
Stockholm
Osborn Henry Fairfield,
New- York
Scott Dukinfield Henry,
London
T seh ermak Gustav v.,Wien
Willis Bailey, Chicago.
I
Schweinfurth Gg., Berlin
Wieehert Emil, Göttingen.
III. Historische Klasse.
1904 Below Georg v., Freiburg
i. Br.
1910 Bernheim Ernst, Greifswald
1881 Bezold Friedrich v., Bonn
1891 Bode Wilhelm v., Berlin
1887 Br esslau Harry, Straßburg
i. E.
1895 Bücher Karl, Leipzig
1898 Chuquet Arthur, Paris
1892 Cipolla Carlo, Graf, Turin
1904 D'A venel Georges, Vi eomte,
Paris
1882 Dehio Georg Gottfried,
Straßburg i. E.
1890 Duchesne Louis, Rom
1903 Fester Richard, Halle a. S.
1909 FinkeHeinr., Freiburg i.Br.
1901 Fournier Paul, Grenoble
1916 Friedjung Heinrich, Wien
1903 Gierke Otto v., Berlin
1904 Goetz Walter, Leipzig
1916 Gothein Eberhard, Heidel-
berg
1897 Harnack C. G. Adolf v.,
Berlin
1902 Hauck Albert, Leipzig
1914 Hintze Otto, Berlin
1916 Hirschfeld Otto, Berlin
1888 Kaufmann Georg, Breslau
1902 Knapp Georg Friedrich,
Straßburg i. E.
1890 Lenz Max, Hamburg
1906 Luschin Arnold, Ritter von
Ebengreuth, Graz
1912 Mahaffy John P., Dublin
1911 Mein ecke Friedrich, Berlin
1895 Meyer Eduard, Berlin
1890 Meyer v. Knonau Gerold,
Zürich
1904 Monaei Ernesto, Rom
1888 Müller Karl Ferd. Friedr.v.,
Tübingen
1898 Oberhummer Eugen, Wien
1908 Ottenthai Emil v., Wien
1902 Pais Ettore, Ron^
1
Personalstand
101
1912 Pirenne Henri, Gent
1884
1909 Redlich Oswald, Wien
1870 Ritter Moriz, Bonn
1911
1908 Schäfer Dietrich, Berlin
1908
1913 Schanz Georg v., Würzburg
1903
1912 Schulte Alois, Bonn
1908
1906 Strzygowski Joseph, Graz
1917 Stutz Ulrich, Berlin
*1915
1913 Tangl Michael, Berlin
1891
1914 Troelt seh Ernst, Berlin
1917
U 1 m a n n Heinrich , Darm-
stadt
Valois Noel, Paris
Venturi Adolfo, Rom
Vi 8 eher Robert, Wien
Vogüe Charles Jean Mel-
chior, Marquis de, Paris
Wilcken Ulrich, Berlin
Winter Gustav, Wien
Wlassak Moriz, Wien.
Besondere Kommissionen
bei der K. Akademie der Wissenschaften.
I. Kommission für die Herausgabe der Monumenta Boica.
Mitglieder
auf unbestimmte Zeit gewählt:
Marcks, Vorsitzender Riezler v. Grauert v.
Doeberl Leidinger
Petz Dr. Johann, K. Geh. Reichsarchivrat, Redakteur und Schriftführer.
Hilfsarbeiter: Dr. Steinberger Ludwig, Privatdozent
Dr. Bastian Franz.
2. Historische Kommission.
I. Ordentliche
Ritter Moriz, Bonn, Vorsitzender
1898 (a. 0. 1883)
Marcks Erich, München, Sekretär
1914
Bezold Friedrich v., Bonn 1892
(a. 0. 1883)
Meyer v. Knonau Gerold, Zürich
1894
Lenz Max, Hamburg 1894
Grauert Hermann v., München 1901
Winter Gustav, Wien 1901
Hauck Albert, Leipzig 1903
Below Georg v., Freiburg i. Br. 1903
Mitglieder:
Quidde Ludwig, München 1907
(a. 0. 1887)
Redlich Oswald, Wien 1908
Goetz Walter, Leipzig
1913 (a. 0. 1911)
Brandenburg Erich, Leipzig 1913
(a. o. 1911)
Beckmann Gustav, Erlangen 1914
(a. 0. 1903)
Meinecke Friedrich, Berlin 1916
Schulte Alois, Bonn 1916.
Kehr Paul, Berlin 1917
Hansen Josef, Bonn 1917
1 02 Personalstand
II. Ausserordentliche Mitglieder:
Herre Hermann, München 1903 Müller Karl Alexander v. 1916.
Leidinger Georg, München 1916
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in München : .
Bauckner Dr. Arthur.
3. Kommission für die Savigny-Stiftung
(auf unbestimmte Zeit gewählt).
Amira v., Vorsitzender Brentano
Grauert v. Wenger.
4. Kuratorium für die Liebig-Stiftung.
Crusius, Vorsitzender S oxhl et Dr. Franz v., Schriftführer
Goebel v., Vertreter des Vor- Radlkofer Ludwig
sitzenden Brentano Lujo
Liebig Hans Frhr. v., Privatdozent für Chemie in Gießen, als Vertreter
der Familie.
Femer die gegenwärtigen Inhaber der goldenen Liebig-Medaille:
Settegast Dr. H., Geh. Regierungsrat, Professor, Berlin
Kellner Dr. 0., Geh. Hofrat, Professor, Möckern bei Leipzig
Frank Dr. Adolf, Geh. Hofrat, Professor, Charlottenburg
Rubner Dr. Max, Geh. Medizinalrat, Professor, Berlin
Kraus Dr. Karl, Geh. Hofrat, Professor an der Techn. Hochschule, München
König Dr. Joseph, Geh. Regierungsrat, Professor, Münster in Westf.
5. Kommission für den Zographos-Fonds
(auf je drei Jahre gewählt).
Wecklein Wolters
Crusius Heisenberg.
6. Kommission für die Münchener Bürger- und Cramer-Klett-Stiftung.
Crusius Seeliger v.
Goebel v. Hertwig v.
Groth V.
7. Kommission für die Thereianos-Stiftung
(auf je drei Jahre gewählt).
Kuhn, Vorsitzender Wolters
Crusius Heisenberg
Wecklein Wenger.
Personalstand 103
8. Kommission für die Hardy-Stiftung.
Crusius Scherman
Kuhn Streitberg
9. Kommission für die Koenigsstiftung zum Adolf von Baeyer-
Jubiläum.
Crusius Wieland
Goebel v. Willstätter.
10. Kommission für die Wilhelm Koenigs-Stiftung
für botanische und zoologische Forschungen und Forschungsreisen.
Crusius Hertwig v.
Goebel v.
II. Kommission für den Hitl'schen Fonds zur Förderung
der Medaillenkunst.
Crusius Otto Diez Julius, Professor
Hitl Georg, Hof rat Hab ich Georg
Frauendorfer Heinrich v., Mayr-Graz Karl, Kunstmaler
Staatsminister a. D. Hahn Hermann, Professor.
12. Kommission für die Heinr. v. Brunck-Stiftung.
Crusius Wieland
Goebel v. Willstätter.
13. K. B. Kommission für die internationale Erdmessung.
Mitglieder:
Crusius, Vorsitzender Finsterwalder
Seeliger v., Sekretär und Stell- Schmidt
Vertreter des Vorsitzenden Großmann Ernst, K.Konservator.
Kustos: — —
Technischer Offiziant: — —
14. Mitglieder der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae
historioa
von der K. B. Akademie gewählt am 5. März 1876 und 9. Februar 1895
ohne Begrenzung der Funktionsdauer.
Riezler v.
Steinmeyer v., korr. Mitglied der philosophisch-philologischen Klasse.
104 Personalstand
15. Kommission für die Herausgabe des Thesaurus linguae Latinae.
Vollmer, Vertreter der K. Akademie der Wissenschaften in München,
z. Z. Vorsitzender.
Thesaurus-Büro:
Dittmann Dr. Georg, K. Preuß. Gymnasialprofessor in Urlaub, General-
redaktor
Hey Dr. Oskar, K. Gymnasial professor in Urlaub, Sekretär.
Assistenten: Dr. Bannier, Dr. Bacherler,
Dr. Hofmann, Brandt,
Dr. Wulff, Müller,
Dr. Eubenbauer, Dr. Leo.
Assistentinnen: Frl. Dr. Eapp, Frl. Dr. Robb er t.
Offizial: Frey.
16. Kommission für die Herausgabe einer Enzyklopädie
der mathematischen Wissenschaften.
Dyck Dr. Walter v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften, z. Z. Vorsitzender
Seeliger Dr. Hugo v., Vertreter der K. Bayer. Akademie der Wissen-
schaften.
17. Kommission für die Herausgabe der BibiiotheksIcataJoge
des Mittelalters.
Grauert v. Vollmer Leidinger
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Lehmann.
18. Kommission für das Corpus griechischer Urkunden.
Crusius Grauert v. Heisenberg
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Marc Paul.
19. Kommission für die Herausgabe von Wörterbüchern
der bayerischen Mundarten.
Kuhn, I.Vorsitzender Streitberg, 2. Vorsitzender
Riezler v. Berneker
Amira v. Muncker.
Paul
Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter: Dr. Mausser Otto, Privatdozent.
1
.1
1
Personalstand 105
20. Kommission für die Samsonstiftung.
Gruber v., Vorsitzender Bücker t
G 0 e b e 1 V. , stell vertr. Vorsitzen der Mollier
Crusius Voit
Kuhn Araira v.
Marcks Riezler v.
Hertwig v. . • Frank.
21. Kommission für die von Dapper-Saalfels-Stiftung.
Crusius Frank
Goebel v. Rückert
Hertwig v. Gruber v.
22. Kommission für Höhlenforschung in Bayern.
Crusius Schlosser, K, Professor und
Hager Konservator
Birkner, K. Professor und
Konservator.
23. Vertreter der Al<ademie für das Ägyptische Wörterbuch.
Bissing Frhr. v.
106
Bericlite und Protokolle
akademischer Kommissionen.
Bericht der Eommission für den Thesaurus linguae latinae
in der Zeit vom 1. April 1916 bis 31. März 1917.
1. Die Kommission hat, da keine dringende Veranlassung
vorlag, auch im Jahre 1916 keine Zusammenkunft abgehalten
und die Frühjahrsitzung 1917 einstweilen vertagt.
2. Die Kriegsumstände haben die Zahl der Mitarbeiter
noch immer bei niedrigem Bestände belassen: zwei Assistenten
standen im Felde, einer und der 2. Redaktor im Garnison-
dienste. Der letztere, Dr. Jachmann, tritt zum 1. April 1917
von seinem Amte zurück, da er als Extraordinarius nach
Göttingen berufen worden ist. Seine Stelle bleibt nach Be-
schluß der Kommission einstweilen unbesetzt.
Die Drucklegung litt unter großen Störungen, da die
Teubnersche Offizin durch Mangel an Arbeitskräften stark
bedrängt wurde: so häuft sich langsam im Bureau eine Menge
ungedruckten Manuskriptes an. Es besteht die Hoffnung, daß
im Mai 1917 der Druck wieder aufgenommen wird.
3. Die Beiträge der Regierungen und Akademien sind
wie bisher eingelaufen: die Kommission sagt dafür an dieser
Stelle ganz besonders Dank.
4. Laut den Halbjahrberichten des Herrn Generalredaktors
sind im Arbeitsjahre 1916 — 1917 fertiggestellt worden 10 Bogen,
Band V bis diversus, Band VI bis findo, das Onomasticon bis
Diocles, in Fahnen stehen noch etwa 5 Bogen. Im Manuskript
fertig sind die Artikel bis zum Schlüsse von D, im Bande V
bis foedus, das Onomasticon bis Vomlssus.
Kommissionsberichte 107
5. Im Jahre 1916 betrugen
die Einnahmen (inkl. Sparfonds von 5500 M.) . M. 49036.99
die Ausgaben (inkl. Sparfonds von 8500 M.) . . M. 48730.38
Überschuß M. 306.61
Die als Reserve für den Abschluß des Druckes vom
Buchstaben P an bestimmte Wölfflin- Stiftung betrug am
I.Januar 1917 M. 72700.—.
6. Übersicht über den Finanzplan für 1917.
Einnahmen:
Beiträge der Akademien und gelehrten Gesellschaften
(einschließlich der Sonderbeiträge von Berlin
und Wien) M. 31000.—
Beitrag der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg , 600.—
Giesecke-Stiftung 1917 , 5000.—
Zinsen, rund , 150. —
Honorar von Teubner für 40 Bogen (4 Onomastiken) . , 6064. —
Stipendien und Beiträge anderer Staaten . . . „ 4700.—
Summe M, 47 514.—
Ausgaben:
Gehälter M. 31000.—
Laufende Ausgaben , 3600.—
Honorar (40 Bogen) , 3200. —
Verwaltung (inkl. Angestellten- Versicherung) . . ., 5000.—
Exzerpte und Nachträge , 1000.—
Unvorhergesehenes , 500.—
Sparfonds , 3000 —
Summe M. 47200.—
Voraussichtlicher Überschuß M. 314. —
Berlin, ööttingen, Leipzig, München, Wien,
1. April 1917.
Diels. Hauler. Heinze. Lommatzsch.
Norden. Reitzenstein. Vollmer.
108 Kommissionsberichte
Bericht über den Fortgang der Arbeiten bei der Eom*
mission für die Herausgabe der mittelalterlichen Biblio-
thekskataloge Deutschlands und der Schweiz
in der Zeit vom Mai 1916 bis Mai 1917.
Der Unterzeichnete widmete seine Hauptarbeitskraft der
Drucklegung des 1. Bandes. Mannigfaltige Schwierigkeiten,
die durch die Kriegsverhältnisse hervorgerufen wurden, ver-
zögerten den Abschluß. Nunmehr ist das Erscheinen noch
im Laufe dieses Jahres so gut wie sicher.
Im übrigen wurde unsere Katalogsammlung bereichert
durch Forschungen, die unser Mitarbeiter Dr. F. Schillmann
neben seiner militärischen Wirksamkeit in den Archiven und
Bibliotheken von Braunsberg, Guttstadt, Frauenburg,
Königsberg mit gutem Erfolge anstellte. Dr. L. Bertalot
(Pasing) lieferte die Abschrift eines von ihm in der Univer-
sitätsbibliothek zu Jena gefundenen, bisher nicht bekannten
Verzeichnisses. Der unterzeichnete Redaktor selbst arbeitete
gelegentlich im K. Reichsarchiv zu München und an nach
München übersandten bibliotheksgeschichtlich wichtigen Hand-
schriften der K. Bibliothek zu Hannover, der K. Univer-
sitätsbibliothek zu Leipzig und des Herzogl. Landeshaupt-
archivs zu Wolfenbüttel. Die Herren Dr.Dr. F. Behrend
(Berlin, Deutsche Kommission), Rest (Freiburg i. B.), L.
Steinberger (München), W. Stammler (Hannover) ver-
pflichteten uns durch Einzelhinweise zu Dank. Über die
Finanzen unterrichtet kurz die folgende Abrechnung.
München, 31. Mai 1917. Der Redaktor:
Dr. Paul Lehmann.
Slommissiousbericlite
109
Abrechnung für 1916.
Einnahmen.
Ausgaben,
Überschuß vom Jahre 1915
Beitrag Berlin ....
„ Göttingen . . .
„ Leipzig
, München . . .
5132
800
600
1000
2000
e5
36
Gehalt des Redaktors .
Honorare
Reisen .
Portoauslagen ....
Kleine Auslagen . . .
2550
413
42
10
23
60
04
02
Summe
9432
36
Summe
3038
66
Abgleichang.
Einnahmen 9432.36 ►*
Ausgaben 3038.66 ,
Rest und Übergang auf das Jahr 1917 . 6393.70 e^
110 Kommiasionsbericlite
Bericht des Sekretärs Geh. Eates E. Marcks über die
57. Vollversammlung der Historischen Kommission.
Die Kommission hat ihre Tagung diesesmal vom 30. Mai
bis zum 1. Juni abgehalten. Der unterzeichnete Sekretär führte
an der Stelle des durch Gesundheits- und Kriegsrücksichten
ferngehaltenen Vorstandes, Herrn M. Ritter in Bonn, den Vor-
sitz. Gleich dem Vorstande hatten die Herren von Below
in Freiburg, von Bezold in Bonn, Friedrich in München,
Goetz in Leipzig (zur Zeit im Felde), Herre in München,
Meyer von Knonau in Zürich, Redlich und Winter in
Wien sich entschuldigen müssen. Anwesend waren von ordent-
lichen Mitgliedern die Herren Beckmann aus Erlangen,
Brandenburg aus Leipzig, von Grauert aus München,
Hauck aus Leipzig, Lenz aus Hamburg, Marcks aus Mün-
chen, Meinecke aus Berlin, Quidde und von Riezler aus
München, Schulte aus Bonn; von außerordentlichen die
Herren Leidinger, Mayr und von Müller aus München.
Auch in den Jahren 1916 — 17 hat die Last des Krieges
schwer auf den Arbeiten der Kommission gelegen. Der größere
Teil der Mitarbeiter stand noch immer im Heeresdienste oder
in verwandter Kriegsverwendung sei es publizistischer sei es
administrativer Art: die Namenliste im Bericht des Vorjahres
wäre auch diesesmal beinahe ganz zu wiederholen. Der Zu-
gang zu manchen Handschriften war abgeschnitten, die Tätig-
keit der Druckereien verlangsamt. So liegt von fertigen Werken
nur die zweite Hälfte des 13. Bandes der Reichstagsakten
älterer Reihe vor. Im Druck befinden sich die Augsburger
Chroniken von Paul Hektor Mair, bearbeitet von Fr. Roth,
und die Briefe und Akten zur Geschichte des 30jährigen
Krieges, bearbeitet von W. Goetz (1625). Die im Laufe be-
findlichen Unternehmungen sind fortgeführt worden, so gut es
jetzt eben ging, mehrere mit erheblicher Förderung, ganz ge-
ruht hat erfreulicherweise nicht eine.
Kommissionsbericlite 111
Für die Allgemeine Deutsche Biographie, deren Ge-
schichte A. Bettelheims Liliencronbiographie soeben erzählt
hat, wurde die Anfertigung eines Autorenregisters beschlossen,
das einem oft geäußerten Bedürfnisse der Gelehrtengeschichte
abhelfen wird.
Für die Geschichte der Wissenschaften hat Professor
Würschmidt, trotz seiner Berufung von Erlangen nach Kon-
stantinopel, die Bearbeitung des 2. Hauptteiles seiner Geschichte
der Physik (1842 — 1900) fortgesetzt und eine Anzahl von
Kapiteln geschrieben.
Für die Humanistenbriefe hat nur Privatdozent Dr. E.
König tätig sein können. Er hat die Stoffsammlung für den
Sachkommentar zu den Peutingerbriefen im Wesentlichen ab-
geschlossen.
In der Abteilung Chroniken der Quellen und Erörte-
rungen zur bayerischen und deutschen Geschichte
hofft Oberbibliothekar Leidinger der nächsten Tagung be-
stimmte Vorschläge für eine Ausgabe der Quellen des Landshuter
Erbfolgekrieges vorlegen zu können. In der Abteilung Ur-
kunden stockte der Fortschritt, da Professor Bitterauf durch
Kriegsverwendung beim Auswärtigen Amte verhindert war, den
ältesten Kodex der Traditionen des Hochstifts Passau zu Ende
zu bearbeiten. Die Drucklegung der Arbeiten des Domvikars
Heuwieser (Traditionsbuch des Passauer Domkapitels) und
des Dr. J. Widemann (Regensburger Traditionen) muß auf
die Vollendung des Bitteraufschen Abschnittes warten.
Aus den Chroniken der deutschen Städte wird der
1. Halbband der Augsburger Chroniken von P. H. Mair in
kurzem ausgegeben, der Druck des 2. Halbbandes dann so-
gleich begonnen werden. Währenddessen wird der Herausgeber
Professor Fr. Roth das Sachregister für sämtliche Augsburger
Bände herstellen.
Für die Jahrbücher des deutschen Reichs hat Dr. Ma-
thilde ühlirz Otto III., Professor Fedor Schneider Friedrich I.
weiter bearbeitet, beide indessen mit vielerlei Beschränkungen
und Behinderungen durch den Krieg. Geheimrat K. Hampe
112 Kommissionsberichte
mußte Friedrich IL hinter historisch -politische Gegenwarts-
aufgaben zurücktreten lassen. Professor P. Schweizer hat
von der Geschichte König Adolfs von Nassau beträchtliche
Teile erledigt; er wird diese Regierung in einem Sonderbande
zusammenfassen. Professor Fr. Vigener hat, infolge militä-
rischer Behinderung, für Karl IV. nicht arbeiten können.
Für die ältere Reihe der Reichstagsakten hat Pro-
fessor G. Beckmann, von Dr. Andernacht unterstützt, ab-
gesehen von der Herausgabe des 13. Bandes, 2. Hälfte, auch
Register und Vorwort zu diesem Bande bis an die Schwelle
der Drucklegung herangebracht. Professor H. Herre hat die
2. Hälfte des 16. Bandes im Manuskripte abgeschlossen und
damit die ihm bisher gestellte Aufgabe ( — 1442) beendet. Er
übernimmt die Weiterführung bis zum Jahre 1452. Die Sup-
plemente hat Professor L. Quidde, infolge militärischer Be-
schäftigung Dr. Bauckners, nur ganz wenig fördern können.
Für die jüngere Reihe der Reichstagsakten konnte
nur Dr. Volk weiter tätig sein.
Für die Briefe und Akten zur Geschichte des
30 jährigen Krieges hat Geheimrat W. Goetz Ausarbei-
tung und Druck für das Jahr 1625 weit gefördert, die Ar-
beiten für 1626 sollen gleich nach Kriegsende abgeschlossen
werden. Der Herausgeber ebenso wie sein neu eingetretener
Mitarbeiter Dr. Ph. Funk stehen gegenwärtig im Heere.
Dr. K. A. von Müller ist durch Verwendung beim Roten
Kreuz an der Weiterführung seines Bandes (1630) verhindert
gewesen; Professor K. Mayrs Band (1618 — 19) wird nach
Fertigstellung des Goetzischen Bandes gedruckt werden.
An den publizistischen Schriften zur Reichsgeschichte
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts haben insbesondere
Professor Beer (Reformation Kaiser Siegmunds) und Professor
Dürrwächter gearbeitet, der für 1918 das Druckmanuskript
seines Traktates in Aussicht stellt.
Die Abteilung Zolltarife hat, unter der Einwirkung des
des Kriegs, völlig ruhen müssen, für die Handelsakten des
ausgehenden Mittelalters und der beginnenden Neu-
Kommissionsberichte 113
zeit hat dagegen Professor J. Strieder seine Archivforschungen
vielseitig und wirksam weiterführen können. Unter den zahl-
reichen, von ihm besuchten süddeutschen Archiven fand er
das Münchener Reichsarchiv, das Augsburger Stadtarchiv, das
Fuggerarchiv, das Frhr. von Rehlingersche Archiv besonders
ergiebig; im Augsburger Stadtarchive hat sich, im Auftrage
der Kommission, der Archivar Dr. Hans Wiedenmann der
Bearbeitung des umfang- und aufschlußreichen Sprengschen
Notariatsarchives (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts) gewidmet.
Professor Strieder hat sich nunmehr den belgischen Archiven
zugewendet: denen in Brüssel und Antwerpen und dem be-
sonders wichtigen und von Rechts wegen nach Belgien gehö-
rigen der Ancienne Chambre des Comptes de Flandre in Lille,
dem eigentlichen Fundorte für die niederländische Finanz-
geschichte.
Im Vordergrunde der diesjährigen Tagung stand das Unter-
nehmen zur deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts, das auf
der vorjährigen zuerst erörtert worden war. Der damals einge-
setzte Ausschuß hat in einer Konferenz zu Leipzig im Oktober
1916 Umfang und Inhalt dieses Unternehmens näher beraten
und sich alsdann durch eines seiner Mitglieder mit den ent-
scheidenden Berliner Instituten in Verbindung gesetzt. Die Voll-
versammlung trat den ihr gemachten Vorschlägen in allem
wesentlichen bei und ergänzte sie durch Vorschläge für die Or-
ganisation. Der Plan dieser weit ausgreifenden und breit zu
fundierenden Veröffentlichung der „Deutschen Geschichts-
quellen des 19. Jahrhunderts" soll mit jenen Berliner In-
stituten und mit den führenden historischen Kommissionen und
Gesellschaften Deutschlands und Österreichs weiter verhandelt
werden. Ein engerer Ausschuß, bestehend aus den Herren
Brandenburg, Marcks und Meiuecke, wurde zu diesem
Zwecke bestellt; er soll zugleich daran gehen, noch vor der
nächsten Vollversammlung, der er über den Gesamtplan zu
berichten haben wird, erste Veröffentlichungen in die Wege zu
leiten.
Jahrbuch 1917.
114 ^ommissionsberickte
Fünfter Bericht der Kommission für die Herausgabe
von Wörterbüchern bayerischer Mundarten.
Der andauernde Krieg und die damit steigende Inanspruch-
nahme der Bevölkerung für militärische und Notstandsarbeiten
aller Art verringerten im Berichtsjahr die Zahl der tätigen
Sammler mehr als früher. Die durch diesen Umstand beein-
trächtigte Erhebung des mundartlichen Materials ist um so
bedauerlicher, da gerade der gegenwärtige Krieg in der Zu-
sammensetzung des kämpfenden Heeres eine mundartzerstörende
Kraft darstellt, die namentlich die Reinheit des dialektischen
Formen- und Wortbestandes beeinflußt. Nach dem Krieg muß
mit doppelter Kraft an die Ausfüllung der Lücken gegangen
werden. Aber die Wörterbuchkommission kennt die Heimat-
liebe, das Interesse und den Arbeitseifer ihrer Sammler aus
nun fünfjähriger Tätigkeit zu gut, um nicht zu den besten
Hoffnungen für die Arbeit beim Eintritt friedlicher Verhält-
nisse berechtigt zu sein. Wie stark die Teilnahme der Öffent-
lichkeit an den von der Akademie in Aussicht genommenen
Wörterbüchern ist, mag durch zwei Tatsachen bewiesen werden:
auch das Jahr 1917, in dem sich der Krieg für unser Unter-
nehmen am meisten fühlbar gemacht hat, brachte freiwillige
Neumeldungen von Sammlern, während anderseits die Frage-
bogen ins Feld verlangt wurden oder aus der Kriegszone, z. B.
aus Mazedonien, Mitarbeit für die Friedenszeit in Aussicht ge-
stellt ward.
Waren also die Verhältnisse im Jahre 1917 den Samm-
lungsarbeiten noch weniger günstig als in den Vorjahren, so
müssen wir denen, die auch heuer Fragebogen beantworteten
oder sonst Material beibrachten, zu um so größerem Dank ver-
pflichtet sein. Die Neuausgabe von Fragebogen war freilich
^ommissionsberichte 115
im Berichtsjahr schon mit Rücksicht auf die ungünstigen
Papier- und Druckverhältnisse nicht möglich. Doch wurde
mancher neue Fragebogen vorbereitet. In einem Falle mußte
eine Ausnahme gemacht werden. Die Beschlagnahme der
Glocken veranlaßte die Wörterbuchkommission nach Rück-
sprache mit Hofrat Seemüller, dem Leiter der Wörterbuch-
kanzlei in Wien, einen Sonderfragebogen zur Sammlung des
einschlägigen volkskundlichen und lexikalischen Stoffes zu ver-
senden. Der von Hofrat Seemüller und Dr. Mausser verfaßte
Fragebogen, der über die Grenzen Bayerns hinaus von großer
Wirkung war, wurde in sämtlichen Mundartgebieten Bayerns,
auch in Schwaben, verschickt. Die Beantwortung war und
ist außerordentlich rege. Nicht selten gewinnen die Einsen-
dungen die Gestalt kleiner, auch mit Abbildungen versehener
Abhandlungen.
Von den vielen Beantwortern des Fragebogens, denen schon brief-
lich unser Dank ausgesprochen wurde, müssen folgende mit besonderer An-
erkennung hervorgehoben werden: Kooperator Peter Bergmaier, Ebers-
berg (zwei sehr dankenswerte Broschüren über die Glocken der Pfarreien
Ebersberg und Ruhpolding); Archivar Herrn. Bertele, Lauingen t; Lehrer
H. Blendinger, Edelsfeld; Pfarrer Brand, Erlach; Ökonom Johann
Brandl, Maximilian; Bauer Jos. Brandmair, Derching; Lehrer Ad.
Büttner, Schwarzenbach a. S. ; Hauptlehrer K. Duraler, Großwallstadt;
Seminardirektor Job. Durmayer, Bamberg; Hauptlehrer Ad. Duschl,
Langquaid; Hausverwalter Jos. Ennichl, München; Zollinspektor A.
Fasold, München; Landwirt C. Fuchs, Oberfladungen; Propst Hage-
mann, Niedermarsberg; Lehrerin Linda Heigl, München; Kaplan Hö-
ninger, Hagen (Westf.); Hauptlehrer Ph. Kaiser, Frankenthal; Ober-
briefträger a. D. Wilh. Kaiser, Ludwigshafen; Konrektor Dr. Ph. Keiper,
Regensburg; Kommerzienrat Wilh. Ludowici, Jockgrim (Pf.); Lehrer
Ad. Müller, Spesbach; Lehrer Chr. Neu, Breitfurt; Steuer Verwalter
Gg. Ollinger, Riedenburg; Gust. Pappen berger, Schwab münchen;
Volksschullehrer Ltn. d. R. A. Reichold, im Felde; Bäcker-Obermeister
Reitmayer, Günzburg; Pfarrer K. Ried, Cronheim; Hauptlehrer Fr.
Roth, Frankenthal; Frau Rentiere M. Scheicher, Traunstein; Gym-
nasialassistent Dr. M. Schmid, Ettal; Fräulein M. Schnepf, Traun-
stein; Postadjunkt Gg. Schoßer, Hengersberg; Hauptlehrer K. Schulte s,
Münnerstadt; Redakteur A. Schuster, Bamberg; Anwe-sensbesitzer Jos.
Sefehlner, Obernzeil; Bernh. Stark, Münclien; Hauptlehrer Frz.
116 Kommissionsberichte
Staub, Geldersheim; Hauptlehrer Jul. Ulbricli, Mußbach; Hausbesitzer
Gg. Weiß, Altfalter; Lehrer K. Wenz, Elmstein; Privatier Ad. Wolfs-
heimer, Planegg; Oberlehrer a. B. Fried. Wüst, Landau; Pfarrer A.
Zahn, Mainroth; Hauptlehrer K. Ziegler, Ippesheim.
Die wissenschaftlichen Arbeiten der Kanzlei, deren Be-
setzung die nämliche blieb wie im Vorjahr, konnten im vollen
Umfange weitergeführt werden. Sie betrafen wie immer, außer
der Herstellung neuer Fragebogen, die Bearbeitung des ein-
gelaufenen Stoffes nach verschiedenen lexikalischen Gesichts-
punkten, die Mundartgrammatik und die Mundartgeographie
sämtlicher Dialektgebiete des Königreichs. Ein ausführlicher
Bericht, der allein zweckdienlich ist, kann erst später ge-
geben werden.
1. Bayerisch-österreichisches Wörterbuch.
Hofrat Seemüller in Wien arbeitete, unterstützt von Pro-
fessor Lessiak in Prag, Dr. Pfalz in Wien und Dr. Maussee,
eine Reihe von Fragebogen aus, die das unter den Begriff
Bewegung gehörige Wortgut der Mundart erfassen sollen.
Wir müssen auch heuer wie in den Jahren 1915 und
1916 von einem vollständigen Verzeichnis der Sammler ab-
sehen. Einigen aber, die sich durch besonders gründliche Be-
antwortung von Fragebogen oder durch sonstige Sammelarbeit
ausgezeichnet haben, muß die Anerkennung, die wir allen
Einzelnen schulden, auch an dieser Stelle ausgesprochen werden.
Dies gilt namentlich von jenen , die alle bis jetzt ausgegebenen
Fragebogen — 41 an der Zahl — in vortrefflicher Weise beantwortet
haben. Es sind das die Herren: Bauer Jos. Brand mair, Derching;
Zollinspektor Ant. Fasold, München (schickte außerdem eine große
Menge von Zeitungsausschnitten); Bergmann Mich. Hauptmann, Hohen-
peissenberg. Nahezu 41 Fragebogen haben beantv^ortet: Präparanden-
hauptlehrer Joh. Brunner, Cham und Thomas Wild, München,
Ertragreiche Beantwortungen zu einzelnen Fragebogen und frei-
gesammeltes Material lief außerdem ein von folgenden Sammlern : Grenz-
aufseher Franz Bauer, Steinlohe; Ökonom Joh. Brandl, Maximilian;
Frau Maria Ertl, Hengersberg; Frau Dr. Em, Escherich-Welzhofer,
Wiesbaden; Hauptmann Jos. Heindl, München; Schriftsteller Georg
I
Kommissionaberichte 117
Hoerner, München; Förster Jos. Kulzer, Beratshausen ; Seminarlehrer
Joh. Lang, Eichstätt (7 Frgb.); Kooperator Gotth. Oswald, Iggensbach;
Gymnasiallehrer Hans Schlappinger, Kusel (Material zu 41 Frage-
bogen); Oberrealschulprofessor Dr. Schmöger, München; Reallehrer
Schwarz, München; Lehrer Karl Schwarzer, im Felde; Anwesens-
besitzer Jos. Sefehlner, Obernzell; Registrator 0. Silier, Augsburg;
Bernhard Stark, München; Rudolf Stark, beim Heere; Fräulein Therese
Vogt, Beilngries; Kirchenmaler Hans Vogt, Beilngries; Hausbesitzer
Georg Weiß, Altfalter; Oberregierungsrat Karl Wiesinger, Altona.
Durch den Tod verloren wir Freiin Rosa von Seh renk, München
und Archivar Herm. Bertele, Lauingen, der dem Wörterbuch viele
Tausend Zettel geliefert hat. In Gefangenschaft befinden sich Real-
lehrer Fr. Kreiner, Würzburg und Lehrer Fr. Luthner, Passau, zwei
Sammler, die bei der Wörterbuchkanzlei in bester Erinnerung stehen.
Die Handbibliothek der Kommission wurde auch heuer
durch dankenswerte Zuwendungen bedacht von Pfarrer Chri-
stian Best, Betwar; Landgerichtsrat Franz Ebner, als Vor-
stand des Historischen Vereins Straubing; Architekt Ignaz
Joh. Hibler, im Felde; Schriftsteller Gg. Hoerner, München
und Landsturmmann J. M. K. Koeberlein, im Felde.
2. Rheinpfälzisches Wörterbuch.
Das wichtigste, was der Bericht zu melden hat, ist eine
neuerliche Schenkung aus dem germanistischen Nachlasse Georg
Heegers: umfängliche Materialien, z. T. Studien zu Gram-
matik, Wortschatz, Geographie der Mundarten der Pfalz. Dem
Sohne des Verstorbenen, Herrn cand. med. Fritz Heeger (beim
Heere) gebührt für die Überweisung der Manuskripte der be-
sondere Dank der Kommission. Die im Vorjahre genannten
Arbeiten des Konrektors Dr. Keiper in Regensburg wurden
fortgesetzt. Die Sammlerschaft, die elf Persönlichkeiten als
gestorben, gefallen oder in Gefangenschaft befindlich aufweist,
war auch heuer an der Arbeit in erheblichem Maße behindert.
In der kommenden Friedenszeit wird es hier vielen Nachholens
bedürfen. Material lief ein von Lehrer Christian Neu, Breit-
furt (zu Frgb. 1), Ludwig Jost, Heckendalheim (Freigesam-
meltes) und von Taubstummenlehrer Ed. Schmitt, Franken-
118 Kommissionsberichte
thal (Beantwortung des Frgb. 1, ausgezeichnet durch Gründ-
lichkeit und gute Beobachtung wie durch genaue Wiedergabe
der Laute).
Von mehreren Seiten, so von Landtagsabgeordneten Biblio-
thekar Dr. Max. Pfeiffer, München, ist der Wörterbuchkom-
mission nahegelegt worden, das zu schaffende Mundartwörter-
buch nicht „Rheinpfälzisches", sondern „Pfälzisches Wörter-
buch" zu nennen. Wir glauben im Sinne der an die Kom-
mission ergangenen Anregungen zu handeln, wenn wir diesen
Vorschlag hiemit allen Mitarbeitern, auch denen im Felde,
unterbreiten und um Äußerung an die Kanzlei der Wörter-
buchkommission ersuchen.
3. Ostfränkisches Wörterbuch.
Die Drucklegung der im letzten Jahresbericht genannten
Fragebogen und Behelfe für die Sammelarbeit mußte auch
heuer unterbleiben. Hauptlehrer Friedrich Treu, Kirnberg und
Forstmeister Karl Dihm, Pegnitz, sandten dankenswertes frei-
gesammeltes Material, desgleichen cand. phil. Heinr. Dereser,
München (Segen aus Unterfranken, Volksgebräuche aus Ober-
franken). Die Sammlung an der Hand von Fragebogen kann
leider erst in der Friedenszeit begonnen werden.
4. Sondersammlungen der Wörterbuchkommission
aus Anlaß des Krieges.
a) Soldatenlied.
Im Berichtsjahr liefen mancherlei Neubeantwortungen und
Ergänzungen zu früheren Beantwortungen des Sonderfrage-
bogens ein, nach dem vor allem im Vorjahr gesammelt wurde.
Wir erhielten solche von folgenden Sammlern: cand. phil. Heinr.
Dereser, München; Frau Dr. E. Escherich-Welzhofer,
Wiesbaden; Archivrat Dr. phil. Rud. Frey tag, beim Heere;
K. K. Leutnant Otto Gerstl, Linz; Lehrer Joh. Graber, Weil-
bach; Leutnant Dr. Heinr. Marzell; Bibliothekar Dr. E.
Petzet, München. Die reichen Einlaufe des Jahres 1916 sind
Kommissionsberichte 119
zum Teil in einer längeren Untersuchung „Der Liederbestand
bairischer Truppen im Weltkrieg (1916)" von Dr. Maußer
verwertet (erschienen in den Bayerischen Heften für Volks-
kunde 1917, 57—136).
b) Soldatensprache.
Im Herbst 1916 vereinigten sich die Wörterbuchkom-
mission und der Verband deutscher Vereine für Volkskunde,
nachdem jene mit einer Sammlung innerhalb der bayerischen,
gelegentlich auch innerhalb der übrigen deutschen Truppen
vorausgegangen war, zur Erhebung der Soldatensprache des
gesamten deutschen Heeres. Es wurde beim Verband deut-
scher Vereine für Volkskunde eine besondere „Kommission
zur Sammlung der Soldatensprache" niedergesetzt und deren
Vorsitz Dr. Maußer übertragen. Alle einschlägigen Arbeiten
werden von der Kanzlei der Wörterbuchkommission besorgt.
Mußte im Vorjahr die Sammlung nur auf Grund einiger all-
gemeiner Anhaltspunkte erfolgen, so kann sie seit Herbst
1917 an der Hand eines systematischen Fragebogens vorge-
nommen werden. Der Fragebogen erscheint in zwei Ausgaben,
einer kleineren und einer größeren. Er steht allen Freunden
einer Erhebung der Soldatensprache zur Verfügung. Die
Sammlung wird nun auch von den Akademien in Berlin,
Heidelberg, Leipzig, sowie von den Wissenschaftlichen Gesell-
schaften in Freiburg i. Br. und Straßburg unterstützt. Sie
wird ferner gefördert von hohen militärischen Stellen. Der
erst vor kurzem ausgegebene kleine Fragebogen findet bereits
außerordentlich rege Beantwortung. Wir schulden es den
Sammlern, ihnen auch an dieser Stelle zu danken und die
Namen hier aufzuführen^):
Gefr. Otto Äntesberger; Grenzaufseher Franz Bauer, Steinlohe;
Ltn. Dr. Heinr. Blendinger; Dr. phil. .Tul. Cahn, Frankfurt a. M.; Ltn.
Deindl; cand. phil. Heinr. Dereser, Mönchen; Ltn. K. Englert; Obltn.
*) Bei Mannschaften ist nur der Name gesetzt; Gefr. = Gefreiter,
Uoffz. = Unteroffizier, Vzfw. = Vizefeldwebel, Ltn. = Leutnant, Obltn.
== Oberleutnant.
120 Kommissionsbericlite
Karl Eyth; Ltn. Karl Franck; Vzfw. Dr. Rud. Freytag; Stabsarzt
Dr. Gengier; Ltn. Guthmann; Gefr. Otto Heindl; Feldoberpost-
eekretär A. Hempel; Gefr. Alfr. Hiller; Gefr. Karl Hintze; Prof.
Anton Hoff mann, München; Hauptlehrer Hutterer, Rosenheim; Ltn.
Kapfer; M. Kester; K. J. M. Koeberlein; Ltn., Bataillonsadjutant
Fritz Kuhn; Hauptmann Freiherr v. Loeffelholz; Militärdolmetscher
Erich Loewenthal; Gefr. Mart. Märten; Gefr. Adolf Marx; Ltn.
Dr. Heinr. Marzell; Major, Bataillonskommandeur Aug. Miller; Tele-
phonist Neustifter; Vzfw. Ant. Prell; Ltn. Ludw. Richter; Reg.-Rat
und Bezirksamtmann Riederer, Marktheidenfeld; Rentner L. Sachsen-
hauser, München; Vzfw., Offiz.- Aspirant Rud. Schlamp; Vzfw. Karl
Solger; Vzfw. Dr. Frid. Solleder; Gefr. Theod. Trog; Ltn., Kom-
pagnieführer Dr. Uebe; UoiFz. Jos. Waldhier; Schütze Weber; Ltn.
Friedr. Weidner; Uoffz. Hans Weiß; Hans Beatus Wieland, München;
Sergeant E. Wittich; Offiz. -Stellvertreter Wustmann; Ltn. W. Zent-
ner; Infanterist Zöbl. Außerdem verdanken wir wertvolles marine-
sprachliches Material den Herren: U.-Bootsmatrose Wilh. Schlichting
aus München; Obermatrose Jos. Eydner aus München.
Die im Jahre 1916 entstandene Sammlung wurde benützt
für das Buch Dr. Maußers Deutsche Soldatensprache, ihr
Aufbau und ihre Probleme (= Trübners Bibliothek Nr. 9,
Straßburg 1917). An der Abfassung der erwähnten beiden
Fragebogen war u. a. in hervorragendem Maße der K. bayer.
Major Aug. Miller beteiligt, einer der besten Kenner der
deutschen Soldatensprache und ein tätiger Förderer der Wörter-
buchkommission seit ihrem Bestehen.
Vom nächsten Jahre ab werden ausführliche Berichte
über die Sammlung der Soldatensprache in den Mitteilungen
des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde erscheinen.
Aus den Sammlungen der Wörterbuchkommission zum
Kriegsaberglauben konnte Dr. Hans Bächtold mancherlei
für sein Buch Deutscher Soldatenbrauch und Soldatenglaube
(= Trübners Bibliothek Nr. 7, Straßburg 1917) zur Verfügung
gestellt werden.
Dezember 1917.
Die Wörterbuchkommission
der K. B. Akademie der Wissenschaften :
Dr. Ernst Kuhn,
Vorsitzender.
Dr. Otto Maußer,
wissenschaftlicher Hilfsarbeiter.
Kommissionsberichte 121
Bericht über die Höhlenforschung in Bayern
im Jahre 1917.
Der Mangel an geeigneten Arbeitskräften machte es im
Jahre 1917 unmöglich, größere Untersuchungen auszuführen.
Es wurden deshalb durch Professor Birkner der Hauptsache
nach nur Höhlen aufgesucht und in die Topographischen
Atlasblätter 1:50000 eingetragen.
Bei Neuessing, etwas altmühlaufwärts mündet das Galgen-
tal. Etwa 800 m vom Beginn des Tales entfernt , wird dieses
Trockental durch frei aufragende Felsen bis auf Straßenbreite
eingeengt. In diesen Felsen liegt auf dem östlichen Hang
das längst bekannte „Silberloch", in dessen Inneren Scherben
aus der älteren Bronzezeit festgestellt worden sind; außerdem
finden sich in der nächsten Umgebung noch mehrere Nischen,
von denen vor allem eine auf dem westlichen Hange von
prähistorischen Menschen bewohnt gewesen sein könnte.
Von Riedenburg altmühlaufwärts zwischen Altmühlmünster
und Mühlbach wurden durch M. Regnet in Mühlbach eine
Anzahl von Höhlen gemeldet. In den Felsenpartien auf dem
Westhange zwischen Altmühlmünster und dem Altmühltale
befinden sich einige kleine Nischen. Die geräumigste mit
3:4m liegt direkt unter der durch einen Abschnittswall be-
festigten Bergnase; aber auch in dieser Nische scheinen Boden-
schichten nur in geringer Mächtigkeit vorhanden zu sein.
Weitere zum Teil stark verfallene Nischen liegen süd-
westlich von Deising, teils auf dem Südhang des Bruckholzes,
teils in der Bruckleiten. Ob Wohnschichten vorhanden sind,
kann erst durch Probegrabungen entschieden werden; das gilt
auch von der über dem Einsiedlerhof stark verstürzten Nische.
Die Nische in Flügelberg bei Meihern hat nur Felsenboden.
122 Kommissionsberichte
Die „Räuberhöhle" zwischen Langsteig- und Mühlbachschlucnt
ist eine Spaltenhöhle, welche durch eine Doline zugänglich ist.
Die Möglichkeit, daß die mehr oder minder geräumigen
Höhlen zwischen Riedenburg und Mühlbach von paläolithischen
Menschen bewohnt gewesen sind, wird dadurch erhöht, daß
in einer östlich von Mühlbach gelegenen Grotte tatsächlich
paläolithische Wohnschichten festgestellt werden konnten. Eine
Probegrabung, die Professor Biikner vornahm, ergab in kurzer
Zeit, abgesehen von Kulturresten aus jüngeren prähistorischen
Stufen, Jaspis- und Hornsteinwerkzeuge der Moustierstufe ; auch
ein als Ambos benutzter Knochen aus dieser Zeit kam zum
Vorschein. Die gefundenen Tierreste stammen vom Mammuth
und Rhinoceros antiquitatis, von der Höhlenhyäne, vom Höhlen-
bär, Wolf und Fuchs, vom Pferd und Ren. Es handelt sich
somit um Tier- und Kulturreste der Moustierstufe, wie sie in
ähnlicher Weise bei der Grabung im Schulerloch zwischen Kel-
heim und Neuessing zahlreich zutage traten. In Friedenszeit
dürfte es die erste Aufgabe der Höhlenforschung sein, diese
Höhle systematisch zu untersuchen.
Die in den Höhlen zwischen Kelheim und Riedenburg ge-
fundenen paläolithischen Steinwerkzeuge bestehen aus Jaspis,
Hornstein und anderen Quarzgesteinen. Da das Material hie-
für vermutlich aus der Gegend selbst stammt, besuchte Pro-
fessor Birkner mit Realienlehrer Rieger von Kelheim, um die
Herkunft festzustellen, die Steinbrüche in der Umgebung von
Kelheim und Neuessing. Es fanden sich im jurasischen Platten-
kalk der graue Jaspis (Hornstein) sowohl in plattiger wie knol-
liger Ausbildung. Der gelbe und rötliche Hornstein liegt heute
noch massenhaft in knolliger und plattiger Form oberflächlich
auf den zwischen den Flußläufen gelegenen Plateaus. Er stammt
wohl aus geologischen Epochen nach der Jurazeit, aus der
Kreidezeit und dem Tertiär. Wahrscheinlich ist er den paläo-
lithischen Menschen noch leichter zugänglich gewesen, als
dies heute der Fall ist.
Aus der Gegend von Kallmünz (B.-A. Burglengenfeld) ist
durch Mitteilungen in der Literatur eine Anzahl von Höhlen
Kommissionsberichte 12ö
und Nischen bekannt geworden, welche durch Professor Birkner
mit dem Mitarbeiter der Kommission Rentamtmann J. Fraun-
holz von Kastl bei Amberg besichtigt und kartographisch auf-
genommen worden sind.
Das ,,Osterloch bei Rohrbach " macht den Eindruck einer
reinen Spaltenhöhle; ob der niedrige Eingang früher höher
war und so für die Bewohnung Raum geboten hat, kann nur
durch eine Grabung festgestellt werden. In den Felsenpartien
auf dem Bruckberg befindet sich heute eine Anzahl kleiner
Nischen, welche meist den Eingang zu Fuchsbauten bilden.
Da in diesem Gebiete größere Felsstürze stattgefunden haben,
erscheint es nicht ausgeschlossen, daß früher mehr und größere
Nischen vorhanden waren. Ob sie aber in prähistorischer Zeit
bewohnt waren, ist deshalb fraglich, weil in nächster Nähe
kein Wasser ist. Bei der Karolinenhütte soll ebenfalls eine
Höhle sein. Sie konnte in Rohrbach nicht erfragt werden,
nach Hauptlehrer Laßleben in Kallmünz soll sie aber im Mühl-
tal gegen Ammenhof zu liegen.
Im Steinerberg rechts der Vils befindet sich eine Anzahl
von Nischen, die zum Teil eingestürzt sind, die bedeutendste
ist das „Osterloch von Kallmünz", eine längere Spalte mit
stark verfallener Terrasse. In halber Höhe des Weitzenberges
am Einfluß der Vils in die Naab liegt eine tiefe Nische. Da
bei Etterzhausen an der unteren Naab die Anwesenheit des
paläolithischen Menschen festgestellt ist, darf vermutet werden,
daß, falls der damalige Mensch naabaufwärts kam, diese Nische
im Weitzenberg ihm als Wohnung gedient hat. Es dürfte
sich deshalb empfehlen, sobald es die Umstände gestatten, die
Nische im Weitzenberg genauer zu untersuchen.
Im Schloßberg zu Kallmünz befindet sich eine zu einer
Wohnung umgebaute Nische, das sogenannte „Haus ohne Dach".
Eine Probegrabung in den scheinbar noch unberührten Erd-
schichten hat keine prähistorischen Reste ergeben. Entweder
sind dieselben den Einbauten zum Opfer gefallen oder die
Nische war in vorgeschichtlicher Zeit nicht bewohnt.
124
Glückwunschschreiben.
Telegramm. München, 15. November 1917.
An
Ihre Königliche Hoheit
Prinzessin Therese von Bayern
Lindau i. B.
Die K. Akademie der Wissenschaften bringt zum heutigen
Gedenktage mit dem Ausdrucke tiefsten Dankes ihre unter-
tänigsten Glückwünsche dar.
Möge der Akademie auch im neuen Vierteljahrhundert
die Huld und Teilnahme Eurer Königlichen Hoheit erhalten
bleiben.
Crusius.
Darauf lief von Seite Ihrer Königlichen Hoheit folgende
Drahtantwort ein:
Reutin bei Lindau, Bodensee, 15. November 1917.
Für die liebenswürdigen Worte an dem mich so ehrenden
Gedenktag der fünfundzwanzigjährigen Zugehörigkeit zur Baye-
rischen Akademie der Wissenschaften spreche ich meinen
wärmsten Dank aus, zugleich mit dem regen Interesse, wel-
ches mich auch künftig wie bisher an alle Bestrebungen und
Erfolge der gelehrten Körperschaft unlöslich bindet.
Therese
Prinzessin von Bayern.
Glückwunschschreiben 125
Der K. K. Franzens-Universität in Lemberg sandte
unsere Akademie zu ihrer Jahrhundertfeier am 4. November
1917 ein Glückwunsch-Telegramm folgenden Inhalts:
Der Universität Lemberg sendet die Bayerische
Akademie der Wissenschaften die aufrichtigsten Glückwünsche
zu ihrer unter bedeutsamen Verhältnissen zu veranstaltenden
Jahrhundertfeier. Möge die Universität ihre Aufgabe, als eine
Bannerträgerin abendländischer Kultur im Osten zu wirken,
nach gesichertem Frieden bald wieder mit altem Erfolge er-
füllen können.
Die eingegangene Antwort lautet:
Rector Senatusque academicus Universitatis Leopolitanae
optata faustissima Universitatis centesimo abhinc anno ab Im-
peratore ac Rege Francisco I restitutae oblata sibi gratissimis
exceperunt animis.
Leopoli die 30 Novembris 1917.
Dr. Wais
h. t. Rector Magnificus.
126 Ölückwunsclischreibeü
Zur Jahrhundertfeier der Senckenbergischen Natur-
forschenden Gesellschaft in Frankfurt a. M. sandte die
Bayerische Akademie der Wissenschaften nachstehendes Glück-
wunschschreiben :
Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft hat die
große Freundlichkeit gehabt, die Königlich Bayerische Akademie
der Wissenschaften zur Teilnahme an ihrer Hundertjahrfeier
einzuladen.
In Friedenszeiten würden wir mit Freude dieser Einladung
Folge geleistet haben.
Wenn wir jetzt aber von der Entsendung eines Vertreters
zu Ihrer Feier Abstand nehmen müssen, so ist dies nicht nur
in den äußeren Schwierigkeiten des Reiseverkehrs, sondern
auch in dem Umstände begründet, daß unsere Mitglieder zur-
zeit der Feier durch ihre amtliche Tätigkeit stark in Anspruch
genommen sind.
Aus diesem Grunde müssen wir uns darauf beschränken,
der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft unsere
herzlichsten Wünsche zur Hundertjahrfeier schriftlich zum
Ausdruck zu bringen. Möge ihre fernere Tätigkeit dazu bei-
tragen, in einem nach siegreichem Abschluß des Krieges neu
erstarkten Deutschland naturwissenschaftliche Forschung und
naturwissenschaftliche Lehrtätigkeit in neuem Glänze erstrahlen
zu lassen! Möge sie namentlich auch, wie schon bisher, dazu
mitwirken, daß das Interesse für Naturwissenschaft in immer
weitere Kreise getragen und so unser Volk immer besser für
den Kampf mit der harten Wirklichkeit geschult wird.
Crusius.
Grliickwunschaclireiben 127
Darauf traf folgende Antwort ein:
Frankfurt a. M., im Januar 1918.
Für die außerordentlich zahlreichen freundlichen Wünsche,
die uns von nah und fern anläßlich der Jahrhundertfeier der
Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft am 22. No-
vember 1917 zugegangen sind, beehren wir uns, unseren tief-
gefühlten Dank auszusprechen.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Die Direktion der
Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft:
Prof. Dr. A. Knoblauch Dr. A. Lotichius
I. Direktor II. Direktor
Dr. 0. Low Beer Dr. E. Goldschmid
I. Schriftführer II. Schriftführer.
128 Georg Hitl'scher Fonds
Nachtrag.
Aus dem Georg Hitl'schen Fonds zur Förderung der
Medaillenkunst wurden im Wettbewerb nachstehende Preise
zuerkannt:
300 Ji dem Bildhauer Ludwig öries,
200 JC dem Maler und Graphiker Hans Volkert,
je 100 J( der Bildhauerin Lissy Eckart und den Bild-
hauern Ottmar Obermeier, Max Olofs und
Berthold Run gas,
50 JC dem Bildhauer Franz Wetzstein
(sämtliche in München).
Lobende Erwähnungen wurden zuteil:
Gottfried Neukam, z. Z. Unteroffizier und Offiz.-Asp.
in Bayreuth,
den Bildhauern Adolf Daumiller und Karl May in
München.
AS Akademie der Wissenschaften,
182 Munich
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1915-17
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